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Abstract Void – Raus aus Genrekonventionen, rein in Retro-Futurismus

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ABSTRACT VOID – „Back To Reality“

Veröffentlichungsdatum: 29.10.2018
Länge: 36:19 Min.
Label: Self-Released
Genre:
Atmospheric/Post/Electro Black Metal, Blackgaze, Synthwave

 

Sicherlich werden sich viele von euch Metalmaniacs da draußen die Frage stellen, ob ich mich bei meinem heute rezensierten Album nicht einschlägig in der Genrezuweisung geirrt habe. Eine Veröffentlichung, die in der Rubrik „Black Metal“ landet, allerdings hinsichtlich des Cover-Artworks wohl vorrangig an einen hypermodernen, mittelklassigen Trance-Sampler erinnert? Was soll das denn sein!!??

Die Antwort lautet:  Es handelt sich hierbei um ABSTRACT VOID mit seinem (!) kürzlich erschienenen zweiten Langspieler „Back To Reality“.  Ebenso kryptisch, verschleiernd wie lapidar zugleich bezeichnet das unbekannte Phantom hinter diesem Projekt seine Musik wie folgt: „One-man project from the planet Earth. An experimental blend of blackgaze and synthwave.“

Spätestens nach dem Lesen dieser Zeile neigen wohl  die konservativen „Transilvanien Hunger“-Puristen unter den Black Metal-Fans dazu, für mindestens 5 Minuten die Hände über den Kopf zusammenzuschlagen oder sogar vom Stuhl zu fallen und sich dabei den Ellenbogen zu brechen. „Synthwave-Klingelingeling im Black Metal. An so einem Punkt sind wir jetzt schon angelangt. Einfach Lachhaft und beschämend!“ So in etwa hallt es schon just in diesem Moment des Verfassens dieser Zeilen in meinen Ohren. Eine authentische Wiederbelebung der 1980er Jahre sieht für viele alteingesessene Metal-Fans zweifelsohne anders aus.

Welchen Hintergrund hat das ganze?

Mit dem voranschreitenden Prozess der Ausdifferenzierung von Black-Metal-Subgenres wie Post Black/Progressive Black oder Avantgarde Black Metal innerhalb der letzten Jahre haben sich dem gegenüber mindestens ebenso viele Widerstände gebildet wie Fans. Unter etlichen Youtube-Videos von Bands wie GHOST BATH, GERM, AMESOEURS, SKYFOREST, SORROW PLAGUES und nicht zuletzt DEAFHEAVEN reihen sich Kommentare und Bezeichnungen wie „Hipster Black Metal“, was durchaus in der Regel nicht positiv gemeint ist. Zu euphorisch, zu melodiös, zu unkonventionell, zu experimentell und modernistisch aufgebauscht seien die Kompositionen, um als wahrhaftig dem Black Metal zugeordnet werden zu können.

Und wie sieht das bei ABSTRACT VOID aus? Handelt es sich hier um einen authentischen und harmonischen Querschnitt aus traditonellem Black Metal und 80er-Jahre-Synthwave-Musik oder wollte hier nur jemand was ganz besonders Cooles und Revolutionäres auf den Präsentierteller legen? Grundlegend bin ich der Auffassung, dass diesem noch gänzlich unbekannten Genre-Ausreißer durchaus mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Aus diesem Anlass schreibe ich auch diese Review.

Auf den Punkt gebracht!

Schon von der ersten Sekunde an durchdringen im Titel „Wind of Reminiscence“ Synthwave-Passagen die Gehörgänge, welche am ehesten als dream-ambient-orientiert bezeichnet werden können. In den folgenden Songs reihen sich zahlreiche Zwischenspiele und Bridgeparts in die Kompositionen ein, die klangtechnisch sehr stark an Dream Ambient oder New Age erinnern. Aber wie geht es weiter?

Nach den elektronischen Synthesizer-Ambient-Klängen, die als kurze Eröffnungssequenzen dienen, gesellen sich auch im zweiten Titel  As I Watch The Sunset Fade“ hintergründlich Post-Black-Metal-Riffs und leisere, kryptische, „gezogene“ und geschriene Vocals hinzu (die typisch für Atmospheric/Post Black Metal sind). Diesen zweiten Track möchte ich besonders hervorheben, weil er sich durch eine unglaublich ergreifende und euphorische Melodik auszeichnet. Der leicht im Diskobeat oder „house-compilation-mäßig“ beginnende Song entpuppt sich schnell als kraftvoller, energischer Durchstarter. In den Strophen wandeln sich die elektronischen Klänge nämlich schnell  zu einem Old-School-Synthwave-Gewitter à la KRAFTWERK oder DEPECHE MODE.

Unkonventienell – aber nicht von gestern

Auch die instrumentalen Zwischenspiele erscheinen keineswegs abgedroschen oder langweilig. Einziges Manko dabei ist, dass die durchaus betörenden Vocals schnell in der Gesamtkomposition untergehen. Wenn man dann noch den Bass höherschraubt, intensiviert sich der Effekt. (Aber die Synth-Passagen kommen dann einfach noch besser rüber). Das ist aber ehrlich gesagt Jammern auf hohem Niveau. Die beiden ersten Nummern haben auf jeden Fall hohes Wiedererkennungspotential und sind in meinen Augen somit zu Recht am Anfang des Albums positioniert worden.

Geheimnisvoll: Wer hinter ABSTRACT VOID steckt, ist unbekannt.

