Core Classics #18 – Darkest Hour

Hier bekommt ihr eure wöchentliche Dosis an Metalcore-Alben mit Legenden-Status. Viele Vorurteile gegenüber dieser Musikrichtung konnten ja bereits schon ausgelöscht werden. Und genau deswegen gibt es jetzt auch diese Kolumne, denn ich kann sie schreiben und mich danach immer noch auf die Straße trauen!

DARKEST HOUR – Hidden Hands of a Sadist Nation
Veröffentlichungsdatum: 20.05.2003
Länge: 56:03 Min.
Label: Victory Records

Es gibt einen Satz, der bei KILLSWITCH ENGAGE oder auch ALL THAT REMAINS Unbehagen in der Magengegend auslösen sollte: „Melodic Death Metal kann man gänzlich ohne den Klargesang-Refrain in Metalcore integrieren.“ Das demonstrieren einige Vertreter der Szene, die schon am Anfang der Melodic Metalcore-Bewegung mitmischten, immer wieder aufs Neue. So auch DARKEST HOUR, die sich, was man an der neuen Single erkennt, von der Phase ihrer 2014er Album-Schlappe – ebenfalls mit dem Namen „Darkest Hour“ – erholt zu haben scheinen. Diese Band stammt zwar, so wie viele der wichtigsten Namen aus dem Bereich, aus den USA, aber ihr erstes Album, das sich stärker mit dem Melodic Death Metal als mit Hardcore beschäftigte, lehnt sich stärker an den Stil von AT THE GATES und IN FLAMES (frühere Jahre) an. Klarer Gesang wird von DARKEST HOUR für weniger wichtig empfunden und Blast Beats, sowie Genre-typische Riffs, als wichtigster Bestandteil in den bestehenden Sound eingearbeitet.

So klingt DARKEST HOUR im Jahr 2016 (wieder)!

Viele neue Einflüsse schienen auf die Band einzuwirken, die es schaffte, sich trotz eines sterbenden Labels in die rettenden Arme von Victory Records zu hieven. Ob diese Firma für viele Bands nicht eher eine Notlösung darstellt, lässt sich bei dem heutigen Ruf des Labels nicht genau sagen. Das Endprodukt, welches sich jedenfalls 2003 den Fans von DARKEST HOUR präsentierte hat es, was Genregrenzen angeht, in sich. Die Hardcore-Drum-Patterns und Breakdowns treten nämlich so stark in den Hintergrund, dass man meint, man habe ein Album voll von reinem Melodic Death Metal vor sich. Das kann man dem Hörer aber auch nicht verübeln, denn der neu entstandene Genre-Mix schmeckt fast ausschließlich nach dem Göteborg-Stil.

Politisch motivierte Texte lassen sich trotzdem nicht aus den Köpfen der einstig stärker vom Hardcore begeisterten Washingtoner verbannen. Sobald man das Herkunftsland der Gruppe und den zeitlichen Zusammenhang kennt wird schnell klar, welcher Staat hier die „Sadist Nation“ darstellt. Viele Metal- und Hardcore-Musiker sind damit unzufrieden, wie die USA auf die Anschläge vom 11. September 2001 politisch reagierte. Die auf die Tragödie folgenden Entwicklungen sorgten für eine Spaltung innerhalb der Nation, die – bis zur heute stattfindenden Teilung anhand der Meinungen zum neuen Präsidenten – seinesgleichen suchte. Auf der Seite derjeniger, die die Taten der Weltmacht verurteilen, finden wir auch DARKEST HOUR wieder, denn die politische Meinung könnte wohl kaum klarer ausgedrückt sein. 

