Startseite»Lifestyle»Kolumnen»CONVERGE – Ein Liebesbrief

CONVERGE – Ein Liebesbrief

0
Geteilt
Folge uns auf Pinterest Google+

Wie fängt man einen Liebesbrief an? Diese Frage hast du dir bestimmt auch mal gestellt. Und egal ob du ihn digital oder handschriftlich verfasst, bleibt dieses Problem immer bestehen. In dieser kleinen Kolumne möchte ich dir einen Einblick in das Wirken einer Band geben, die so viel mehr ist als nur eine Ansammlung von Persönlichkeiten. Die paar Zeilen, die ich zu ihrem Meisterwerk „Jane Doe“ für die Core Classics verfasst habe, reichen nämlich nicht aus, um dieser Gruppe gerecht zu werden.

CONVERGE sind eine 1990 gegründete vierköpfige Band aus Boston, deren Besetzung sich seit dem Durchbruch mit „Jane Doe“ nicht mehr geändert hat. In den 11 Jahren bis zu diesem ungeahnten Erfolg war schnell klar, wohin es diese einmalige Gruppe verschlagen wird. Ihre Mixtur aus Hardcore Punk und zahlreichen Elementen aus Metal Genres war so explosiv und neu, dass sie nicht nur als Pioniere des Mathcore, sondern auch des Metalcore angesehen werden. Außerdem beeinflusst ihr Wirken so ziemlich jeglichen experimentellen Hardcore der Neuzeit, sei es über das eigene Label Deathwish Inc. von Frontmann Jacob Bannon oder noch darüber hinaus. Schon in den Anfängen zeichnete sich aus, wie sturköpfig und einzigartig die Musik und Bildsprache werden würde. So fanden sie erst in Epitaph Records ein Label, das den DIY-Ethos wirklich verstand.

Die Ein-Mann-Show

Dieser spiegelt sich in der kreativen, von unerwünschten Außeneinflüssen isolierten musikalischen Schaffensphase und der begleitenden Kunst wieder. Denn für ihren wilden, ungezügelten Stil entwickelt Bannon seit 1996 Artworks, die mal abstrakt und mal sehr direkt sind. Sein persönlicher Arbeitsrhythmus besteht dabei im Großen und Ganzen darin, ein so perfektes Werk wie nur möglich zu schaffen. Bei dem kreativen Output fragt sich ein Fan dann schnell: Schläft dieser Mann überhaupt? Allein in diesem Jahr veröffentlichte er zahlreiche Prints von seinen Gemälden und Designs für Tourposter. Zusätzlich entwarf er das Albencover und Layout von CONVERGEs neuer EP „I Can Tell You Everything Abou Pain“ und dem neuem Album „The Dusk In Us“.

Außerdem spielte er Kurator für ein ganz besonderes Soloprojekt. In WEAR YOUR WOUNDS findet sich ein milder und warmer Gegensatz zur Musik seiner eigentlichen Band. Nach einer fünfjährigen Pause seit der Split mit REVELATOR (CHELSEA WOLFE) sollte dieses Jahr ein besonders intensives werden. Nicht nur das Debüt-Album „Wear Your Wounds“ erblickte 2017 das Licht der Welt, sondern auch das Reisetagebuch „Dunedevil“. Am Entstehungsprozess dieses Projekts zeichnen sich die Einstellungen der Band ab. Für eine Woche lebte Bannon in einer Holzhütte in den Dünen Kaliforniens. Dort verwandelte er die von der regelrechten Abschottung ausgelösten Gefühle in Malerei und Musik. Wenn er nicht der Natur lauschte, komponierte er Musik und nahm diese auch gleich auf. Aus nur sieben Tagen der Isolation entstand ein 300 Seiten umfassendes Buch voller Gemälde, Fotografien und kurzen Tagebucheinträgen, welches am Besten in Kombination mit dem gleichnamigen, vorrangig atmosphärischen und instrumentalem Album zu genießen ist.

 

Die dunklen, gefühlvollen Texte aus „Wear Your Wounds“ sind schon seit Ewigkeiten Bestandteil der Band. Ihren bereits erwähnten Durchbruch schafften sie mit dem Opus „Jane Doe“ im Jahr 2001. Das Konzeptalbum handelte von einem schmerzhaften Beziehungsende und klingt dabei nie kitschig. Grund dafür ist auch die abstrakte, von Kritikern oft belächelte Lyrik von Bannon. Da hilft nur mehrmals zu lesen, um den Hintergrund der Lieder zu verstehen. Bei der unglaublich rohen Vertonung ist ein reines Heraushören gar nicht möglich. Zum Teil werden sogar einzelne Wortfetzen nur wiederholt und im Text zum Lied findet sich dann trotzdem eine poetisch angehauchte Geschichte. Am liebsten würde ich jetzt auf jedes Album einzeln eingehen und lyrische Themen abarbeiten, aber dann würdest du morgen noch hier sitzen. [Vielen Dank! das Lektorat]

Mediocrity in believing in everything, and this lack of will has buried them forever. – CONVERGE„Albatross“

Reden wir lieber darüber, welches instrumentale Rückgrat die schmerzerfüllte, keifende Stimme trägt. Herauszuheben ist hierbei kein Bandmitglied, da sie in ihrer fanatischen Spielweise allesamt glänzen. Die Personalwechsel bis zum Jahr 2001 sind ebenfalls kaum bemerkbar, nicht einmal die sehr persönliche Spielart des ehemaligen Bassisten Jeff Feinburg war unsersetzlich. Die sich komplementierenden musikalischen Einzelteile werden stets so zusammengefasst, dass man kaum einen Vergleich finden könnte. Es wirkte trotz der Neubesetzungen immer so wie ein natürlicher Prozess, an dessen Ende ein vollständiger Organismus stand.

