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Du musst dich entscheiden! – Wave-Gotik-Treffen 2017

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Have you ever been to Leipzig? – Na, aber klaru! Ich kann doch nicht immer nur zu Hause abgammeln! Aber das Pfingstwochenende habe ich dort noch nie verbracht. Pfingstmaien austragen und Dreckschweinfest wie aufm Dorf gibt es da nicht. Stattdessen: zahlreiche Konzerte, etliche Kleider und Kostüme und ’ne Menge Schwarz. Wie schon viele Jahre zuvor findet auch dieses Jahr DAS Festival der schwarzen Szene in der sächsischen Metropole statt. Und so heißt es Freitag, den 2. Juni, auch für uns zum ersten Mal: So geleiten uns die Rösser nach Leipzig! Das WAVE-GOTIK-TREFFEN 2017 ruft. Frau eingepackt, und hüja!

TAG 1 – Freitag

Dort angekommen, tingeln wir erstmal zur Wochenend-Unterkunft. Sachen abschmeißen und los! …haste gedacht. Die eigentlichen Bewohner unserer Wochenend-Wohnung sowie die des gesamten Mehrfamilienhauses sind sehr herzlich, und so gibt es vor der Straßenbahnfahrt zur Agra, dem Hotspot des WGT, erstmal noch fett Käsekuchen und Käffchen. Mmmmhhh…

Jetzt ist aber Schluss mit bummeln. Ich bin schließlich mit El Zecho gegen 18:00 Uhr an der Agra verabredet, wo wir unser Bändchen in Empfang nehmen müssen, also Beine in die Hand und ab zur Straßenbahnhaltestelle. Wenn deine Nase eigentlich nur noch den erdigen Geruch von Patchouli wahrnimmt, weißt du, dass du scheinbar nicht ganz falsch bist.

Während wir also auf die Bahn warten, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Ich weiß gar nicht so recht, wo ich zuerst hinschauen soll. Haufenweise besondere Outfits, die ich in der Art noch nie zuvor gesehen habe: ein Kerl mit einem Korsett, der darin eine schmalere Taille hat, als so manches abgemagerte Topmodel auf Pro 7, oder ein Mädel mit einem mechanischen Sonnensystem als Kopfschmuck, bei dem sich die Planeten bewegen können. Mein lieber Mann! Schnell wird klar, Jogginghose und Adiletten wären definitiv fehl am Platz, hier steckt richtig Mühe und Arbeit hinter den Kostümen. Es gilt, sich schick zu machen!

Nachdem mir der Reifrock einer Dame ins Gesicht gesprungen ist wie die Springschlangen aus einer gefakten Erdnussdose, kommen wir ins Gespräch.

Ab in die Bahn in Richtung Agra-Gelände. Voll ist es, schwarz, lustig UND (zum Glück) klimatisiert. Nachdem mir der Reifrock einer Dame ins Gesicht gesprungen ist wie die Springschlangen aus einer gefaketen Erdnussdose, kommen wir ins Gespräch. Ich weiß nun, dass wir in der richtigen Bahn sind, und sogar, wo wir aussteigen müssen. Doch bevor wir aus der Bahn hüpfen, ertönt noch eine Durchsage vom Straßenbahnführer: „Ich verabschiede mich schon mal von euch. Viel Spaß euch allen, ein schönes Pfingstwochenende, tanzt viel, trinkt viel, schön, dass ihr da seid!“ Das kommt an, Applaus in der gesamten Bahn. Nun denn: Hinaus mit den schwarzen Horden, die allesamt zur Agra strömen.

SAFTIGE GETRÄNKEPREISE, VIKTORIANISCHES PICKNICK

El Zecho ist noch nicht da, also stelle ich mich, zusammen mit meiner Liebsten, schon mal an, kämpfe mich durchs Gelände bis hin zum Presse-Haus und hole unsere Pässe. Und während wir auf El warten, haben wir genug Zeit, erstmal den Overload an Eindrücken zu verarbeiten und uns einen Überblick zu verschaffen. Das geht am besten bei einem kühlen Getränk vor dem Eingang des Agra-Geländes. Der Inhalt des Bechers muss jedoch genossen werden, denn mal abgesehen vom Bier-Preis, der für ein Festival recht normal erscheint, sind alle anderen Getränke für meinen Geschmack recht teuer. Aber gut.

Hier sitzen jedes Jahr ca. 5.000 schwarze Besucher …

El Zecho trifft ein. Der arme Junge ist noch völlig geplättet, denn er und seine bessere Hälfte kommen direkt vom Viktorianischen Picknick aus dem Clara-Zetkin-Park. Hier sitzen jedes Jahr ca. 5.000 schwarze Besucher, teils in außergewöhnlich schicker Gewandung, in gemütlich-romantischer Atmosphäre beisammen und genießen die WGT-Eröffnung bei einem Sekt, oder zwei.

Nun denn, schauen wir mal aufs Agra-Gelände, denn so langsam knurren auch unsere Mägen. Die zahlreichen Fressbuden laden ein, sich überall mal durchzukosten, sodass am Ende jede(r) von uns etwas findet. Der Plan für heute soll sein: durch die Hallen des hiesigen Geländes schlendern und DEVILMENT schauen. DEVILMENT soll die einzige Band des Freitagabends bleiben, denn so viel Interessantes für den Metalhead spielt heute noch gar nicht. TANZWUT wären die Alternative, doch trotz der unterschiedlichen Anfangszeiten der Gigs schaffen wir die Mittelalter-Musikanten nicht, da wir das Agra-Gelände erst wieder verlassen müssten, um ins Heidnische Dorf zu gelangen. 

„Klappe, dir hört doch eh keiner zu!“

Bevor das Konzert von DEVILMENT beginnt, schlendern wir noch etwas über den sogenannten „Catwalk“, der sich durchs gesamte Gelände zieht. Ich habe schon den Eindruck, dass hier manche Goths mit ihrem Outfit ein wenig Show-Laufen wollen, was nur verständlich ist, bei der Mühe, die sich manche mit diesem extra gemacht haben. Wollen wir doch mal schauen, was es in den Hallen so zu entdecken gibt.

Da hätten wir zum einen den Schwarzmarkt, aber ich rede hier nicht von irgendwelcher Hehlerware oder von Knarren und Koks, sondern von einer riesigen Messehalle voll mit allem, was das schwarze Herz begehren kann. Mäntel, Korsetts, Stiefel, Bondage- und SM-Kram, Kopfschmuck – vom edelsten Geschmeide bis zum postapokalyptischen Cyber-Outfit und der Peitsche gibt es hier einfach alles. Ich muss zugeben: als Junge vom Dorf bin ganz schön reizüberflutet, so am ersten Tag hier. Doch wir bekommen einen Pechkeks in die Hand gedrückt, der mich wieder ziemlich schmunzeln lässt – quasi ein schwarzer Glückskeks mit Sprüchen, wie: „Ebbe wird auf Ebbe folgen“ oder „Klappe, dir hört doch eh keiner zu“.

DANI FILTH IN KREISCHLAUNE

Nun wird es Zeit, sich in die Halle gegenüber zu bewegen, denn Dani Filth (CRADLE OF FILTH) hüpft auch bei DEVILMENT mit dem Mikro in der Hand über die Bühne. Als wir die Halle betreten, beginnt gerade die Show. Die einzigartigen Vocals und hohen Screams von Dani sind natürlich auch bei DEVILMENT sehr ausgeprägt vertreten, allerdings passt das Ganze meiner Meinung nach nur bedingt zu der Symphonic/Dark/Gothic Metal-Combo.

Allgemein kann ich sagen, dass der Gig mir schon ganz schön die Schuhe auszieht, weil hinter der Mucke schon ordentlich Druck ist, allerdings geben mir die Songs, bis auf die Stellen, an denen Keyboarderin Lauren Francis sich mit ihrem Klargesang bewaffnet, gar nichts. Auch der Stakkato-artige Gesang von Dani Filth nimmt der einen oder anderen Walze doch ganz schön den Groove. Die von ihm bekannten, hohen Schreie erklingen manchmal in Pausen und wirken wie Lückenfüller. Nicht unbedingt mein Geschmack, aber ein Abriss wars trotzdem. Und wenn ich mir das zappelige Publikum in der riesigen Halle so anschaue, bleibt außer Frage, dass es wohl trotzdem ein gewaltiger Auftakt für ein besonderes Festival ist.

