DOOM OVER LEIPZIG 2018 Tag 4 – DOOM FÜR ALLE SINNE
Es ist Samstag, es ist morgens um 12 Uhr und es ist Zeit für Frühsport! Wie schon Konfuzius sagte, steckt ein doomiger Geist nur in einem doomigen Körper…oder so. Auf was will ich eigentlich hinaus? Dass beim DOOM OVER LEIPZIG gerne mal über den Tellerrand hinaus geblickt wird, ist nicht neu. Die Formen, die das in diesem Jahr angenommen hat, zum Teil schon. Und so findet sowohl am Freitag (an dem ichs leider nicht schaffe) und am Samstag Doom Yoga statt!
Klingt vermutlich ziemlich durchgedreht. Ist es aber nicht im Mindesten!
Sonja, deren Haupttätigkeitsfeld im tätowieren für Punktum liegt, hat einfach zwei ihrer Leidenschaften kombiniert. Kundalini Yoga und Doom Metal. Und so trifft sich eine kleine Gruppe in der Sportetage Süd, um sich auf ein besonderes Erlebnis einzulassen.
Kurz vor 12 Uhr trete auch ich ein, ziehe mir was Bequemes an, und vernehme, wie BOHREN UND DER CLUB OF GORE angenehm laut aus den Boxen wabbern. Hier bin ich richtig!
In den kommenden anderthalb Stunden dehnen und strecken wir unsere Körper und führen intensive, aber nicht zu anstrengende Übungen zu Songs von LLNN, OM, PALLBEARER und AMENRA durch. Kurz vor Ende sorgt Sonja noch für ausreichend Entspannung, indem sich alle auf ihre Matten legen können und nur noch dem Gong lauschen, den sie langsam anschlägt. Hab ich so noch nie gemacht, ist aber wirklich ne geile Geschichte! Wer sich also auf sowas einlassen kann, dem möchte ich es ausdrücklich ans Herz legen. Der Versuch, Atmung, Musik und Körper in Einklang zu bringen ist wirklich ein interessanter und lohnender. Also liebes DOL-Team, liebe Sonja: nächstes Jahr sehr gern wieder!
Jetzt, wo ich einmal da bin, und noch einige Stunden bis zur ersten Band vergehen müssen, habe ich auch endlich Zeit, mir The Bridge (Überblick aller Künstler) anzusehen. Hier sind Bilder, Drucke, Skulpturen und zahlreiche andere Kuriositäten ausgestellt. Wer Bock hat, kann veganen Toffeelikör probieren, einen Wald in nem Glas kaufen, oder sich direkt vor Ort tätowieren lassen. Auch wenn ich nichts davon mache, find ich die Ausstellung, bzw. den Markt an sich, extrem geil. Klar kann man auch auf anderen Festivals mehr oder weniger künstlerisch anspruchsvolle oder nützliche Dinge kaufen. Aber das DOOM OVER LEIPZIG hat bis in die letzte Faser einfach seine ganz eigenen Vorstellungen und Ansprüche.
Spulen wir ein paar Stunden vor und richten den Blick wieder ins UT:
YELLOW EYES betreten die Bühne. Das Quartett aus New York liefert zum Anfang spannenden Black Metal, den ich alles andere als gewöhnlich finde. Vor noch relativ lichten Reihen, die sich erst langsam füllen sollen, hämmern die Amis ihre Songs zwar ziemlich rau, dafür jedoch nicht immer sonderlich tight runter. Auch wenn das so nicht jedem gefällt, heben sich YELLOW EYES auch am vierten Tag noch von den anderen Bands ab und überzeugen nicht nur mich.
