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Ab in den Schlamm – Wacken
Nach dreijähriger Pause hat es mich in diesem Jahr mal wieder nach WACKEN verschlagen. Das Festival muss wohl keinem mehr vorgestellt werden, gibt es doch im Metal-Bereich kein bekannteres. Und keines, das mehr polarisiert. Oftmals als Ballermann verschrien, habe ich befürchtet, nur sporadisch zwischen lustig kostümierten Menschen mal eine Kutte auszumachen, während auf dem Campground rund um die Uhr SCOOTER läuft. Übertreibung oder Wahrheit? Und bei welcher Band wird Doro diesmal mitsingen? So viele spannende Fragen!
Mittwoch
Stau und eine lange Schlange bei der Bändchen-Ausgabe versüßen gleich zu Beginn die Anreise, weshalb ich FLOATSAM AND JETSAM sowie UGLY KID JOE nicht wie geplant sehen kann. Los geht es also mit ANNIHILATOR im Zelt. Nein, nicht ganz. Los geht es mit einer üppigen Menschentraube am Einlass zum Zelt, die nach und nach durch die gefühlten anderthalb Schleusen tröpfelt. Gleich mal als Kritikpunkt notiert, ist mir aber das restliche Festival über nicht wieder vorgekommen. Notiz wieder gelöscht. Klar, wenn ein Kandidat für die Hauptbühne ohne Parallelprogramm im Zelt spielt, finden nahezu alle Besucher zusammen – irgendwo auch eine Schnapsidee, hier so groß aufzufahren. Mit Glück schaffe ich es noch zu Beginn der Show ins Zelt, bevor – wie später aufgeschnappt – komplett dicht gemacht wird.
Der Auftritt selbst hält keine größeren Überraschungen bereit. Das Set ist eher klassisch orientiert und überzeugt vor allem bei den alten Gassenhauern wie „Alison Hell“. Als kleines Bonbon bringen Jeff Waters und seine Mannschaft mit „Twisted Lobotomy“ auch einen schmucken neuen Song mit, daneben gibt es auch einige Späße des Meisters zu hören. Ja, lustig sind sie, aber insgesamt fallen die Ansagen einen Deut zu langatmig aus. Das schmerzt insbesondere deswegen, weil das Zelt aus allen Nähten platzt, und ich wegen meines suboptimalen Platzes (siehe Bild) allein auf die Lauscher angewiesen bin. Mimik macht bei solchen Späßen eben doch einen Großteil aus. Als Einstieg taugt der solide Gig der Kanadier durchaus, auch wenn ich Dave Padden am Mikro nachweine.
Soundpanne und Orientierungspanne
Später geht es dann noch zu CROWBAR, die allerdings ein deutlich dünneres Publikum als ANNIHILATOR haben. Auf der Haben-Seite bedeutet das, dass ich in diesem Fall die Bühne sogar sehen kann. Bitter nötig, denn der Sound steht an dieser Stelle komplett auf dem Kopf. Unter einer viel zu lauten Bass-Drum lässt sich der Rest mit etwas gutem Willen erahnen. Gegen Ende wird es besser, da die Gitarren mehr heraustreten, aber nie wirklich gut. Das ist richtig schade, denn Kirk Windsteins Mannschaft zeigt sich verdammt motiviert. Insbesondere das Doppel aus Kirk und Todd Strange heizt das Publikum mächtig an, was über den miserablen Sound hinwegtröstet. Wird dann bei einer anderen Gelegenheit hoffentlich mit besserem Sound nachgeholt.
Statt nun das Shuttle im Pressebereich für den Rückweg zum Presse-Camp zu nutzen, wählen ein Presse-Kollege aus Luxemburg und ich den Fußweg. Immerhin wollen wir uns ein Bild vom Campground machen und nachprüfen, ob denn wirklich nur Schlager und SCOOTER läuft. Der kurze Ausflug dehnt sich unbeabsichtigt auf fast zwei Stunden aus, da wir es versäumt haben, uns zu merken, wo sich denn unser Lager genau befindet. Also irren wir fleißig über den Acker und erkunden auch wirklich jede Ecke. Resultat des ausgedehnten Spaziergangs quer über den Platz: Wenig Ballermann, dafür die ewig gleichen Schinken von SYSTEM OF A DOWN, IRON MAIDEN und anderer Genre-Prominenz. Da ist der Ruf wohl doch schlechter als die Realität.