Pfingstfreitag, der Tag der Reizüberflutung. Wir verabschieden uns von El Zecho und La Zecha, und irgendwie ziemlich fertig gehts ab in die Unterkunft. Noch ein Stück mit der Straßenbahn, noch ein Stück zu Fuß, noch eine Zigarette und ab ins Bett.

TAG 2 – Samstag

Nachdem wir unsere Kadaver aus der Bettwäsche geschält haben, gilt es, jene zu waschen. Ausgeschlafen und frisch gehen wir zum nahegelegenen Discounter, um Frühstück zu jagen. Essen und Plan schmieden, heißt die Devise. Schließlich wollen wir heute verschiedene Locations anfahren, also müssen wir Bahnverbindungen checken. Beim Zusammenbasteln des heutigen Unterhaltungsprogramms hilft uns die kostenlose „WGT-Guide“-App. Absolut empfehlenswert!

Auf dem Plan stehen heute folgende Acts: KLIMT1918, XANDRIA, VOGELFREY, IN THE WOODS, MYRKUR, SYLVAINE, ROTTING CHRIST und eventuell AMORPHIS.

An diesem Punkt wird die Einzigartigkeit des Festivals definitiv zum Nachteil.

Vorher wollen wir mal ins Heidnische Dorf gucken, uns einen Überblick verschaffen und einen Happen essen. Das klingt doch eigentlich ganz geil! Bis jetzt…

An diesem Punkt wird die Einzigartigkeit des Festivals definitiv zum Nachteil. Die zahlreichen verschiedenen Lokalitäten, an denen man WGT-Künstler bestaunen kann, bringen ebenso viele Überschneidungen mit sich, die es unmöglich machen, alle Bands, die man vorher markiert hat, überhaupt spielen zu sehen. Sehr schade, da doch besonders freitags erstaunlich wenig Interessantes für den Metalhead dabei war! Man kann es eben nicht jedem recht machen. Ich muss mich also entscheiden.

DIE QUAL DER WAHL

Heutiger Plan nach Abgleich aller Zeiten: 18:00 Uhr KLIMT1918, 21:00 Uhr SYLVAINE, beide im Alten Landratsamt. Zwischen beiden Gigs nochmal hin und her zu pendeln, hat wenig Sinn, also schauen wir uns zwischen beiden Bands noch NICOLE SABOUNÉ an, die mit Post-Punk, New Wave und Indie/Art Rock beschrieben wird. Im Anschluss an die drei Acts wird sich zeigen, ob wir es noch zu AMORPHIS schaffen.

Im Heidnischen Dorf angekommen, macht sich schnell Ernüchterung breit. Scheinbar hatten viele WGT-Besucher den gleichen Gedanken wie wir, denn die Schlange am Einlass ist geschätzte 150 Meter lang. Der Grund: Einlass-Stopp. Das Warten hat wenig Sinn, das wird sonst zu knapp. Also auf der Hacke kehrt und wieder ab in die Innenstadt.

POST ROCK IM LANDRATSAMT

Nach einer Stärkung fix ins Alte Landratsamt, das sich in Hauptbahnhofsnähe befindet. Hier treffen wir erneut auf El Zecho und seine Liebste.  Schon vor dem Gig ist die Venue gut gefüllt, was sich spürbar auf die Luftfeuchtigkeit und Temperatur auswirkt. Gemächlich starten KLIMT1918 mit ganz viel Hall und wenig Bewegung auf der Bühne. Das geht völlig in Ordnung, schließlich handelt es sich bei den Italienern um eine meist eher ruhigere Post-Rock-Kapelle. Anstatt ein Backdrop aufzuhängen, werden mithilfe eines Beamers kurze Filmsequenzen auf eine Leinwand projiziert.

