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Prophecy Fest 2016 – eine Höhle der Genüsse

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Festival – ein Begriff, der nicht nur über seine Belastungsgrenzen hinaus strapaziert, sondern auch durch die wie im Fieberwahn überall im Lande hervorquellenden Musikveranstaltungen bis zu seiner Unkenntlichkeit aufgebläht wurde. Bereits durch die Verweigerung dieser Begrifflichkeit, erregt das Prophecy Fest meine Aufmerksamkeit. Durch meine Bemühungen, auch ja keine der wichtigen Termine in der deutschen Metalszene auszulassen, sind mir bereits eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Veranstaltungskonzepten und Orten begegnet, die zum Großteil einen eigenen Charme zu entwickeln verstanden. Darunter waren heimelige Konzerte in der Scheune der ehemaligen LPG des Ortes, rollender Donner über schnöden Flugplätzen, satanische Riten unter dem strahlenden Wonnemond und exzessive Massenveranstaltungen, bei denen man vom Individuum zum Teil der wogenden Massen zerfließt.

Das Prophecy Fest mit seinen nicht mehr als 1300 Besuchern zielt hingegen nicht auf die Kollektivierung unterschiedlicher Geister ab, sondern richtet sich an Individualisten, deren musikalisches Gusto die Gefilde mathematischer Berechnungen und dem Drang nach dem “gemeinsamen Nenner” verlassen hat. Mit ihren hauseigenen Künstlern wartet der Prophecy Musikverlag nun jährlich in der Karsthöhle von Balve auf. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich in den letzten Monaten und Jahren immer stärker an einzelnen Künstlern dieses Labels Gefallen fand, oder gar einige der Bands, die mir am Herzen liegen, GERM etwa, zu Prophecy wechselten.
Wie mir Stefan von Prophecy im Gespräch verriet, hatte man auch nach vergleichbaren Lokationen in Sachsen Ausschau gehalten, hatte sich am Ende jedoch für den kleinen Ort im Sauerland entschieden. Das bedeutete für uns zwar eine längere Fahrtzeit, jedoch auch die Möglichkeit, eine mir gänzlich unbekannte Region kennenzulernen. (Warum in die Ferne schweifen…)
Nachdem die erste Auflage der musikalischen Produktschau nur das Ausmaß eines einzelnen Konzertabends hatte, wurden dieses Mal ganze zwei (einhalb) Tage mit Exoten, Legenden und Neuheiten besetzt – darunter nicht wenige Premieren für das europäische Publikum. Wer selbst schon Flüge von und nach Australien buchen wollte, dem erschließen sich nun auch die Kartenpreise von 90 Euro + 15 Euro Camping und 3 Euro Parkgebühr.

Bereits am Donnerstag ab 19 Uhr gab es den “Trollmusic-Konzertabend” – den wir jedoch aufgrund anderer Verpflichtungen leider versäumten. Wir erreichten den Parkplatz an der Balver Höhle am Freitag gegen 16 Uhr, gerade noch rechtzeitig um uns mental auf das erste Konzert von GERM in der alten Welt vorzubereiten. Mit seiner einzigartigen Mischung aus 80er-Jahre-Pop, sphärischen Synthies und haltlos verzweifelt/romantischem Depressive Suicidal Black Metal gelang es TIM YATRAS eine begeisterte Schar Gleichfühlender für sich zu gewinnen und neben WOODS OF DESOLATION/ AUSTERE und LOST IN DESOLATION zum Dreigestirn der DSBM-Bewegung zu gehören.
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Unterstützt wurde der Musiker, der GERM eigentlich als Ein-Mann-Projekt betreibt, unter anderem von DAVID CONRAD von HERETOIR (deren neues Album im Oktober erscheinen wird, wie er mir ganz fest versprochen hat.) sowie beim Gassenhauer “Butterfly” von AUDREY SYLVAINE.

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Den Auftritt mit diesem Lied zu beginnen stellte sich als richtige Wahl heraus. Noch mehr Applaus erhielt(en) GERM jedoch für “Just For A Moment”, dem legendären Lied von AUSTERE, das (nach meinem Wissen) noch NIE live gespielt worden ist und der Reaktion des Publikums nach, für jeden Einzelnen eine besondere Bedeutung hat. Für mich auch. Das war, ohne zu übertreiben, einer der herausragenden Konzertmomente, die man sein ganzes Leben nicht mehr vergisst.
Zuvor fürchtete ich, die Konfrontation mit einem Künstler in diesem musikalischen Spektrum würde meine Freude (oder meine Empathie) für diese Musik zutiefst stören, jedoch passte alles erstaunlich gut ins Bild.

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Die nachfolgenden LES DISCRETS hingegen waren mir immer eine Spur zu bodenständig, handzahm, konnten mich jedoch nach kurzer Zeit in ihren Bann ziehen und das Publikum, das noch deutlich angewachsen war, ebenso.