Donnerstag
Wie gewohnt wird das Infield erst am späten Donnerstag-Nachmittag beschallt, wo SKYLINE traditionsgemäß den Startschuss geben. Einmal gesehen, muss also nicht wieder. Ungefähr um diese Zeit fällt ohnehin ein halber Ozean vom Himmel, weshalb sich der Rückzug ins Zelt anbietet. Dort dudelt allerdings MAMBO KURT gerade rum. Ob der Regen nicht doch die bessere Alternative gewesen wäre? So oder so wird gelitten. Mein Humor ist es jedenfalls nicht, und über die musikalische Relevanz des Heimorgel-Klamauks muss nicht diskutiert werden.
Gehaltvoller sind da WILD LIES aus London. Lässiger Hard Rock mit kleinen modernen Einschüben, damit kann ich schon eher leben. Vom Hocker reißen mich die Jungs nicht unbedingt, aber es geht doch ganz gut rein. Manchmal riecht die Sache zu sehr nach Gimmick, wenn etwa ein Breakdown in abgeschwächter Metalcore-Manier Einzug findet. Unpassend sind diese Anleihen jedoch nicht, überhaupt wirkt der Gig schön stimmig. Die Attitüde passt, und im Nachmittagsprogramm ist der Trupp durchaus ein kleiner Blickfang. Leider ist auch zu diesem Zeitpunkt der Sound im Zelt noch mäßig, ansonsten wäre ich den Rockern von der Insel wohl auch eher zugetan gewesen.
Die große Bühne ruft
Eher aus der Ferne wird schließlich einem ersten Konzert von den Hauptbühnen gelauscht. ROSS THE BOSS steht auf dem Plan, und das bedeutet MANOWAR-Songs. Über den Sinn und Unsinn einer Cover-Band auf der Hauptbühne kann gerne diskutiert werden, aber das Gelieferte tönt doch grundsolide. Mit bewährten Gassenhauern wie „Blood Of The Kings“, „Battle Hymn“ und „Fighting The World“ macht man mit ein paar Promille auch wenig falsch. Glücklicherweise kann ich diese Voraussetzung auch gerade erfüllen. Klar, es ist totaler Kitsch, der bei manchem Fremdscham auslöst, aber so aus der Ferne macht es mir Spaß, mich davon berieseln zu lassen.
Apropos Kitsch: Näher heran geht es dann bei EUROPE, und das nicht nur wegen „The Final Countdown“. Für mich persönlich bringen die alteingesessenen Rocker auch eine nette Premiere mit, darf ich an dieser Stelle doch das erste Konzert mit richtig gutem Sound bestaunen. Nicht nur in dieser Hinsicht überzeugt die Band, denn das Songmaterial ist durchaus spannend und mit Finessen und Highlights gespickt. Zwar werden es der Schnulzen mit fortschreitendem Verlauf des Auftritts etwas zu viele, doch angesichts der motivierten Darbietung lässt sich darüber leicht hinwegsehen. Dass beim abschließenden „The Final Countdown“ alle mitgehen, dürfte ohnehin klar sein. Die Band allein auf diesen Titel zu reduzieren, wird ihr allerdings in keiner Weise gerecht. Hat definitiv auch heute noch seine Daseinsberechtigung!
Laut und finster
Könnte ich die Running Order korrekt lesen, würde ich an dieser Stelle ABORTED besprechen. Leider kann ich es nicht. Nach einem kurzen Ausflug zurück zum Presse-Camp, wo zwei weitere Kollegen aus Luxemburg eintrudeln, geht es später am Abend zurück ins Zelt. Dort verlesen BATUSHKA eine Messe der anderen Art und treffen voll und ganz meinen Nerv. Kostümiert und theatralisch, doch gleichzeitig sehr reduziert spielt die anonyme Band aus Polen auf. Endlich nähert sich auch der Sound einem gehobenen Niveau an, was der Musik sehr entgegenkommt. Verstärkt mit einem maskierten Chor, zieht das angeschwärzte und doomig angereicherte Klangbild gleich in seinen Bann. Dass es auf der Bühne kaum bis gar keine Bewegung gibt, verleiht den wenigen Gesten und der Atmosphäre nur umso mehr Gewicht. Scheinbar meinen es BATUSHKA dann etwas zu gut, denn aus heiterem Himmel fällt der Vorhang, und kurz danach verebbt auch der Sound. Jup, paar Minuten über der Zeit.