Das Set besteht aus einer gesunden Mischung neuer und älterer Titel. Von „Snow Of ’85“ über „Skygazer“, bis hin zu „Commandante“ werden von jedem Longplayer die Klassiker ausgepackt. Macht mega Spaß, dem Konzert beizuwohnen, weil KLIMT1918 mit ihrer Musik meiner Meinung nach eine sehr positive Ausstrahlung haben. Der Saal ist mittlerweile noch voller, einige lassen sich auch gehen oder tanzen, wenn sie denn Platz finden. Mir ist es bei jeder Bewegung zu warm, also stelle ich mich, zusammen mit meiner Madame, regungslos in die Nähe des Ausgangs, wo man immer mal einen kühlen Windhauch spüren kann, und genieße das Konzert.

FILMMUSIK UND STILEXPERIMENTE

Als die Jungs ihren Gig beenden, verabschieden wir uns von den beiden Zechos, die sich auf den Weg zum Völkerschlachtdenkmal machen, wo im Anschluss ein Posaunenkonzert mit der Filmmusik von „Der Herr der Ringe“, „Der Hobbit“ und „Game of Thrones“ stattfindet. Während dort 20:00 Uhr ein zweiteiliges Set aus je 45 Minuten beginnt und den Zechos wohl unglaublich die Schlüppis nass macht, heißt es für uns: kurz verschnaufen, was zu trinken holen, vor der Tür mal ein Kippchen anstecken, dann gehts auch direkt weiter mit NICOLE SABOUNÉ.

Die Künstlerin war mir bis dato gar kein Begriff, stellt sich aber als ziemlich interessanter Act heraus. Jeder Song vermittelt eine andere Stimmung: mal düster-romantisch, mal energiegeladen, mal psychedelisch und in eine Art Trance versetzend. Ich habe weiter oben im Bericht aufgeführt, wie NICOLE SABOUNÉ genretechnisch einzuordnen ist – ich selbst wüsste spontan gar nicht, wie ich die Musik bestimmen würde. Interessant und kurzweilig auf jeden Fall, zumindest für all, die für Neues offen sind und nicht alles nur nach Schema F brauchen. Zwischendurch kommt mit „Frozen“ ein Coversong von MADONNA, der noch langsamer und mystischer vorgetragen wird. Stark! So ist die Spielzeit recht schnell vorbei und ich kann gar nicht so recht ausdrücken, wie ich mich jetzt fühle, außer positiv überrascht und froh, nicht woanders hingefahren zu sein.

DEN TRÄNEN NAH

Mittlerweile bin ich ein wenig aufgeregt, SYLVAINE zum ersten Mal auf der Bühne zu sehen. Dieser Act ist definitiv eins meiner Highlights auf dem gesamten WGT. Ich feire beide bisher veröffentlichten Alben und freue mich wie ein Kuppi, das Ganze mal live zu erleben.

Und meine Vorfreude wird durch die Begeisterung über den Auftritt noch weit übertroffen. Mastermind Kathrine Shepard beherrscht ihre Stimme so sagenhaft gut! Von zart über kraftvoll bis hin zu den teuflisch-derben Screams klingt alles mit dem postmetallisch-shoegazigen Instrumental perfekt zusammen. Spätestens beim Titel „Earthbound“ wird die Hütte abgerissen. Dass es allerdings auch sehr besinnlich geht, wird im letzten Song„Silent Chamber Noisey Heart“ deutlich, der ganz ohne Band vorgetragen wird. Nur Kathrine und ihre Gitarre. Der Titel geht unter die Haut und ihr selbst offensichtlich auch sehr nahe. Mit Tränen in den Augen bedankt sie sich sehr herzlich und warm, und verschwindet von der Bühne, bevor sie vielleicht in Tränen ausbricht. Sehr, sehr authentisch! Ein Wahnsinns-Gig, auf den ich mich schon lange gefreut hatte, und den es erstmal zu verdauen gilt.

