Albrecht Dürer meets Rock mit Dudelsäcken
IGNIS FATUU – Meisterstich
Veröffentlichungsdatum: 08.07.2016
Dauer: 50:41 min
Label: TROLLZORN
Albrecht Dürer und Rock-Musik mit Dudelsäcken – könnt ihr euch das vorstellen? Ich konnte es ehrlich gesagt nicht. IGNIS FATUU zeigen aber, dass beides durchaus auch in Kombination funktioniert. Die 13 Songs der neuen Scheibe „Meisterstich“ tragen allesamt Titel einiger Werke Dürers. Die Band widmet dem Herrn Albrecht damit ihr brandneues Konzeptalbum.
…himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: ein einfaches Juchei und Holdrioh!
Es ist das erste Konzeptalbum der Nürnberger Musiker, und, wie ich finde, eine absolut innovative Idee. Songs zu Kunstwerken zu schreiben, so etwas habe ich bisher auch noch nirgends gesehen oder gehört. Und da der Herr von und zu Dürer (übrigens ebenfalls Nürnberger) als Künstler ein herausragender Vertreter der Renaissance war, beschreiben IGNIS FATUU die Musikrichtung auf „Meisterstich“ passend als Renaissance-Rock. Sie sind damit, soweit ich weiß, die erste Kapelle, die ihre Musikrichtung so bezeichnet. Wieder eine Unterart des Metal/Rock dazugewonnen – himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: ein einfaches Juchei und Holdrioh!
Mucke, die mit Hexerei auf die magische Silberscheibe verbannt wurde
Das weckt doch schon mal echt Interesse, aber es geht ja hier nicht um das ganze Drumherum, sondern um die Mucke, die mit Hexerei auf die magische Silberscheibe verbannt wurde. Und um mal ganz ehrlich zu sein: Ich bin sehr hin- und hergerissen und weiß nicht so recht, was ich von „Meisterstich“ halten soll. Normalerweise beginnen meine Reviews mit einem kleinen Abriss meiner ersten Reaktionen oder Gedanken nach dem ersten Hören eines Albums, oder aber mit Dingen, die ich mit der Platte assoziiere, möglicherweise auch mit Erinnerungen.
…obwohl ich kein Freund davon bin, jeden einzelnen Titel einer Platte zu zerpflücken
Bei dem neuen Werk von IGNIS FATUU habe ich allerdings keinerlei Assoziationen, meine Gedanken hierzu sind auch recht wirr, da es zwar als Konzeptalbum deklariert wird, auf mich aber nicht so wirkt. Um verständlich zu machen warum, gehe ich bei dieser Review wenigstens ein Stück weit auf jeden Song kurz ein, obwohl ich echt kein Freund davon bin, jeden einzelnen Titel einer Platte zu „zerpflücken“, es erscheint mir hier aber als notwendig. Nun dann: So schreite er zur Tat, der junge Recke!
#1 „Die vier Reiter der Apokalypse“ – Dag-daggadag-daggadag-daggadag… Yeeeehaaaa! Die vier Reiter der Apokalypse kommen angeritten! Das ist genau das, was man in den ersten Sekunden des Songs hört. Und sie lassen nicht lange auf sich warten. Ein Sturm bricht los, der die Messlatte für die ganze Platte ziemlich hoch legt. Spannende, verspielte Dudelsack-Melodien, treibende Rhythmik und Gesangspassagen, bei denen man gar nicht anders kann, als mitzusingen! Ein hammermäßiger Start ins Album. Der Bursch‘ hat Laune!
# 2 „Nemesis“ verspricht ebenfalls eine spannende Reise durch 13 „Welten“ des Albums, es geht äußerst verspielt weiter – dafür sorgt vor allem die gar fluffig‘ Flötenmelodey, krachend‘ Schlagwerk zum Geleit‘. „Nemesis“ brettert recht entzückend nach vorn. Was Mittelalter-Rock bzw. in diesem Fall Renaissance-Rock angeht: genau mein Drehstuhl. Man muss auch beim bewussten und konzentrierten Hören den Kopf mitnicken.
