Ein brachialer Ritt – DIE APOKALYPTISCHEN REITER auf Kurswechsel
DIE APOKALYPTISCHEN REITER – die „andere“ Band aus Thüringen, welche sich erfolgreich durch die Lande schwingt, lud zum Pre-Listening ins Nordische. Wie sich das neue Album anhört und was Drummer Sir G. dazu zu sagen hat, weiß Steffi exklusiv zu berichten. Viel Spaß!
DIE APOKALYPTISCHEN REITER – Der Rote Reiter
Veröffentlichungsdatum: 25.08.2017
Label: Nuclear Blast
Genre: Reiter-Metal
Der „ROTE REITER“ steigt vom Himmel – und ich reise ihm entgegen. Mit dem Zug, versteht sich, denn ich bin auf dem Weg in den hohen Norden – nach Hamburg zu den Chameleon Recording Studios, wo DIE APOKALYPTISCHEN REITER aus Thüringen am 29.04.2017 für die Presse ihr frisch abgemischtes, zehntes Studioalbum präsentieren (ein Livestream war auf Facebook nachzuvollziehen). „Der Rote Reiter“ soll es heißen, veröffentlicht wird es am 25. August diesen Jahres. (Das Layout beruht übrigens auf einem Holzrelief von Sänger Fuchs, das schon auf seiner Ausstellung im letzten Jahr zu sehen war.)
Ich bin sehr gespannt, spalteten sich nach dem letzten Album doch entschieden die Geister: Das 2014 veröffentlichte „Tief.Tiefer“ stieß mit seiner experimentellen Art und der Neuaufarbeitung alter Songs nicht überall auf Begeisterung. Generell machte die Band seit den ersten (noch vorrangig englischsprachigen) Alben entscheidende musikalische und personelle Veränderungen durch: aus dem Melodic Death Metal heraus dominierten bald auch ruhigere Songs, gutturaler Gesang wurde zur Seltenheit und die Texte wurden fast ausschließlich auf Deutsch verfasst. Nun ist die Band zurück, nach einem guten Jahr Pause – nach ihrem 20-jährigen Jubiläumsfestival im Dezember 2015 verkündete die Band eine Unterbrechung ihrer Bandtätigkeit auf unbestimmte Zeit. Am 10. März 2017 meldeten sie sich dann zurück – mit einem kompletten neuen Album im Schlepptau.
Die Studios
Für das neue Album entschied sich die Band zu einem Teamwechsel. Statt in den Principal Studios, wo die letzten Alben entstanden waren, wurde „Der Rote Reiter“ nun von der Band im Alleingang produziert und in den Chameleon Recording Studios (teilweise auch in den Chemical Burn Studios in Bad Kösen) mithilfe von Eike Freese und Alexander Dietz (HEAVEN SHALL BURN) aufgenommen. Hier sitzen nun Schreiberlinge aller vorstellbaren Magazine und die Köpfe des Reitermania-Fanclubs mit der Band zusammen, deren Vorfreude und Aufregung schwer zu übersehen sind.
Es geht in eines der größeren Studios, wo man sich zusammensetzt und ein allererstes Mal offiziell in den „Roten Reiter“ hineingelauscht werden darf. 13 Tracks werden es auf die neue Platte schaffen, hier folgt eine kurze Einschätzung der Stücke nach dem ersten Reinhören (unten gehts weiter zum Interview):
Die Songs
Mit „Wir Sind Zurück“ begrüßt die Band jeden überraschend brachial. Der Song wurde als Livestream auf Facebook veröffentlicht, das Feedback der Fans war überwältigend positiv. Kein Wunder: wer sich in die alten, härteren Zeiten zurücksehnte, wurde direkt abgeholt. Der Song glänzt mit treibenden, schnellen Drums und fetten, jedoch etwas subtilen Gitarrenriffs. Auch tauchten erste Melodeath-Elemente auf. Wer also einen Sound gleich dem eher ruhigen, teils fast an Schlager erinnernden, Album „Tief.Tiefer“ erwartete, wurde von der Doublebase von Drummer Sir G. und lang ersehnten, jedoch rar gewordenen Screams direkt weggeblasen. Ein schöner potentieller Liveeinstieg, wirkt jedoch noch etwas platt.
