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Alles in den Mixer – KOLARI

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KOLARI – Fear/Focus
Veröffentlichungsdatum: 18.08.2017
Länge: 42:47 Min.
Label: Sportklub Rotter Damm / Indigo
Stil: Melodic/Post Hardcore

Selten erreichte ein derart interessantes Album unsere Redaktion. Das gilt jedenfalls für die Verpackung von „Fear / Focus“, die aus einem einteiligen Papierschuber besteht, der mithilfe eines echten Wachssiegels zusammengehalten wird. Aber wie aufregend ist der Inhalt dieses aufwendigen Packagings?

Druck aufbauen, abbauen und dann explodieren. So, oder so ähnlich, stelle ich mir die versprochene Musik vor. Enttäuscht werde ich mit dem ersten Song vorerst nicht – ehrliche Shouts, ein grooviges Riff und simples Drumming. Soweit so gut, aber warum hört sich alles bereits gewohnt an? So oft wie möglich gibt es Übergänge in neue Songelemente, die an typischen Radio- oder auch Sothern Rock erinnern. Kein Wunder also, dass KOLARI irgendwo zwischen EVERY TIME I DIE, CANCER BATS und GALLOWS eine Punktlandung schaffen. Zugegebenermaßen haben die abrupten Wechsel in ihrer Musik einen Aufbau, der eher HECK ähnelt, aber die jagen fairerweise auch nur ihren Idolen hinterher.

Diese Jagd reicht den Hamburgern bei Weitem noch nicht. In „Cupid’s Poisoned Arrow“ wird dem geneigten Hörer ein etwas anderer Refrain angeboten. Dieser braucht sich vor modernen, glattgebügelten Post Hardcore-Bands aus den USA nicht zu verstecken. Dank den gewissen Ecken und Kanten jedoch hat KOLARIs Umsetzung das gewisse Etwas. Für einen Vergleich wären die Gesangspassagen von NORMA JEAN heran zuziehen. Was hingegen in den Strophen abgeht ist abwechslungsreich und sehr kalkuliert. Über abrupte Änderungen in Rhythmus und Stimmung muss ich nach der Einleitung hoffentlich nicht mehr sprechen. Das fetzt und peppt die sonst so klar gesetzten Grenzen im Aufbau eines Post Hardcore-Liedes stark auf. Lediglich der „Sprechgesang“ am Anfang des Liedes ist ausbaufähig. Genauso ergeht es „Mainline your Job“, was die Hörbarkeit beider Lieder für mich deutlich ruiniert.

Aber KOLARI können zum Glück auch anders. Dass sie dabei wie CANCER BATS-Imitatoren klingen kommt mir ganz gelegen, schließlich lassen die mich schon seit 2013 auf ein neues Album warten. Zu dem Sound der punkigen Kanadier gesellen sich dann simpler Post Hardcore und zum Teil Screamo. Mit von der Partie sind in diesem Mix die vorhin erwähnten Briten von GALLOWS. Unzählig viele Stellen erinnern mich an diese vom Emo beeinflusste Hardcore-Band, aus der viele großartige neue Gruppen hervorgegangen sind (PURE LOVE, FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES).

Weitere Qualitäten aus der Richtung Melodic Hardcore stellt das Quintett ebenfalls zur Schau. „Too Big To Fall“ kann dadurch auf ein komplexes Songwriting und eine lange Dauer verzichten. Als netter Nebeneffekt klingen die gebotenen Breakdowns und Gangshouts auch überzeugender. Obwohl man den Inhalt schon tausend mal gehört hat, wirkt KOLARIs Ansatz frisch und gut gemeint. Sie kombinieren alles, was auch bei DEFEATER und Genossen gut funktioniert, mit seichten Tönen progressiver Hardcore-Bands.

Spätestens auf „Culling The Herd“ wird die Bandbreite der Core-Einflüsse klar: große Gesangseinlagen, ein klassischer 2008er Breakdown, der etwas im Mathcore mündet und melancholische Bridges. Trotz den ungewöhnlichen Taktarten und einem fortschrittlichen Sound tritt auch die Vorhersehbarkeit schnell ein. Ab „Rise Of The Indecent“ werden meine Voraussagen zu Songstruktur und Text immer genauer. Auf dem gerade eben genannten Lied passiert zum Glück der aus meiner Sicht einzige lyrische Patzer. Nach PARKWAY DRIVEs Mega-Hit „Home Is For The Heartless“ klingt eine Zeile wie

„If home is where the heart is, there’s no home for the heartless“

irgendwie befremdlich. Der restliche Text ist zwar über das gesamte Album hinweg keine poetische Meisterleistung, für junge Nicht-Muttersprachler aber annehmbar.

Der ständigen Wiederholung zum Trotz bauen sie wenigstens ordentliche Grooves ein. Da fällt es mir schwer bei „Bite & Sting“ nicht in einen 2-Step zu verfallen. Bedauerlicherweise hauen gerade die Refrains, die auf solche Passagen folgen, mich nicht um. Der ehrliche Gesang kommt im Mantel des Southern Rocks à la MAYLENE AND THE SONS OF DISASTER daher. Aller Zugewandheit zu dem Southern Hardcore der Genre-Legenden zum Trotz mag mich KOLARIs Ansatz nicht überzeugen. Wer es trotzdem mal probieren möchte, sollte in „Pay The Rant“ hereinhören. Im krassen Gegensatz dazu steht der weinerliche Gesang auf dessen Nachfolger „A Modest Proposal“. Um diesen besser zu verpacken, wurde ein ausgefeilter Breakdown eingebaut. Und ich muss zugeben, dass seit dem finalen Crescendo in „Brainwashed“ von WHILE SHE SLEEPS mich nichts mehr – erst recht nicht aus Deutschland – so überrascht hat.

Nachdem ich, kurz überrumpelt, durch die letzten Sekunden des Lieds gekommen bin, wird das Album wieder in gewohnter EVERY TIME I DIE Manier beendet. Trotz einer knackigen Dauer von 42 Minuten hinterlässt es bei mir einen äußerst soliden Eindruck. Die Core-Mischung von KOLARI muss jedoch noch ein paar Veröffentlichungen reifen, bevor sie in einer für mich perfekten Geschmacksrichtung aus dem Mixer kommt. Vielleicht helfen eine größere Portion THE DILLINGER ESCAPE PLAN und Dreck dabei, der melodischen Umsetzung ihrer Wut einen weniger faden Beigeschmack zu verleihen. 

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Kolari

Autorenbewertung

5
Auf ihrem Debüt-Album zeigen KOLARI viele Facetten ihres Musiker-Daseins. Leider verliert sich das interessante Songwriting oft zwischen den Einflüssen und erzeugt nicht die gewünschte Wut und Katharsis. Wirklich hängen bleibt vom mäßigen Text auch nicht viel.
ø 0 / 5 bei 0 Benutzerbewertungen
5 / 10 Punkten

Vorteile

+ gesunde Mischung aus alten und eigenen Ansätzen
+ melodische Umsetzung von Wut und Frustration gelingt oft
+ einige unvorhersehbare Wendungen im Songwriting
+ klasse Verpackung der CD

Nachteile

- zum Teil zu vorhersehbar
- Refrains nicht schlagkräftig genug
- noch zu viel Imitation
- zu simpler Text

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1 Kommentar

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