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DEAF ROW FEST VII – Kontrastprogramm in Jena
Sommer, Sonne, Jena!
Endlich wieder Deaf Row. Runde Drei für uns – meint: den Yeti und mich. Runde Sieben für das Deaf Row Fest selbst. Unsere lustige Fahrgemeinschaft unter Aehms Fuchtel kommt bei strahlendem Sonnenschein auf dem Gelände des Kassablanca an, auf dem reges Treiben herrscht. Technik wird entladen und durch die Gegend gerollt, die Bar vorbereitet und der Merch-Bereich bereits bestückt. HEADS. checken grad und holen mich direkt so aus der Realität, dass mir mit der dann wieder auftretenden, plötzlichen Ruhe auffällt, dass ja noch gar kein Publikum da ist.
Eine halbe Stunde vor Showbeginn ist immer noch kein Schwein da. Also doch… so 5 – 10 Gäste vielleicht. HEADS. beginnen trotz recht überschaubarer Publikumssituation ihre Show pünktlich. Und schwupps – jetzt geht es doch ganz schnell und der Laden füllt sich. Voluminöse Drums mit rollend-gleichförmigem Beat und ein sehr durchsetzungsfähiger Bass katapultieren mich in tranceähnliche Stimmung. Die Musik ist melodisch, bringt aber wenig Bewegung. Es walzt so vor sich hin. Der stark angezerrte Bass ersetzt die Rhythmusgitarre und legt ein solides Fundament, auf dem sich der stets leicht gelangweilt-jammernde und manchmal auch wütende Cobain-Style-Gesang bewegt. Die Gitarrenarbeit ist simpel und der Stimmung dienlich. So manches Mal schaukelt sich die Stimmung hoch, da wendet sich der Gitarrist dem Amp zu und lässt die Gitarre schreien. Am meisten bewegt sich wohl der Basser, der springt wie aufgezogen herum und schüttelt die Mähne.
Die anderen gucken dann doch eher nur auf ihre Schuhe.
In sehr kaltes Licht getaucht und mit leichtem Haze im Hintergrund präsentiert sich die Band. Zwischen den Soundwänden wird auch Luft zum Atmen gelassen, mal ein leichtes Drum-Solo eingebaut, das zum Schweben einlädt. Der Gesang wabert hallig über dem stampfenden, flächigen, mächtigen Grund, den die Instrumente dank dicker Effektbretter aufbauen. Und das Publikum? Unbewegt. Schläft anscheinend noch. Oder meditiert. Zumindest läuft es nicht weg, sondern scheint eher mehr zu werden. Und dennoch – im Kontrast zu den letzten Jahren – bildet sich ein riesiger Angstkreis.
Es folgt ein harter Stilbruch mit FOTOCRIME. Und mein erster Gedanke: Wenn Coolness am heutigen Abend ein Gesicht hat, dann wohl seins. Seine Sonnenbrille, die fette Paula und rohe Stimme vervollständigen das Bild. Die Bühne ist komplett dunkel, bis auf vor sich hin dämmernde Bodenstrahler und natürlich, um den Coolness-Faktor weiter zu heben, ordentlich mit Nebel versorgt. Die Beats und Melodie-Samples kommen aus dem Synthie. Der Konserven-Rhythmus wird gestützt durch klare Basslinien. Die Amerikaner schicken mich instant mit ihrer flächigen Musik auf eine Zeitreise in die 80er-Jahre.
Sänger Ryan Patterson steht dabei ganz eindeutig im Zentrum des Geschehens. Zeitweise erhält er vokale Unterstützung durch die beiden weiteren Bandmitglieder. Was mir positiv auffällt, ist, dass die SG auch wirklich so klingen darf wie eine SG und nicht durch Effekte ‚totgemacht‘ wird. Die Paula wird hingegen zwischendurch auch mal deutlich härter angefasst. Insgesamt gelingt FOTOCRIME eine Mischung aus schnelleren und langsameren Songs. Und dennoch – trotz eindeutig tanzbarer Musik – bleibt das Publikum wie angewurzelt in weitem Angstkreis vor der Bühne stehen. Nach Bitten des Sängers, doch etwas näher zu treten, ist dieser etwas verkleinert, aber immer noch auffällig vorhanden.
