Ja, wie schreibt man über ein Konzert in seinem quasi-Wohnzimmer? Über den Club, in dem man sich wohl in den letzten drei Jahren, oder lass es mehr sein, mindestens zwei Abende oder Nächte pro Woche um die Ohren geschlagen hat?
Gut, ich gebe zu, in letzter Zeit habe ich mein Wohnzimmer schon sehr vernachlässigt. Die ständig ähnliche, wenn auch qualitativ nicht schlechte Beschallung, hat mich doch etwas ermüdet. Was mich diesmal, seit langer Zeit wieder, in das Hühnermanhattan getrieben hat, war der Umstand, dass tatsächlich mal Metal aufgespielt wurde. Der sonst eher für Psychedelic-, Stoner- oder Postrock bekannte Club wurde von einer doch bunt gemischten Horde langhaariger Metall-Fetischisten heimgesucht. Ich für meinen Teil war schon sehr gespannt, wie denn in Halle und in dieser Location Metal angenommen werden würde. Halle hat beileibe keinen „prädestinierten“ Metal-Club (mehr). Klar, wer mag, kann durchaus zu Hardcore oder Grind-Konzerten aus dem Haus gehen, aber mehr hat sich in den letzten Jahren in Richtung härterer Musik nicht bewegt. Leider. Deswegen für mich ein beobachtbares Experiment, wie sich wohl dieser Abend gestalten soll.
Was geboten wird? Regionale und überregionale Bands verschiedener schwarzer Couleur: Black/Thrash aus der Nachbarstadt, melancholischer Black-Metal aus den eigenen Reihen, Melo-Black-Metal aus dem Süden der Republik und symphonischer Black-Metal aus den Weiten Russlands.
Den Reigen eröffnen mit einiger Verspätung – wegen bislang sehr wenigen Gästen – BITCH HAMMER aus Leipzig. Die drei Jungs versprechen straighten oldschooligen Black-/Thrashmetal. Das halten sie auch definitiv ein. Präzise und rotzig füllen sie den Konzertraum mit ihrem Getöse. Sie haben sichtlich Spaß an dem, was sie da auf der Bühne so tun. Bislang gibt es für mich wirklich wenig an ihrem Tun auszusetzen. Ein knackiges Set spielen sie in nicht mal einer halben Stunde herunter. Leider reißt vor dem letzten Song eine Saite. Gut, Saitenriss passiert. Ersatzgitarre – Fehlanzeige. Ersatzsaite – auch nicht am Start. Dankbarerweise lässt sich einer der anderen Gitarrenhelden des Abends dazu hinreißen, dem armen Tropf sein Instrument zu leihen. Womit das Drama nun erst beginnt. Gitarre hängt zu tief – Stimmung ist zu tief. Es folgt eine Phase des verzweifelten Umstimmens. Aus dem Publikum werden Rufe nach Pausenunterhaltung in Form von Flachwitzen laut. Nach dem dritten Witz à la „Was ist gelb und schießt um die Ecke“ und keiner Gitarrenlösung in Sicht, verlasse ich achselzuckend den Konzertraum und setze mich an die Bar. Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.
Wenige Minuten später, nachdem kein einziger weiterer Ton erklungen ist, strömt das restliche Publikum ebenfalls Richtung Bar. Da ist wohl jemand am Gitarrenwechsel gescheitert. Wirklich schade, denn eigentlich hätte mich noch ein weiterer Song durchaus erheitern können.
Viertel zehn – wütendes Geschrei ruft mich von der Bar zurück in die Konzerthöhle. Als ich durch den schweren Vorhang trete, der die beiden Räume des Clubs von einander trennt, freue ich mich über den sich mir bietenden Anblick. VARGSBLOD haben sich nicht lumpen lassen und mehrere Kerzenleuchter vor der Bühne platziert. Die Atmosphäre, die sich darüber, und wegen des melancholischen als auch wütenden Black-Metal, der dargeboten wird, verbreitet, lädt zum Hinsetzen und Hinwegträumen ein. Tatsächlich lädt der Bassist und Sänger das Publikum zum Verweilen in dieser Position ein. Ich setze mich an den Rand und lasse mich treiben. Auch ein großer Teil des restlichen Publikums folgt dem Angebot. Man kennt das hier. Es ist im Hühnermanhattan nicht unüblich, sich, auf dem Boden sitzend, von der dargebotenen Musik einlullen zu lassen. Dass einem dazu Black-Metal durch die Synapsen gejagt wird, ist schon eher das ungewohnte Element in der ganzen Geschichte. Was die drei da vorn zaubern, hat Hand und Fuß und die Songideen sind mannigfaltig. Von sehr bauchigem Gemeter, unterlegt mit ordentlichen Doublebass-Salven, lasse ich mich in die Wand drücken. Leider fehlt es in meinen Ohren an Tightness im Zusammenspiel. Im Gegensatz zum Gemeter stehen Songs, die ruhig und melodiös sind. Hier tauscht der Sänger seine wütenden Schreie gegen seine sehr volle, tiefe Männerstimme ein, die mich dahinschmelzen lässt. Diese ruhigeren Passagen tragen sich vor allem durch den Bass. Die Gitarre nimmt sich sehr zurück. Nach meinem Empfinden sogar zu sehr. Ein Quäntchen mehr Druck würde dem Sound an dieser Stelle vermutlich nicht zum Nachteil sein.
