AMENRA – die neue Sonntagsmesse
AMENRA – Mass VI
Veröffentlichungsdatum: 20.10.2017
Länge: 42:13 Min.
Label: Neurot Recording
Stil: Doom / Post / Sludge
Heute sprechen wir über eine gehuldigte Gruppe von Musikern. Ja, ihr habt richtig gehört, nicht umsonst gibt es eine „Bibel“ dieser „Church Of Ra“. Dahinter stecken die Soundgewalt und düstere Aufmachung dieses Kollektivs. Seit nunmehr 18 Jahren stehen AMENRA an der Speerspitze der religiös angehauchten Bewegung. Um das Interesse ihrer Fans aufrechtzuerhalten, braucht es nicht einmal große, musikalische Innovationen. Denn Bands, die sich so einen Kultstatus erarbeitet haben, tun dies oft durch eine kohärente Ästhetik. Dies scheinen die Belgier wie kein Zweiter verstanden zu haben, was ihr neues Cover-Konzept direkt auf den ersten Platz unseres monatlichen Rankings brachte!
Die Musik hinter der Bewegung
Die beim NEUROSIS-Label heimische Formation hält sich musikalisch nicht gern zurück. Post Metal mit so viel Wucht und gesanglicher Abscheulichkeit sind ihr Mantra. Nach inzwischen sechs vollständigen Alben und fünf vergangenen Messen wird es jedoch immer schwieriger, die Errungenschaften jeden Werkes miteinander zu vergleichen. Mit zwei Gruppen fällt der Vergleich dennoch leicht: NEUROSIS und ISIS. Die schiere Größe der Kompositionen und der fiesen Riffgewitter ließ mich schon auf „Mass III“ erschaudern. Hat sich daran inzwischen etwas geändert? Die erste Auskopplung „Children Of The Eye“ beruhigt mich vorerst. Der Opener hält alle Versprechungen, die ein AMENRA-Album macht. Ein anmutiger Aufbau mündet in die härtesten Ausbrüche des vergangenen Jahres. Hunderte Schreie bündeln dabei die gesamte Kraft der bereits sehnlich erwarteten Instrumentalisierung. Viehisch langsam schreitet diese voran und hinterlässt nur Schutt und Asche. Das dazu passende Video macht da keine Ausnahme, nur gehen in diesem Fall hauptsächlich Fliegen drauf.
Gesprochenen Text gibt es auf dem Album zwar öfter, aber am auffälligstena auf „Edelkroone“ zu hören. Wahrscheinlich liegt es an der Betonung und der Sprache, aber seit IHSAHNs Erzählung „Til for ulven“ („Arktis“, 2016) hat mich gesprochener Text nicht mehr so bewegt. Jedoch könnte das folgende „Plus près de toi“ auch für meine Begeisterung verantwortlich sein. Obwohl das Lied solide und unüberraschend aus den Membranen tönt, holt der Mittelteil ordentlich Momentum raus. Der klare und verletzliche Gesang quetscht sich zwischen Wände aus tiefen Klängen und treibenden Melodien – was für eine Abwechslung von Licht und Dunkelheit. Leider kommt das Finale des Tracks, trotz der stetigen Parallelen, nicht an z.Bsp. ein „Razoreater“ („Mass III“) heran, sondern wabert irgendwo zwischen Drangsal und Chaos. „Spijt“ wird ebenso durch gesprochenen Text eingeleitet, der dieses melodische Zwischenspiel sehr gut in Szene setzt.
Kommen wir zur zweiten Hälfte dieser Platte mit dem wunderschönen „A Solitary Reign“. Die herrlichen Post-Metal-Melodien verzieren direkt den Anfang des Liedes, der ebenfalls nur so vor zärtlichem Gesang strotzt. Über die Gesamtspiellänge werden immer wieder gequälte Schreie und Sludge-Elemente eingebaut. Wie eine Spirale windet sich auch dieser Song seinem reinigenden Ende entgegen. So wirkt es, als hätte die Gruppe ihr Songwriting noch weiter in diese Richtung perfektioniert. Welche Schwachstellen sich da auftun, ist eigentlich an einer Hand abzählbar. So fehlen vielleicht an einigen Stellen bissigere Strukturen oder eine ausgelassenere Produktion. Dadurch kommen die ersten 20 Minuten schon fast ohne Ecken und Kanten aus, woran man sich erst wieder gewöhnen muss. Ihre einst so raue, unausgefeilte Abmischung ist schon längst Vergangenheit – ich vermisse sie trotzdem.
Der letzte Track hat es dann noch einmal richtig in sich. „Diaken“ setzt sich durch den klaren Gesang vor der ruhigen Atmosphäre zwischenzeitlich deutlich vom Chaos der anderen Songs ab. Dennoch mündet es auch in einem Feuerwerk der zerstörerischen Manie, für die AMENRA schon immer gestanden haben. Diese ist geprägt von fast schon sanften Melodien. Bis jetzt ist es den Belgiern immer gelungen, im Chaos solche Momente zu erschaffen, ohne dadurch ihren eigenen Mythos zu trüben. Leider klingt es weiterhin oft nach einer Art Drehbuch, dem sie Track für Track folgen, und das sich so schnell nicht ändern wird. Schuld an dieser ständigen Faszination für undurchdringbare, epische Schlussakte ist das Grundkonzept. In ihrer ewiglichen Auseinandersetzung mit Spiritualität findet sich in eben diesen Höhepunkten auch die Katharsis.
Autorenbewertung
Vorteile
+ Gesangsumbrüche sind wie eine Heimsuchung der Ohrmuscheln
+ unterschwellige Melodien
Nachteile
- wieder glatter als die Vorgänger
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