One nation under the gun
Where forward thinking is shunned
A morbid tradition
Of archaic value systems
Where violence justified
Is just another pride
Under the surface lies
A holy plastic empire
With guarded golden fences – „The Sadist Nation“

Verpackt wurde die Kritik dann in einem Melodic Metalcore-Ohrenschmaus, bestehend aus Ohrwurm-Riffs, headbang-tauglichen Schlagzeug-Parts und unbearbeitetem Gesang. Die Gitarren eifern von Beginn an den großen Idolen nach. So klingt alles von „The Sadist Nation“ bis hin zu „For the Soul of the Savior“ nach AT THE GATES, was ein großer Pluspunkt und ein riesiger Minuspunkt sein kann. Ich begrüße zum Beispiel diesen Stil und noch viel mehr den Einfluss, den DARKEST HOUR darüber hinaus in die Metalcore-Gemeinschaft gebracht haben. Offensichtlich ist es kein Zufall, dass neuere Bands wie MISS MAY I diesen Stil in ihre Musik einbauen und damit große Erfolge erzielen. So wird auch jeder noch so neue Metal-Fan an die älteren Hasen herangeführt. Das geschieht zwar unterbewusst sorgt aber für Freude, wenn man Merkmale aus neuen Songs im älteren Material anderer Bands findet.

Einzelne Riffs, die man aus dem Thrash Metal und Hardcore der alten Schule kennt, gibt es auch zu hören. Man könnte schon fast meinen, man hätte sich etwas zu viel vom Rhythmus-Verständnis von AGNOSTIC FRONT oder TESTAMENT abgeschaut, betrachtet man „Oklahoma“ oder einzelne Stellen von „Veritas, Aequitas“. Im gesamten, übrigens sehr langen, Album fällt das aber kaum ins Gewicht und dürfte damals so einige Fans überrascht haben. Trotz der Länge bleibt es aber eine runde Sache, vor allem weil man sich dagegen entschied, es nicht mit dem 13-minütigen Walzer „Veritas, Aequitas“ zu beenden. Stattdessen knallt „For the Soul of the Savior“ mit dem gleichen, sich immer wiederholenden Riff noch ein letztes Mal in die Herzen der coverwütigen YouTube-Gitarristen, bevor sich Stille in den Kopfhörern breitmacht. Würde dieses Album zur heutigen Zeit veröffentlicht werden, könnten sich die Server von einschlägigen Video-Plattformen nämlich nicht mehr vor Gitarren-Cover-Versionen dieser Lieder retten. Dafür sorgen auch die wenigen, auf die Spiellänge gut verteilten Soli, von denen eines das Ende des Werks versüßt.

Toll ist oft die Anwesenheit der Vocals, da diese naturbelassen und echt sind. Dafür bin ich auch dankbar, aber es gibt zu wenige Stellen, an denen die Instrumente mal allein gelassen werden. Frei nach dem Motto „bei uns wird nicht rumgeheult“ wird nie der Klar-Gesang eingesetzt und spätestens bei dem einzigen Album, dass die Band unter der Flagge von Sumerian Records veröffentlichte, dürfte auffallen, warum. Um diesen zu integrieren, ist nämlich ein Richtungswechsel nötig, den der Stil nicht erlaubt. Dann hört sich das Ergebnis nicht mehr nach DARKEST HOUR an und verschreckt alteingesessene und neue Fans zugleich. Aber zum Glück ist diese Phase jetzt vorbei und ich blicke optimistisch dem neuen Album entgegen, welches am 10.03.2017 via Southern Lord Records erscheinen wird.

Fazit:

Bei der Fülle an Melodic Metalcore-Bands vom Anfang der 2000er gingen Bands wie DARKEST HOUR zu oft leer aus. Sie agierten wie UNEARTH eher im Hintergrund, waren aber trotzdem oft der Grund, dass sich neue Bands überhaupt in die Richtung entwickelten, die sie berühmt machten. Doch vom eher mäßigen Erfolg ließ man sich nie abschrecken und bleibt bis heute präsent. Unter anderem, weil die eigene Fan-Base sowohl begeistert als auch treu ist und so manchen Fehltritt verzeiht. Hauptsächlich macht man jedoch weiter, um die eigene Musik leben zu können und weil man den Spaß am Spiel nicht verloren hat. Mögen sie uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben, egal wie oft sie unter den Teppich gekehrt werden, sobald über die Merkmale von Metalcore geredet wird.


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