# 3 „Ritter, Tod und Teufel“ – Was passiert hier? – Gar nicht meins, muss ich sagen. Die Messlatte lag hoch, doch jetzt fällt meine Lust, bei der Musik voll dabei zu sein, in den Keller. Ich finde die zugegebenermaßen eingängigen Dudelsack-Klänge in Verbindung mit den Gitarren sogar ziemlich nervig – ständig wird ein und dieselbe Melodie wiederholt. Irgendwie klingt das ganze Ding für mich nicht stimmig, nicht spannend. Schade.
Leider geht es so weiter. Ich bin während des Hörens momentan ziemlich enttäuscht, weil mich die ersten beiden Songs so mitgerissen haben, aber jetzt nichts mehr kommt, was mich begeistert.
# 4 „Rhinocerus“ – Sprechgesang, eintönige Gitarrenriffs, auch der Dudelsack kann nicht überzeugen. Prädikat: langweilig.
Endlich! Geht es jetzt wieder bergauf?
# 5 „Der Liebestraum des Doktors“ hebt mich schon wieder etwas in die Höhe. Neben der gewohnten Frauen- und Männerstimme erklingt eine Art Gekrächze, das ich mit einer Hexe in Verbindung bringe, die ums Feuer springt wie Rumpelstilzchen. Das bringt neben der sehr harmonischen Flötenmelodie Abwechslung und ebenfalls Freude beim Hören. Endlich! Geht es jetzt wieder bergauf?
Leider nein. # 6 – „Satyr und Nymphe“ ist für mich eins der unschönsten Songs von „Meisterstich“. Der Text besteht zu 50% aus „Satyr und Nymphe – Nymphe und Satyr – Satyr und Nymphe“…geht echt etwas an die Substanz und macht auch keinen Spaß zu hören. Und das schon nach dem ersten Refrain.
Ähnlich bei # 7 „Die wunderbare Sau von Landser“: Der Funke springt nicht über. Ich hab echt das Gefühl, es funkt gar nichts mehr hier. In den Strophen taucht wieder eine Art Sprechgesang auf. Damit werde ich einfach nicht warm. Der Refrain hingegen ist schon recht locker-luftig, denn hier gibt’s – und das mag primitiv klingen, macht aber echt Laune – einen „Oooh-Oooh-Ooohh!“-Part zum Mitschreien. Doch der Titel besteht aus exakt zwei verschiedenen Teilen, die einfach nur aneinandergereiht wiederholt werden, bis das Lied endet.
…mein klarer Favorit, und zwar mit sehr viel Abstand zu den anderen Songs
# 8 „Melencolia I“ – Die erste Ballade des Albums – das ist doch mal was! Gefühlvoll, ruhig und dazu derbes, langsames Schlagzeug, kommt echt gut! Beginnend mit Flöte und Gesang, trifft später auch die Gitarre dazu. Das Lied steigert sich stetig bis zum „Finale“. Fetzt!
# 9 „Adam und Eva“ – Geht doch! Was für ein überaus starker Song: eingängige Gesänge, bei denen man einfach mitsingen MUSS! Zusammen mit dem ersten Track des Albums mein klarer Favorit, und zwar mit sehr viel Abstand zu den anderen Songs. Im Refrain hört man mal keine Drehleier und keinen Dudelsack – nur Gitarre, Bass, Drums und Vocals.
Das nimmt mir einfach die Freude.
# 10 „Das Meerwunder“ und # 11 „Sternenfall (Die Eröffnung des sechsten Siegels)“ läuten gemeinsam wieder eine Talfahrt ein. An sich ist der Refrain in beiden Liedern ganz cool. Der Song bricht an dieser Stelle etwas aus und wird besonders, der Gesang im Refrain ist eingängig. Das bleibt hängen, aber das Rundherum ist ziemlich eintönig. Aber auch ein eingängiger Refrain kann durch zu viele Wiederholungen die Lust am Lauschen nehmen. Der eine oder andere Track wirkt manchmal künstlich in die Länge gezogen. Das nimmt mir einfach die Freude. Ob das wirklich der Fall ist, oder nicht, kann ich natürlich nicht sagen, aber es wirkt an mancher Stelle lieblos.