Das Set wird unterbrochen, als Patterson noch ein klares politisches Statement gegen Rassismus und Missbrauch äußert – befeuert durch den aktuellen Vorfall um Brett Kavanaugh, von dem ich am selben Morgen las und der mich wieder einmal betroffen zurückließ. Ein starkes und wichtiges Signal, welches definitiv nicht zu überhören ist und durch den darauffolgenden energetischen, schnellen, aggressiven Song unterstrichen wird.
All dies beobachte ich von der Empore, die einen guten Ausblick auf die Bühne liefert. Allerdings deutlich eingeschränkter als in den letzten Jahren, da sie ab Höhe des FOH abgehangen wurde. Vielleicht, damit die Leute nicht alle oben stehen und gucken, sondern vor der Bühne bleiben. Vielleicht aber auch einfach aus soundtechnischen Gründen. In den letzten Jahren standen und saßen immer recht viele Leute auf der Empore – dieses Jahr soll es dort auch am späteren Abend noch recht leer bleiben. Dafür nehmen einige in den Pausen auf dem Boden des Konzertraumes Platz.
Der Beginn von BRIQUEVILLE verzögert sich. Der eigens mitgebrachte Techniker der Band fummelt noch was am Pult zurecht, während die Band noch checkt. Ich frage mich, wieso das nicht in einem Linecheck abgefrühstückt wird. Immerhin beginnen sie nur 10 Minuten zu spät. Dass sie dann aber 5 Minuten überziehen, führt dazu, dass wir nun hinter dem Zeitplan sind. Die Belgier betreten die Bühne und präsentieren sich in Kuttengewandung mit Vogelmasken.
So much wow. Nicht.
Irgendwie können mich solche Sperenzchen nicht beeindrucken. Schauen wir mal, was die Musik so hermacht. Das Stahlgitarrensample-Intro-Geschrammel – irgendwas zwischen Orient und Western – klingt erstmal einladend. Die Drums setzen sehr laut ein und die sägenden Gitarren machen die jüngst erzeugte Atmosphäre zunichte. Bequem ist das so nicht. Es wird geschrotet und einige Augenblicke später folgen klassische Stoner-Riffs und -rhythmik. Ich klatsche innerlich äußerst gelangweilt in die Hände. Genau das haben wir doch alle schon hundert Mal gehört. Wo ist denn die in ihrer Band-Bio groß angepriesene Künstlerischkeit der Kapelle? Endet diese tatsächlich schon beim Aussehen? Die meditative Hin- und Herwipp-Musik macht mich absolut nicht an. Repetitive Riffs und Gesangseinlagen wechseln sich ab und wälzen zugegebenermaßen ordentlich was weg. Aber mit der eigenen Überhöhung dessen, was hier passiert, macht sich die Band selbst irgendwie lächerlich. Wenn sie ‚rituell‘ wirken wollen, ist ihnen das durchaus gelungen. Allerdings schwankt die ganze Darstellung in meinen Augen zwischen ‚ja, ganz nett‘ und ‚albern‘.
Hat man halt öfter, nech…?
Ich beschließe, dass nun Zeit für einen Ausflug nach draußen zum Burger-Stand ist. Wie jedes Jahr gibt es dort Big Steak-Burger, die einfach ein guter Snack für den Abend sind. Als ich wieder reingehe, fällt mir auf, dass auch während der Show der Tonmann noch so seine Schwierigkeiten zu haben scheint. Zwar werden schon Rasseln geschwungen, das abnehmende Mikrofon wird aber erst einige Sekunden später hochgepegelt. Der Mensch hinter den Keys spricht und säuselt stets Vocals und erhält so das schamanisch-rituelle. Instrumental macht der Fünfer ordentlich Druck. Bauen mit Monotonie eine Walze, die von Doom bis Techno alles abdeckt. In meinen Ohren so richtige Kopfschmerzmusik. Nee, ich mag’s nicht. Ich finde die ganze Geschichte albern, überzogen und alles andere als innovativ. Das dann auch noch einsetzende Strobo erscheint mir willkürlich und unpassend. So sehe ich das. Das Publikum hingegen findet es anscheinend aber cool und honoriert die Staubsauger-Musik sowohl mit Kopfschütteln als auch Applaus.
