Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über
Drei Wahnsinnige aus Hannover – The Hirsch Effekt
THE HIRSCH EFFEKT – Eskapist
Veröffentlichungsdatum: 18.08.2017
Dauer: 61 Min.
Label: Long Branch Records
Stil: emotionale Taschenrechner-Akrobatik
Des Wahnsinns fette Beute
„Jaaaaaaaa!“, ertönt der erste Schrei, ergänzt von einem „Düdüdudeladüdü“ der Gitarre, das selbst erfahrenen Klampfern den Angstschweiß aus den Poren schießen lässt. Was? Ja. Genau so. Wir reden hier von THE HIRSCH EFFEKT, da liegt ein gewisser Wahnsinn nah. Nachdem die „Holon“-Trilogie mit dem enormen „Holon: Agnosie“ ihr Ende gefunden hat, haben Fans der Hirsche mit Spannung verfolgt, wie groß der Sprung auf das neue Album „Eskapist“ ausfällt. Das Trio aus Hannover hat sich stilistisch immerhin nie so richtig festgelegt, auch wenn sich mit den hymnischen Refrains, wahnwitzigen Taktarten und orchestralen Elementen einige Trademarks gefestigt haben. Alles verworfen, oder wird nahtlos an das letzte Werk angeknüpft?
Das einleitend beschriebene „Lifnej“ fällt stilistisch nicht aus der Rolle und funktioniert somit gut als Opener des Albums. „Xenophotopia“ ordnet dann die bekannten Zutaten spürbar um, ohne gänzlich mit dem Bekannten zu brechen. Vor allem charakterisiert sich das Lied durch den zurückgenommenen Mittelteil, während der Rest gleichermaßen typisch und untypisch für THE HIRSCH EFFEKT ist. Da wäre etwa ein fast schon rockiges Solo, welches sich perfekt einfügt, an sich aber ein kleines Novum im Klangkosmos der Hirsche ist. Auf zwei lange Lieder folgt natürlich ein noch längeres, fast zehn Minuten tollt „Natans“ durch die Ohrmuscheln. Erst sphärisch und weniger hart, baut sich der Track nach und nach auf und nimmt mit auf eine Reise. Der Fokus auf längere Stücke gleich zu Beginn funktioniert besser als erwartet.
Muss man hören
Ebenso wird in „Natans“ erstmals ein Wechsel auf der textlichen Ebene spürbar. Tendenziell zeigen THE HIRSCH EFFEKT auf „Eskapist“ gerne mit dem Finger auf die Gesellschaft, das eher persönliche Element der Vorgänger wird zurückgefahren. Der abgeänderte Duktus erfrischt, zumal die nötige Eleganz gewahrt wird. Wo Gesellschaftskritik andernorts in vollendeter Stumpfheit ins Liedgut eingeflochten wird, regt sie auf „Eskapist“ eher an. Kontrastprogramm wird dann in „Aldebaran“ aufgefahren, welches das ganze Reichsbürgertum auf die Schippe nimmt. Musikalisch sticht das Stück als fast schon straighter Hassbolzen samt tiefer Growls hervor, textlich suhlen sich die Hirsche dagegen im Gesabbel der Alu-Hut-Fraktion. „Ich bin ein freier Mensch aus freier Energie“, heißt es da. Muss man wissen, muss man hören! „Mach‘ mir die Welt, wie sie mir nicht gefällt“ und „Ich weiß was, was ich nicht seh‘. Ich glaub‘ nur, was ich auch seh'“ – ein Volltreffer jagt den nächsten!
Die emotionale Breitseite wird anschließend in „Inukshuk“ losgelassen. Der Sprung könnte kaum größer sein, doch der Fluss bleibt absolut intakt. So funktioniert ein Album richtig! Ungeachtet der weitläufigen Spielwiese, die sich THE HIRSCH EFFEKT da ausgesucht haben, bleibt das Gesamtbild zu jedem Augenblick sichtbar. Dass das fast viertelstündige „Lysios“ kurz vor Schluss noch einmal die Grenzen ausweitet, ist geschenkt. Schade ist lediglich, dass die Refrains nicht ganz so griffig ausfallen wie auf dem Vorgänger. Positive Ausnahme ist hierbei das knackige „Berceuse“, welches ohne Umwege in die Hörmuschel geht. Bei derart anspruchsvoller Musik einen Ohrwurm dieses Kalibers zu schaffen, ist eine Leistung! „Eskapist“ braucht ein paar Durchläufe, hebt die Hirsche aber eindeutig auf ein neues Level – eines, von dem die meisten Artgenossen nur träumen können.
THE HIRSCH EFFEKT auf Facebook.
Autorenbewertung
Vorteile
+ wenn man genau hinhört, explodiert der eigene Kopf
+ funktioniert als geschlossenes Album tadellos
+ sehr viel Abwechslung
+ teils köstlich sarkastisch
+ Hirsche sind sehr edle Tiere und haben meist ein schönes Geweih
Nachteile
Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über