AFSKY – DÄNISCHE LYRIK BRACHIAL VERTONT

AFSKY – „Ofte Jeg drømmer mig død“

Veröffentlichungsdatum: 12.05.2020
Länge: 45:33
Label: Vendetta Records
Genre: DSBM

Als ich im April diesen Jahres erfuhr, dass AFSKY (dänisch: „Ekel“) – das Ein-Mann-DSBM-Projekt von SOLBRUD-Frontmann Ole Pedersen Luk aus Dänemark – ein neues Album releasen, war mir sofort klar: Das muss ich haben! Und: Das Ding wird richtig gut. Gespannt war ich insbesondere, ob es seinen (einzigen) Vorgänger, die unglaublich starke Scheibe „Sorg“ (dänisch: „Trauer“) noch übertreffen würde. Vorab: Die Antwort lautet „Ja“ und „Nein“. Denn die beiden Alben sind vielleicht doch gar nicht so richtig miteinander vergleichbar.

Liebe auf den ersten Blick

Vorab: Wie habe ich AFSKY entdeckt? Nun, das begann alles, als ich SOLBRUD, die erwähnte „Hauptband“ Ole Luks, im August 2018 gemeinsam mit MULTILATION RITES und ZEIT beim „Paranoya over Dresden“ in der Chemiefabrik Dresden erleben durfte. Als absoluter Liebhaber (melodiös-) schwarzmetallischer Klänge war das für mich ein Pflichttermin, zumal die gute alte „Chemo“ ohnehin immer einen Besuch wert ist. Ich erwartete Gutes und bekam: Großartiges. Wenn mich eine Band live direkt sowas von überrollt und mitschleift, dann muss ich mich hinterher einfach intensiver mit ihnen beschäftigen.

Ole Pedersen Luk

Und siehe da: Über Bandcamp erfuhr ich, dass der unglaublich sympathische Sänger, mit dem man in der familiären Atmosphäre der „Chemo“ ein schönes Schwätzchen halten konnte, noch ein DSBM-Projekt betreibt: AFSKY. Vorerst skeptisch, da selbst mir in diesem Genre so manches Werk doch zu gestört und zu wenig „vorantreibend“ klingt, wurde ich sogleich auch von „Sorg“ so sehr abgeholt, dass ich mir die Band unbedingt live geben musste. Dazu hatte ich beim „Vendetta Fest“ 2019 im „Zukunft am Ostkreuz“ Gelegenheit. Und, was soll ich sagen? Einmal wieder waren die Wucht und Atmosphäre noch atemberaubender als der gute Sound der Band. Warum ich Euch das erzähle? Nun, als absolute Empfehlung sich AFSKY live anzuhören!

Dann war es soweit: Dank der sozialen Medien aka Instagram (@excalikurt, @afskyofficial) und Bandcamp bekam ich schon frühzeitig mit, dass da etwas Großartiges auf dem Weg ist.

Eine Reise durch die dänische Kulturgeschichte

Schon das Coverartwork von „Ofte Jeg drømmer mig død“ gewährt einen ersten Eindruck von der nüchternen, trostlosen und doch brachial verzweifelten Atmosphäre des Albums. Es handelt sich um das Gemälde „Udslidt“ („Abgearbeitet/erschöpft“) von H. A. Brendekilde (1889), das im Kunstmuseum „Brandts“ in Odense, Dänemark, in beeindruckender Größe (207 × 270 cm) ausgestellt ist. Es handelt sich um das bedeutendste Werk des Künstlers. Es zeigt eine Frau aus einfachen, ländlichen Verhältnissen, die auf einem weiten Acker ihren von der harten Arbeit zu Tode erschöpften Mann im Arm hält, während sie aus Verzweiflung mit weit geöffnetem Mund (um Hilfe) schreit.

