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Der akzeptierte Kunstraub

Eine Auseinandersetzung mit Coverbands und akustischem Selbstbetrug

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Kommen wir nun zu etwas völlig anderem …

Eigentlich ist es nicht meine Art, mich über Dinge aufzuregen.

Doch es gibt bestimmte Sachverhalte, bei denen es mich dann doch packt, sich meine Halsschlagadern zu Oberschenkelgröße aufblähen und ich mir vor Wut die Kniescheibe zerkloppen könnte.

Der gute Feelikes hat vor Kurzem einen Artikel über Coversongs im Metalcore geschrieben. Ich möchte mich jedoch nicht auf ein bestimmtes Genre beziehen.
Mir geht es hier viel mehr um die Dreistigkeit, mit der „Bands“ fremdes geistiges Eigentum verwenden um sich selbst eine teils goldene Nase zu verdienen.

Versteht mich nicht falsch: es gibt durchaus Songs, die man covern kann, und es gibt ein paar WENIGE Gründe, die es legitimieren, Stücke anderer Bands nachzuspielen.

Grund 1: zu Übungszwecken

Jeder hat mal klein angefangen. Meine ersten Gehversuche auf der Gitarre bestanden darin, sie auf Drop C zu stimmen und gefühlt jeden SYSTEM OF A DOWN Song nachzuspielen.
Der Unterschied? Ich habe mich damit nie auf eine Bühne gestellt und es den Leuten als Kunst verkauft!

Grund 2: aus Faszination

Es gibt sie, die Songs, die einen so packen, dass man sie für Monate nicht aus dem Gehörgang kriegt. Das Musikerherz schlägt höher und man will dieses eine geile Riff, dieses Tapping Solo, dieses Lick spielen können, komme, was wolle!!! Doch auch dies geschieht eher im stillen Kämmerlein oder maximal im Proberaum, denn dort und nur dort gehören diese Ausflüge in das Material anderer Künstler auch hin!

Grund 3: als Hommage

Nach dem Tod Jeff Hannemans gab es viele Bands, die einen ihrer liebsten SLAYER Songs live spielten, um so die Trauer über den ewigen Abschied vom Gitarristen der Thrashlegenden mit anderen zu teilen. Die einzelnen Bands versuchten dabei, einem ihrer Idole, einer wichtigen Person unserer Szene, einem Künstler ein Denkmal zu setzen. Auch hier ging es nicht darum, Kohle mit fremden Songs zu scheffeln.

Der einzige Song, den man immer und überall covern kann, vielleicht sogar muss, ist „You Suffer“ von NAPALM DEATH 😉

 

Lassen wir diese Gründe nun einmal aus den Augen. Denn was viele Bands offenbar vergessen ist, dass ein Cover nicht bedeutet, den Song 1 zu 1 nachzuspielen! Ein Cover sollte stets eine eigene Interpretation eines anderen Stückes sein, welches in den eigenen Sound eingebettet wird und so ein völlig neues Gewand erhält. Das heißt nicht, dass es genügt, den letzten KATY PERRY Song zu nehmen, die „Lyrics“ zu schreien und einen halbgewalkten Breakdown drüber zu packen!

Es folgt ein Beispiel eines, meiner Meinung nach, guten Covers. Gut deswegen, weil man bei der Kopie sowohl das Original als auch die eigene Note der covernden Band heraushört. Gut auch deshalb, weil sich nicht davor gescheut wird, das Original zu verfremden und so in ein anderes Genre zu übertragen, denn genau das muss geschehen, um den bereits existierenden Song eines anderen Künstlers neu und interessant zu gestalten. Es gibt den Song so wie er ist ja bereits, warum ihn also genauso nochmal spielen?

 

Es gibt Bands die man nicht covern sollte, Songs die man nicht anfassen dürfte!

Nur weil du gern und viel säufst, heißt das nicht, dass du MOTÖRHEAD covern darfst. Deine Stimme mag noch so abgefuckt sein, das macht dich noch lange nicht zu Lemmy! Niemand sollte PINK FLOYD covern, dabei kann man sich nur verheben. Kann sein, dass du der fitteste Gitarrist in der Musikschule deines Dorfs bist, aber du bist deswegen noch lange nicht Gilmour! Ich nehme mir auch keinen Speckstein zur Hand und versuche den David von Michelangelo nachzumeißeln oder kritzle die Venus von Boticelli an meine Zimmerdecke!

 

Das Schlimmste, was mir da vor Kurzem untergekommen ist, war eine Coverversion von „Welcome to the Machine“ vorgetragen von einer russischen Metalcore Band. Jungs… Nein! No! Нет! Нет! Нет!!!