AMORPHIS IM KOHLRABIZIRKUS

Für mich fühlt es sich richtig an, nach diesem Konzert nun keine weitere Band mehr anzuschauen, um die Stimmung des SYLVAINE-Gigs nicht zu zerstören. El Zecho begibt sich allerdings ungefähr jetzt zu AMORPHIS in den Kohlrabizirkus. Zum Konzert und zum weiteren Verlauf des Abends hat El folgendes zu berichten:

AMORPHIS begeistern schon in den ersten Minuten des Gigs. Ein schönes, knackiges Schlagzeug, klare Gitarren und ein Tomi Joutsen, der richtig Bock auf Rock hat. Mit Klassikern wie „House of Sleep“ bis hin zu neuen Songs wie „Death of a King“ zieht die Band alle Register und auch die Halle wird zunehmend voller. Zwei Zugaben, dann ist die sehr kurzweilige Stunde des Konzertes auch schon wieder vorbei. Von der Security anschließend herausgefegt, stellt sich nun die Frage: Was machen wir mit dem angebrochenen Abend? – Wir fahren zum Neoromantikball ins Haus Leipzig. Bei einem Ball, bei dem Pagan, Dark- und Romantic Wave und Neofolk gespielt wird, lässt sich noch ein Absacker trinken. Allzu lange bleiben wir allerdings auch nicht, sondern machen uns auf den Heimweg.“

FEUER UND FLAMME FÜRS HEIDNISCHE DORF

Auch meine Freundin und ich beschließen, nun lediglich nochmal den Versuch zu starten, jetzt ins Heidnische Dorf zu fahren, wo unter anderem Don Promillo auf uns wartet.

… indem er eine Rolle vorwärts durch einen brennenden Ring zeigen möchte.

Dort angekommen, sind lediglich noch FLAMMEN IM ZWIELICHT zu bestaunen, die eine spannende Feuershow auf dem Tablett servieren. Don Promillo sorgt für gute Unterhaltung nebenbei, als er krampfhaft versucht, Teil der Feuershow zu werden, indem er eine Rolle vorwärts durch einen brennenden Ring zeigen möchte. Leider geht sein Plan nicht auf, aber zu lachen gibt es trotzdem viel. Nach der Feuershow ist nun langsam Feierabend für uns. Ab nach Hause, pennen.

TAG 3 – Sonntag

Guten Morgen, Sonntag! Oder sagen wir mal: Guten Tag – es ist schließlich schon fast Zeit fürs Mittagessen. Dann machen wir uns mal die Eumel frisch und gehen was zu leckern suchen. Und wohin flattern wir da? Dorthin, wo der gestrige Abend geendet hat – ins Heidnische Dorf. Vor allem deshalb, weil das Programm für mich heute wie folgt aussieht: YGGDRASIL, ODROERIR, ALCEST. Die beiden ersten Acts spielen eben genau dort, also los! Leider treten heute auch den ganzen Tag im Felsenkeller sowie im Kohlrabizirkus nur Hammer-Acts auf, wie KING DUDE, THE VISION BLEAK, ARCTURUS etc. ,also bin ich auch heute gezwungen, mich zu entscheiden. Erneut: sehr schade! Das frustriert ganz schön. Gerade frage ich mich ernsthaft, ob ich als Nicht-Gothic, der auf elektronische Mucke nicht so steht, nochmal herfahren würde. Die Ausbeute der Bands, die ich tatsächlich mitnehmen kann, ist einfach sehr gering, zumindest in diesem Jahr.

Im Heidnischen Dorf angekommen, treffen wir auch El Zecho und Don Promillo. Aber bevor der Spaß mit den beiden beginnen kann, ruft mein Unrumpf nach Fleisch.

FLEISCHIGES LUNCH MIT TISCHMUSIK

Während nun noch ANNWN ihre letzten Songs spielen, genieße ich (so gut es geht) den irgendwie fast noch rohen Fleischlappen, der, im Gegensatz zum mitgelieferten Brötchen, wenigstens überhaupt mal kurz den Grill gesehen hat, wenn auch nicht lang genug. Ich brauche noch ein Baumstrietzel zum „Nachspülen“, um mich glücklich und satt zu fühlen. ANNWN tragen dazu bei, dass ich mich mehr und mehr beruhige und nun gern ein Verdauungsschläfchen halten würde, was aber absolut nicht als negative Kritik zu verstehen ist. Im Gegenteil – es ist echt auch mal schön, zu ruhiger Live-Musik zu entspannen.