Diese Atmosphäre und die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen – der Schere zwischen Arm und Reich – die das Bild thematisiert, finden sich auch in vielen der Texte und Gedichte wieder, die auf „Ofte Jeg drømmer mig død“ („Oft träume ich mich tot“) zu finden sind und die von Ole Luk lediglich mit seiner Musik untermalt wurden. Also: Keine der Lyrics auf „Ofte Jeg drømmer mig død“ sind von Luk, sondern historische Texte teils bekannter Autoren, die im Booklet oft mit abgebildet sind. Es lohnt sich daher, einen genaueren Blick in diese Texte zu werfen. So ist auch der Titel des Albums selbst textlicher Bestandteil des dritten Stücks „Imperia“, das auf dem gleichnamigen Text von Sophus Claussen, einem dänischen Autor der Neoromantik, beruht. Aber fangen wir vorne an, bei „Altid Veltilfreds“ nämlich.

Genügsamkeit finden in der Einfachheit

Das Stück geht auf den gleichnamigen Text eines unbekannten Autors um 1600 zurück und bedeutet übersetzt „Immer zufrieden“. Es startet mit beruhigendem Meeresrauschen, über das sich akustische Gitarrenklänge und eine Nyckelharpa legen. Der Melodieverlauf schwillt in Begleitung von E-Gitarre und Schlagzeug immer weiter an, bis sich das Stück nach fast 3 Minuten und einer kurzen Ruhepause mit einem Schrei vor dem Hörer aufbäumt. Von da an kämpft sich „Altid Veltifreds“ schnell und getrieben seinem Ausklang entgegen.

Man könnte die Stimmung des Stücks als „sentimentales Voranpreschen“, als „schmerzenden Kampf“ beschreiben. Der Text handelt, soweit ich das bei der Übersetzung eines so alten dänischen Textes sagen kann, von Gedanken, die ein bescheidener, zufriedener, einfach lebender, aber nachdenklicher Mensch seinerzeit wohl hat. Von der Vergänglichkeit des Lebens, dem Glück, das man in einfachen Momenten finden kann, der Unbeeinflussbarkeit der Dinge und des scheinbar nutzlosen Strebens nach Dingen, die sobald man sie erreicht hat, schon vergangen sind. Der Protagonist findet viel mehr seine nüchterne Erfüllung in dem, was sich ihm ergibt.

Auszug:

Jeg æder hvad jeg har
og sover når jeg kan
fornøjet er mit sind
lyksalig er min stand

Ich esse was ich habe
und schlafe, wenn ich kann
Vergnügt ist mein Verstand
Glückselig ist mein Zustand

Lieber tot, als Sklave zu sein

Gefolgt wird der Song von „Tyende Sang“ („Lied des Dieners“) nach dem gleichnamigen Text Jeppe Aakjaers aus 1907. Der enthält deutlich mehr Aktionismus, den man auch musikalisch spürt. Die letzten drei Zeilen des Stücks sind separat im Inlay des Albums abgedruckt und bedeuten ins Deutsche übersetzt in etwa:

„Dann pflügen wir fröhlich unser hügeliges Land, nachdem wir unseren eingeschüchterten Stand aus der Macht der jahrelangen Sklaverei befreit haben“

(„Da pløjer vi muntre vort bølgende Land, naar først vi har friet vor kuede Stand fra Tusindaars-Trældommens Nat.“)

Der Text kann also als Hymne des Aufstands und der Revolution der Unterdrückten gegen ihre Peiniger verstanden werden – und genauso hört sich auch der Song an. „Tyende Sang“ knüpft direkt an den Ausklang seines Vorgängers an und bricht dann in gnadenloses Doublebassgewitter aus, überschattet von vorantreibenden, melodiösen Riffs. Melodische Leadgitarren übernehmen das Spiel, durchdrungen von den geschrienen Textpassagen. Über seine ganze Spiellänge wechselt sich der Song dann ab mit ruhigen Abschnitten und brachialen, aber auch intensiv melodiösen Ausbrüchen, bevor er wieder mit Akustikgitarrenspiel und Regenschauern ausklingt und man sich fragt, wovon dieses Stück erzählen will – vom Sieg unter Hinnahme schwerer Verluste oder doch von ernüchternder Niederlage.