Wieder einmal wird dem Kontrastreichtum und der Dynamik gefröhnt, denn die folgenden WREKMEISTER HARMONIES haben mit Black Metal jar nüscht am Hut. Die beiden Kernmitglieder JR Robinson (Gitarre, Gesang) und Esther Shaw (Violine, Klavier) werden heute zusätzlich von einem Schlagzeuger unterstützt, während auch bei dieser Show bewegte Bilder an die Hallenwand projiziert werden. Den Sound des Trios zu beschreiben ist alles andere als leicht, denn einerseits bleibt die Musik deutlich weniger aggressiv, als der Black Metal von YELLOW EYES, andererseits sind die Ausbrüche dadurch umso intensiver. Recht getragen und atmosphärisch wirken die Stücke auf mich, der tiefe Gesang von JR und die Violine erschaffen zusammen eine ganz eigene Stimmung, die mich hypnotisch fesselt. Auch wenn der musikalische Hintergrund ein gänzlich anderer ist, so muss ich doch an den Auftritt von ORANSSI PAZUZU aus dem Vorjahr denken, die mich vergleichbar packen konnten. Zwar sind die Klangflächen mitunter repetitiv, dabei aber alles andere als langweilig, da sich nach und nach immer mehr Facetten in den Sound einfügen, stets dirigiert von nur wenigen Blicken oder Kopfbewegungen JRs, der schließlich alles mit seiner eindringlichen Stimme zu veredeln weiß. Die bislang tranceartigste Show des Festivals.
Und wieder mal gibt es eine dieser Überraschungen für mich, die ich so mag. Von KHEMMIS hab ich im Vorfeld noch nie was gehört. Trotzdem schafft es die Band, mit ihrer Mischung aus Doom und zweistimmigen IRON MAIDEN-Gitarren bestens zu unterhalten. Der Sound (dieser Bass!) drückt wunderbar erdig und die Band selbst sprudelt nur so über vor Spielfreude. Auch wenn cleaner Gesang sonst immer so ne Sache für sich ist, gefällt er mir hier ausgesprochen gut. Der Groove packt zu und der Kopf muss nicken. Während ich einige Schritte durch den Saal gehe, fällt mir auf, dass es brechend voll im UT ist. Sind KHEMMIS etwa der heimliche Headliner des Abends? Nach einer dreiviertel Stunde Spielzeit bedankt sich die Band aus Denver, Colorado beim Publikum dafür, dass sie auf ihrer ersten Europa Tour so herzlich empfangen wurde. Von mir aus jederzeit wieder, Jungs!
Zwar hab ich CELESTE schon ein paar Mal live gesehen, meine Vorfreude trübt das dennoch nicht. Wie gewohnt wird es nach dem Soundcheck stockdüster und jedes Licht wird gedimmt. Einzig die von den Kopflampen der Franzosen stammenden vier roten Strahlen wandern gespenstisch durch die Luft und stimmen auf die Finsternis ein, die gleich empor steigen soll. Mit wahnsinnig gutem Sound ausgestattet, walzt sich Song um Song über das geifernde Publikum hinweg, welches sich dankbar überrollen lässt. Zwar kann ich schon auf Platte aufgrund meiner nicht vorhandenen Französich-Kenntnisse kaum einen Songtitel vom anderen trennen, trotzdem liegt der Fokus heute merklich auf neueren Songs. Lediglich zu einem Punkt konterkariert sich die Band quasi selbst, als Schlagzeuger Royer den falschen Song anspielt und die Jungs somit nochmal von vorn anfangen müssen. Sänger Johan richtet mit seiner nettesten Schwiegersohnstimme ein kurzes, schüchternes „Sorry“ ans Auditorium, bevor er sich zum nächsten Song wieder die Stimmbänder zerfleischt. Passt zwar nicht zur Schwärze der Songs, punktet aber mit Sympathie. Die Stunde Spielzeit verfliegt unglaublich schnell und macht CELESTE für mich somit zur kurzweiligsten Band des Festivals.
Und schon ist es Zeit für die letzte Show des diesjährigen DOOM OVER LEIPZIG
THE OCEAN treten an, um ihr Album „Precambrian (Proterozoic)“ in Gänze zu spielen. Dass das gute Stück bereits 11 Jahre auf dem Buckel hat, merkt man zu keiner Sekunde. Heute zusätzlich von der Cellistin Dalai Theofilopoulou unterstützt, gibt das Quintett um Robin Staps bis zur letzten Sekunde alles. Besonders Scheihals Loïc Rossetti stürmt agil über die Bühne, wobei er sich nicht mal von seinem offenbar gebrochenen Arm einschränken lässt. Bei glasklarem Sound werden die Songs albumverdächtig wiedergegeben und das, obwohl außer Staps kein Mitglied des aktuellen Line Ups beim damaligen Schreibprozess bzw. Einspiel beteiligt war. Dennoch macht Loïc die Songs zu seiner Bitch und überzeugt mit seiner Stimmleistung von Anfang bis Ende. Für mich bestimmt dieser Mann die Musik von THE OCEAN (zumindest live) wie kein Zweiter, hält sich Strippenzieher und Chefdenker Staps doch etwas im Hintergrund auf.