Nach einigen ziemlich erheiternden Gesprächen betreten YGGDRASIL die Bühne, die ich im Jugendalter sehr gern gehört habe, allerdings noch nie live sehen konnte. Also bin ich gespannt. „Verdgällning“ wird angestimmt und ich bin direkt ein bisschen angetan, irgendwie. Nostalgie! Wenn man das schon so nennen kann. Die Sonne steht tief und scheint von hinten durch die Bühnenrückwand, die aus schwarzem Stoff besteht. Die goldenen Sonnenstrahlen lassen die Band fast schon ein wenig in Anmut erstrahlen. Passt zur Musik! „Kvällning över Trolska Landskap“ und diverse andere unaussprechliche Lieder fügen sich zu einem abwechslungsreichen und spannenden Set zusammen. Sound und Atmo sind gut abgestimmt.

THÜRINGISCHE SKALDEN MIT K(N)OEPFCHEN

Weiter gehts mit ODROERIR. Die Geschichtenerzähler aus Thüringen sorgen für eine Reise in längst vergangene Zeiten. Es ist wie immer ein Genuss, den Skalden zu lauschen. „Zwergenschmiede“ und „Des Thors Hammer Heimholung“ sind die Titel, die für mich am meisten herausstechen und Spaß machen. Eine Besonderheit gibt es noch zu erwähnen: Knoepfchen von WALDTRAENE kann sich nun zum festen Inventar von ODROERIR zählen und liefert am Mikro ordentlich ab. Fetzt!

Schecke packen, und ab Richtung Volkspalast – ALCEST stehen auf dem Programm. Jippi! Für mich genau das richtige, um dem Sonntag zu beenden. Angekommen, bin ich erstmal ziemlich geflasht von der Location. Wir befinden uns in einer relativ großen Kuppelhalle, alles sieht recht edel aus und der natürliche Raumhall hier ist mega. Das könnte verdammt gut werden!

EIN MONSTERMÄßIGER GIG

Die Halle ist komplett voll, hier und da sehe ich sogar ein paar bekannte Gesichter. Und los, Intro ab! ALCEST haben Bock, das ist sehr stark spürbar. Hier geht gerade ebenso viel positive Energie wie Hall und Druck durch die Kuppelhalle! Und ich muss sagen, dass das der wohl beste ALCEST-Gig ist, den ich bisher gesehen habe, und die waren alle geil! Aber das hier sprengt jeglichen Rahmen. Das Set ist perfekt für mich. Als hätte ich die Setlist geschrieben. Mal abgesehen davon, dass vom „Souvenirs …“-Album kein Song gespielt wird, kommt ein Highlight nach dem anderen,wie „Percées de lumière“ oderOiseaux de proie“. Was mich aber ganz besonders freut, ist, dass auch der 2. Teil von „Écailles de Lune“ gespielt wird, der nicht sonderlich oft live zu erleben ist.

Der Gig schließt mit „Délivrance“, dem wahrscheinlich perfektesten Song, ein Set zu beenden. Gerade dieser Track ist wie ein Tempel für mich, der mich komplett erdet und herunterfährt. Ich bin so platt! Immer wieder ein Erlebnis, die Franzosen zu erleben. Noch eine kurze Verdauungszigarette, um überhaupt wieder einigermaßen klarzukommen, und dann ab nach Hause, um diesen monstermäßigen Gig zu verdauen. Jeweils samstags und sonntags einen Gig zum Abschluss zu erleben, der mich komplett fertig macht und umhaut, ist einfach unfassbar gut.

TAG 4 – Montag

Endspurt! Ihr Kreaturen der Nacht, kommt noch ein letztes Mal aus euren Gruften und feiert, was das Zeug hält! El Zecho ist heute Morgen leider schon wieder auf dem Weg in die Heimat, doch da das WGT-Ticket nicht nur die Konzerte der ganzen gebuchten Künstler bereithält, sondern man mit dem Bändchen unter anderem auch Museen, Ausstellungen etc. besuchen kann, entscheiden Madame und ich uns kurzentschlossen dazu, die „Runde Ecke“ zu besuchen. Dieses Gebäude war früher der Sitz der Bezirksleitung der Staatssicherheit und ist heute ein STASI-Museum, das ein paar Einblicke in den Überwachungsapparat der DDR bietet. Viele „Werkzeuge“ sind dort ausgestellt und wir können dort ziemlich viele abgefahrene und skurrile Fakten über die Arbeitsweisen etc. erfahren.