Der gefragteste Hardcore-Produzent 

Dafür ist bis heute zu einem großen Teil Kurt Ballou verantwortlich. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist für die Band, entwickelte er sich zusammen mit seinem GodCity Studio zu einem der gefragtesten Produzenten in der gesamten Metal und Hardcore Szene. Ein wichtiger Faktor hierfür war ebenfalls seine Produktionskunst auf CONVERGEs musikalischem Output, insbesondere auf „Jane Doe“. Bis heute hat er dadurch einen Ruf inne, der durch die Besprechung seiner Arbeit durch Professoren an Universitäten im Hinblick auf die schiere Monumentalität seiner Fähigkeiten noch verstärkt wird. Völlig egal dabei ist, wer zu ihm kommt: die persönliche und brilliante Note ist bei jedem Künstler zu hören – von CHELSEA WOLFE über ISIS bis hin zu THE DILLINGER ESCAPE PLAN.

 

Für seine eigene musikalische Ausrichtung entschied sich Ballou dazu, mathige, verschachtelte Riffs zu spielen. Diese bohren sich gerade zu in die Grundmauern der Songs und verstärken das schiere Chaos, welches Bannon mit seiner Stimme zu dirigieren scheint. Zeitgleich mit seinen markanten Schreien bricht oft ein Wirbel aus, der brutaler nicht sein könnte. Eine in diesem Sturm der Gefühle oft übersehene Rolle spielt Nate Newton. Neben seiner erstaunlichen musikalischen Vergangenheit in u. a. JESUIT spielt er heute nebenbei noch in OLD MAN GLOOM und DOOMRIDERS. Kein Wunder also, dass ein so gefragter Musiker die Lücke vergangener Mitglieder füllen konnte. Sein Spiel am Bass hält sich dabei an keine strikten Regeln und ist mit vielen Details aus seiner Aktivität in Sludge und Doom Metal bestückt. Der von ihm und Ballou angebotene Backup-Gesang muss sich in der Hinsicht auch nicht vor vermeintlichen Frontmännern der Szene verstecken, die keine Instrumente spielen, aber gleich zwei Plätze in einigen Bands belegen. 

Der verrückteste Schlagzeuger

Genauso technisch versiert wie die Männer an den Seiteninstrumenten ist Ben Koller. Sein Stil passt dabei so unglaublich gut zu der Band, dass ich ihn am liebsten mit seinem Schlagzeug am vorderen Rand der Bühne sehen würde. Er spielt mal vertrackt, verändert den Rhythmus oder bricht in bestialische Zwischenspiele aus, die viel von ihm abverlangen. Wie er es da noch schafft, für MUTOID MAN, ALL PIGS MUST DIE, KILLER BE KILLED und als Tour-Mitglied für DOOMRIDER zu spielen, erschließt sich vielen Ungläubigen nicht.

Genauso wenig verstehen Außenstehende aber auch den Arbeitsprozess der gesamten Band. Ohne auch nur auf das Zusammenspiel der Musiker einzugehen, werden sie manchmal als Persönlichkeitslos angesehen. Die ruhige, überlegte Art bei Interviews und Statements macht es Journalisten nicht gerade einfach, viele kontroverse Zitate der Gruppe zu sammeln und vielleicht eine Diskussion zu befeuern. Eben diese Vernunft und Sanftmut, die besonders Bannon immer wieder an den Tag legt, macht jedoch die Merkmale der Band aus. Ihr zahlreich kopierter Stil und den riesigen Fußabdruck, den sie bereits in der Szene hinterlassen haben, sollte ausreichen, um die Bedeutsamkeit hervorzuheben. Trotz der angefochtenen Einzigartigkeit ihrer Einzelteile, haben sie Kultstatus erreicht.

Sie werden insgeheim gefeiert wie junge Götter, was sich auch durch die treue Anhängerschaft bestätigen dürfte, die innerhalb weniger Stunden die Schallplatten der neuesten Pressung oder des kommenden Albums kauft. Dazu braucht es kein Ego der Mitglieder, sondern einfach nur echte, ehrliche Underground-Musik, die am Legendenstatus kratzt. Und genau dafür liebe ich sie.
Ja, CONVERGE, ihr habt mich richtig verstanden. Ich liebe euch und hoffe, dass der ein oder andere Leser seine Ohren öffnet oder meine Liebe sogar bereits versteht.

Ihr neuestes Album „The Dusk In Us“ erscheint am 03.11.2017 via Epitaph Records und Deathwish Inc. Vorbestellen könnt ihr das gute Teil hier und hier. Empfehlenswert ist, in die erste Single-Auskopplung reinzuhören. „Under Duress“ stellt einen weiteren neuen Schritt für die Band dar, deren alter Sound weiterhin omnipräsent bleibt und lediglich erweitert wird.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Wear Your Wounds und Converge

Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über silence-magazin@patreon Patreon
letzter Artikel

SCHAFOTT - Ab mit dem Kopf!

nächster Artikel

Senf der Woche #28 - LACH DOCH MAL!

Keine Kommentare

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert