„Wir leben ja nicht mehr in den Achtzigern“ – im Interview mit Jen Majura
8. April, Frankfurt am Main. Es ist Besuchertag auf der Musikmesse. Nicht so voll wie früher, trotzdem herrscht noch ein ziemlicher Geräuschepegel in der Gitarren- und Schlagzeughalle. Unter den Künstlern, die dieses Jahr im Guitar-Cam auftreten, ist auch Jen Majura (im Folgenden mit „J“ abgekürzt). Sie ist in Vergangenheit u.a. bereits als Gitarristin bei KNORKATOR und als Bassistin bei EQUILIBRIUM tätig gewesen und spielt nun seit Kurzem Gitarre bei EVANESCENCE. Als wäre das nicht genug, hat sie nebenher auch eigene Projekte am laufen. In Frankfurt stellt sie nun ihr Equipment sowie Auszüge aus ihrem musikalischen Schaffen und Können vor. Trotz vieler Termine, die sie auf der viertägigen Messe hat, hat sie sich Zeit für Interviews genommen und ist entspannt, relaxt und gut gelaunt. So kam mit der quirligen Multiinstrumentalistin ein Interview über die Messe, Frauen im Rock (nein, nicht dem Kleidungsmittel), ihre Beziehung zu Fans und manches mehr zustande.
S: Hallo Jen! Danke erstmal für deine Zeit!
Ich habe schon gesehen, du bist hier ständig unterwegs, entweder aktiv musikalisch, oder von Fans umringt. Ist es wichtig für dich, so ein Level an „Stress“ zu haben?
J: Ja, ein Arbeitspensum ist wichtig für mich, weil ich jemand bin, der ohne Stress nicht funktioniert. Wenn ich gelangweilt zu Hause mit ’ner Tüte Chips auf der Couch sitze, dann schlafe ich ein, und dann weiß ich nichts mit mir anzufangen außer üben. Also ich freue mich schon. Es ist natürlich fokussiertes arbeiten hier, weil ich genau weiß, ich hab hier vier Tage Vollgas: Interviews, spielen, Termine. Aber es ist auch schön, dass du die ganzen Firmen, mit denen du die Jahre zusammen arbeitest, als Künstler, dass du die hier alle triffst. Die Jungs von IBANEZ und von ENGL sind hier direkt ums Eck. Es ist natürlich schön, mit denen hier auch ein wenig Zeit zu verbringen, weil man die ja auch nicht ständig sieht.
S: Für das Publikum, die Besucher, ist das ja ein sehr interessanter Faktor, hier auch so viele Musiker erleben zu können.
J: Klar. Ich meine, was wäre eine Musikmesse, wenn nur Hersteller da wären, aber keine Künstler, die die Produkte spielen. Was wären die Künstler, wenn sie kein Equipment hätten zum Spielen. Da hat die Frankfurter Musikmesse hier schon eine schöne Option auf die Beine gestellt, seit Jahren. Ich bin dieses Jahr zum zwanzigsten Mal da.
S: Nicht schlecht. Dadurch, dass es alles ja etwas kleiner geworden ist, ist es jetzt schon etwas anderes.
J: Ja. Kennst du noch Halle 9? Ganz früher war es noch Halle 9, das war die Gitarrenhalle.
S: Ja, klar.
J: In der Galeria, und dann Halle 9. Und dann waren wir irgendwann Halle 4, und jetzt Halle 11. Das ist so ein bisschen verloren, weil es ganz weit weg vom Schuss von Halle 4 ist. Aber es ist schön, weil alle Freunde und Kollegen hier sind.
S: Denkst du, die Musikmesse ist, weit gefasst, mit einem Festival vergleichbar? Man hat viele Leute, die wegen der Musik herkommen, es gibt viele Stände und Präsentationen …
J: Also, für mich persönlich ja. Weil, wenn du auf Festivals spielst, das, was die Musiker am meisten genießen, ist mit Kollegen von anderen Bands mal Zeit zu haben und Backstage abzuhängen, und die Shows von den Kollegen auch mal anzuschauen. Die Chance haben wir hier ja auch. Ich habe mich tierisch gefreut, dass Jeff Waters hier ist, Herman Li, Nico Schliemann von GLASPERLENSPIEL. Das ist schön, dass du mit den ganzen Leuten an den Tagen Zeit verbringen kannst, im Backstage-Catering-Bereich sitzen kannst, reden kannst, deren Shows ansehen kannst, wenn man nicht selbst gerade spielt. Das ist schön. Ich finds super.