„Der Rote Reiter“ lässt dann auch den letzten skeptischen Hörer aufmerken. Nach einem finsteren Intro mit Gutturalgesangspassagen (die man auf den letzten Alben oft vergeblich suchen musste – im neuen Album bietet Sänger Fuchs gleich eine ganze Palette davon) mischen sich teils sogar atmosphärische Elemente unter das Spiel. Fuchs meldet sich mit charakteristisch dröhnenden und düsteren clean- wie guttural gesungenen Textpassagen zu Wort. Nach einer kurzen Pause folgt dann auch wieder fegender Doublebass-Einsatz, gepaart mit fetter Gitarrenbegleitung, die es jedoch noch nicht schafft, sich so elegant durchzusetzen, wie man es von älteren Songs gewohnt ist.
Der dritte Song „Herz In Flammen“ lässt den Zuhörer nicht aufatmen: Auf brachiale Drums folgen schnelle, gescreamte Strophen und ein kurzer, langsamerer Cleanrefrain nach alter Manier. Der Rhythmus lädt zum Headbangen und Tanzen ein, die Band will „die Welt in Flammen setzen“ – dieses Feuer entfacht sie auch bei mir. Eingängige Refrains und Zwischenparts laden zum Mitsingen und –grölen ein. Dieser (wahrscheinlich) neue Publikumsliebling bei Liveauftritten wartet auch zum ersten Mal mit auffälligeren Gitarrenriffs auf. Endlich ein Song, der wirklich mitreißt. Da freut man sich doch auf die neue Tour im Herbst.
Mit „Ich bin weg“ wecken die Reiter Sehnsüchte, aus dem Alltagstrott auszubrechen – mit einem, mit gängigen Tanzrhythmen versehen, Song über das Abhauen. Der Refrain erinnert wieder an Alben wie „Licht“ oder „Moral Und Wahnsinn“, auch ist der Song weniger finster als seine Vorgänger. Er überrascht mit einem Zwischenpart aus Feuerknistern und Lagerfeuergitarrenspiel, der zum Träumen animiert. Zum Schluss lässt Fuchs wieder gewohnt laut „Ich bin schon einmal übers Meer geflogen“ verlauten und man will ihm am liebsten auf seine Reise folgen.
„Folgt uns“ startet hingegen wieder mit markanten Riffs, die Strophen wirken jedoch bald etwas sehr gitarrenlastig und aufgeregt. Der schnelle, selten variierende Rhythmus scheint auf die Dauer sogar etwas anstrengend und langweilig. Gerettet wird der Song durch ein episch anmutendes Cleangitarrensolo, sonst birgt er kaum Überraschungen. Macht live möglicherweise Laune, sonst eher kein Favorit der Platte.
Zum nächsten Song „Hört mich an“ gibt es nicht viel zu sagen. Nach einer Ankündigung durch Glockenläuten folgt ein gesellschaftskritischer Song mit apokalyptischen Zügen, wie es den Jungs eben gut zu Gesichte steht. Verführerisch-finsteren Strophen auf Bassbasis schließt sich ein gutturaler, böser Refrain an. Mit hübschem Gitarrensolo, Melodeath-Elementen und einer ruhigen Bridge, in der Fuchs uns das Ende verkündet: „Hört! Hört mich an! Ich prophezeie euren Untergang!“ Was sonst: Geil!
Mit „Die Freiheit ist eine Pflicht“ präsentiert die Band dann auch wieder einen Song, in dem Fuchs zeigt, welches stimmliche Repertoire er doch zu bieten hat. Man macht Stimmung mit Tanzrhythmen und einem feinen Mitgrölrefrain. Mir scheint, als würde das neue Album live für eine gute Zeit sorgen. Mit ruhigen Strophen, Blastbeats und einer Menge Geklampfe schafft die Band einen soliden Song, der das Motiv der Freiheit auch auf dem neuen Album durch starke Texte weiterleben lässt.
„Brüder auf Leben und Tod“ geht gleich aufs Ganze und kommt mit einer Menge Melodic Death-Metal ums Eck. Ich bekomme erst später mit, dass es eigentlich um die Schifffahrt (oder besser: die Piraterie) geht. Sonst überrascht der Song nicht weiter; „Ahoi, ahoi“, da hat das Album allerdings schon bessere Fahrgewässer gesehen.
„Ich nehm dir deine Welt“ ist wohl eine ganz üble Version einer Gute-Nacht-Geschichte. Der Song ist gespickt von düsteren, progressiven bis härteren Elementen, glänzt jedoch mit einer gelungenen Abwechslung durch ruhige, drumlose Parts und dem Wechsel von gesprochenen, gesungenen wie geschrienen Sequenzen. Zum ersten Mal macht sich Dr. Pest an den Tasten wirklich bemerkbar.