So lassen sich NAPALM DEATH auf der Nebenbühne auch nicht lange bitten und legen zügig los. Eigentlich müsste man an dieser Stelle nicht viel schreiben, denn was die Briten hier auffahren, ist schnell in Worte gefasst: Das Zelt wird komplett zerfickt. Nach der ekstatischen Messe von BATUSHKA haut das direkte Geballer richtig fein in die Kauleiste. Es ist ein wahres Fest! Gut, hin und wieder könnten die – durchaus gewichtigen – Statements gegen alles, was in der Welt schlecht ist, kürzer ausfallen. Mehr Angriffsfläche bieten die Kollegen von der Insel aber nicht.
Ob MAYHEM mit ihrem „De Mysteriis Dom Sathanas“-Set da anknüpfen können? Bislang habe ich die Band nur einmal auf dem FALL OF SUMMER-Festival in Frankreich gesehen, wo mir die Sache aber so gar nicht geschmeckt hat. Nach anderthalb Liedern ist klar: daran ändert sich auch an diesem Abend nichts. Ob ich noch in diese Musik hineinwachsen muss, oder schon herausgewachsen bin, kann ich nicht bestimmen. Ich weiß an dieser Stelle nur, dass MAYHEM in mir eher Fremdscham als Faszination wecken. Ich lasse sie mal machen und beende den Donnerstag lieber mit drölf Litern Bier. Zwischendurch wird noch ein Foto von der leckeren Suppe auf dem Infield geknipst.
Freitag
Wie startet man gut in den Tag? Leider nicht, indem man HIGH FIGHTER verpasst, weil der Shuttle-Bus zum Festivalgelände voll ist, und man an vierter Stelle in der Schlange den nächsten abwarten muss. Gut, dann halt etwas später spontan bei LACUNA COIL reingeschnuppert. Die Truppe habe ich bislang eher aus der Distanz beobachtet, aber so bin ich dann auch bei der Bühne gelandet. Aus der Ferne hat das so verkehrt nicht geklungen. Aus der Nähe auch nicht. Zwar wirken Kostüme und Make-Up auf mich eher belustigend, doch so früh am Tag geht der seichte Stil-Cocktail ganz gut rein. An den Live-Qualitäten der Band lässt sich auch nicht viel aussetzen, insbesondere Frontfrau Cristina Scabbia überzeugt stimmlich auf ganzer Linie. Schade nur, dass die Bildschirm-Übertragung fast nur die beiden Frontleute zeigt und nicht auch dem Rest der Band etwas Platz einräumt.
Gleich im Anschluss geht es zu SANCTUARY, wo Warrel Dane – oder das, was noch von ihm übrig ist – zeigt, was nach NEVERMORE bei ihm noch so läuft. Gesanglich ist der gute Mann gar nicht einmal schlecht unterwegs, Bühnenpräsenz und Ansagen zeichnen dagegen ein eher befremdliches Bild. Dennoch spricht mich seine Attitüde irgendwo an. Vielleicht teilen wir uns auch nur einen sehr speziellen Humor, den sonst niemand versteht. Vor der Bühne ist es nämlich erschreckend leer. So leer, dass ich gegen Hälfte des Sets noch entspannt bis in die vierte Reihe spazieren kann, wie auch das Foto weiter unten belegt. Kann aber auch am mistigen Wetter liegen. Das Set ist jedenfalls gut durchgemischt. Die alten Sachen sind zwar in den hohen Stimmlagen etwas grenzwertig, werden dafür aber im Publikum mitgesungen, während die Stücke von „The Year The Sun Died“ Warrelchen immer noch eine Daseinsberechtigung attestieren.