S: Das ist natürlich auch etwas Besonderes hier, dass aus verschiedenen Bereichen Leute zusammen kommen.
J: Das auf jeden Fall. Und du hast natürlich noch die Fannähe, was sehr cool ist. Das sind natürlich nicht die Stars, die auf einer sechs Meter hohen Bühne dreißig Kilometer von den Fans weg sind. Sondern du kannst herkommen, allen die Hand schütteln, ein Foto machen, Fragen stellen über Instrumente, Gear oder so. Das ist schön.
S: Du hast ja schon bei KNORKATOR und EQUILIBRIUM mitgespielt, und bist jetzt bei EVANESCENCE. Merkst du da einen Unterschied, so vom Bandrhythmus her, und auch von den Fans?
J: Oh ja. Hm, warte, wo fange ich denn da an. Ich sag mal, das erste, was wirklich unterschiedlich ist, ist das Touren an sich. In Europa, die Tourszene ist so, wenn du dreißig Tage auf Tour on the road bist, musst du eine gewisse Anzahl an Konzerten spielen, um das finanziell überhaupt zu schaffen. Wir leben ja nicht mehr in den Achtzigern. Bei EVANESCENCE ist es so, Amy singt zwei, maximal drei Konzerte am Stück. Dann haben wir einen day off oder einen Travelday. Das ganze Touren ist sehr, sehr, sehr viel entspannter. Ich habe einen super Gitarrentech bei EVANESCENCE, der nimmt mir sehr viel Arbeit ab. Und die Fans … EVANESCENCE-Fans sind anders als alle anderen Fans. Am Anfang hatte ich ein wenig Angst, weil, klar, Terry Balsamo hat jahrelang in der Band gespielt, und dann komm ich da als kleines, neues Woopie an. Und da hatte ich ein klein wenig Angst, ob ich akzeptiert werde oder nicht. Hatte sich aber innerhalb von fünf Minuten beim ersten Konzert gelegt. EVANESCENCE-Fans sind die herzlichsten, verrücktesten und liebenswürdigsten Fans, die ich bisher in meinem ganzen Leben kennengelernt habe.
S: Für jemanden als Musiker ist das ja durchaus ein wichtiger Punkt, wenn man in eine Band neu einsteigt.
J: Auf jeden Fall. Ich bemühe mich auch immer, wenn wir irgendwo spielen, Zeit mit Fans zu verbringen, vor dem Soundcheck mal rauszugehen, weil es sind wirklich ganz tolle Fans.
S: Gerade auch in der Szene ist es ja, naja nicht ungewöhnlich, aber dennoch eher noch außergewöhnlich, dass Frauen nicht als Sängerin sondern als Instrumentalistin in einer Band mitwirken. Wie siehst du dieses Thema?
J: Ja, Gott sei Dank, das ist auch ein Lieblingsthema von mir. Glücklicherweise wird es zur Zeit wirklich besser. Wir haben inzwischen großartige Gitarristinnen in der Szene, wie etwa Nita Strauss, die bei Alice Cooper spielt, oder Nili Brosh, großartige Saitenhexerinnen. Und es ist nicht mehr dieses komplett seltene, „Oh Gott, da spielt ’ne Musikerin“. Wir haben auch Schlagzeugerinnen hier im Camp. Annika Nilles ist hier. Und es wird immer mehr und immer besser.