Für die sich nun anschließende Sonnenanbetung wird einmal komplett die Bühne geleert. Gegen 21:10 Uhr starten SUN WORSHIP ihr Programm und bestechen mit simplen Set-Up. Zwei Leute, minimales Instrumental-Besteck. Der Drummer zockt barfuß (aber mit Socken?!). Der Gitarrist tritt in weißem Shirt und Jeans auf, auf der Nase eine Brille mit schmalem Metallrand, Marke „Vati“. Beide geben ein skurriles – aber äußerst sympathisches – Bild.
Zack, feddich, Black Metal.
Reicht vollkommen, was die beiden da auffahren. Im Vergleich zur vorhergehenden Band ist alles sehr aufgeräumt und schlicht gehalten. Föhn an und ab geht’s. Das ist keine Mucke mehr. Das ist Sport, was die beiden da auf der Bühne betreiben. Der Drummer hackt los und verzieht dabei keine Miene. Da wird die Bassdrum geprügelt und das absolut schmalbrüstige Set drumherum auch nicht verschont. Ab und zu lässt er sich mit umgeschnallten Headset auch vokal aus. Die Jungs sind selbst komplett unaufgeregt unterwegs – ohne jegliches Rumgewichse auf die eigene Erscheinung. Die zuvor aufgetragene Epicness und das dicke Auftafeln werden ins Gegenteil verkehrt. SUN WORSHIPs Musik ist dafür umso böser. Damit kann mich das Zweiergespann auf jeden Fall beeindrucken.
Auf den Fuß folgen LENTO mit nun schon 40 Minuten Verzögerung. Die Kapelle fackelt nicht lange und haut mir eine ordentliche Kelle Doom und Sludge um die Ohren. Instrumental fahren sie extrem druckvolle und laute Soundwände auf. Und trotz eingebauter rhythmischer Spielereien bleibt das hier unhörbar – für mich zumindest. Zum Teil wird es dann auch mal richtig melodisch. Aber eben nicht ausreichend, um mich auch mitnehmen zu können. Es wird ein Chaos von Sludge und Doom; Lautheit, Aggressivität und Brutalität aufgebaut.
Die finster-tiefen Gitarren schleppen kiloweise dicke Eier hinter sich her.
Wie SUN WORSHIP Tempo zum Sport machten, machen LENTO ihre Musik durch Druck und Langsamkeit zur Ausnahmeleistung. Ich finde es anstrengend, aber vielleicht verstehe ich die Musik auch einfach nicht. Oder ich mache den Fehler, sie überhaupt verstehen zu wollen und versperre mir damit erstrecht den Weg. Ich entscheide mich, auf der Empore Platz zu nehmen und das Spektakel von dort aus an mir vorbeiziehen zu lassen. Ich sinke in die Sitze und versacke dort bis zum Soundcheck von SOVIET SOVIET. Ich schrecke hoch, als der Basser beim Soundcheck das ikonische Lick von PLACEBOs „Bionic“ anspielt und merke instant das kleine Fangirl in mir hysterisch nach Luft schnappen.
Ha! Da sind doch die bereits vermuteten Einflüsse nicht mehr zu leugnen. Der italienische Dreier legt mit einem so strammen Tempo los, dem der Drummer nicht so ganz zu folgen vermag. Überraschend-enttäuschenderweise kommt das noch mehrfach während der Show vor. Der Sänger mit seiner sehr nasaler Stimmlage steht über der stets weinenden – kaum geschonten – Gitarre. Der Bass drängt sich durchsetzungsfähig dazwischen und schiebt und drückt gut was weg. Was das für ein abgefahrenes Gerät ist, welches er da spielt, konnte ich bislang nicht herausfinden (Hinweise zur Spezifizierung von Hersteller und Modell sind gern gesehen…). Gegen LENTO ist das hier purer Pop. Der bass-spielende Sänger ist höchst energetisch unterwegs. Die treibenden Rhythmen laden zum Tanzbein-Schwingen ein. Sie werden aber immer wieder durchbrochen von ruhigeren, fast nachdenklichen Passagen. Solche zum Luftholen. Und die massiv bauchigen Drums eiern immer noch in flotteren Songs. Auch im Gesang offenbart sich im Laufe des Sets leider die eine oder andere Unsicherheit.
