Eine Prise Misanthropie schadet nie | EoM XVI
So, da hatte ich mich auf die Erleuchtung gefreut. Ich wollte mir gern mal eine Folk-Metal Band live ansehen, um meine Vorurteile gegenüber diesem Genre eventuell neu justieren zu können, oder sogar zu zerschlagen. Das war wohl nix. CRAVING haben nämlich kurzfristig wegen gesundheitlicher Probleme absagen müssen. Auch wenn ich ihr Ausbleiben bedauere, kann ich diese Entscheidung sehr gut verstehen. So richtig krank auf der Bühne zu stehen, macht nämlich mal überhaupt keinen Spaß.
Nun gut. Genug lamentiert. Ich war ja dennoch in Dresden im Sektor Evolution, um mir INCREMATE, NARPH und BLODSKUT zu Gemüte zu führen. Der Veranstaltungsbeginn wurde um eine halbe Stunde nach hinten geschoben und der Eintrittspreis nach unten gesetzt. Den übrigen Bands wurde außerdem die Möglichkeit gegeben, ihre Spielzeit etwas zu verlängern. Unter diesen Konditionen kann ein Bandausfall doch verschmerzt werden. Pünktlich zum ersten Ton von INCREMATE betrete ich den Eingangsbereich des Sektors. Es wurde in den letzten Jahren anscheinend ein Außengelände inklusive Kassen-Tresen an den Club angegliedert. Ich husche erst mal direkt rein.
Ja, er ist noch da. Der große Motor. Zuverlässig wie ein alter Freund thront er mitten im Eingangsbereich. Mächtig gewaltig.
Der Club scheint nicht sonderlich voll zu sein, ich kann locker Richtung Bühne schlendern, um mir einen ersten Eindruck von INCREMATE zu machen. Das Dreiergespann feiert zu diesem Evolution of Metal die Record Release ihres Langspielers „Prospect Of Death“ und legt soliden Death-Metal nach guter alter Schule aufs Parkett. Unauffällig und sympathisch wirken die drei Gestalten. Ganz und gar nicht unauffällig hingegen ist der präsente, fast schneidende Basston, der die Gitarre zeitweise ziemlich mickrig klingen lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich mit der Zeit daran gewöhne oder der Soundmensch da nachjustiert hat, aber mit laufender Show fällt mir die Unausgewogenheit immer weniger auf. Die Jungs werden nach und nach auch immer gelöster. Dafür, dass sie wohl das erste Mal zusammen auf der Bühne stehen, liefern sie gut ab. Seltsam eigentlich, denn laut Bandhistorie haben sie sich wohl schon 2007 gegründet.
Umbaupause. Ich schaue mich mal genauer um – im Club selbst ist alles beim alten. Unverputzte Backsteinwände, grob zusammengeschweißte Metalltüren, eine Empore, dicke Soundanlage… Apropos Technik: die Lichtanlage ist mir während der Show von INCREMATE schon positiv aufgefallen. Moving Heads, Blinder, Spiegel, … für eine Location dieser Größe hat der Sektor eine unheimlich starke Lichttechnik aufzuweisen. Und erfreulicherweise versteht der Mensch hinter dem Pult offenbar auch, sie zu bedienen.