Was für mich jedoch das allerschlimmste darstellt sind „Bands“, die ausschließlich Material fremder Künstler spielen. Wer nicht irgendwann im Laufe der Beschäftigung mit dem eigenen Instrument den unbedingten Drang verspürt selbst etwas zu schreiben, kreativ zu sein und etwas zu schaffen, der hat sich vielleicht das falsche Hobby ausgesucht. Klassisch ausgebildete Orchestermusiker nehm ich da mal raus, da diese zu Handwerkern ausgebildet werden und ich manchmal das Gefühl hab, das solchen Leuten die Kreativität leider systematisch aberzogen wird. Ausnahmen existieren.

Es gibt Musiker, die jeden Tag ihr Herz und ihre Seele in jede einzelne Note, in jede einzelne Silbe, in jeden einzelnen Song stecken und dann einmal im Monat ein Konzert spielen, bei dem sie ihr 4000€ Equipment in ein 500€ Auto laden, 200km zu einem Gig fahren um dann 50€ und vielleicht ne Flasche Pfeffi abzusahnen. Stört es solche Bands? Nein, denn sie tun das was sie tun aus Liebe. Ist es dennoch ungerecht? Natürlich!

Auf der anderen Seite darf die hinterletzte Coverband auf jedem verkackten Stadtfest für Leute spielen, die lediglich unkomplizierte und vornehmlich schlecht gemachte „Klassiker“ der letzten Tausend Jahre zur Hintergrundbeschallung haben wollen. Weil das Klirren der Biergläser ja so unmelodisch ist. Man spielt sich dann hemmungslos und schmerzfrei durch das gesamte MDR 1 Programm und sahnt für 3 Stunden Spielzeit 2000€ ab.

StahlZeit_rgb

 

Als wäre das alles nicht schon schlimm genug gibt es noch Bands, die das Ganze wirklich professionell betreiben. STAHLZEIT zum Beispiel. RAMMSTEIN für Arme. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes! Die Leute, die zu wenig Lust oder Kohle haben, um zu Lindemann und Co. zu gehen, geben halb soviel Geld aus um eine Show zu sehen, die von vorne bis hinten und bis ins letzte Detail hemmungslos kopiert ist! Die absolut nichts Eigenes aufweist! Und danach schwärmen die Besucher vielleicht davon, wie toll die „Musiker“ doch fremdes geistiges Eigentum nachmachen können.

Es steht im Titel und ich werde nicht müde es zu betonen: in den bildenden Künsten nennt man so etwas Kunstraub bzw. -fälschung! Es handelt sich um Kopien, um Betrug, um eine Lüge. Es ist das musikalische Equivalent dazu, beim Inder um die Ecke eine Rolex zu kaufen. Nur sind sich diese Leute, die zu STAHLZEIT und Konsorten gehen, durchaus bewusst, dass sie sich grade selbst verarschen und verarschen lassen.

Ich bin der Meinung, dass die Extremmetalszene zum Glück ein hohes Maß an Loyalität und Kreativität aufweist und versucht, kleine Acts zu unterstützen. Außerdem versuchen viele (nicht alle!) Metalbands ihren eigenen Platz in der Szene zu finden und zwar nicht auf Kosten anderer. Ich habe – zumindest noch – keine CATTLE DECAPITATION oder BEHEMOTH Coverband gesehen. Und ich hoffe inständig, dass das für alle Zeiten so bleibt!

Bild mit freundlicher Genehmigung von Rockfestival Lichteneck

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8 Kommentare

  1. 30. Oktober 2016 bei 2:14 — Antworten

    Danke für Deinen Artikel. Bin selbst Musiker und versuche seit vielen Jahren immer wieder mit meiner Band unsere eigenen Songs unter das Volk zu bringen, was angesichts der vielen Coverbands und auch fehlender Unterstützung von Radiostationen sehr sehr schwer ist. Komme übrigens nicht aus der Metal, sondern der Folkszene. Aber egal, ich kann Deinen Artikel nur voll und ganz unterschreiben. Und noch eine Ergänzung – ganz toll finde ich es, wenn diese Songs auch noch in Halbplaybacks daherkommen und diesen Umstand ein Teil des Publikums gar nicht wahrnimmt! In der Metalszene sicher nicht so häufig als in anderen Musikrichtungen. Gruß aus Wien!