Rain and Shine
Regen und Sonne wechseln sich mittlerweile sehr munter ab, was sich rasch in einem Sonnenbrand und später einer Erkältung manifestiert. Es strengt auf jeden Fall sehr an, wobei der knöcheltiefe Schlamm sein Übriges leistet. Da ist es dann auch einen Lacher wert, wenn auf der Werbetafel im Infield das Drainage-System beworben wird. Es heißt nämlich, dass wir es dieser Drainage zu verdanken haben, auf trockenem Grund zu stehen. Ist klar. Fairerweise muss man anmerken, dass es ohne diese Drainage wohl noch deutlich schlimmer aussehen würde. Überhaupt muss gesagt werden, dass seitens der Wacken-Organisation laufend Gegenmaßnahmen ergriffen werden – auf Festival-Gelände und dem Campground! Dickes Lob hierfür!
Bei besserem Wetter wäre wohl auch meine Motivation für GRAVE DIGGER größer gewesen. Aber da Chris Boltendahl und seine Mannen ein besonderes Set um die Mittelalter-Alben versprochen haben, muss ich einfach hin. Als sie dann aber mit kleinem Verzug den Startschuss mit „Healed By Metal“, meinem persönlichen Alptraum vom gleichnamigen Album, geben, möchte ich die Flucht ergreifen. Der Song hat in diesem Set halt einfach nichts zu suchen. Da ich mich umzingelt vorfinde, und ohnehin im Schlamm feststecke, bleibe ich dann doch. Gut, denn sonst hätte ich persönliche Highlights wie „Morgane Le Fay“, „The Dark Of The Sun“ und die obligatorischen „Excalibur“ und „Rebellion (The Clans Are Marching)“ verpasst. Überraschung: „The Ballad Of Mary (Queen Of Scots)“ kommt sogar ohne Doro aus! So ganz mag der Funke aber nicht überspringen, was nicht zuletzt am Spiel von Axel Ritt liegt. Seine übliche Sauklaue mag ja einen gewissen Charme haben, aber es ist einfach zu viel des Guten. Teilweise werden sogar Soli bis zur Unkenntlichkeit zerhauen.
Es proggt!
Wetterbedingt komme ich um einen Rückzug auf den Campingplatz nicht herum – bei der morgendlichen Dusche habe ich ganz naiv auf Sonnencreme verzichtet. Da sich auch eine gewisse Belastung abzeichnet, und am Abend zwei Highlights anstehen, wird bei dieser Gelegenheit auch eine längere Pause angelegt. Für THE DILLINGER ESCAPE PLAN will ich schließlich in Form sein, handelt es sich doch um deren letzten Auftritt auf deutschem Festival-Boden. Da hacken die munter herumspringenden Jungs auch gleich einmal jeden Takt, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann, in Bruchteile. Begleitet werde ich zu diesem Zeitpunkt unter anderem vom Kollegen mit dem Decknamen Johann, den unsere Stammleser aus diesem Artikel kennen, und dessen Freude als Die-Hard-Fan springt sofort auf mich über. Es ist natürlich Schade, dass THE DILLINGER ESCAPE PLAN bei dieser Abschieds-Show „nur“ das Zelt bespielen, aber im Endeffekt ist es einfach Musik für Musiker, entsprechend ist noch genug Platz im Zelt. Das Set setzt dabei den Schwerpunkt auf die komplexeren Nummern, wobei „Happiness Is A Smile“ mit das lockerste Stück darstellt. Nach der ganzen Gehirnakrobatik steht fest: Die Truppe wird schmerzlich vermisst werden.
Prog der lockeren Sorte servieren später FATES WARNING auf der gleichen Bühne, während zeitgleich ARCHITECTS und EMPEROR spielen. Typisch WACKEN: Hätte ich am liebsten alle drei mitgenommen. Aufgrund des überragenden letzten Albums „Theories Of Flight“ zieht es mich dann doch ins Zelt, und ich bereue es keineswegs. Ray Alder singt wie ein junger Gott, und jeder einzelne Ton an Instrument und Stimme erfüllt das Zelt mit Gefühl. Das Set vereint aktuelles Material wie „From The Rooftops“ und „Seven Stars“ mit den Klassikern der Band. Während der emotionale Anteil quasi perfekt bedient wird, erfüllen die zahlreichen musikalischen Finessen auch den Wunsch nach Anspruch.