Band zwei macht es sich auf der Bühne bequem. NARPH. So wie „narf“, ja. Ich hoffe, dass deren Musik nun live mehr zu mir spricht als durch die im Internet aufgefundenen Veröffentlichungen. Ich hatte moniert, dass sich die aufgebaute Energie der Songs in den Clean-Passagen quasi in Luft auflösen. Ich mach’s kurz: Live ist das nicht passiert. Der Sänger überzeugt durch Können, auch sein Cleangesang ist kraftvoll und lässt den Strom nicht abreißen. Die Band zaubert energiegeladene Riffs, die mich an ein vor einigen Jahren erlebtes MACHINE HEAD Konzert erinnern, zusammen. Ich beschließe, die Show von der Empore aus zu verfolgen. Dort oben lässt es sich gut und entspannt sitzen, der Sound ist auch an dieser Stelle sehr ausgewogen und mir fällt auf, dass der Club sich etwas mehr gefüllt hat. Ich lasse mich auf einem der Polster nieder, lehne mich an die Wand und beobachte das Geschehen. NARPH haben dank ausgiebigerer Liveerfahrungen eine stärkere Präsenz als der Opener. Der Sänger plaudert zwischen den Songs immer mal wieder – einem Märchenonkel gleich – aus dem Nähkästchen und ist auch nicht um den einen oder anderen Schlagabtausch mit dem Publikum verlegen. Entertainment – das kann er ganz offensichtlich. Ich lasse mich frei von Gedanken treiben. Erst die Rufe nach einer Zugabe reißen mich aus meiner geistigen Abwesenheit wieder in das hier und jetzt.
Der Zugabe folgt eine weitere Umbaupause, in der ich mich wieder auf den Hof bewege und in ein paar alte Bekannte hineinlaufe. Wir schnattern ein bisschen bis wir von einem äußerst erfrischendem Regenguss aufgescheucht werden. Draußen leert es sich schnell und ich finde mich rauchend allein unter einem Vordach, wo ich die spontane Stille irgendwie sehr genieße. Ich denke an BLODSKUT, die sich just in dem Moment wohl auf der Bühne breit machen werden. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: sie machen sich sogar extra hübsch für mich. Und für den Rest des Publikums. Und sicherlich auch für sich selbst.
Es beginnt zu rumpeln. Aber dieses Mal ist es nicht das Gewitter, das sein Krachen aussendet.
BLODSKUT beginnen offenbar ihre Show. Ich eile hinein und sehe … vier Gestalten auf der Bühne. Allesamt sehen sie auf den ersten Blick aus, als hätten sie ein Schlammbad genommen. Auf den zweiten Blick könnte man auch meinen, sie hätten eben erst ein geschächtetes Tier gekuschelt. Ja, Black-Metal halt. Ich habe bislang recht wenige Bands gesehen, die sich in der Form aufgehübscht haben – erst recht nicht von Nahem. Nachdem ich meinen Kicheranfall wegen des blutgetränkten weißen Beatles-Shirts der Bassistin bezwungen habe, kann ich auch die klassische Blackmetal-Konzert-Haltung einnehmen. Arme verschränken, Beine ein Stück auseinander, durchgedrückter Rücken und gerunzelte Stirn. So genießt es sich doch immer noch am besten. BLODSKUT hauen mir eine äußerst angenehme Mischung aus atmosphärischer Epicness und scheppernder Rohheit um die Ohren. Ich schließe die Augen und genieße die Musik die erste halbe Stunden unten direkt an der Bühne, dann erwischt mich eiskalt meine Faulheit und ich bewege mich wieder auf die Empore, um mich lässig, halb liegend, mit Zigarette und Bier in der Hand, von Misathropie überrollen zu lassen. Ja, so kann man durchaus einen Samstag Abend verleben.
Ich finde es nach wie vor schade, dass CRAVING abgesagt haben. Dennoch konnte ich einen schönen und vor allem entspannten Abend im Sektor Evolution verleben. Die Flexibilität des Veranstalters, den Bands einfach mehr Spielzeit zu geben und dazu auch noch den Eintrittspreis auf pauschale 7€ herunterzusetzen, finde ich wirklich gut. Eine Absage des kompletten Konzerts wäre vermutlich um einiges einfacher, aber unerfreulich gewesen. Die Location überzeugt mit einer starken technischen Ausstattung und einer tollen Atmosphäre dank seiner schnörkellosen und dennoch beeindruckenden Einrichtung. Einzig die Abgelegenheit gibt mir einen Grund, herum zu mäkeln. Aber hey, möglicherweise existiert die Narrenfreiheit, dort überhaupt so laut feiern zu können, auch nur aus genau diesem Grund.
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