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CONVERGE für Einsteiger
CONVERGE – „The Dusk In Us“
Veröffentlichungsdatum: 03.11.2017
Länge: 43:53 Min.
Label: Deathwish / Epitaph
Stil: Mathcore / Metallic Hardcore
CONVERGE ist eine Band, die zugleich fasziniert und spaltet. Während die einen das Quartett vergöttern, wissen die anderen es nicht einmal einzuordnen. Für mich war immer klar, zu welcher Gruppe ich gehörte. Ich nahm mir heraus, das gesamte Konstrukt durchschauen und herunterbrechen zu können. Was das chaotische Drumming, die synkopen Riffs und die markerschütternden Schreie bei mir auslösen, habe ich ja bereits in meinem Liebesbrief dargelegt. Geschlagene fünf Jahre nach dem letzten Meisterstreich soll mich „The Dusk In Us“ nun eines besseren belehren. Die Post-Hardcore-Tendenzen von „All We Love We Leave Behind“ bleiben zwar weiterhin präsent, die Kohärenz der Songs ist jedoch eine komplett neue. Denn die Reihenfolge der Songs auf dieser neuen LP wurde zwar wieder in säuberlichster Handarbeit ausgewählt, bei der vorangegangenen Scheibe wurden alle Lieder als Singles konzipiert.
Eine ungewohnte Klarheit
Und so kommt es auch, dass z. B. The Dusk In Us“ komplett aus dem von CONVERGE gewohnten Konzept raus fällt. Als ein zentraler Grundstein wird dieses Mittelstück einige Ohren aufhorchen lassen. Bevor es aber dazu kommt, schreit sich Jacob Bannon zu Beginn der Scheibe eine der intimsten Gefühlswelten vom Leib. Im hektischen Opener „A Single Tear“ vermag er es, das Vatersein für jeden verständlich zu machen. Neben seiner viel gegenständlicheren und positiven Lyrik, spielt sich der Rest der Band in eine reine Ekstase. Dennoch knackt es weniger als in den alten Werken. Das ist laut Sänger Bannon sogar Absicht: sein einst bestialisches Geschrei wird immer verständlicher. Er will gehört und verstanden werden.
Diese Klarheit, sowie die deutlichen Ähnlichkeiten zu Bands wie ALEXISONFIRE, nehmen auch auf „Eye Of The Quarrel“ nicht ab. Voller Frohlocken beschleunigt dieser Track auf Geschwindigkeiten wie auf dem thrashigen „Wishing Well“ („Axe To Fall“, 2009). Ganz von ihrer Raserei abgesehen, finden sich jedoch wieder wenigere Thrash-Elemente auf dem gesamten Album. Ein gewisses Tempo-Limit stellt das folgende „Under Duress“ auf. Dieses Lied wird bestimmt durch die synkopischen Riffs, Ben Kollers maßgebliches Drumming und die Gang-Vocals im Refrain. Zum ersten mal spüre ich auf diesem Album wieder diese matschige Produktion, für die Kurt Ballou so bekannt ist. Er kann es für gewöhnlich nicht sein lassen, jeder Band ein Sound-Wirrwar der Extra-Klasse zu verkaufen. Über das gesamte Album hingegen wurde der Gesang hervorgehoben – mehr Raum für Bannons Krächzen.
„Fresh faced oligarch we have grown far apart
My arkhipov calm will serve me in due time“ – „Arkhipov Calm“
„Akrhipov Calm“ handelt von dem sowjetischen Marineoffizier, der durch sein ablehnendes Votum den Atom-Torpedoabschuss während der Kuba-Krise einen dritten Weltkrieg verhinderte. Dessen Bestimmtheit und Überlegtheit sind zwar Teil des Textes, der Ton lebt aber von CONVERGEs einzigartigem Songwriting. Kollers energiegeladenes Drumming trägt dann den nächsten Song. „I Can Tell You About Pain“ wurde bereits auf der gleichnamigen EP dieses Jahr veröffentlicht und strotzt nur so vor Emotionalität. Von Bannons Gekreische bis hin zu seinem gequälten klaren Gesang fällt hier wieder ein Merkmal besonders auf – die Verständlichkeit. Von Veröffentlichung zu Veröffentlichung sind die Töne zwar rau geblieben, dennoch auch leicht verdaulich geworden. Wie diese Hardcore-Legenden aus Boston das schaffen, bleibt mir ein Rätsel.