Nachdem der „Proterozoic“-Teil des Sets endet, werden zu meiner Freude noch „Firmament“ von „Heliocentric“ sowie ein Stück der 2012er EP „The Grand Inquisitor“ gespielt, wobei ich nochmal betonen muss, was für eine Wonne es ist, Drummer Paul Seidel (ebenfalls NIGHTMARER) beim zocken zuzusehen. Insgesamt gibt es bei dieser Band einfach nix zu meckern, weswegen ihr Set auch einen würdigen Abschluss der diesjährigen Ausführung des DOOM OVER LEIPZIG bietet.
Zumindest im Hauptveranstaltungsort …
Denn auch heute kann man sich im Werk 2 noch zur Aftershow begeben, wo es mit UNIFORM und WRECK AND REFERENCE noch bis halb drei weitergeht.
Die New Yorker von UNIFORM treten zuerst an und bieten räudigen und industriell stampfenden Hardcore, der pur, stumpf und alles andere als glatt poliert ist. Starkes Kontrastprogramm zu THE OCEAN also. Langsam aber sicher sammeln sich immer mehr Leute vor der Bühne, die den angepissten Sound des aus Drums, Gitarre und Vocals bestehenden Trios zunehmend feiern.
Auch wenn die Bühne schon für drei Personen recht groß scheint, wird sie danach gefühlt noch größer, da WRECK AND REFERENCE nur zu zweit sind. Als da wären Ignat Frege, der für die Drums und einen Teil des Gesangs zuständig ist, und Felix Skinner, der den größeren Gesangsteil übernimmt und anstelle eines Instruments eurer Wahl ein Sample Pad umgeschnallt hat, dessen Tasten rot glühen. Ein Bild für sich.
Gemeinsam erschafft das Duo einen Mahlstrom aus Black Metal, Drone, Noise, Elektro, Industrial und Synthwave, der mir direkt unter die Haut geht. Kannte ich im Vorfeld nur das hervorragende Album „Youth„, so können mich die restlichen Songs heute morgen vom Fleck weg überzeugen, auch wenn sie jeden glücklichen Gedanken zu verschlingen drohen. Kurz vor drei und nach einem extrem kurzweiligen Set entlässt mich das DOOM OVER LEIPZIG 2018 schließlich aus seinen Fängen hinein in die milde sächsische Nacht.
Mein Fazit
Und schon ist es wieder vorbei, das vielleicht speziellste Festival Leipzigs. Wieder einmal wurde ich von einigen Bands und Gimmicks überrascht und überzeugt (BELL WITCH, KHEMMIS, DOOM YOGA!) die ich so wohl bei kaum einem anderen Festival jemals geboten bekommen würde. Trotz kritischer Stimmen, dass das diesjährige Line Up deutlich schwächer gewesen sei, als in den Vorjahren, muss ich sagen, dass ich diesen Eindruck nur bedingt bestätigen kann. Leer waren die Reihen vor der Bühne zu keinem Zeitpunkt und auch von offensivem Desinteresse fehlte jede Spur. Sicherlich gefällt nicht jedem jede Band gleich gut, aber dennoch hat man es auf dem DOOM OVER LEIPZIG mit einer Auswahl an Künstlern zu tun, die man in dieser Zusammenstellung auf keinem anderen deutschen Festival und in einer vergleichbaren Umgebung findet.
Alles in allem ist das DOL seinem Ruf auch in diesem Jahr wieder gerecht geworden und stellt schon jetzt für mich eines der Highlights des laufenden Jahres und in der nächsten Ausführung einen der Pflichttermine des zukünftigen dar.
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