„OH, DA SPIELT GERADE MEINE BAND…“

Schnell noch ein Eis auf die Hand und ab in den Felsenkeller, wo 16:30 Uhr THRUDVANGAR die Bühne umkrempeln wollen. Gegen 16:00 Uhr sind wir da, und als ich am Merch-Stand von THRUDVANGAR kurz mal reinwinken möchte, komme ich mit Raschi, dem Gitarristen, ins Gespräch, als plötzlich das Intro beginnt und er mit Erschrecken feststellt, dass der Gig beginnt. Ein kurzes: „Flo, kannst du kurz hier bleiben?“ von ihm, bevor er über Tisch und Bänke springt, um schnell auf die Bühne zu kommen. Tja, da stehe ich nun mit dem ganzen Merch von THRUDVANGAR, habe keine Ahnung von Tuten und Blasen und schmeiße scheinbar zusammen mit Mäuschen ab sofort den Laden. Darüber muss ich erstmal ziemlich lachen, und genieße den Gig der Köthener Jungs nun eben von der Seite aus. Klassiker wie „Thornesthing“, „Zwei Raben“ und „Jul“ machen gut Stimmung in der circa halb gefüllten Halle. An dieser Stelle liebe Grüße an die Jungs aus der Heimat! Hier und da höre ich immer mal, dass es wohl ganz schön laut sei, ich kann mich allerdings vom Merchandise-Stand aus nicht beschweren. Ein guter Gig, soweit ich das während des Merch-Verkaufs beurteilen kann.

VOM KONZERTSAAL ZUR #YOLO-PARTY

Fix die Kasse übergeben und kurz absprechen, bevor wir uns auf den Weg ins Schauspielhaus machen. Dort spielen gleich LES FRAGMENTS DE LA NUIT, ein kleines Orchester, bestehend aus Streichern und Klavier, die düster-romantische Musik – unter anderem für Filme –  schreiben. Als wir das Schauspielhaus betreten, wird schnell klar: Das hier ist wohl eine der edleren Locations, in denen man sich zu benehmen hat. Contenance! Wir sitzen auf dem obersten Rang, es ist komplett dunkel, nur die Bühne ist leicht beleuchtet. Wie die Klänge der Combo durch den Saal hallen, ist gigantisch. Die Titel, die gespielt werden, verzaubern scheinbar nicht nur mich, denn das Publikum spendet tosenden Applaus nach jedem Stück. Wow, echt schön, auch mal Musik zu hören, die nicht mit elektrischen Gitarren gemacht wird. Astrein!

Und ab gehts, wieder zurück in den Felsenkeller. FINSTERFORST sind dran! Für uns leider der letzte Act des Abends und des gesamten Festivals. Im Anschluss spielen noch EQUILIBRIUM, allerdings für uns leider etwas spät, denn Dienstag klingelt der Wecker wieder viel zu früh.

Wieder sind wir nicht ganz zu Beginn da, die Halle ist voll, die Party schon in vollem Gange. Ein paar flotte Ansagen von Frontman Olli und eine Walze nach der anderen sorgen für einen verdammt kurzweiligen Gig. Die FINSTERFÖRSTER sind voll in ihrem Element und fühlen sich scheinbar pudelwohl auf der Bühne. Mit Songs wie „Nichts als Asche“, „YOLO“ und „Mach dich frei“ wird die Hütte richtig abgerissen. Fettes Brett, das muss ich echt sagen! Fein gemacht!

ZEIT, BILANZ ZU ZIEHEN!

Na gut, das reicht für heute! Heimwärts kutschen! Einerseits freue ich mich, andererseits war das Wochenende unverhältnismäßig schnell vorbei, zumindest vom Gefühl her. Das liegt unter anderem an folgenden Gründen:

Also steckt das dicke Portemonnaie ein!

