DEAF ROW FEST VI

Eines vorweg: Der Abend auf dem Deaf Row Fest hat für die eine oder andere Überraschung gesorgt. Doch Verlass war wieder auf die Hochkarätigkeit der Bandauswahl und die Atmosphäre, die den ganzen Abend im Kassablanca über nicht einbrach.


Schon vor Beginn der Shows stelle ich fest, dass sich bereits jetzt deutlich mehr Publikum hier tummelt als im letzten Jahr um diese Zeit. Auch wenn A DEAD FOREST INDEX ihre Show leider absagen mussten, haben noch viele Schau- und Hörlustige verschiedenster Coleur den Weg nach Jena gefunden. Das mag ich ja an der Veranstaltung – das Publikum ist dank des musikalischen Facettenreichtums an diesem Abend sehr schön durchmischt. Und mir wird es auch während der Umbaupausen nicht langweilig, die anderen zu beobachten und belauschen.

Die mir noch unbekannten Briten von PIJN läuten den Abend des Deaf Row Fest mit einem sehr ruhigen Intro ein, holen die Besucher langsam, aber bestimmt und erfolgreich vor die Bühne. Ich erwarte postigen Metal. Aufmerken lässt mich der Umstand, dass ein Cello und außerdem auch noch eine Lap-Steel-Gitarre zur Besetzung der Band gehört. Gespielt von einem Mann mit Rauschebart und einer Brille, die diesem nach und nach immer tiefer ins Gesicht rutscht, erzeugt das Instrument walgesangs-ähnliche Sounds, die die Funktion des Gesangs übernehen. Die Drums nehmen nach und nach eine dominantere Rolle ein, die Dynamik baut sich auf. Es wird lauter, gespannter, tragender. Gesang gibt es nicht. Nur selten durchbricht ein Rufen des Gitarristen das Setting.

Nein. PIJN sind da experimenteller

Melodisch passiert nicht viel, der Walgesang liegt auf schrotender Gitarre und aggressiv verzerrtem Bass. Dazwischen schwimmt leider kaum wahrnehmbar das Cello. Langatmige Riffs bauen sich hintereinander, die Auflösungen sind gekonnt. Ich träume mich davon und fühle mich in ein Unterwasserszenario versetzt. Ein U-Boot gleitet durchs Wasser, ruhig, aber bedrohlich. Sonnenstrahlen brechen sich an der Wasseroberfläche, wenn der Sound weicher und wabernder wird, die treibenden Drums und der gezerrte Bass verstummen. Anstelle dessen treten Beckenschläge – nicht diese mit Schwammschlägeln gespielten. Nein. PIJN sind da experimenteller. Es sind solche, die wohldosiert klappern und scheppern, leise und eklig ins Mark dringen. Auch Gitarrensaiten werden zeitweise am Kopf angespielt, was keine besonders angenehmen Sounds hervorbringt.

Aber er lässt mich darben

Die Unterwasserassoziation wird durch die Lichtstimmung verstärkt, tiefblau angestrahlter Nebel wabert über die Bühne, von schräg oben scheint ab und an weiß-gelbes Licht. Vermutlich hat der Tonmann während der Show die Regler etwas weiter hoch gezogen. Als der Drummer Floor, Toms und Bassdrum anspielt, dröhnt es inzwischen leider sehr. Mit der Zeit wünsche ich mir immer sehnlicher die Rufe des Sängers hinzu, die dem Bombast etwas greifbares, menschliches verleihen würden. Aber er lässt mich darben. Im Laufe des Sets wird der Ton rauer, die Strukturen der Musik komplexer, aber immer umspült von Soundfluten – grau, dick und effektbeladen. Und da war es wieder, dieses Beckenklackern.

Das U-Boot wälzt sich unaufhaltsam und gefährlich in feindliches Gewässer, eins mit seiner Umgebung, langsam und düster. Ein versöhnlicher Part mit Clean-Gitarre täuscht das Ende der Show an, das nun doch noch einmal durch eine Episode „Voll aufs Fressbrett“ verzögert wird. Das Set der Briten lässt keine Pausen, in denen das Publikum seine Zuneigung per Applaus äußert, weswegen sich die Spannung erst nach der Show entladen kann. Und davon hat sich über die Spieldauer des unbekannten Openers so einige aufgebaut. Vor allem der  gut überspielte Saitenwechsel des Bassisten während des Auftritts hat zumindest mich nachhaltig beeindruckt.

