NORMAHL-ität in Coronazeiten – Live-Punk in Bestform
Soooo, der Kater ist überstanden und die Erinnerung wird zusammengekratzt, denn: Es gab ein Konzert. Ja, 2020 finden trotzdem Konzerte statt, vereinzelte, mit viel Aufwand organisierte kleine Konzerte. In Leipzig gab es nun an 2 aufeinanderfolgenden Tagen zuerst DESTRUCTION zu sehen, die ich mir leider entgehen lassen musste, denn am zweiten Tag spielten die großartigen NORMAHL!
Deutschlands älteste noch aktive Punkband habe ich zwar schon 3-4 mal gesehen, aber immer im Rahmen von Festivals – jetzt sollte endlich das Solokonzert folgen!
Windeln weg und Stiefel an
Also den Abend von der Versorgung des frisch gebackenen Nachwuchses freigenommen und mit der üblichen Konzertbegleitung auf zur Festwiese in Leipzig. Und das sogar mal mit Öffis – Papa will Bier. (Ein Entschluss, der am Folgetag durchaus Konsequenzen hat.) Das Wegbier ist gesichert, die Anreise verläuft problemlos und vor der Festwiese hoffe ich eigentlich eine große Menschentraube. Leider wird diese Hoffnung enttäuscht – einige Leutchen verlieren sich auf dem großen Vorplatz und auch drinnen kann ich viel Wiese sehen, aber dagegen bis zu diesem Zeitpunkt wenig Fest.
Einlass in Coronazeiten
Nach einer sehr tiefgründigen Recherche, welche Brauerei denn nun eigentlich das 5.0 Bier herstellt (Oettinger nämlich), begeben wir uns zum Einlass. Dort liegen Zettel zur Registrierung aus – wir haben jedoch schon beim Kartenkauf Name und Mailadresse angegeben. Das scheint zu genügen, was mich etwas wundert. Drinnen ist für das leibliche Wohl gesorgt, ein wenig Dekoration angebracht und auf der rechten Seite steht dann die recht kleine Bühne. Davor sind mit jeweils 3 Gittern kleine an einer Seite offene Vierecke aufgebaut, in die man sich stellen soll, dabei nicht mehr als 8 Personen pro Gatter und mit Abstand. Auf den Wegen, Toiletten und an den Ständen ist überall Maskenpflicht. Soweit gefällt mir das Konzept – allerdings hatte ich erwartet, dass die Einhaltung bei den Gattern mehr kontrolliert wird bzw. dass man sein zugewiesenes Gatter hat und nicht beliebig wechseln darf. So kenne ich es vom Corona-Konzept aus dem Stadion. Hier kann man munter wechseln und sich beliebig frei bewegen.
Die Vorbands
Aber genug zu Corona, denn es geht ja um die Musik! Als erstes geben sich die MELMACS die Ehre. Mit dem Namen von Alf’s Heimatplaneten haben diese große Sympathiechancen bei mir – leider werden diese schnell verspielt. Sehr viel Gerede, wenig überzeugende Musik und die Frontfrau hat leider auch keine mitreißende Bühnenpräsenz. Der Auftritt nimmt mich leider gar nicht mit, auch wenn ich in der Zwischenzeit gerne die Vorbands genieße.
Dagegen kommen FCKR mal richtig fett rüber! Eine undefinierbare Mischung zwischen Elektropunk, NDW und minimalistischem Wave – vielleicht irgendwo zwischen EGOTRONIC und DAF. So richtig kann ich es nicht einordnen, aber das sind so unsere Ideen, und es ist saustark! Texte mit klaren Positionen, ein stimmiger Auftritt und dazu eben diese Melodien/Beats. Herrlich! Die Herrschaften kommen aus Leipzig und sind anscheinend auch etlichen Leuten im Publikum bekannt, denn hier wird schon viel mitgesungen! Mir gefällt der Auftritt richtig gut – eine absolut neue, spritzige Mischung!