Allerdings fragen viele immer nach der Emanzipation. Wir wären auf einer Emanzipations-Schiene und so. Ich finde das ganz persönlich absoluten Blödsinn. Weil Emanzipation bedeutet eigentlich, dass es nicht immer wieder hervorgehoben werden muss „oh, eine weibliche Musikerin“. Weil, egal ob Männlein oder Weiblein, wir machen Musik, und wir geben unser Bestes. Und es ist völlig egal, ob du Männchen oder Weibchen bist, und ich finde, da sollte nicht ständig dieser Unterschied gemacht werden. Wir sind immer noch eine Minderheit, klar. Im Hardrock- und Heavy-Bereich gibt es im Verhältnis zu den männlichen Kollegen immer noch weniger. Aber für mich persönlich sollte das kein Issue sein.
S: Es gibt ja bereits komplett weiblich besetzte Bands.
J: Das habe ich auch schon gemacht. Ich habe in einer AC/DC-Coverband/Tributeband all female mitgespielt. Da war ich dann die weibliche Angus, und hab da meine Bühnenerfahrung gesammelt. Aber fünf Mädels ist anstrengend (lacht).
S: Du hast ja auch früher mal Saxophon gespielt. Ist das noch ein Thema?
S: Ich hab mein Saxophon zu Hause. Es ist im Case auf dem Schrank und verstaubt. Und da verstaubt es gut (lacht wieder). Ich habe auch mal Geige gespielt. Ich komme nicht mehr dazu. Ich habe zu viel um die Ohren. Und wenn ich die Wahl habe, dann nehme ich immer lieber die Gitarre zum Üben in die Hand.
S: Bist du denn so generell zuversichtlich, was sich in der Zukunft entwickelt?
J: Was die Musikmesse angeht?
S: Auch, aber auch insgesamt, in dem musikalischen Zusammenleben etc.
J: Ich lebe ziemlich im jetzt. Ich genieße in vollen Zügen, was mein Leben mir momentan ermöglicht. Ich werde so lange wie möglich das Ganze genießen. Keiner weiß, wie die Zukunft aussieht. Aber ich gebe mein Bestes und freue mich, dass ich momentan die Möglichkeit habe, viele tolle Dinge zu erleben, und tolle Sachen zu sehen. Ich freue mich tierisch auf die Südamerika-Tournee. Will (HUNT, Anmerk. d. Autors) und ich fliegen jetzt nach Hause, nach der Musikmesse. Also, ich fahre. Und im Prinzip treffen wir uns nächste Woche dann schon wieder in Miami, mit der gesamten Band, und fliegen dann runter nach Brasilien. Und dann sind wir für einen Monat in Südamerika auf Tournee.
S: Nicht schlecht. Wie gesagt, voller Plan.
J: Ja. Dann bin ich nochmal für drei Wochen in Deutschland, und dann geht die Europa-Tournee los. Und ich freue mich da einfach, weil es einfach eine tolle Zeit ist. Touren mit EVANESCENCE ist wie ein riesen Urlaub mit Freunden, plus der Möglichkeit, hammergeile Konzerte zu spielen mit toller Musik und supertollen Fans.
FAZIT
Jen ist sich sehr bewusst über ihre Position und das, was momentan so alles passiert in ihrem Leben. Dabei ist sie sehr ehrlich und zeigt, wie sehr sie die vielen kleinen Momente in ihrem vollen Plan zu schätzen weiß. Dabei wird klar, wie wichtig für sie eine homogene Beziehung zwischen allen Beteiligten in der Branche ist. Ihr Verhalten und Auftreten während der Messe bestätigt dies auch absolut. Sie ist sich nie zu schade, ein kurzes Gespräch mit Fans zu führen oder für ein Foto stehen zu bleiben. Auch sagt sie deutlich, dass die Musikmesse natürlich einer Veränderung unterworfen ist. Für Leute wie sie, ist die aktuelle Situation in der Gitarrenhalle wegen der Nähe der verschiedenen Stände aber gar nicht so schlecht. Einseitiges Denken ist bei ihr fehl am Platz.
So kann man eigentlich sagen, dass es schön ist, jemanden wie sie zu haben. Musikalisch voll auf der Höhe, aber kein A*schlochfreak, der am liebsten eine Plexiglasscheibe zwischen Bühne und Publikum hätte. So etwas macht viel aus, und sollte gerade in heutiger Zeit nicht unterschätzt werden.
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