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Stumpf ist Trumpf, so ihr Motto

CRANIAL beginne ich von der Galerie aus zu betrachten. Stumpf ist Trumpf, so ihr Motto. Wobei dieser Trumpf nicht mal der schlechteste zu sein scheint. Der mächtige Post Metal der deutschen Kombo hallt durch das Kassa und drückt sich langsam und schwer in meine Magengrube. Auch als der Bass für kurze Zeit pausiert, presst der Druck der Gitarre schon meine Eingeweide an die Außenwände meines Körpers. Für die Abwechslung fehlt mir hier ein bisschen öfter ein Knallen, ein durchgetretenes Schlagzeug, das Rattattattatt. Wie auch PIJN halten sich CRANIAL vokal stark zurück. Allerdings wagen sie auch zweistimmige Ausflüge. Gekonnt!

Vierzig Minuten werden nun meine Zellen massiert. Selten komme ich zum freien Atmen, es drückt auf die Lunge. Beklemmung macht sich breit. Rhythmisch bleibt die Band immer auf einer Schiene, es gibt kaum Brüche. Erst recht kein Schnick-Schnack, kein Gitarrengewichse, keine Experimente. Beeindruckend, aber keinesfalls aufregend. Nach CRANIAL trolle ich mich auf den Vorhof des Kassablanca, um mir mein Abendessen zu sichern. Auch in diesem Jahr gibt es wieder Burger ohne jegliches Tier für einen sehr fairen Preis von 3€ pro Stück. Da ich im vergangenen Jahr feststellen musste, dass der Sättigungseffekt nicht sehr lange anhält, verdrücke ich im Laufe des Abends noch einen zweiten Burger, solange noch welche da sind.

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Langsam werde ich hibbelig. Habe ich doch große Erwartungen an SPOIWO. Der Umbau dauert ewig und scheint aufwendig zu sein. Sowohl Synthie als auch Midi-Keyboard finden neben der klassischen Besetzung ihren Platz auf der Bühne. Der Check macht offenbar Probleme. Eine halbe Stunde, nachdem die Band hätte anfangen sollen zu spielen, kommt erstmalig eine Wortmeldung von der Bühne. Eine Entschuldigung und die Bitte um ein wenig Geduld hallt durch den Saal. Mit inzwischen vierzig Minuten Verspätung beginnen die Polen ihre Show. Ein geloopter Beat, der an Herzschläge erinnert, pulsiert und wabert durch den Raum. Dicht wie Watte umschließt Nebel und Instrumentensphäre den Puls. Scharfe Snareschläge des sehr räumlich klingenden Drumsets durchschneiden das Setting und geben dem Dunst Struktur. Dann Ruhe, der Herzschlag wallt auf und mit einem Mal beginnt die Jaguar zu kreischen. Was für ein Sound! Fantastischer Post Rock schallt durch das Haus. Der Bandsound insgesamt ist sehr ausgeglichen und die Bässe bilden ein solides Fundament für die aufgebauten Klangsphären.

Und inzwischen lerne ich den Firebird-Sound richtiggehend zu hassen

Ich werde allerdings nie Fan des Firebird-Sounds sein und auch hier stört mich der Eigenklang dieses Instruments. Er passt nicht in den Gesamtklang. Zu flach wirkt er für die Tiefe und Weite, die diese Art der Musik ausbreitet. Die Synthies übernehmen die Funktion des Gesangs, agieren in den Höhen und lassen das Kopfkino anlaufen. Nachdenklich sind sie. SPOIWO loten viele bekannte Spielarten aus. Unter anderem ein Piano-Intro, über das die mit einem Bogen gespielte Jaguar singt. Sie mutet wie ein sehr bauchiges Cello an. Rund, warm, umarmend. Das klassische postige Gefühl des Fliegens baut sich auf. Ab und an durchdringt ein tiefes Brummen den Raum – ob es sich hier um Übersteuerung oder beabsichtigt dröhnende Bässe handelt, vermag ich nicht zu beurteilen. Und inzwischen lerne ich den Firebird-Sound richtiggehend zu hassen. Er passt wirklich nicht. Viel zu laut, viel zu flach ist dieses Intrument. Ihm fehlt die Weichheit, die Rundheit, die diese Art von Musik eigentlich ausmacht. Schade. Aufgrund der dermaßen hohen Lautstärke, die inzwischen auf mich einströmt, als auch ihrer Bühnenpräsenz halte ich die Band für in einer kleineren Location besser aufgehoben. Ich fliehe nach draußen. SPOIWO bleiben hinter meinen Erwartungen zurück.