„The Great Experience Of Ecstasy“ – Ein Song mit ungewöhnlichem Titel, startet mit einem fremdsprachigen Mantragesang und geht blitzschnell in einen packenden englischsprachigen (!) Song mit Blastbeats über. Man bietet uns Screams und dreschende Strophen vom Feinsten, mit ruhigen Refrains und einem starken Gitarren-Klaviersolo.
Track 11, „Franz Weiss“, kommt hingegen schön melodiös daher und erzählt von Parties in Asien; eine Hommage an einen Reisefreund von Sänger Fuchs. Ein abwechslungsreicher, erfrischender Song voll schöner Überraschungen, wie einem fast an Punkrock erinnernden Refrain und einem unglaublichen Klaviersolo. Chapeau, Dr. Pest!
„Auf und Nieder“ bleibt mir persönlich besonders in Erinnerung. Seine Rhythmen und Refrains sind Tanz- und Mitsingtauglich: „Auf und nieder; so schreibt das Leben seine Lieder“. Sonst verhält sich der Song im Vergleich zu anderen Stücken eher ruhig, wirkt für mich jedoch sehr frei und selbstbewusst. Erinnert die Message auch an die Resonanzen auf das Album „Tief.Tiefer“, so ist mit dem „Roten Reiter“ doch definitiv wieder ein „Auf“ im Anmarsch!
… aber wo bleibt die obligatorische Ballade, fragt ihr euch jetzt? Die kommt: „Ich werd bleiben“, der letzte Track des neuen Albums, startet mit sanftem Gitarrenspiel, Streichern und Lyrics von Liebe und Sehnsucht (was eben zu einer Ballade so dazugehört, schätze ich). Schön sind das ausgewogen klingende Klavier (das entgegen der Kritik an manch älteren Stücken wirklich insgesamt angenehm eingebracht wurde und sich nicht in den Vordergrund drängt) und der großartige Cleangesang von Fuchs in Strophen und Refrain. Ein beruhigendes Ende für ein so aufregendes Album.
Ende! Was für ein Ding! „Der Rote Reiter“ hat uns offensichtlich alle überrannt und aus der Reserve gelockt; es gibt anerkennenden Applaus. Was für eine Wand von musikalischen Eindrücken gilt es jetzt für alle zu verarbeiten, man merkt förmlich, wie es in den Köpfen rattert. Vorher ergreife ich jedoch kurz die Chance und quatsche mit Reiter-Drummer Georg „Sir G.“ Lenhardt über neue und alte Alben, ihre Bandpause und Trennungsgerüchte.
Das Interview
S: Wie geht es euch denn nach so einer mehr oder weniger langen Zeit damit, wieder ein neues Studioalbum vorzustellen?
Sir G.: Wir sind alle total happy und sehr zufrieden mit dem ganzen Albumprozess und jetzt auch mit dem Endresultat. Jetzt kann man darauf gucken, wie man das ganze Live umsetzt. Die ganze Bandmaschine rollt wieder an. Wir hatten uns jetzt für eine längere Zeit absichtlich rausgenommen, um uns mal ein bisschen zu besinnen und aus den Bandabläufen auszubrechen und uns nach einem anderen Studio umzuschauen.
S: Gibt es Veränderungen in der Entstehung des Albums?
Sir G.: Die Entstehung der Songs hat sich bei dem neuen Album gegenüber den letzten Jahren stark verändert, dieses Mal hat Fuchs die Songs geschrieben. Natürlich hat trotzdem jeder seinen Part beigesteuert, das Kernstück kommt aber von ihm. Deswegen war auch dieser ursprüngliche musikalische Bandgedanke ganz stark vertreten. Diese schnellen, wilden Gitarrenriffs und typischen Melodien, die man eher aus der Vergangenheit von uns kennt, sind wieder richtig da. Das war ein guter Schritt, gleichzeitig haben wir uns entschlossen, mal mit anderen Leuten in einem anderen Studio aufzunehmen, die wir auch persönlich kannten. Ich will nicht sagen, die letzten Alben wären weniger gut gewesen, aber dieses Mal hat alles gepasst. Der Sound ist brachial und Eike und Alex haben sich in den ganzen Aufnahmeprozess richtig reingekniet und waren sehr streng. Das war eine echt schöne, produktive Zusammenarbeit.