„Oft träume ich mich tot“

Und so gelangen wir schließlich zu „Imperia“, dem eingangs erwähnten Stück, aus dem der Albumtitel entliehen wurde:

„Ich bin Imperia, die Königin der Erde. So stark wie die Kälte die im Schoß der Berge schlummert. Dunkel und unveränderlich. Oft träume ich mich tot.“

Und genau so, wie die ersten Zeilen dieses Textes anmuten, klingt auch „Imperia“. Ein unglaublich kraftvoller Song des Albums, der nur in seinen ersten Sekunden schwermütig anklingt, um direkt mit einer erhabenen Eiseskälte über mich hereinzubrechen.

Aber sollte man „Imperia“ wegen seines Bezugs zum Albumtitel als Herzstück des Albums bezeichnen? Meines Erachtens bewegt sich der Song musikalisch absolut ebenbürtig zwischen seinen fünf „Mitstreitern“. Wie auf dem gesamten Album paaren sich auch bei „Imperia“ immer wieder ruhigere, teils akustisch/folkloristisch anmutende Passagen mit gnadenlos sägenden und melancholisch-melodiösen Gitarren, begleitet von Blastbeats und untermalt von Luks Schreien voll markerschütternder Kälte. Tempo- und Melodiewechsel finden nahezu im Minutentakt statt. Das macht dieses Album sehr angenehm zu hören. Es lässt beim Hören stets Verschnaufpausen, treibt mich trotzdem immer wieder mit neuer Energie voran und schreit gefühlt den ganzen Schmerz, der in den Texten verarbeitet wurde, heraus.

Um das eigene Leben kämpfen

Ähnlich wie „Tyende Sang“ mutet auch „Bondeplage“ („Bauernleid“), basierend auf einem Text aus 1600, wie eine Hymne zur Befreiungsschlacht der Unterdrückten an und walzt ebenso majestätisch alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Eine Fusion aus Doublebass und Gitarren überrollt mich beim Zuhören, reißt mich nieder, bevor sie mich mit sich reißt und anschließend überwältigt zurücklässt. Ganz so wie die donnernden Hufe einer rasenden Horde, die gekommen ist, um ihre Knechtschaft abzuwerfen und dabei alles zu geben – notfalls ihr Leben. Auch hier wird, ähnlich wie bei „Tyende Sang“, das Gemetzel durch eine Erzählstimme unterbrochen, bis der Sturm der Wut, Verzweiflung und Rache erneut hereinbricht und sich zuletzt ein fast schon idyllisch anmutendes, ruhiges Ende anschließt, in das sich der Song verabschiedet.

Frieden finden

Ole Pedersen Luk live

Fast schon wie eine Art ernüchterte Einsicht, vielleicht darüber, dass sich die Zustände ja doch nicht nachhaltig zum Besseren wenden, wirkt dagegen der fünfte und damit vorletzte Song des Albums „Stemninger“. Hier wurde ein Gedicht von Hans Christian Andersen verarbeitet, dessen Titel sich mit „Stimmungen“ übersetzen lässt. Der Text spielt mit der Akzeptanz, ja fast schon dem Herbeisehnen des Todes. Romantische Metaphern wie die, dass auf dem eigenen Grab Wildrosen wachsen werden und Kinder dort spielen, wo man begraben ist, zeichnen ein ganz neues Bild. Ein Bild, das auch sagen könnte: „Es ist gut – der Kampf ist gewonnen. Es hat sich gelohnt. Ich habe ihn für euch gekämpft, ihr kommenden Generationen“.