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Allerdings klingen die Niederländer schon beim Check spannender als SPOIWO

Die aus den Niederlanden angereisten GOLD warten mit gleich drei Gitarristen auf. Warum braucht man drei Gitarristen? Ich verschiebe diese Frage in meinen Hinterkopf und versuche, mich auf die Musik einzulassen. Eine verführend weiche, aber zugleich durchsetzungsfähige Frauenstimme kündigt sich während des Soundchecks an. Die Band wurde von mir im Vorbericht als recht nichtssagend und langweilig eingeordnet. Allerdings klingen die Niederländer schon beim Check spannender als SPOIWO. Mit einer dreiviertel Stunde Verspätung beginnen sie und bringen von Anfang an ordentlich Drive auf die Bühne. Der gelb angeleuchtete Nebel, der die Musiker sehr bald einhüllt, lässt passend zum Bandnamen die Assoziation von Gold aufkeimen. Die Sängerin kann leise, leidend singen. Kann aber auch nölen und anklagen. Drunter eine dicke Schicht Gitarren, die von Bass und Schlagzeug in ihrer Rhythmik strukturieren. Der Bass bringt glücklicherweise genug Charakter mit, um sich vom Gitarrenaufgebot zu unterscheiden.

Da ich keine Differenzen zwischen den einzelnen Gitarren höre, schaue ich nun mal genauer hin. Aha! Einer spielt in hohen, einer in tiefen Lagen Akkorde. Der Dritte im Bunde slidet verzerrt und kunstvoll über das ganze Griffbrett. Viel kommt davon tatsächlich nicht an. Nur in Spielpausen der anderen beiden Gitarren lässt sich die Arbeit des dritten ausmachen. Schade. Immerhin ist an betreffenden Stellen die Zweistimmigkeit des Gesangs wahrnehmbar.

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Und ja, singen kann sie

Die endlose Wiederholung simpler Riffs lässt an ein Trance-Ritual denken. Langsame, basslastige und intensive Schlagzeugarbeit haben etwas schamanisches an sich. Die Songstrukturen selbst sind oftmals an klassische Rocksongs angelehnt. Grundsätzlich passt da Gesangslinie, Rhythmik und Melodieführung, nur dass GOLD mit einer Menge mehr Fläche und Bumms aufwarten. Und ja, singen kann sie. Und auch im Zusammenspiel mit ihrem Kollegen macht das was her. Die Songübergänge sind kurz, so wie auch bei den Bands zuvor. Die scheinen alle nicht an Laberei und Blödelei interessiert zu sein. Insgesamt klingen GOLD schon sehr sexy – die kräftige Stimme der Sängerin, ihre Silhoutte im Nebel, auf tiefen, stampfenden Drums. Der Effekt nutzt sich nach einer halben Stunde Spielzeit allerdings schon sehr ab und manchmal strapazieren sie die Wiederholungsfrequenz von Refrains so über, dass ich mir ihr Ende herbeisehne. Nach einer kompletten Stunde sind sie dann doch fertig und AEHM fängt das Publikum geschickt mit ein paar Umdrehungen seiner Plattenteller auf.