Mittlerweile zeichnet sich leider auch die aufkommende Erkältung ab, weshalb ich mich recht früh zurückziehe. Tief in mir besteht nämlich noch die Hoffnung, die Sache über Nacht auszuschwitzen und dem üppigen Programm am letzten Tag erhobenen Hauptes zu begegnen.
Samstag
Denkste! Schlechter Schlaf, vollgeschleimt und mit dröhnendem Kopf geht es dem krönenden Abschluss entgegen. Hurtig ab zum Festival-Gelände, um den Fehler vom Vortag nicht bei THE HIRSCH EFFEKT zu wiederholen. Nach dem starken Auftritt von THE DILLINGER ESCAPE PLAN fragt sich natürlich, ob die drei Wahnsinnigen aus Hannover das Niveau halten können. Na sichi! Ungeachtet des dünnen Publikums und der frühen Uhrzeit steigt das Trio voll durch und profitiert dabei besonders vom Sound. So klar und transparent habe ich noch keine Band auf dem ganzen WACKEN hören dürfen. Dass das hochkomplexe Gefrickel mit den poppig angehauchten Refrains darüber hinaus nahezu perfekt inszeniert wird, entfacht in mir kurzzeitig neue Lebensgeister. Warum bitte nur eine halbe Stunde? Ich komme nicht herum, den Jungs allen Erfolg dieser Welt zu wünschen!
Verschnaufen ist nicht, meine beiden Highlights des Festivals folgen direkt aufeinander! Warum AHAB zu so früher Stunde spielen, erschließt sich mir nicht, aber zum Glück gibt es genug Gleichgesinnte vor der Bühne. Und wie das Ding wieder drückt! Nur vier Lieder werden gespielt, aber damit ist die Spielzeit von 45 Minuten auch schon voll. Die Zeit vergeht dabei wie im Flug, so intensiv bricht das Geschehen über die versammelte Hörerschaft herein. Dass der Vierer mit einem Ersatz-Gitarristen an Christian Hectors Stelle ins Rennen zieht, fällt dabei nur leicht ins Gewicht – die Aushilfe macht ihren Job gut, weiß die Musik aber nicht ganz so intensiv über die Mimik zu transportieren wie Meister Heci. Nach den letzten Tönen von „The Hunt“ bleibe ich sehr glücklich zurück, immerhin habe ich zwei nahezu perfekte Konzerte in einem Rutsch erleben dürfen.
Das dauert
Mit gedrosselten Erwartungen schaue ich mir später an, wie MAX & IGOR CAVALERA Nostalgie zu schüren gedenken. Bislang bin ich bei den ganzen CAVALERA-Geschichten immer ernüchtert zurückgeblieben, was meist auf die Performance selbst zurückzuführen war. Umso mehr erstaunt es mich, wie motiviert die beiden bei dieser Gelegenheit zu Werke gehen. Immerhin wird das „Roots“-Album integral zum Besten gegeben, und man kennt die beiden als hoffnungslose Nostalgiker. Ja, doch, es zieht. „Roots Bloody Roots“ macht erwartungsgemäß den Einstieg, und das Brasilien-Flair schwappt schnell über. Man könnte zudem meinen, dass Max Cavalera auch nüchterner ist als sonst – tut ihm gut! Zum Schluss gibt es ein „Ace Of Spades“-Cover zu Lemmys Ehren, bevor das WACKEN-Set mit einem zweiten „Roots Bloody Roots“ abgeschlossen wird.
Die Erschöpfung und die elende Erkältung machen sich bei HEAVEN SHALL BURN leider wieder bemerkbar. Der sympathische Haudrauf-Trupp fährt eine richtig dicke Bühne mit gelungener Lichtshow und ein paar kleinen Feuerchen auf, was optisch durchaus etwas hermacht. Mittlerweile bespielen sie das WACKEN zum sechsten Mal, weshalb natürlich viele Elemente längst bekannt sind. Circle-Pit um den Turm? Kalter Kaffee. Gut, diesmal trifft es gleich zwei Türme, worüber sich die Band sehr begeistert zeigt. Im Vergleich zu früheren Konzerten fällt mir auf, dass das Material nicht mehr so eintönig wirkt – die Band hat sich definitiv weiterentwickelt. Mein Problem ist nur, dass die Auftritte an den Hauptbühnen einfach zu lang sind. Natürlich wissen HEAVEN SHALL BURN ihre 75 Minuten mit Spannung zu füllen, aber in meinem angeschlagenen Zustand fällt es mir schwer, zwei solche Brocken direkt hintereinander zu bewältigen. So lasse ich es in diesem Fall nach „Endzeit“ lieber gut sein und beschließe, eine Verschnaufpause einzulegen.