Bei aller Abwechslung, die VARGSBLOD vortragen, ein bisschen fehlt mir da die einheitliche Linie. Ich möchte nicht sagen, dass der Bruch zwischen beiden Stilistiken zu groß ist – denn ich mag den Mix aus beiden Stimmungen.
Nach dem Black-Metal ist vor dem Black-Metal. WOLVES DEN wurden mir von mehreren Seiten als Leckerchen angetragen. Dementsprechend blicke ich vorfreudig dem Auftritt der Münchner entgegen. Mit einer ordentlichen Verspätung betreten sie die Bühne. Die Kerzenleuchter wurden weggestellt, WOLVES DEN fahren mit Licht- und Nebelmaschinen auf. Auch nicht schlecht. Macht optisch auf jeden Fall schon mal was her. Doch nicht nur optisch, sondern auch von dem, was sie an Musik im Gepäck haben, bin ich sehr erfreut. Leider zeigt sich an dieser Stelle ein Manko des Hühnermanhattans: Die Musik setzt sich auf allen Ebenen durch, aber differenziert ist es hier leider nur sehr selten. Denn das, was die doch sehr sehenswerte Hirschfelder-Anlage hauptsächlich kann, ist: laut sein. Vor allem fällt mir dieser Umstand auf, weil ich zwar die Gitarristen in ihrer durchaus feinfingerigen Arbeit beobachten kann, aber wenig von den, zum Teil parallelen, Gitarrenläufen gut hörbar bei mir ankommt.
Dieser kleine Wermutstropfen hält mich aber nicht davon ab, nun doch mal den Kopf kreisen zu lassen. Denn wann bekomme ich schon mal ein Metal-quasi-Wohnzimmerkonzert geboten? Ich habe meinen Spaß an den zum Teil mitgröhl-tauglichen Songs der Münchner.
Viel zu schnell ist der letzte Song gespielt. Dankbarerweise (es ist inzwischen sehr, sehr spät…) entern WELICORUSS zeitnah die Bühne. Sie sehen aus, wie der Name sich anhört – in Pelz und Leder gekleidet, Warpaint angelegt und finstere Blicke. Irgendwie, als wären sie direkt aus der Tundra hierher gebeamt worden. Passenderweise legt der Sänger auch den Gesang auf Russisch hin, was dem Ganzen noch eine rauere Note verpasst.
Mit epischem Black-Metal, der dank eingesampelten Intros eine ausreichende Ladung symphonic-Anteil verpasst bekommt, wird der Konzertraum geflutet. Heroisch, wie die Musik daherkommt, betun sich die Jungs auch auf der Bühne. Show, Show, Show! Das wirkt leider etwas deplatziert im kleinen, schmuddeligen Hühnermanhattan. Auch die Aufrufe zur Publikumsbeteiligung bleiben ungehört. So wirklich will – jedenfalls bei mir – keine Stimmung aufkommen. Zweifelsohne verstehen die vier aus Prag ihr Handwerk: Das Songwriting ist ausgefeilt, Gitarrensoli konsequent zu Ende gedacht, der Melodiegesang des Sängers sauber und der Schlagzeuger mit seinen gerade mal 17 Jahren bereits eine wahre Ohrenweide. Und dennoch, mag es an der Location, dem Pagan-Anteil in ihrer Musik oder meiner inneren Skepsis gegenüber überzogenen Shows liegen, ich komm nicht so ganz ran.
Ein langer Abend neigt sich dem Ende zu. Die unzähligen alten Sitzmöbel des Hühnermanhattans laden zum ewigen Festsetzen und Abhängen ein. Demnach verlasse ich den Club erst ziemlich spät und mache mich auf den Heimweg. Was bleibt zum Abend zu sagen? Die Bands waren sehenswert, wenn auch nicht durchweg mein Fall. Schade, dass der Club nur mäßig gefüllt gewesen ist. Mag es am Termin – einem Sonntagabend – gelegen haben, zu wenig Werbung in der Stadt oder schlicht der fehlenden Zielgruppe – das wage ich nicht zu entscheiden. Für mich ist der Laden immer wieder einen abendlichen Ausflug wert. Wenn sich in Zukunft Metal-Konzerte dort etablieren könnten, würde mich das sehr freuen. Die Anlage ist dick, die Atmosphäre super gemütlich. Warum also nicht?
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