MORTIFERUM – Wenn Leichen zu viel Schatten spenden
MORTIFERUM – „Disgorged From Psychotic Depths“
Veröffentlichungsdatum: 11.10.2019
Länge: 36:31 Min.
Label: Profound Lore Records
Genre: Death Doom Metal
„Slow“ statt „Slam“
Death Metal ist enorm vielfältig. Während es viele Technical Death- und Slam-Brutal-Death Metal-Kapellen wie ARCHSPIRE, KRAANIUM, ANALEPSY, ACRANIUS, GUTTURAL SECRETE, DRIPPING oder ORCHIDECTOMY (nicht nur) für mich mit stupider Frickelei und Blast-Attacken ungezügelt übertreiben, gibt es als Gegenpol auch ein Subgenre, welches in laaaaaaaangsamer Manier versucht, sämtliche Hörzellen zu „dampfwalzen“. Die Rede ist von Death Doom Metal. (Seltener auch als Doom Death Metal oder Death/Doom Metal bezeichnet.) Hier treffen die Brachialität und das Destruktionspotenzial des Death Metal auf die Gemächlichkeit, die Ausweglosigkeit und/oder die Bedrücktheit von Doom Metal. Während einige Bands aus diesem Segment wie MY DYING BRIDE, OCTOBER TIDE oder SWALLOW THE SUN mehr oder weniger deutlich auf Atmosphäre getrimmt sind, hinterlassen bspw. COFFINS, ENCOFFINATION, PHRENELITH, HOODED MENANCE und KRYPTS mit übersteuerten und verzerrten Gitarrenwänden und paranormal tiefen Stimmlagen durch alle ihre Tracks hinweg okkultistisch-bedrohliche Abgänge und Nachhalle.
Wie heranwachsende Pilze
Fanatiker dieser Tonkunst werden besonders auf Seiten wie Bandcamp schnell fündig. Unzählige Demo-Veröffentlichen von relativ jungen Bands überragen hier mit hervorragenden und kurzweiligen Kompositionen, welche sich nicht nur als Playlist-Lückenfüller eignen. Eines dieser Promo-Werke trägt den Titel „Altar of Decay“ und stammt von der us-amerikanischen Band MORTIFERUM. Das bereits 2017 veröffentlichte Erstlingswerk der Olympianer strudelt in etwa durch das verdauerte, toxische Fahrwasser von ENCOFFINATION und INCANTATION. Allerdings sorgen Tempovariationen immer wieder für Abwechslung. Das Gesamtgewand der Soundstruktur ist ebenso optimal. Weder zu übersteuert, noch zu glatt poliert….
Gut kopiert statt schlecht selbst gemacht?
… doch genau letzterer Aspekt formiert leider für mich die größte Schwachstelle in MORTIFERUMS neu erschienener erster Full-Length-Veröffentlichung. Wirkt die Platte etwa zu sauber? Mit sehr hohen Erwartungen durch meine Eindrücke von „Altar of Decay“ ging ich an „Disgorged From Psychotic Depths“ heran. Das nebulös-aurenhafte und trve Old-School-Cover mit TOMB MOLD-ähnlichem Bandschriftzug intensivierte meine Vorfreude und Anspannung noch.
In stereotypischer Manier wird der Opener „Archaic Vision of Despair“ intoniert. Watende, übersteuerte Funeral-Doom-Riffs versuchen sich schwerfällig, doch zugleich mit gebündelter Kraft selbst voranzutreiben. Dies klingt vielleicht für Außenstehende wie beißende Kritik, ist es aber nicht. Solche Intros sind im Death Doom Metal Konvention. Nach etwa zwei Minuten kommt der Track in Fahrt. Das Tempo nimmt eine Spur zu. Dazu gesellen sich monströs-unnachgiebige bis erbost oder auch apathisch-abweisende Growls. Im Death Doom ist gerade die stimmliche Komponente schwer mit adäquaten Adjektiven zu beschreiben, aber ich glaube meine Darlegungen sind in dieser Hinsicht relativ angemessen. Demnach ist „Archaic Vision of Despair“ ein mediokrerer Death Doom-Track welcher punktuell auch alte ENTOMBED durchsickern lässt.