  2. […] Don’t Care About Us“ von MICHAEL JACKSON und beweisen damit zumindest, dass sie meinen Artikel zu dem Thema nicht gelesen haben. Ach Jungs… Das Cover ist so eins, bei dem der Originalsong genommen […]

  3. Max
    30. Mai 2016 bei 10:02 — Antworten

    Dass Coverversionen grundsätzlich verfremdet sein müssen find ich is jetzt nich sooo wichtig. Mal davon abgesehen dass ich covern bei weitem nicht so schlimm finde (im rahmen versteht sich stahlzeit zb. ist absolut dreist) ist es in erster Linie davon abhängig ob gut gecovert wird. Manchmal ist es einfach besser es beim Original zu belassen.^^ Das bezieht sich durchaus nur auf Livecover. Gecoverte aufnahmen find ich persönlich nur angebracht wenn sich das Genre zu 100% ändert als beispiel Hayseed Dixie. Warum sollte auch eine Thrash Band Slayer neu Aufnehmen das macht so ziemlich null Sinn xD. tldr: Livecover find ich völlig ok in jeglicher Form hauptsache es taugt was, Coverbands bäh, Coveraufnahme nur in anderen Genres

  4. 29. Mai 2016 bei 18:19 — Antworten

    Ich stimme meinem Vorredner zu. Lieder zu Covern hat durchaus seine Berechtigung auch außerhalb der im Text genannten Gründe. Eine Band lediglich nur auf Coverversionen zu beschränken finde ich selbst auch nicht so geil. Wenn ich die Wahl zwischen Rammstein und STahlzeit hätte, würde ich selbst immer das Original bevorzugen.
    Es kann durchaus Spaß machen, eine Coverversion zu hören und es macht noch mehr Spaß eine selbst zu spielen, dabei ist es aber ideal, wenn die Version etwas Eigenes bringt und sich nicht auf eine 1:1-Kopie beschränkt. Außerdem ist es doch sowieso spannender, etwas eigenes zu schaffen, bzw. einen eigenen, nicht kopierten Stil zu hören.

    • 29. Mai 2016 bei 19:02 — Antworten

      Die von mir genannten Gründe im Text erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. =)

      Ansonsten von vorn bis hinten: dito!

  5. Manuel
    29. Mai 2016 bei 17:41 — Antworten

    Netter Beitrag! Ich stimme in sofern zu, dass es nicht das erklärte Lebensziel sein sollte, mit anderer Leute Fürzen zu stinken. Auf der anderen Seite bin ich selbst Musiker (Gitarre) in einer Deathmetal-Band und helfe hin und wieder bei anderen lokalen Bands aus. Aber ich mache durchaus auch gelegentlich den ein oder anderen Euro, wenn ich auf Hochzeiten in der Kirche mit einer Freundin auftrete. Nicht weil ich es besonders geil finde mir für 2 Stunden Hemd und vernünftige Schuhe anzuziehen und mich zu rasieren, sondern weil es eine Möglichkeit ist, mit meinem hart erlernten „Handwerk“ die Haushaltskasse aufzustocken. Ehrliche Metaller machen das natürlich nicht, wer will den schon mit seiner Kunst Geld verdienen? Und wenn jemand die schöne bleibende Erinnerung hat, dass er/sie am schönsten Tag ihres/seines Lebens ein Lied gespielt zu bekommen, was für die beiden Glücklichen einen sentimentalen Wert hat, dann mache ich das durchaus gerne.
    Professionelle Tribute-Bands find ich selbst irgendwie zum Kotzen. Auf der anderen Seite habe ich selbst Spaß daran, Power-Metal-Klassiker für besoffenes, mitgröhlendes Publikum zu zocken. Weil es MIR Spaß macht! Nur würde ich mich damit nicht brüsten und meine Karriere darauf beschränken wollen. Genauso wenig, wie ich in Thrash- oder Death-Bands, in denen ich spiele oder gespielt habe , Geld oder Ruhm mit Cover-Songs verdienen will.
    Long story short: Man kann durchaus Musiker sein, der beides macht. Und das ohne böse Absichten. Oder nennt mich „untrve“, mir auch egal 😀

    • 29. Mai 2016 bei 18:01 — Antworten

      Danke für das Feedback! =)

      Auf TRVENESS scheiße ich erstmal. =) Mach, was dir Spaß macht. Ich kann es schon verstehen, dass man aus Gründen des schnöden Mammons Dinge tut, die man vielleicht nicht so geil findet. Mich stört hier vor allem die ungerechte Verteilung: nämlich dass Kreativität weniger wert ist als zu kopieren.
      Ich leg dir mal einen meiner liebsten Filme ans Herz: Why you do this. https://www.youtube.com/watch?v=wJSp-yRMrsY
      Zitat: „As an artist you have to make art but in order to not starve, you have to make money. And a lot of times those two things don’t correlate with each other…“

      • Manuel
        29. Mai 2016 bei 18:38

        Danke für den Link! Hau rein!

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