 

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Nach diesen beiden Auftritten wurde mir eins klar: So klar, abgestimmt und austariert habe ich noch niemals ein Konzert hören können – und damit möchte ich konkret meinen Respekt für FRANK “LOTTE” RENNER und UWE HAVERS (und dem Sachsenklang-Studio) sowie auch STEFAN FAUTH aussprechen (und natürlich auch Tino für das Licht), deren Arbeit am Ton “ohren”scheinlich erfolgreich erbracht wurde.

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Ein besonderer Ohrenschmaus wurde im Anschluss IRON MOUNTAIN, die mit ihrem Album “Unum” dieses Jahr nicht nur ein Werk zwischen folkloristischer Atmosphärik und psychedelischer Bewusstseinserweiterung schufen, sondern auch zum ersten Mal in Zentraleuropa auftraten. Und wieder zeigt sich, wie umsichtig die Höhle als Austragungsort gewählt wurde – es gibt wenige Orte an denen diese Musik eine solche Wirkung entfachen könnte.
Der kurze Weg zum Parkplatz gestattete überdies auch, in den Umbaupausen die Autos aufzusuchen und sich dort zusammenzusetzen, was der Veranstaltung an sich eine sehr entspannte Atmosphäre verlieh. Auch vor der Höhle waren interessante und ungestörte Gespräche möglich, da der Eingang zur Höhle, zur Wahrung von Akkustik und Dunkelheit, mit einem speziellen Vorhang verhüllt wurde.

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Headliner des Abends waren SECRETS OF THE MOON und HELRUNAR, die zum ersten Mal seit 2013 auftraten und von einer begierig wartenden Zuhörerschaft dafür mit Beifall belohnt wurden. Jedoch waren die für mich Spannenden an diesem Tag die kleineren Namen, die Exoten und Besonderheiten, die man auf vielen Festivals findet, aber die nur selten Gehör finden – auch weil ihre Spielzeiten bis auf den Rumpf gestutzt werden. Diesen Fehler begeht man beim Prophecy jedoch nicht und gibt jedem etwa anderthalb Stunden Spielzeit! Dieses Vorgehen drückt für mich vor allem Respekt gegenüber dem Künstler und seiner Kunst aus und verleiht dieser Veranstaltung zusätzlich Klasse.

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Der zweite Konzerttag beginnt bereits um 11 Uhr in der Hönnetalhalle mit WOLJÄGER, einem Musik-Theater-Stück, dem wir jedoch ganz bewusst fernblieben, da wir uns in greifbarer Nähe zur Burg Altena befanden, einer stattlichen Höhenburg, die nach dem Wüstfallen im neogothischen Stil wiedererrichtet wurde und 1909 zur ersten Jugendherberge Deutschlands avancierte. Nicht nur landschaftlich ein lohnendes Ziel. Auch industriegeschichtlich ist die Mittelgebirgsregion höchst interessant – als Heimat von Drahtziehern jahrhundertelang in aller Munde. Es fanden sich unter den Besuchern von Stadt und Burg auch viele Festivalbesucher, die scheinbar auch das kulturelle Interesse an der Region gepackt hatte.

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BOHREN UND DER CLUB OF GORE indes konnten mit ihrer Mischung aus Dark-Jazz und Ambient, ihrem interessanten Beleuchtungskonzept und den relativ eintönigen Songs zu einer so frühen Stunde nicht überzeugen. Um so größer fiel die “Freude” über ANTIMATTER aus. Die als “Die traurigste Band der Welt” bekannte Gruppe erreichte mit ihrem düsteren Rock umgehende Reaktionen aus dem Publikum: Von völlig aus der Welt gerissenen, apathisch in Erinnerungen und Gefühlen treibenden Zuhörern bis hin zu kaskadischen Tränenströmen, die mal von Kummer, mal von wärmenden Erinnerungen angetrieben, zwischen den Lidern der Berührten hervorquollen.
Die Wirkung von Musik speist sich ein mal aus ihr selbst und der mit ihr verbundenen, akustischen Stimulation selbst, aber auch den Erinnerungen und Erfahrungen, die man in Verbindung mit ihr gesammelt hat. Und je stärker eine dieser Komponenten, desto intensiver wird auch die andere Komponente wahrgenommen.

Besondere akustische Stimuli sollten auch bei GLERAKUR folgen: Die Isländer traten zum ersten Mal auf – und zwar mit zwei Schlagzeugen, zwei Bassisten und 3 Gitarren. Ein Albtraum für jeden Toningenieur, ein Genuss für den Freund besonderer musikalischer Experimente. Die Musik wenig spektakulär, aber mit der gewissen Portion Island, die man entweder unterbewusst hinzudenkt, oder in der Mentalität eines jeden isländischen Komponisten angelegt ist. Besonders beeindruckend wirkte, neben der Menge der Musiker auf der Bühne, gerade die Spielfreude, die sie bei ihrer Live-Premiere an den Tag legten.