Die folgenden Songs warten auch mit unterschiedlichen Melodien und emotionalen Codes auf, allerdings sind die schwer durch Worte zu beschreiben. Back to Reality“ und „Disconnected“ wissen sehr gut, durch die Synthparts mit melödiösen Feinheiten Spannung zum nächsten Motivwechsel aufzubauen. Das passiert aber nie in langweiliger oder belangloser Manier.

Den 5. Titel „Joy Night“ muss ich dann aber doch etwas „auseinandernehmen“. Einen ziemlich aufdringlichen Electro-House-Beat im Hintergrund in Kombination mit emotional übertriebener melodischer „Happiness“ kann ich leider weder als Black Metal noch als für mich gute Musik durchgehen lassen. Abgesehen von den Vocals erinnert „Joy Night“ vom Gesamteindruck her eher an den Sound von einst erfolgreichen Pop-Gruppen, die im Rahmen eines Comebacks allen noch mal zeigen wollen, dass sie im neuen Jahrzehnt oder Jahrhundert angekommen sind und immer noch cool und hip sein können. Diesen Schnitzer werte ich jedoch nur als Randnotiz.

Ist das noch Black Metal ?

Das werden sich jetzt wohl einige von Euch fragen. Ich möchte das Ganze aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Im Endeffekt bleibt es jedem selbst überlassen, ob das für ihn/sie noch Black Metal ist oder nicht. Für mich passt wohl am besten das Prädikat „teils/teils“. Als unzutreffend empfinde ich die Bezeichnung Experimental (Black) Metal, weil das kompositorische Grundkonzept einfach zu koordiniert und einheitlich durchdacht daherkommt.  Es werden hier keine plötzlichen, abrupten Sprünge oder Wechsel von sonderbaren Instrumenten sichtbar. Ich bezeichne dieses Werk einfach als Musik, die ehrlich, enthusiastisch und detailverliebt klingt. (Darüber hinaus ist meine endgültige Zuweisung im Infokasten oben glaube ich explizit genug.)

Bezogen auf den Stil, also den New-Age-/Synthwave-Einschlag, sind ABSTRACT VOID eigentlich mit  TRISTE L´HIVER vergleichbar, einem Ein-Mann-Projekt aus den USA, das vielleicht teils noch ambientartiger wirkt und auch cleane Vocals stellenweise integriert. GERM, VIOLET COLD und die australischen MESARTHIM, die den „Cosmic Black Metal“ mit ihrer ganz eigenen Spielart etwas revolutioniert haben, setzen teils genauso gern elektronische Klänge in ihre Musik ein. Im Hinblick auf die euphorische Grundatmosphäre der Musik können ebenso Parallelen zu SKYFOREST oder  SORROW PLAGUES gezogen werden.

Weitere Musik-Empfehlungen von mir

Hier findet Ihr einige Songs und Alben, die Euch auch gefallen könnten. Mit dabei sind TRISTE L´HIVERSKYFOREST,  SORROW PLAGUESDYNFARI  und einige andere. Hört mal rein!

Im Übrigen: Die beiden Alben von ABSTRACT VOID können KOSTENLOS, LEGAL und VOLLSTÄNDIG von der offiziellen Bandcamp-Seite des Projektes heruntergeladen werden.

Autorenbewertung

8
ABSTRACT VOID beweisen mit "Back To Reality" auf ein Neues, dass die Energie und Melodieträchtigkeit von 80´s Synth-Wave mit der Kryptik und Extreme von Atmospheric/Post Black Metal und Blackgaze durchaus harmonisch funktioniert. Eine akustische Gratwanderung zwischen Retrospektive und Moderne, zwischen 1980er-Jahre-Flair und cyberartiger Zukunftsvision hebt diese Veröffentlichung vom oft formatgeschnittenen Durchschnittsklumpen der in den Markt geschossen Alben ab. Vorsicht ist nur geboten in Bezug auf die Melodieführung und Klangfarbe von synthetisch erzeugten Sounds, welche auch in Zukunft nicht dem Kitsch verfallen dürfen. Schlussendlich bleibt mir nur ein Dankzuspruch an den Protagonisten hinter ABSTRACT VOID auszusenden, wer immer du auch sein magst. Danke für deine beiden bis dato veröffentlichten, kurzweiligen und eigensinnigen Releases, die uns alle auf ein Podest heben können, um unsere musikalischen Horizonte zu erweitern.
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8 / 10 Punkten

Vorteile

+ originelle Grundidee (Konzept sonst nur noch bei 1-2 anderen Bands in der Form)
+ überwiegend authentische Umsetzung
+ variationsreiche Melodien und Motive
+ angemessene Länge zum Eingewöhnen
+ digitale Kopie legal und umsonst erhältlich!!

Nachteile

- Stimme nicht durchdringend genug gemixt/gemastert
- "Joy Night" zu partypop-/elektromäßig, nicht im Ansatz Black Metal zuordenbar
- die letzten beiden Songs bauen eigentlich Spannungsbögen mehr auf

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2 Kommentare

  1. meru
    11. Dezember 2018 bei 9:16 — Antworten

    Wow!
    Danke für den Artikel, diesen speziellen Tipp und die ganzen anderen Namen, die darin zu finden sind.
    Endlich mal wieder was interessantes für’s Ohr und Gehirn..

    • 11. Dezember 2018 bei 15:02 — Antworten

      Das freut mich bzw. uns zu hören. Auf solcherlei Releases stößt man nicht alle Tage.

      mfG

      Nico

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