Und dennoch: Die Show ist gut.
Der Sänger springt extatisch durch den dichten grünen und goldgelben Bühnennebel und das Publikum scheint auch seine Freude an der Darbietung zu haben. SOVIET SOVIET beenden ihr Set mit schon fast elendig weit herausgezögerten Rückkopplungs-Orgien, die (sei es nun geplant oder zufällig) synchron mit Blinder-Einsatz auf- und abwallen. Das ist wirklich gut gemacht und auf den Punkt umgesetzt. Da muss ich doch schon zufrieden in mich hineinlächeln. Und ich hätte nicht gedacht, dass diese so ‚harmlose‘ Band zwischen den beiden bösen, lauten Kapellen funktioniert. Aber die Energie scheint das Publikum zu erfassen, wenngleich die Musiker wahrlich keine Glanzleistung ablegen.
Bühne frei für die Pos(t)erboys!
01:00 Uhr, das Aschenputtel ist schon längst Zuhause, aber DOWNFALL OF GAIA fangen (mit nunmehr 40 Minuten Verzögerung) gerade mal an. Offenbar ist keiner der Kapelle eine solche Märchenfigur – bis auf den Drummer. Dessen Oberkleid scheint sich zu Mitternacht ganz Aschenputtel-like in Wohlgefallen aufgelöst zu haben. Spaß beiseite. Die Jungs machen vom ersten Ton an klar, dass sie mit ihrem finster-bösen Schaffen keine Gefangenen nehmen. Zum Laut und Fies gesellt sich viel Show. Nicht nur, dass der Schlagwerker mit seiner partiellen Nacktheit Blicke bündelt – er bringt auch ordentlich Bewegung in sein Spiel… und haut in seinem Enthusiasmus erstmal neben die Tom. Ich muss ein wenig süffisant grinsen, gebe ich zu. Außerdem verabschiedet sich sofort auch eine Gitarrensaite. Deren Verlust wird aber ebenso gekonnt überspielt wie das ‚Vergreifen‘ des Drummers und zeigt, dass solche Lappalien nicht zu merkbaren Unsicherheiten führen. Ja, die Jungs wissen schon, was sie tun und tauchen in viel Nebel, viel Flackern und viel Tamtam ein. Und sie ziehen die Leute mit sich
Episch und flächig wälzen sie durch den Saal und räumen meine Gehörgänge gut auf. Die Gitarren sägen, der Gesang (oder eher das Geschrei) bohrt sich in die Hirnwindungen und sät ganz stilecht Verzweiflung und Wut. Manchmal lassen sie mich auch einfach damit stehen. Entlassen mich in ruhigen, vor allem durch Gitarrenwände getragenen, sphärischen Passagen in die Leere, um dann wieder effektvoll alles niederzumähen.
Ein fulminanter Abschluss, wahrlich!
Ich muss sagen, dass ich allerdings im Laufe der Show des Headliners irgendwann komplett abschalte und den Föhn einfach Föhn sein lasse. Als AEHM dann sein (auch wieder vom Publikum viel-gelobtes) Pausen-DJ-Set mit CIGARETTES AFTER SEX beendet, bin ich glücklich und zufrieden – aber auch sehr, sehr müde. Der Abend ist schon so immer echt lang und die aufgestaute Verspätung im Ablauf gut ihr Übriges. Ich mag die so kontrastreiche und doch zusammenpassende Aufstellung an Bands sehr. Ich habe sie auch in den vergangenen beiden Jahren als absolut gelungen eingeschätzt. Nur fehlte mir dieses Jahr – vermutlich mehr als in den letzten – einfach das Stehvermögen, wirklich alles offen aufnehmen zu können. Ich hatte mit BRIQUEVILLE und LENTO so meine Probleme und auch DOWNFALL OF GAIA rauschten mehr oder weniger an mir vorbei.
Ich hoffe einfach, dass ich den besagten Kapellen zu anderer Gelegenheit besser Gehör – und mehr Verständnis – schenken kann. Genauso hoffe ich auch, beim nächsten Deaf Row Fest wieder fitter unterwegs zu sein. Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon auf die nächste Auflage!
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