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Doch der Auftritt von ALCEST warf seinen Schatten voraus, sodass bereits ALLE gespannt auf das komplette “Ecailles des Lunes” warteten, das nach ausgiebigen Gesprächen mit anderen Besuchern, wohl nicht nur mein Lieblingsalbum der Franzosen ist!

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Geradezu frenetisch wurde dann auch jedes Lied von den begeisterten Fans gefeiert und es spielten sich erneut ähnlich emotionale Szenen ab, wie bereits bei ANTIMATTER beobachtet. Es sind gerade die leisen Töne, die die stärksten Emotionen auslösen. Ich habe mich sehr gefreut, diesem Auftritt beiwohnen zu können und weitere Worte, ihn zu beschreiben finde ich nicht, da man auch nur Bruchstücke solcher Erfahrungen durch sprachliche Bilder vermitteln kann.
Emotional bewegt, beschlossen wir den Abend mit VEMOD, die mit Räucherstäbchen erst eine sakrale Stimmung erzeugten, um sie dann mit aller Gewalt einzureißen. Leider ist es der sakrale Charakter gewesen, der mich innerlich, direkt vor der Bühne stehend, hat erbeben lassen, wohingegen das rohe Moment zwar durchaus Abwechslung und Klasse bewies, doch diese erhabene Einzigartigkeit des Einstieges in den Ausklang des Abends vermissen lies. Dann war es jedoch bereits an der Zeit, die Segel zu streichen.

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Wie man vermutlich am Umfang des Berichtes bereits ablesen kann, liegt mir das Prophecy Fest von nun an sehr am Herzen. Nicht nur, weil es genau den Stil bedient, in dem ich mich emotional aufgehoben fühle – es entschleunigt auch das Festivalgeschehen, gibt der musikalischen Erfahrung Raum und Struktur und bietet durch das ganze Drumherum ein Erlebnis, das fern der Partykultur liegt und der Kunst wieder einen Schrein errichtet.
Im Vorfeld befürchtete ich, dass es Scharen von missgünstigen “Elitisten” und übellaunigen Einzelgängern anziehen könnte, jedoch bewies mir nun meine Erfahrung das Gegenteil. Ich habe viele nette Gespräche geführt, die Künstler waren unter dem Publikum und viele Künstler WAREN das Publikum, das geeinigt durch die besonders intensive und emotionale Liebe und das Verständnis für Musik war.

 

Ein Schlaglicht für besondere musikalische Ereignisse. Ich bin gern wieder dabei und lausche.

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5 Kommentare

  1. Felix Lehmann
    6. August 2016 bei 21:13 — Antworten

    Inwiefern hätte eine Konfrontation mit einem DSBM Künstler deine Empathie zu der Musik gestört? Das verstehe ich nicht…

  2. Azazel
    5. August 2016 bei 10:38 — Antworten

    Kannte das Festival vorher leider nicht, aber wenn man schon die Bilder sieht, dann strotzt es scheinbar nur so von Düster-Atmosphäre.
    Danke für den Tipp!

  3. Suoy
    31. Juli 2016 bei 23:09 — Antworten

    Was für ein schönes Ambiente. Da wo Ich bin gibts zwar auch Burgen aber diese werden mehr für kleine Rockbands und vor allem für Mittelalter Feste benutzt. Warum wohne Ich nur dort wo jede Frau gleich aussieht und keine anständige Musik hört? (Pfalz)

    Zitat (Zeile: Danke für die Nummerierung XD)
    „…Ich habe viele nette Gespräche geführt, die Künstler waren unter dem Publikum und viele Künstler WAREN das Publikum“

    > Mein Vater, der früher mal besitzer einer Kneipe sprach immer wieder davon das bei Bandauftritten immer eine Mehrzahl von Musikern und Künstlern im Publikum waren. Das hat sich mit dem Pop Genre leider geändert…

  4. Roman
    31. Juli 2016 bei 22:58 — Antworten

    Sehr schöner Fest-Bericht ders find ich auf den Punkt bringt um was es dabei geht. Wie auch schon 2015 wars auch heuer wunderbar in Balve.
    Ich finde allerdings, dass Bohren & der Klub of Gore durchaus gut dazu gepasst haben und haben (mir persönlich) sehr gut gefallen. Leider gabs kein Merch am Fest von ihnen.
    Bin nächstes Jahr sicher wieder dabei, ein paar Bands sind ja schon bestätigt.

    • Benjamin
      21. August 2016 bei 14:12 — Antworten

      Danke Roman, ich war etwas irritiert, als ich den Absatz über Bohren & der Club of Gore gelesen hatte, denn ich fand den Auftritt ebenfalls super, genauso wie einige andere, mit denen ich darüber gesprochen hatte. Für mich zählte er sogar neben Alcest, GlerAkur und Vemod zu einem der Highlights des Samstags. Und ich habe es ebenfalls bedauert, das kein Merch von dieser Band angeboten wurde, da nicht bei Prophecy unter Vertrag. Ich fand letztes Jahr ebenfalls super und bin definitiv nächstes Jahr wieder dabei!

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