Zugleich klingt „Stemninger“ deutlich tragender und schleppender als seine Vorgänger. Gleichwohl ertönt auch hier irgendwann der martialische Schrei, begleitet von Doublebass und schwereren Melodien. Die sägend-melodiösen Gitarren sind wohl ein musikalischer Ausdruck der Sentimentalität und Ernüchterung, die sich durch das gesamte Album zieht.

Schlussendlich verabschiedet sich das Album von uns mit „Angst“ nach Emil Aarestrup, dessen Titel wohl keiner Übersetzung bedarf. Die in „Stemninger“ begonnene Schwere und Trauer setzt sich fort und findet sich in ebenso bleischwer und bitter anmutenden Melodieverläufen wieder. Auch hier wurde natürlich nicht an üppigen Gitarrenwänden und Doublebass gespart. Die Stimmung ist dennoch deutlich weniger „aufmüpfig“ als noch bei „Tyende Sang“ oder „Bondeplage“. Stattdessen verstärkt sich die romantische Stimmung noch mehr und wirkt wie der Genuss des Momentes im Angesicht der eigenen Vergänglichkeit. Allerdings erscheint diese Einsicht eher tröstend. Es ist, als wollte der Text lehren, den Moment zu „umarmen„, solange das Herz noch „Blut und Wärme“ hat. Mit dieser romantisch-sentimentalen Stimmung und friedlichem Vogelgezwitscher schließt dieses Stück das Album.

Mein Fazit

Nach dieser umfangreichen Reise durch die Hintergründe des Albums können wir getrost festhalten, dass „Ofte Jeg drømmer mig død“ alles andere als ein belangloses Stück Musik ist. Es ist alles andere als Gepolter und Blastbeats. Es hat Herz, und zwar ein sehr altes, das aus den alten dänischen Texten und deren Bedeutung für den Künstler besteht, der sie nach seiner Wahrnehmung musikalisch untermalt hat. Doch auch ohne inhaltliches Auseinanderklamüsern reißt die Scheibe schon beim ersten Hören mit, sodass man sich schnell in dessen vorantreibende, schwere und düstere Kraft hineinfindet.

Von seinem Vorgänger „Sorg“ unterscheidet sich das Album allerdings stellenweise deutlich. „Sorg“ ist depressiver, aber auch schneller und hört sich aufgrund der deutlich bassärmeren Vertonung rauer, kälter, roher, kompromissloser und irgendwie trockener an als sein Nachfolger.  „Ofte Jeg drømmer mig død“ wirkt etwas schleppender und sein Sound hört sich satter und wärmer an. Dementsprechend ist „Sorg“ ein ausgezeichneter und herausragender Vertreter dessen, was klassischen, schnellen DSBM ausmacht. 

Das Album wurde von der dänischen Presse so stark wahrgenommen, dass es gleich in mehreren Artikeln dänischer Zeitungen aufgegriffen wurde und Ole Pedersen Luk vor dem Originalgemälde im Kunstmuseum „Brandts“ in Odense gemeinsam mit einer Cellistin ein Akustikkonzert geben durfte.


Dies ist ein Gastautorenbeitrag von: Simon

Autorenbewertung

10
Das Album ist definitiv satter und vorantreibender als sein weniger füllig wirkender Vorgänger „Sorg“, der allerdings den „klassichen“ DSBM-Fans zusagen dürfte. „Ofte jeg drømmer mig død“ ist epischer – soll es ja auch sein – und auch im Sound majestätischer, komplexer und ausgereifter. Für mich auch wegen seines Gesamtwertes als Kunstwerk eine klare 10/10.
ø 3.8 / 5 bei 21 Benutzerbewertungen
10 / 10 Punkten

Vorteile

+ schneller, satter und intensiver Sound
+ Komplexes Konzept
+ lohnt, sich mit den Hintergründen des Albums auseinanderzusetzen

Nachteile

- Nichts zum "Nebenbei Durchhören", da die Auseinandersetzung mit der Komplexität der Scheibe zeitintensiv ist

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