#12 „Der Dudelsackspieler“ ist ein reines Instrumentalstück – sehr fröhlich! Der Drummer lässt sich in diesem Stück mal etwas mehr aus, er bedient mit beiden Füßen über eine längere Zeit die Bass-Drum, das drückt anständig nach vorn. Alles in allem: Ein erneuter Lichtblick zwischen so manchem Song der Schattenseite. Dies ist ehrlich gesagt, zusammen mit den „vier Reitern der Apokalypse“, das einzige Lied, bei dem die Musik bei mir Bilder im Kopf entstehen lässt. „Der Dudelsackspieler“ vermittelt eine Stimmung des Beieinanderseins während einer Feierlichkeit in einer Waldtaverne – Geschichten werden ausgetauscht und man ist einfach froh.
# 13 „Der hl. Hieronymus im Gehäus“ schließt als zweite Ballade des Albums das Werk der Nürnberger ab. Im Vordergrund steht ein klagender Gesang – kein Schlagzeug, keine Gitarren, fast ausschließlich begleitet von der Drehleier. Am Ende steht der ruhigste Titel der Platte und schließt sie vernünftig ab.
IGNIS FATUU liefern mit „Meisterstich“ weniger ein Gesamtbild, sondern eher einen Mix aus Songs, die einen wahnsinnig starken Ohwurm-Charakter haben, und Songs, die mich überhaupt nicht dazu bewegen, sie mehrmals hören zu wollen. Beim mehrmaligen Hören überspringe ich also manche Lieder. Es erweist sich als schwer, das Album als Gesamtheit einzuschätzen. Was mn allerdings noch hinzufügen muss, ist, dass die Songs allesamt extrem gut produziert sind, soweit ich das beurteilen kann.
Wer schon einmal die Chance hatte, die Band live zu sehen, weiß, dass IGNIS FATUU es verstehen, dem Publikum ordentlich einzuheizen. Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man der Truppe zuschaut. Ich möchte daher jeden Leser dazu anhalten, ein Konzert der Truppe zu besuchen und sich auch über die Platte einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Denn Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden.
Webseite: Official
Facebook: Band FB
Autorenbewertung
Vorteile
+ interessantes Konzept
+ sehr gute Produktion
Nachteile
- teils lieblos wirkende Wiederholungen/Fills
- einige Songs, die nicht überzeugen
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2 Kommentare
Seit Ignis Fatuu vor einigen Jahren seinen ziemlich stimmstarken Sänger Trappe ausgetauscht hat und dafür den ungleich schwächeren Haensel eingesetzt hat, stagniert die Band. Die Musik ist nicht mehr der Hit, ich selber höre sie gar nicht mehr (Zumindest nicht den neuen Teil). Weils mich einfach nicht mehr umhaut. Immerhin gab es wirklich tolle, mitreisende Songs wie Drachenreiter, Auf der Flucht, Hochmut usw.. Die weibliche Stimme ist super, aber sie wird nicht mehr ordentlich gekontert. Und so, wie ich dieses Album sehe, gibt es auch keine Tendenz, dass sich das ändern könnte. Und das ist immer noch ziemlich schade.
Da ich Ignis Fatuu vor ein paar Jahren echt gern gehört hab, war die Vorfreude auf „Meisterstich“ recht groß, aber abgesehen von wenigen Liedern werde ich das Album wohl nicht noch ein weiteres Mal hören. Allerdings wurde ich dazu bewegt, mir mal wieder die Scheibe „Es werde Licht“ zu Gemüte zu führen, die fand ich nämlich immer recht stark. Und ich habe festgestellt, dass ich sie immer noch verdammt gern höre. 🙂 Dort ist ja beispielsweise auch „Auf der Flucht“ drauf.