Verworfene Pläne
Zu diesem Zeitpunkt stehen auf meinem Plan noch ziemlich viele Gruppen, im Endeffekt bleibt es aber bei einem kleinen Abstecher zu POWERWOLF und dem kompletten INSOMNIUM-Gig. Die Wölfe habe ich live immer sehr gerne gemocht, mittlerweile stellen sich aber Abnutzungserscheinungen ein. Ich habe das Gefühl, genau diesen Auftritt schon etliche Male gesehen zu haben, auch wenn sich im Detail sicherlich einiges unterscheidet. Dennoch bewegen sich die Saarländer nun schon seit Jahren in den gleichen Mustern, und auch die letzten Alben habe ich nur als mehr vom Gleichen empfunden. Ziemlich schnell beschließe ich, das nicht komplett sehen zu müssen.
Was INSOMNIUM betrifft, habe ich bislang noch keinem Live-Auftritt beiwohnen dürfen. Entsprechend verfolge ich mit Spannung, was die Finnen im Zelt wohl auffahren. Keine Worte, keine große Show, dafür umso mehr Musik, so lässt es sich beschreiben. Die melodisch-atmosphärische Mucke entfaltet ab der ersten Sekunde eine schöne Sogwirkung, und ich lasse mich ganz entspannt treiben. Genau das brauche ich zu diesem Zeitpunkt auch, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin. So kann ich das gesamte Set über ausblenden, wie bescheiden ich mich nach Abklingen des letzten Tons wieder fühlen werde, und wenigstens noch ein letztes Konzert in vollen Zügen genießen.
Schluss mit WACKEN – fürs Erste
Ja, jetzt ist besser auch Schluss. Es tut mir leid um das, was da an hochkarätigen Bands noch kommen mag, aber ich habe absolut keine Lust, die ganze Woche verschnupft im Bett zu vegetieren. Entsprechend rüste ich mich für die Heimreise und ziehe dabei mein kleines Fazit. WACKEN habe ich in diesem Jahr als anstrengend empfunden. Das aber kaum wegen irgendwelcher Ballermann-Anleihen oder was auch immer man dem Festival sonst nachsagen mag. Im Vergleich zu meinem letzten Aufenthalt im Jahr 2013 sind die kostümierten Spaßvögel seltener geworden, und auch bei meinen Aufenthalten auf dem Campground ist mir wenig von störenden Nachbarn berichtet worden. Ganz im Gegenteil: Kollege Johann hatte sogar einen Nachbarn, der ganz allein aus China angereist ist! Dieses internationale Element und diese beinharte Faszination haben für mich jahrelang den Esprit von WACKEN ausgemacht. Die vielen englischsprachigen Gespräche zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, die ich im Vorbeigehen aufgeschnappt habe, beweisen mir, dass dieser Esprit nach wie vor lebt!
Dennoch befürchte ich, dass ich wieder ein paar Jahre Pause einlegen werde. WACKEN glänzt nach wie vor durch Überschneidungen, welche das starke Line-Up im Endeffekt dezimieren, weil man gefühlt die Hälfte der eigenen Liste nicht sehen kann. So ist man dauernd damit beschäftigt, von Bühne zu Bühne zu laufen, was dem Genuss der einzelnen Konzerte hinderlich ist. Hinzu kommt, dass viele meiner persönlichen Highlights nur kurze Sets gespielt haben, und das auch nicht unbedingt zu den besten Zeiten. Mit den Hauptbühnen habe ich mich in diesem Jahr weniger identifizieren können als noch vor ein paar Jahren. Noch dazu wiederholt sich vieles, wodurch dann auch der Wow-Effekt geschmälert wird. Das sind aber alles persönliche Präferenzen, sodass der objektive Eindruck ein positiver bleibt.
PS: Die Doro-Frage hat sich auch geklärt: Diesmal ist sie bei AMON AMARTH zu Gast gewesen.
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