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Du, ich kenn‘ da wen, der kann das produzieren
Der Branche ging es schon besser und Bands gibt es derzeit wohl auch zu viele – so zumindest eine verbreitete Ansicht, die nicht aus der Luft gegriffen ist. Ein Buhmann des derzeitigen Ist-Zustands sind Heimstudios. Hey, die Idee ist cool: Heute gibt es kaum mehr Hürden, um sich mit der Produktion von Musik zu beschäftigen. Wo früher sündhaft teures Equipment nötig war, um auch nur die ersten Schritte zu wagen, läuft das heute über die richtige Software viel entspannter ab. So ziemlich jede Band hat in ihrem Umkreis jemanden, der für ein paar Euro eine einigermaßen ordentliche Produktion anbietet. Uneinigkeit herrscht derzeit darüber, ob das denn Branche und Kunst wirklich guttut. In erster Linie geht es mir in diesem Text darum, die Vorteile dieser Entwicklung zu beleuchten und somit zu hinterfragen, ob eine Hexenjagd – wie ich sie zumindest in Ansätzen beobachtet habe – wirklich angebracht ist. Fangen wir einmal bei einer Aussage an, wie ich sie online nun schon von mehreren Bekannten lesen durfte:
„Früher hat sich mit dem Studio die Spreu vom Weizen getrennt, heute hat jeder Depp ein eigenes Album – der Markt ist überschwemmt mit Plastik-Produktionen und die guten Bands verschwinden kaum sichtbar in der Masse.“
Klar, falsch ist das nicht unbedingt. Über die Zustände von früher kann ich nur aus zweiter Hand berichten, aber die Schnittmenge der Erzählungen sieht so aus: Große Vision + handwerkliches Können + ausgereifte Songs = Labeldeal samt Finanzspritze für ein gutes Studio. Bands wie HELLOWEEN sind damals quasi explodiert und haben im Nu die Bühnen der Welt unsicher gemacht. Heute fließen hierbei viele andere Faktoren ein, weil gefühlt jede noch so grottige Band eine ordentliche Produktion hinbekommt und damit hausieren geht. Wäre es also besser, wenn Bands länger im Proberaum verweilen würden, statt gleich die ersten Ideen beim Kumpel daheim einzuspielen?
Jein. Qualitativ täte es so mancher Kapelle gut, die ersten Gehversuche zu verwerfen und sich ein paar Songwriting-Iterationen zu gönnen, bevor eine Veröffentlichung angepeilt wird. Auch haben Heimstudios solche Dinge wie lieblose Drumcomputer (auch die Dinger können akzeptabel klingen, steinigt mich!) und Plastik-Sounds teils schon salonfähig gemacht. Allerdings sollten auch hier ein paar Faktoren berücksichtigt werden, bevor die Fackeln und Mistgabeln zum Einsatz kommen.
Erster Punkt wäre die Diversität: Neue Ansätze haben es manchmal schwer. Kompliziert wird es, wenn man aus eigener Kraft eine Aufnahme im großen Studio nicht gestemmt bekommt. Nicht jede Band hat eine dicke Geldbörse, und um sich dann doch etwas Terrain zu erschließen ist ein Album nicht verkehrt – wirkt langfristiger als eine olle Liveshow. Wenn jemand was Neues, aber anfangs Unzugängliches macht, braucht das Zeit, um beim Hörer zu reifen. Eine Aufnahme beschleunigt da vieles! Play safe ist mittlerweile auch nicht mehr so stark als Konzept ausgeprägt, weil ein Versuch bei Kumpels Studio ja viel weniger kostet. Somit schrumpft die Hemmschwelle, auch einmal über den Tellerrand zu blicken und ohne größere Risiken erste Gehversuche zu unternehmen. Natürlich widerspricht das irgendwo dem romantischen Gedanken, dass gute Kunst immer einen Weg findet, und ein möglichst perfektes Resultat jeden Preis rechtfertigt, aber realistisch ist das leider nicht.
Außerdem: Kennt noch jemand diese richtig miesen Garagendemos, die aus Sympathie gekauft werden, wo man aber absolut nichts raushört? Wieder der Punkt von vorhin: Nicht jeder will oder kann gleich eine super Produktion stemmen. Selbstreflexion hilft auch manchmal! „Wir sind noch nicht gut genug für sowas“ ist eine legitime Aussage, aber trotzdem tut Feedback einer jeden Band gut. Durch eine kostengünstige Aufnahme bei Kollegen in der Schlafstube wird ein einigermaßen vorzeigbares Produkt gezimmert, bei dem wenigstens die Ideen klar erkennbar sind. Dann die üblichen Medien anhauen und Kritik einfahren – Gerüchte besagen, eine Band könne durch Berücksichtigung ebendieser wachsen. Manchmal sieht man als schaffender Künstler halt den Wald vor lauter Bäumen nicht, und da kann eine unabhängige, fundierte Meinung ein wahrer Augenöffner sein. Familie und Freunde sind darüber hinaus froh, denn endlich klingt die aus Sympathie erworbene CD nicht mehr nach Rasenmäher. Oder anders gesagt: Die Qualität etlicher Demos ist heute viel höher als vor dem Sprießen all dieser Heimstudios. Und der Reichweite einer Band tut es auch gut dank medialem Feedback, sofern es denn adäquat verarbeitet wird. Ja, klar, Spreu und Weizen gibt es auch heute noch, aber ewig im Proberaum zu versauern und ohne wirkliches Feedback zu arbeiten, stinkt.
Nächster Punkt: Wo kommen eigentlich die Produzenten von morgen her? Auch das will gelernt sein, und auch das läuft mit Feedback deutlich einfacher ab. Ist es nicht viel schöner, ein Produkt mit all seinen Fehlern und Stärken vorzeigen und durch professionelle Kritiken daran wachsen zu können? Den angehenden Produzenten geht es da wohl nicht anders als den Bands. Auch die müssen irgendwo anfangen und auch bei der besten Ausbildung und dem besten Equipment geht das nicht aus dem Stehgreif heraus. Die Branche orientiert sich neu und wo das ganze Equipment früher eine halbwegs stabile Investition gewesen ist, gilt das heute nicht mehr in der Form. Den Zulauf im eigenen Studio muss man sich eben erst dadurch erarbeiten, dass man weiter unten anfängt.
Klar gibt es auch Probleme: In erster Linie tragen die zahllosen Heimstudios nämlich dazu bei, dass es noch mehr Veröffentlichungen, Bands und Projekte gibt, sodass das Verhältnis von Angebot und Nachfrage weiter kippt. Nun versäumen es manche Bands auch, das Sprungbrett „Heimstudio“ rechtzeitig zu verlassen und sich mit fortschreitender Erfahrung an einen Profi zu wenden, andere tun es aus Bequemlichkeit nicht. Das Resultat ist bei den meisten Heimproduktionen vom Nachbarsjungen ja auch einigermaßen in Ordnung, dazu kostet es nicht viel, und es ist weniger anstrengend – die Versuchung ist da. Aber Hand aufs Herz: Einen Profi kann man nicht ersetzen. Für den Konsumenten sollten letzten Endes aber die positiven Effekte überwiegen, denn auch wenn die Suche nach richtig guter Musik immer mehr Zeit in Anspruch nimmt, hat das Mittelfeld nicht zuletzt dank Heimstudios einen mächtigen Schritt nach vorne gemacht.
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