Ein Ozean aus Emotionen

NEUROSIS – Fire Within Fires
Veröffentlichungsdatum: 23.09.2016
Dauer: 40:53 Min.
Label: Neurot Recordings/Cargo
Stil: Post Metal/ Doom Metal

 

Ohne Umschweife walzt Amerikas Urgestein aus Oakland in Sachen vertonter Apokalypse und Beklemmung auf ein Neues los. Der Schein trügt anfänglich, als die ersten Töne meine Gehörgänge erreichen. Befinde ich mich in einem Traum? Exakt! In einem Albtraum! Nach circa dreieinhalb ruhigen Minuten ziehen mich die Könige der Dystopie runter in ihr neuestes Machwerk, welches auf den Namen „Fire Within Fires“ getauft wurde. Unbändig wie ein Gorilla schlägt die eiserne Umarmung „Bending Light“ zu und macht unmissverständlich klar: Du wirst leiden. Schmerzverzerrte Gemeinheiten werden mir zu getragenem Tempo entgegengebellt, CROWBAR lassen grüßen. Der Einstand ist geglückt und ich atme erleichtert auf. NEUROSIS können es immer noch, nach 30 (!) Jahren Bandhistorie sind noch lange keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Verstörend wird es im Anschluss, als „A Shadow Memory“ in die gleiche Kerbe wie sein Vorgänger schlägt. Diesmal aber härter, zusätzliche progressive Passagen wechseln sich mit aggressiven Momenten ab.

Jetzt kann der miese Leidensprozess beginnen

Wie eine bittere Pille, die es zu schlucken gilt, rollt und grollt „Fire Is In The End Lesson“ in meinem Verstand umher, aber diesmal hört man leise im Hintergrund eine southernlastige Melodie sich ihren Weg bahnen. Der Verstand verflüchtigt sich und ehe sich der Rezensent versieht, wird im Takt die Mähne geschüttelt. Gleich noch mal! Und wieder! Jetzt die Lautstärke auf elf drehen! … Ihr merkt schon, das ist mein erstes persönliches Highlight auf dem 11. Album von NEUROSIS. Es bricht bereits der vorletzte Song an („Broken Ground“) und nun zeigt sich das zweite Gesicht von NEUROSIS. Das Lärmkommando ist nicht nur für seine kranken Gewaltausbrüche bekannt, es kann auch unglaublich traurige balladeske, fast fragile Lichtblicke beschwören, in denen der Sänger mit tief grummelnder Stimme seine Botschaften verbreitet. Auch wenn nach kurzer Zeit die 40-Tonner-Gitarre losröhrt, wirkt es eher bedächtig als brutal. Und so klingt der Track leise aus, der Gesang begleitet mich verfremdet in die Tiefe des Ozeans aus Emotionen. Angekommen am Grund der Seele, erwartet mich „Reach“ – der krönende Abschluss. Erstmals hört man hier mehrstimmigen Gesang, der auf mich wie ein finaler Schwanensang seine Wirkung entfaltet. Sanft bettet einen die Gitarre zur Ruh‘ und endlich kann ich loslassen. Dachte ich zumindest, aber NEUROSIS wären nicht sie selbst, wenn ihr Release zum Schluss keine Narben hinterlassen würde. Unruhig warte ich auf die letzte Eruption, die Minuten ziehen ins Land, dann kommt der akustische Entzug auf schnellen Schritten.

Schon wieder eine Dreiviertelstunde um?

Es ist ein großer Pluspunkt, dass die Zeit wie im Flug verging, ist die Musik der „Post Metal-Erfinder“ doch alles andere als leichte Kost. Trotz der ganzen Negativität schafft die Gruppe es immer wieder, Abschnitte in ihre Songs zu basteln, in denen ein kontinuierlich vorhandener Hoffnungsschimmer durchscheint. Dadurch zieht „Fire Within Fires“ einen nicht zu sehr nach unten und der Grad der Erschöpfung hält sich in Grenzen. Zum Schluss möchte ich auf die Wichtigkeit dieser Band hinweisen. Wer schon immer wissen wollte, woher ISIS, MASTODON, oder sogar DISBELIEF ihren Input schöpfen, der kommt an dieser Institution nicht vorbei.

Autorenbewertung

8
Die Urväter fletschen erneut die Zähne und zeigen, dass noch lange nicht Schluss ist. An ihre frühen Meisterwerke kommen NEUROSIS zwar nicht mehr heran, aber nach 30 Jahren sei es ihnen gegönnt. Diese Scheibe ist aufwühlend, also bringt euch Zeit mit.
ø 0 / 5 bei 0 Benutzerbewertungen
8 / 10 Punkten

Vorteile

+ wuchtige Sounddetonationen
+ Fokus liegt nicht nur auf Brutalität
+ das Album wirkt wie aus einem Guss geschaffen

Nachteile

- zu kurz (für meine Bedürfnisse)

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