Die zweite Hälfte des Albums wird eingeleitet durch das bereits erwähnte „The Dusk In Us“. Zarter Post Rock verziert die sehr minimalistische Klanglandschaft des Tracks. Dabei muten weder Gesang noch Instrumentalisierung wirklich energisch an und das Lied scheint geisterhaft vor sich hin zu schweben. Das erzeugt eine düstere Atmosphäre, ohne jeglichen Druck. Somit ist dieser siebenminütige Gigant noch lange kein „Wretched World“(„Axe To Fall“, 2009) oder ein „In Her Shadow“(„You Fail Me“, 2004). Nachdem diese Züge von Bannons Nebenprojekt WEAR YOUR WOUNDS verarbeitet wurden, nimmt die Platte jedoch erst richtig Fahrt auf.
Wer denkt, dass inzwischen die besten Ein-Zeiler und Texte generell auf dem Album vorbei sind, wird durch die folgenden zwölf Minuten komplett aus der Bahn geworfen. So handelt „Wildlife“ von der Besessenheit, alles natürliche und übernatürliche erklären zu wollen. Das folgende, hektische „Murk & Marrow“ spielt in einem vagen Kampf zwischen Erwachsenwerden und Tod. Damit ist aber auch nur ein Teil der Vielschichtigkeit der Lieder beschrieben. Musikalisch sind hierbei „Wildlife“ und „Trigger“ besonders hervorzuheben. Während ersteres durch sein Mitnick-Potential glänzt, offenbart letzteres eine komplett neue Welt für CONVERGE. Ein treibender Rhythmus grooved unerlässlich durch das Lied, der Gesang ist viel verständlicher und die sonst so verspielten Gitarren halten sich zurück.
Voll die Vielfalt
Um der Vielseitigkeit komplett Rechenschaft zu tragen, sind die letzten vier Lieder besonders hervorzuheben. „Broken by Light“ ist energetisch, schnell und dennoch unglaublich melodisch. Es mündet in einen CONVERGE-typischen Ausbruch, begleitet von einem Solo und Two-Step-Auslösern der allerfeinsten Sorte. Konträr dazu steht das alles vernichtende „Cannibals“ mit simplen und eindrucksvollen Textstellen. „Thousands of Miles Between Us“ löst diesen brutale Ausflug in eine Welt ohne Liebe ab. Ohne Zweifel erinnert auch dieses an „The Dusk In Us“ und ältere Songs wie „Coral Blue“ („All We Love We Leave Behind“, 2012). Dem epischen Finale und dem kraftvollen Gesang sei Dank, vermag es seine Rolle besser zu erfüllen, als der Titel-Track.
„We are just cannibals
If there is nothing left to love“ – „Cannibals“
Zum Abschluss kommt die Platte dann mit dem sludgy „Reptilian„. Riffs wie von einer monströsen BLACK SABBATH-Coverband erstrecken sich über den ganzen Song. Der nicht greifbare Feind wird im Text zum allumfassenden Bösen, Bannons Verzweiflung nimmt erneut noch größere Dimensionen an.
CONVERGE haben sich erneut selbst übertroffen. Durch leichte Veränderungen im Mix, einer ungekannten Klarheit und der gewohnten, schieren Emotionalität holen sie dieses Mal viele neue Fans an Bord. Somt ist ihr bisher größter Charterfolg keine Überraschung für mich. Dank den vielfältigen Ideen und Songstrukturen wird dieses Album außerdem einen großen Replay-Faktor haben. Ob ihr es wollt oder nicht, diese Scheibe verlässt euren Player vorerst nicht!
Autorenbewertung
Vorteile
+ eine weiterhin manische Instrumentalisierung
+ Änderungen in der Produktion erschaffen eine neue Klarheit
+ textliche Leckerbissen sind in jedem Song sofort erkennbar
Nachteile
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