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Core Classics #29 – POISON THE WELL

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Hier bekommt ihr eure wöchentliche Dosis an Core-Alben mit Legenden-Status. Viele Vorurteile gegenüber dieser Musikrichtung konnten ja bereits schon ausgelöscht werden. Und genau deswegen gibt es jetzt auch diese Kolumne, denn ich kann sie schreiben und mich danach immer noch auf die Straße trauen!

POISON THE WELL – The Opposite Of December
Veröffentlichungsdatum: 14.12.1999
Länge: 28:15 Min.
Label: Trustkill Records

Kennst du THE GHOST INSIDE, MISS MAY I, ARCHTECTS, WHILE SHE SLEEPS oder überhaupt irgendeine moderne Metalcore- oder Melodic-Hardcore-Band? Dann weißt du hoffentlich, welcher Truppe du diesen Sound verdankst. Was heute für den nichtsahnenden Hörer klingt wie eine Mischung aus HUNDREDTH und EARTH CRISIS, legte noch vor der Jahrtausendwende den Grundstein für einen Sound des modernen Hardcores, der auf Melodic Death Metal verzichten kann. Trotzdem wird der unglaubliche Einfluss, den POISON THE WELL auf die gesamte Szene hatten, immer wieder auch von Leuten aus melodischen Metalcore-Bands zitiert. Zu diesen zählen unter anderem Howard Jones (DEVIL YOU KNOW, Ex-KILLSWITCH ENGAGE) und Davyd Winter-Bates (BURY TOMRROW). Damit zollen sie dieser seit 2010 in einer undefinierten Pause befindlichen legendären Band ihren Respekt – und das zu Recht!

„A lot of our local bands at that time ditched the Funeral For A Friend style for a PTW sound and, as a result, sparked a huge hardcore/metalcore scene in Southampton.“ – Davyd Winter Bates über das 2002er Album der Jungs aus Miami

Auch die große Musikpresse wurde irgendwann aufmerksam und berichtete über das genreverändernde Werk der Truppe, aber das begann nicht vor der Veröffentlichung des zweiten Albums. Dieses erreichte dann zum ersten Mal die „Massen“. Egal wie gut sich „Tear From The Red“ jedoch anhört, es kann nicht den meteoritenähnlichen Krater nachahmen, den das Meisterwerk „The Opposite Of December“ im modernen Hardcore hinterließ. Das so etwas bereits 1999 schon existierte, lässt mich an meinem Verstand zweifeln. Vergleichbar mit dem Einfluss von VENOM auf extreme Metal-Genres, so verhält es sich hier mit POISON THE WELL, auch wenn es ein gewagter Vergleich ist. Immer wieder finden sich den guten, alten Zeiten nacheifernde junge Bands. Und genau diese übernehmen nicht nur die Einflüsse, sondern gleich das Gesamtpaket. Mein persönlicher Geheimtipp in diese Richtung sind RENOUNCED aus London. Aber schlagen wir uns nicht weiter mit den Nachwirkungen rum und kommen zur Sache: wie klingt das Gegenteil von Dezember?

Legendäre Songs sind zum Beispiel „Nerdy“, dessen Text eine einzige Liebeshymne ist, und das viel negativere „Slice Paper Wrists“. Ersteres klingt sofort nach einem Screamo-Revival, welches ich gerne schnell vergessen würde. Dann schaue ich auf das Datum und muss anerkennen, dass der Screamo höchstens ein Revival dieses Songs sein könnte. Aber hey, GLASSJAW gab es ja damals auch schon! Der klare Gesang im Chorus weckt sofort Erinnerungen an Kids mit Bandshirts und Justin Bieber-Friese – aber auf eine gute Art und Weise. Die Double Bass-Passagen und Breakdowns sowie das Intro-Riff des Songs brennen sich direkt in die Gehirnzellen ein.

Von „Slice Paper Wrists“ hingegen haben sich viele emotional angehauchte Hardcore-Jünger beeinflussen lassen. Das Riff, was sich in das Intro und den Breakdown schleicht, lässt mich leicht sentimental werden, sobald ich es entdecke. Viele weitere Gitarrenparts lösen eine lähmende Depression aus – egal ob es die leiseren Töne auf „Mid Air Love Message“ oder die knochenbrechenden Passagen des Openers „12/23/93“ sind. „My Mirror No Longer Reflects“ hat das wohl schönste, ruhige Stück der Melodic-Hardcore-Torte erhalten. Die verstreuten, seichten und atmosphärischen Klänge haben in Kombination mit den darüber gelegten und nur gesprochenen Texten eine ganz besondere Ausstrahlung. Von so was wurden andere Melodic-Hardcore-Titanen wie HOPESFALL definitiv beeinflusst.

Fazit

Eine Band, die wie alles klingt, was heute populär und in der Szene verankert ist, bevor es diese überhaupt gab? So etwas findet man nicht oft und die einzigen vergleichbaren Beispiele die mir einfallen, sind BOTCH und RORSCHACH im Bezug auf den Mathcore. Was besonders bewundernswert ist, dass die Band trotz einiger Reunion-Auftritte seit 2015 nicht bestrebt ist, ein neues Album aufzunehmen. Sei es aus Respekt gegenüber dem, was die originale Besetzung geliefert hat oder aus Angst vor negativem Feedback. So eine künstlerische Integrität würde man sich bei einigen Bands wünschen – *hust SUICIDE SILENCE hust* – und ist bewundernswert.
Wenn man es schafft, über die eigenen Genregrenzen so viele Gruppen zu erreichen und Musiker in allen Formen des Cores zu beeinflussen, gehört man definitiv auf die Liste der 100 bedeutendsten Rock-Alben des Magazins Guitar World. Niemand kann jedoch erahnen, ob bereits damals etwas Besonderes in der Luft lag, als POISON THE WELL auftraten. Wie gerne ich so was live erlebt hätte, könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Dieses unbeschreibliche Gefühl, eine solche bedeutungsvolle Band in ihren Anfangsjahren zu sehen, hätte mich wahrscheinlich umgebracht. Bevor ich mich noch mehr des „Le Wrong Generation-Talks“ bediene, wische ich mir jedoch erst mal das breite Grinsen aus der Fresse und widme mich wieder meiner Lieblingsbeschäftigung: ein böses Gesicht im Bus machen.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Poison The Well, Poison The Well und Poison The Well

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