S: „Tief.Tiefer“ kam ja recht unterschiedlich an und wurde auch viel zerrissen. Hat euch die Erfahrung damit beim neuen Album sehr beeinflusst?
Sir G.: „Sehr beeinflusst“ ist vielleicht übertrieben, aber natürlich beschäftigt uns immer das Feedback von außen. Dann reflektiert man sich auch ein wenig. Bei „Tief.Tiefer“ war auch die ganze Herangehensweise anders, da haben wir wirklich alle selbst Songs geschrieben und Parts beigesteuert. Zwar hat man viel Material; das zusammenzubauen ist allerdings deutlich schwieriger und stockender als wenn, wie jetzt, alles aus einer Hand kommt. Die Reaktionen haben uns schon traurig gemacht, zumindest dort, wo das Album nicht so gut ankam. Es gab auch die, die die positive Seite dieses Experimentellen und Mutigen aufgenommen haben und unvoreingenommener herangegangen sind. Viele kamen gar nicht damit klar, aber heutzutage ist online ein doofer Kommentar auch schnell verfasst. Live waren wir dann überrascht und begeistert, wie toll die neuen Songs ankamen, das hat uns sehr beruhigt.
S: Rückblickend war euer letztes wirkliches Konzert im Dezember 2015, ein Jubiläumsfestival, nach dem eine Pause auf unbestimmte Zeit verkündet wurde, man munkelte sogar von „Abschied“. Was war da los?
Sir G.: Schwer zu sagen. Wir haben vom Gefühl her gemerkt, dass wir eine längere Pause brauchen. Dass sich die Band auflöst oder jemand aussteigt, hat jetzt nicht in Raum gestanden, wir brauchten von allem erstmal ein bisschen Abstand. Das war eher eine einheitliche Entscheidung der Band, dass wir pausieren, etwas Raum gewinnen und uns dann Gedanken machen, wie es weitergeht.
S: Offensichtlich erfolgreich. Das wird nun euer 10. Studioalbum in 20 Jahren. Willst du den Leuten noch etwas dazu auf den Weg geben?
Sir G.: Wir hoffen, dass das Album viele Leute erreicht und einfach viele Leute von der guten Energie angesteckt werden.
Da bin ich guter Dinge! Anschließend wuseln alle noch ein bisschen durcheinander, es wird gesnackt, getrunken, in alten Geschichten gewühlt (soll wohl auch so sein nach über 20 Jahren Bandhistorie) und neue Kontakte geknüpft. Nachher folgt noch eine Aftershowparty in einer Bar in Hamburg, ich muss aber leider schon los. Schade, denn die Stimmung ist grandios, aber ELVENKING, FINSTERFORST, FIRTAN und EVERTALE beenden heute in Hamburg ihre Tour. Termine über Termine!
Mein persönliches Resumée
Ein Paukenschlag – die Reiter sind zurück und sie haben nach wie vor eine Menge auf dem Kasten. Ein bisschen in der Truhe der Anfänge zu graben hat dem Album gut getan, auch das neue Songwritingkonzept hat sich bewährt und die vielen finsteren Stücke wie „Der Rote Reiter“, „Ich Nehm Dir Deine Welt“ und „Hört Mich An“ verleihen dem Album eine vielfältige und nachdrückliche Note. „Der Rote Reiter“ als 10. Studioalbum ist weder eine Rückorientierung in alte Zeiten noch ein musikalischer Schritt in eine völlig neue Richtung: Es bietet eine hervorragende Kombination aus zuletzt eher dominierenden sanften Parts, ausgewogenen Klavierstimmen und Gitarrenriffs mit genial umgesetzten Gutturalgesangsparts und galant dreschenden Drums. Das alles zeigt, dass DIE APOKALYPTISCHEN REITER beides können: Ruhig sein und laut werden, ohne dabei ihre ganz persönliche Note zu verlieren. Großartige Nummer!
Den Jungs merkt man das Glück und ihre Zufriedenheit über das neue Songmaterial absolut an, und wer Lust hat, kann sich jetzt schon Tickets für die Herbsttour auf ihrer Facebookseite sichern. Ich meine, es lohnt sich!
Reitermania auf Facebook
Reiter Homepage
Dies ist ein Beitrag von Gastautorin: Steffi
Autorenbewertung
Vorteile
+ haufenweise hartmetallische und finstere Passagen
+ auch für bisherige Nicht-Fans ein empfehlenswertes Album
Nachteile
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