Das WGT ist kein typisches Festival zum Abschalten, auf dem ich auch mal mit seinen Kumpels auf dem Zeltplatz abhängen kann. Sicher, man kann auch auf dem Agra-Gelände zelten, aber durch das ständige Hin- und Herfahren vergeht so viel Zeit, dass ich eh schon etliche Gigs nicht besuchen kann. Das macht das Ganze für mich sehr unentspannt. Und es ärgert mich als Metalhead ehrlich gesagt, dass man für einen Ticketpreis im dreistelligen Bereich nicht ansatzweise das sehen kann, was man sich so vornimmt, bevor die Running Order veröffentlicht wird. Dazu kommt, dass man natürlich den ganzen Tag darauf angewiesen ist, dort irgendwo Getränke zu kaufen, da man ja ständig die Location wechselt, sich immer auf abgesperrtem WGT-Gelände bewegt, und es sich daher schwierig gestaltet, Eigenes mitnehmen kann. Also steckt das dicke Portemonnaie ein!

Auf vielen Festivals habe ich bisher Umbaupausen genutzt, um auf dem Zeltplatz eben mal einen Schluck zu trinken oder zu essen etc. Das ist auf dem WGT in dem Maß einfach nicht möglich. Ungefähr so viel Zeit, wie man auch in den Konzerthallen verbringt, verbringt man auch auf Fußwegen und in Straßenbahnen. Das ist für meinen Geschmack einfach zu viel des Guten. Das soll allerdings niemand so auffassen, dass ich meine, das Festival sei kacke. Um Gottes Willen, das ist es nicht, im Gegenteil! Die Struktur des Festivals ist einzigartig, das ist ganz klar. Und wenn ich ein Goth wäre, und mich auch für vieles andere im Line-Up begeistern könnte, würde ich vielleicht nicht unbedingt so viel durch Leipzig fahren müssen, weil vor meiner Nase immer auch etwas spielen würde, das mich interessiert. Und ich bin sehr dankbar für die Erfahrung, am WGT teilzunehmen zu können. Ich bin einfach nur kein Fan von so langen Wegen auf Festivals, und vor allem nicht von so zahlreichen Überschneidungen. Mein Lieblingsfestival wird es deshalb eben nicht. Ich kann trotzdem jedem empfehlen, es einmal auszuprobieren.

MEIN POSITIVES SCHLUSSWORT ZUM WAVE-GOTIK-TREFFEN 2017

Hinzufügen möchte ich noch: Meine Hochachtung an die Veranstalter und das gesamte Team! Ich habe selten ein so ordentlich organisiertes Festival erlebt wie dieses. Es gab, dort wo ich war, NIE Zeitverzug, es war überall aufgeräumt, ordentlich und die Lage war entspannt, und das bei sage und schreibe ca. 50 Locations, die zum Festival an sich gehören. Meinen höchsten Respekt dafür!

Irgendwie sollte ein Festival meiner Meinung nach auch Urlaub sein.

Auch die Gigs, die ich gesehen habe, waren alle in irgendeiner Weise besonders. Entweder waren es Bands, die ich noch nie, oder bisher sehr selten gesehen habe, und/oder die Venue war eine sehr besondere und/oder die Band hat einfach zu 110% abgeliefert, oder, oder, oder.

Von daher muss ich sagen, dass ich das WGT definitiv als positive Erfahrung im Kopf behalte. Mir ist es allerdings einfach unangenehm, wenn ich ständig auf die Uhr schauen muss, weil die Bahn fährt, die mich dann zum nächsten Gig bringt, zu dem ich vielleicht noch rennen muss, weil die Zwischenzeit zu knapp ist. Irgendwie sollte ein Festival meiner Meinung nach auch Urlaub sein. Zumindest für den Kopf. Und dieses Gefühl geht bei dem Organisationsaufwand auf dem WGT einfach flöten.

Trotzdem: Vielen Dank für die vielen neuen Erfahrungen, die ich sammeln konnte! Vielleicht bis zum nächsten Mal!


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