Voll Noooormahl
Tja, und dann kommt der Headliner! Da das Konzert zur besten Ins-Bett-geh-Zeit kleiner Kinder gegen 18:30 startete, sind auch NORMAHL schon 20:20 dran. Die Band ist für mich nach den üblichen Einstiegsdrogen wie DIE ÄRZTE, TOTEN HOSEN und einigen Überseesachen wie THE OFFSPRING mit der Einstieg in „richtigen“ deutschen Punk! Zusammen mit SLIME, DAILY TERROR und HASS sind NORMAHL eben die Basis, der Ursprung und der Einstieg für mich in den Bereich Deutschpunk. Dementsprechend freue ich mich auf etliche Lieder – und soll damit auch nicht enttäuscht werden!
Einige Wochen zuvor gab es einen Livestream aus dem Proberaum, den ich ebenfalls verfolgt habe, der Sänger Lars Besa in Bestform präsentierte. Und genauso soll es heute auch sein! Dabei darf man sich aber keinen 70-jährigen Altpunk mit Kutte und Iro vorstellen wie den UK SUBS – sondern einfach eine Truppe Männer, die einem gar nicht auffallen bzw. auf einem solchen Konzert eher ungewohnt gut gekleidet vorkommen würden.
Aber es Punk ist eben das, was drinsteckt! Und da hat die Band noch einiges zu sagen – denn auch das letzte Album „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ ist nicht weichgespült. Und auch live wird alles geboten – inklusive eindeutiger Ansagen zum aktuellen Weltgeschehen.
Da geht das Punkerherz auf
Und so zähle ich nur mal einige der Klassiker auf, die da geboten werden und meine Stimmbänder schon nach dem dritten oder vierten Lied auf eine harte Probe stellen: „Erzähl mir über Punk“, „Keine Überdosis Deutschland“, „Schlägerpolizist“, „Deutsche Waffen“, „Trümmertango“, „Gehn wie ein Tiger“, „Sag doch bitte bitte Drecksau zu mir“. Dazu kommen ein Cover im Gedenken an Pedder von DAILY TERROR und auch eines vom großartigen Proletarierbarden HANNES WADER!
Nun sind ca. 1,5 Stunden rum, die Stimmung ist gut, die Leute textsicher und meine Stimme trotz kräftiger Hopfung arg erschöpft. Dennoch folgt eine Zugabe und auch die hat es in sich. Und natürlich gibt es zum Schluss noch die Krönung mit „Fraggles“. Ich bin einfach glücklich, auf genau so ein Konzert hatte ich seit fast 20 Jahren gewartet und nun stehe ich hier, bierselig grinsend als Frischvati im Getümmel und freue mich meines Lebens und bin einfach dankbar!
Ein richtiger Bericht braucht aber auch Kritik, also mäkele ich mal auf hohem Niveau: Den Bierpreis finde ich mit 4 Euro für 0,4l schon recht happig. Enttäuscht bin ich auch über die geringe Zuschauerresonanz, denn es waren vielleicht geschätzte 300 Leute vor Ort, wenn überhaupt. An der Band gibt es eigentlich überhaupt nichts zu kritisieren – für mich hätte aber noch ein alter Arbeiterklassiker wie „Auf auf zum Kampf“ dabei sein dürfen – aber das wäre nur das dritte Sahnehäubchen auf dem zweiten Marshmallow der heißen Schokolade gewesen.
Fazit
Erstens: ich trinke nie wieder Bier. Okay, der Vorsatz ist bereits jetzt gebrochen, aber Samstagmorgen war das ein Teil meines Fazits. Zweitens: Wer deutschen Punk liebt, kommt meiner Meinung nach an NORMAHL nicht vorbei. Ich habe den Auftritt genossen, jede Sekunde aufgesogen und war und bin mit dem Konzert überglücklich!
Und in diesen Zeiten ganz wichtig: Chapeau, Respekt und mega vielen Dank an die Bands, den Veranstalter, die Location und alle, die sich den Allerwertesten aufreißen, um solche Events trotz Corona zu ermöglichen. Es war mir ein Fest!
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