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Weniger überladen, total unaufgeregt

Mit nur drei Leuten wirkt die Bühne bei den Wahlberlinern ESBEN AND THE WITCH regelrecht aufgeräumt nach dem Bombast, den GOLD ausgestrahlt haben. Auch ESBEN schaffen Weite, wenn auch weniger dicht als ihre Vorgängerband, aber genauso lückenlos. Der Hauptanteil des Sounds wird durch tonnige Drums und starkem Bass gestellt. Die fett gezerrte Gitarre schafft eine kratzende Fläche obenauf. Sie bringen eine ganz andere Art von Show, die Sängerinnen sind wie Tag und Nacht in Auftreten und Performance. Weniger überladen, total unaufgeregt. Der Gesang der jungen Frau ist makellos und überzeugend. Wie von Platte. Beeindruckend präzise.

Die Musik der Drei findet großen Anklang beim Publikum. Allerdings hat es hier der Tonmann etwas zu gut mit den Bassfrequenzen gemeint. Es dröhnt. Aber darüber sehe ich hinweg, die Musik macht mich so melancholisch und nachdenklich, dass ich geistig rechts ranfahre. Neben dem getragenen, leidenden, leisen und wenig effektbeladenen Gesang brechen regelmäßig Rumpelparts durch, die mich aufrütteln wollen. Aber die Versuche bleiben erfolglos. Die Musik ist nett – aber einschläfernd. Der Gesang dreht sich immer um dieselben fünf Töne und ändert seine Dynamik nicht. Und das ist um diese Uhrzeit kreuzgefährlich. Ich beginne irgendwann, mit geschlossenen Augen herumzusitzen. Ich kann einfach nicht mehr anders. Erst nach Mitternacht beenden sie ihr Set und lassen mich mit meiner Vorfreude auf den nautischen Ausflug mit den nun folgenden AHAB zurück.

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Verdammt. Verdammt schön!

Und nach einer weiteren Umbaupause legen sie los. Und in was für einer Lautstärke! Die Gitarren zerhauen mir die Trommelfelle. Echt unangenehm! Tiefblaues Licht und eine Nebelwand hüllen die Gestalten auf der Bühne ein. Nur ein kleines gelbes Lämpchen durchbricht das Blau, ein bisschen wie eine Laterne oder ein Irrlicht – und dann schallt ein mächtiger Rülps über die Wasseroberfläche. Langsam, aber unaufhaltsam schiebt sich die deutsche Doom-Legende AHAB über das Meer. Doom par excellence. Darauf niederreißende, sich wiederholende Abwärtsmelodien der Gitarre klingen klagend und verheißen keine Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zum Festland. Verdammt. Verdammt schön.

Entgegen der Vermutung, dass sich das Kassablanca nach ESBEN AND THE WITCH leeren würde, sind doch noch sehr viele Gäste während des Hauptacts da. Das Konzept der Band ist bekannt, der Drummer drischt auch bei langsamer Geschwindigkeit mit einer beeindruckenden Energie auf sein Set ein. Diese Band ist nix für lustige Partyabende, eher für einen gewaltigen Trauermarsch. Erbarmungslos wird der Kampf ums Überleben auf den Weiten des Meeres ausgefochten, wildes Getöse durch ruhige, beinahe schon friedlich anmutende Passagen durchbrochen. Und es ist erstaunlich, zu welchen Growls der Sänger im Stande ist.

Über eine Stunde lassen AHAB ihr komplettes Album „The Call Of The Wretched Sea“ über das Publikum rollen. Beeindruckt lasse ich mich fallen und beginne schon mal, den Abend Revue passieren zu lassen. PIJN sind die einzigen, die mich vollkommen und positiv überraschen konnten. Die anderen Bands des Abends sind erwartbar solide, haben gute Shows gespielt, wobei mein Geschmack doch am ehesten noch vom Headliner getroffen wurden. SPOIWO sind leider weit hinter meinen Erwartungen zurück geblieben. Schade. Dennoch würde ich sie mir noch mal in einem kleineren Club ansehen. Der Veranstalter des Festivals hat auch in diesem Jahr wieder ein Händchen für eine gute Bandauswahl gezeigt. Und auch wenn ich diesmal weniger geflasht als beim letzten Jahr die Rückreise antrete, bin ich gespannt, welche Musik mich 2018 im Kassablanca Jena zur siebten Auflage des Deaf Row Fest erwarten wird.

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Wer sich hier ein bisschen Appetit holen konnte und nächstes Jahr auch zum Deaf Row Fest möchte, sollte diese Seite im Auge behalten!


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