Die Ein-Song-Geschichte aus dem Land der Wikinger

INSOMNIUM – Winter’s Gate
Veröffentlichungsdatum: 23.09.2016
Dauer: 40:00 Min.
Label: Century Media Records

Zugegebenermaßen kommt es mir so vor, als wollen immer weniger von den größeren Bands wirklich krasse Experimente wagen. SABATON singen immer noch über Kriege, EQUILIBRIUM werden zwar düsterer, aber das war’s schon mit der Veränderung. Und SLAYER? Die spielen seit den 80ern doch nix anderes mehr. Aufgrund dessen war ich umso interessierter, als INSOMNIUM ihr neues Werk „Winter’s Gate“ ankündigten. Wieso? Das ganze Projekt soll ein einziger Song von 40 Minuten Länge werden und dann noch eine nordische Geschichte erzählen. Das ist ein ziemlich krasser Gegensatz zu den restlichen Alben, wenn man bedenkt, dass sich diese eher um das Thema „Emotionalität“ drehen. Kann das überhaupt was taugen? Ich kann vorher schon einmal sagen: Ja!

Widmen wir uns zunächst einmal der Geschichte, welche aus der Feder von Frontmann Niilo Sevänen stammt. Diese handelt von einer Gruppe Wikinger, die sich auf die Suche nach einer sagenumwobenen Insel in der Nähe von Irland begeben. Der Clou an der Sache: der Winter naht.

Wer hier an AMON AMARTH, oder die Serie „Game of Thrones“ denkt, der liegt nicht ganz falsch. Man merkt definitiv, dass sich die Finnen von den Wikinger-Metallern und George R. R. Martins Fantasy-Epos inspiriert haben lassen.

Doch anstatt in die doch vergleichsweise frohe Richtung von AMON AMARTH zu gehen, bleiben INSOMNIUM sich und ihrem Stil treu, was bedeutet, dass „Winter’s Gate“ kein Märchen à la Gebrüder Grimm ist. Es lässt den Hörer die Verzweiflung, Angst, aber auch die Hoffnung der Protagonisten Asbjörn, Sigurd und Sine spüren. So wirkt die Platte fast schon traditionell. Das klingt nun recht langweilig und das wäre es wahrscheinlich auch, wären die Melancholiker nicht so verdammt gut darin, die Gefühle rüberzubringen und das Album nicht so verdammt fesselnd.

Schuld daran ist jedoch nicht nur die Fähigkeit der Band, Gefühle zu erzeugen. Es ist die Vielfalt und der Abwechslungsreichtum der Stile, die sich in diesem einen Song finden lassen. Zwar wirkt der Song als Ganzes recht sperrig – der eine oder andere wird vermutlich die Länge für ein komplettes Durchhören abschreckend finden – doch könnte man diesen ganz leicht zerstückeln, indem man ca. alle fünf bis sieben Minuten einen Schnitt macht, da eine klare Dramaturgie erkennbar ist. Beginnend mit dem Black-Metalesken Prelude, legen die Finnen ein starkes Intro hin, welches in eine ruhige, verträumte Phase mündet, nur um wieder mit progressiven Elementen durchzustarten. Diesen Wechsel kann man das ganze Album hindurch beobachten. Das ist zwar etwas vorhersehbar, passt aber gut in das Konzept und ist allemal besser als eine reine Blastbeat-Orgie.

Den Höhepunkt bildet für mich das Klavierstück im letzten Drittel. Dieses trieft geradezu vor Trauer, aber auch Hoffnung, nur um auf das grandiose, fast schon überschlagene Finale überzuleiten. Eine Odyssee nimmt hier ihr Ende. Man bekommt das Gefühl eines Happy Ends (anders als im „Lied von Eis und Feuer“), ähnlich der letzten Szene im dritten „Herr der Ringe“-Film. Daraufhin endet „Winter’s Gate“ wie es begonnen hat: Mit dem Rauschen des Windes wird der Hörer wieder in die Realität entlassen.

Albumtrailer mit Hintergrundinfos und einigen Ausschnitten könnt ihr hier anschauen:

Zugegebenermaßen ist die neue INSOMNIUM-Platte ein ziemlicher Brocken. Es ist ein einzelner Song von einer guten Dreiviertelstunde, es ist langatmig und bringt weniger Neuerungen mit, als man erwartet hätte. Wieso ist es dann trotzdem für mich ein sehr gutes Album? Ganz einfach. Die Melancholiker schaffen es auch nach dem zehnten Durchhören, mich an die Geschichte zu fesseln, mich in den Bann dieser düsteren Welt zu ziehen – mich mitfiebern zu lassen. Wenn einen so etwas interessiert, gibt es von mir eine eindeutige Kaufempfehlung.

P.S.: Für Fans der physischen Kopien wird auch etwas mehr geboten, als ein bloßes Jewelcase, Digipack oder eine Vinyl: In der Limited Edition bekommt ihr neben dem Album die ganze Geschichte in Prosa auf Finnisch, Deutsch und Englisch, sowie das zugehörige Hörspiel.

 

Gastautor Sascha F.

Autorenbewertung

6
„Winter’s Gate“ ist ein sperriges One-Track-Album. Es ist langatmig und fast schon zu traditionell, doch schaffen INSOMNIUM es sehr gut, den Hörer in ihre Welt zu ziehen.
ø 4.4 / 5 bei 1 Benutzerbewertungen
6 / 10 Punkten

Vorteile

+ spannendes Konzept ...
+ sehr dichte Atmosphäre
+ gute, abwechslungsreiche Mischung aus ruhigeren und schnelleren Passagen
+ sehr schönes Artbook (nur Limited Edition!)

Nachteile

- ... welches in der Umsetzung fast schon zu traditionell ist
- recht langatmig
- Länge des einen Songs kann abschreckend wirken

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