Im darauf Folgendem „Inhuman Effigy“ geht es konventionell rhythmusorientiert weiter, nämlich schleppend, walzend und schwermütig, anfänglich jedoch noch mit einem auffallend schnellem Riffgewitter. Nach circa einer Minute pegelt sich das Tempo wieder in gewohnten Gefilden ein. Die Stimme bekommt nun durch das Mixing eine stärkere Gewichtung zugetragen. Während des Voranschreitens in der Tracklist wird am musikalischen Grundkonsens festgehalten. Langsame, gehaltene, massive und wuchtige Riffs nehmen die Überhand und treffen sich einige Male zum kurzen Schlagabtausch mit Midtempo-Schwedentod-Hooks. Durchweg zweifelsohne in rhythmischer Verortung. Lediglich im selektierten Intermezzo „Anamnesis“ zeigen sich MORTIFERUM von ihrer schmalen akustischen und sphärisch-ambientalen Seite.
Wie Death Doom Metal für mich noch veredelt werden kann
Doch zurück zur Ausgangskritik mit der Anfechtung der allgemeinen Soundarchitektur. Hört man das Album mit Kopfhörern auf dem MP3-Player, hat man wirklich schnell das Gefühl, „Disgorged From Psychotic Depths“ sei etwas glatt poliert. Über Lautsprecher mit aufgedrehtem Bass wird dieses Gefühl glücklicherweise merklich gemindert, sodass ich den im Voraus erhobenen Zeigefinger wieder etwas herunter nehmen muss. Allerdings wirken die Kompositionen an sich schon ab dem zweiten bzw. dritten Titel zu vorhersehbar. Ein Negativkriterium, welches vielen Alben aus der Sparte Death Doom leider Gottes anlastet. Des Weiteren fehlt mir bei dem Werk eine katakombenartige, verlassene, bedrückende und ausweglose Grundatmosphäre, welche durch dezente hintergründige ambientale Soundscapes hätte inszeniert werden können. Oder alternativ durch dissonante, konfuse und sprunghafte Gitarrensoli-Interventionen. Irgendwie kommt mir bei diesem Gedanken das schon etwas ältere BLUT AUS NORD-Album „Mort“ in den Sinn, welches zwar auch spürbar in Linearität verharrt aber genau die eben geschilderten Gefühlslagen atmosphärisch evoziert.
Auch die Vorbilder waren zwischenzeitlich fleißig
Bereits am 20.09. erschien das nunmehr fünfte Album „Beyond The Circular Demise“ der Underground-Heroen COFFINS. Vor einigen Monaten habe ich dessen musikalische Ergüsse im Rahmen meiner Rezension zur neuen TRIUMVIR FOUL-EP als mir persönlich teilweise zu linear bezeichnet. Diese Kritik muss ich, zumindest in Anbetracht ihres neusten Werks, wieder verwerfen. Leicht gereifte und trotzige Growls infiltrieren dauerhaft den dichten und packenden Sound des Silberlings. Rhythmische, mitreißende Motivänderungen verhindern die im Genre oft drohenden Monotonieauswüchse. Ich möchte hierbei jedoch keine weitere explizite Rezension zum neuen Werk des japanischen Quartetts darlegen. Vielmehr ist es mir ein Anliegen, euch dahingehend zu bewegen, beide Alben einmal im direkten Vergleich anzuhören und euch selbst eine Meinung zu bilden. Welche Formation entscheidet diesen inoffiziellen Konkurrenzkampf für sich: Die Neulinge oder die altbewährten Vorreiter? Lasst es mich gerne im Kommentarbereich wissen.
Autorenbewertung
Vorteile
+ Sound ist vor Allem über Lautsprecher optimal
+ ansehnliches Cover-Artwork
+ ordentliche Laufzeit für ein Death Doom Album
Nachteile
- weniger motivische und tempobezogene Varianz als auf der Demo-VÖ
- keine Abhebung zu anderen Werken im Sub-Genre-Pool
- das Album muss sich mit der neuen COFFINS-Platte messen lassen
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