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Der Punk ist nicht tot, oder doch? – T.S.O.L.

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T.S.O.L. – The Trigger Complex
Veröffentlichungsdatum: 27.01.2017
Dauer: 40:52 Min.
Label: Rise Records
Genre: Southern Art Punk’n’Roll

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr durch eine Liste von Neuerscheinungen geht und euch auf einmal wundert: „Huch, die gibt es noch? Oder gibt es die wieder?“ Genauso ging es meiner Wenigkeit, als ich dieses Prachtstück entdeckte. Eine Band, die seit 1979 aktiv ist, haut ein neues Album raus. Während ich die Rock-Oper hörte, hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: die waren bereits mit Legenden wie BAD RELIGION und THE ADOLESCENTS unterwegs?!? Wer glaubt, die Zeit ging an den hungrigen, wilden Musikern von damals einfach so vorbei, der täuscht sich. Was hier angeboten wird, ist nur zum Teil erfrischend und überrascht jeden, der den Vorgänger „Divided We Stand“ kennt. Wenn ihr wollt, verrate ich es euch gern selbst, was eine Platte, die so weit weg vom Metal spielt, auf eine so traurige Art und Weise interessant macht.

Zum einen sind die Bass-Lines – siehe „Going Steady“ und „Strange World“ – genauso sexy und Tanzbein-freundlich wie noch vor ca. 35 Jahren. Das durchschnittliche Tempo der Lieder wurde trotzdem dem angepasst, was die alten Männer heute wahrscheinlich noch so zustande bringen können. Einzig und allein der Opener „Give Me More“ weckt stärkere Erinnerungen an alte Zeiten. Nicht nur die Instrumente werden heute mit Samthandschuhen angefasst. Denn die Texte wirken nicht nur so, als hätte man irgendwo die Bremse gezogen. Nach dem Album „Divided We Stand“ von 2003 scheint der Rückwärtsgang von T.S.O.L. eingelegt worden zu sein. Leichte Anspielungen finden sich trotzdem auf dem Album. Lieder wie „The Right Side“ und „You’re Still The Same“ lassen nur vermuten, warum der Band einst das Label „Punk“ eingebrannt wurde. So hört sich zum Beispiel „You’re Still The Same“ nach einer lyrischen Anklage an. Diese kann an die anderen Bands gerichtet sein, die ihre politischen Einstellungen nicht fallen gelassen haben, oder schlicht und einfach eine Liebeshymne an die inzwischen alte Frau des Texters. Ihr seht, viele positive und punkige Elemente lassen sich weder im Text noch in der Musik finden.
Textlich wird es nämlich nie wieder so aufmüpfig zugehen wie einst auf ihrem Debüt „T.S.O.L. (Ep)“:

If that’s what they call freedom it’s not for me/President Reagan can shove it! – „Superficial Love“

Eine vergebliche Botox-Spritze

Eine merkwürdige Mischung aus Surf-Rock, einem Hauch von Western-Atmosphäre, Classic-Rock und den Punk-Wurzeln des Quintetts entsteht auf diesem Album. Wer Fan davon ist, entspannenden Riffs zu lauschen, die einen an Orte wie die Wüste oder direkt ans Meer versetzen, sollte aufhorchen. Im Cowboy- oder Surfer-Dasein ist schließlich immer Zeit, sich einfach mal so zu „Strange World“ oder „Nothing Ever Lasts“ treiben zu lassen. Warum jedoch zu Phrasen wie „Lalalala“ auf „Why Can’t We Do It Again“ gegriffen wird, bleibt mir schleierhaft. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wird auf diesem Song nämlich die Atmosphäre gefestigt, die über dem gesamten Album schwebt: alte Männer wären gern wieder jung. Wenn sie es also gerne wieder tun würden, was der Titel ja suggeriert, sollten sie sich vorher vielleicht Gedanken darüber machen, was sie früher so verzapft haben. Vielleicht kann man ja auch ohne das im Text erwähnte Kokain erneut zu alter Stärke finden. Weiterhin solchen Kuschelrock zu schreiben wird sie nämlich nicht jünger aussehen lassen. Versteht mich nicht falsch, aber wenn sie nicht früher für Extreme und Rebellion gestanden hätten, wäre der Stilverrat nicht einmal halb so schlimm. Bands verändern sich nun mal genauso schnell, wie die Geschmäcker ihrer Mitglieder. Nur hätte in diesem Fall eine neue Band auch den Zweck erfüllt. Damit wäre die Diskographie der Gruppe nicht diskreditiert und alle wären glücklich.

Es gibt zahlreiche Bands, die die softe Seite des Punks und Hardcore-Punks aufzeigen. Wenn ich die Möglichkeit habe, zwischen FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES neuem Album „Modern Ruin“, welches vor ungefähr zwei Wochen erschien, und diesem laschen Versuch, eine Botox-Spritze in die Musik von T.S.O.L. zu rammen, zu entscheiden, dann dürft ihr drei Mal raten, was das Ergebnis ist. Die Gruppe um den tätowierten Daddy Frank Carter hat nämlich noch Biss. Dazu gehören lyrische Inhalte und eine Rhetorik, die den eingestaubten Rockern weit voraus sind. An dieser Stelle möchte ich an den Verstand und die Erfahrung der betagten Männer appellieren, sich entweder zurückzuziehen oder den weichgespülten Pseudo-Rock unter einem anderen Namen zu verkaufen. Ansonsten werden sie weiterhin eine Enttäuschung nach der anderen liefern, die von den Fans geliebt [?] wird.

 

Bilder mit freundlicher Genehmigung von T.S.O.L. und T.S.O.L.

Autorenbewertung

3
Auch wenn es viel gezügelter und uninteressanter zugeht als auf den früheren Ergüssen, kann man dem Album als eigenständiges Werk einiges abgewinnen. Jedoch klingt es zu oft wie eine Horde alter Männer, die nur noch Musik machen, um mit Céline Dion im Bett zu landen. Schlechter, geschmackloser Kuschelrock für Punker wird hier salonfähig gemacht.
ø 0 / 5 bei 0 Benutzerbewertungen
3 / 10 Punkten

Vorteile

+ exzellente Produktion
+ der gleiche mitreißende Bass-Ton wie "damals"

Nachteile

- größtenteils zu lasch
- die Platte verliert schnell an Momentum, sobald das erste Drittel vorbei ist
- zu T.S.O.L. sollte man nicht so einfach einschlafen dürfen
- "alte Männer erinnern sich an ihr einst so aufregendes Leben" wäre ein passenderer Titel

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