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Es gibt keinen Welpenschutz!

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Unsere redaktionsinternen Gespräche und Diskussionen inspirieren mich oft das ein oder andere Thema, welches berechtigterweise aufkommt, für mich weiterzuspinnen. Heute stellten wir uns etwa die Frage: Welche Band ist besser zu bewerten? Die Profis, die ein technisch einwandfreies aber völlig langweiliges Album produzieren oder die Band von nebenan, die durch die anfeuernden Rufe ihrer Freunde beseelt, sich an ihr erstes Werk wagen. Und dieses dann eben holprig aber ambitioniert klingt?

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Diese Frage will man am Anfang mit einem ganz deutlichen „die Anfänger können doch technisch noch gar nicht so gut sein wie die erfahrenen, langjährigen Profis“ beantworten. Die erste Reaktion ist natürlich, den Jungen und Motivierten unter die Arme zu greifen und den Profis zuzurufen: „Strengt euch doch auch mal wieder so an wie der Untergrund!“. Leider habe ich mit jeder Demo die da in mein Postfach eintrudelte die Hoffnung daran verloren, dass man heute noch jeden durchschnittlich Talentierten dazu aufrufen sollte, er solle sich eine Karriere in der Musik imaginieren, da man nicht nur den Ambitionierten fördert, sondern jeder sich mit einem Freifahrtschein für die Produktion von künstlerischem Hodenkrebs ausgestattet sieht.

Um genau zu sein, wird der Markt immer mehr damit zugeschissen.

Man kauft sich ein Behringer Interface für 50 Euro, ein Kondensatormikrofon für 150, klemmt das an seinen Laptop, nimmt das mit Audacity auf und SCHWUPP entwickelt sich Hans Jürgen zu GNARRTONGUE FROM HELL, dem bestialisch-brutalen Technical-Slam-Grind Sänger. Und die Jungs vom Stammtisch finden das total prima, das Beste was sie jemals gehört haben (außer vielleicht das rhythmische Stöhnen der Alten von GNARRTONGUE auf dem Klo des Sportlerheims beim Fußballfest vor 2 Jahren). Und plötzlich wird ein neues Werk auf den Markt gespuckt. Fresst es, denn es ist gut! Es trudelt in meinen Briefkasten und will sich nun mit den Alben messen, die von Künstlern, Spinnern und Profis mit Erfahrung und Können eingereicht werden. Aber WAS IST DAS! Dort liegt ein Zettel von GNARRTONGUE und er bittet mich darum, sein Album gut zu bewerten und daran zu denken, dass er ja gerade neu im Business ist und ich gnädig sein soll. Mir als Hörer, der nicht die Blutsbrüderschaft mit ihm eingegangen ist, rollen sich die Zehennägel hoch.

Aber diesen akustischen Anthrax-Anschlag muss man jetzt irgendwie mit einem Raster der persönlichen Ästhetik betrachten und klar fällt das dann durch!

Ich kann mich noch daran erinnern. Als ich vor 4 Jahren mit Youtube angefangen habe, dachte ich mir: „Boah, bist du gut!“ – Jetzt denke ich mir, was für ein nerviges und nerdiges Hemd ich damals war. Ich war gar nicht in der Lage, mich ansprechend in einem Video zu artikulieren und ich denke, wenn ich mir meine heutigen Videos in 5 Jahren ansehe, werde ich wieder genauso denken, da ich mich von mir selbst entfremdet haben werde und wieder einen objektiven Blick auf das entwickle, was ich da so mache. Leben und wirken ist ein stetiger Prozess und man kann sich rückblickend immer verbessern. Leider erkennt man das nicht, wenn man von sich und seiner Kunst überzeugt ist und stets darin bestärkt wird. Man erkennt sich selbst immer als den größten Künstler, den Redegewandtesten, den Witzigsten und ich will mich da gar nicht ausschließen. Aber selbst der verblendetste Geist kann erkennen, dass er manch ein Beispiel (noch) nicht erreicht hat. Aber das ist nur eine Frage der Zeit, selbstverständlich!!! Man soll nur noch etwas abwarten! Dieses, mein Werk , ist genial, gemessen an meiner eigenen Unerfahrenheit und mit diesem Maßstab gemessen MUSS man es respektieren!!!

NoIdeaMan kann doch nicht erwarten, dass man aus Mitleid besser abschneidet als Menschen die WIRKLICH schon mehr draufhaben. Das würde jede gerechtfertigte Leistung abwerten, ja gerade diese Bewertung ad absurdum führen. Wenn man sich dazu entschließt ein Werk zu publizieren, dann sollte man sich auch des Umstandes gewahr werden, dass es vor Unbekannten keine Entschuldigungen gibt wie: „Unser Sänger hatte nen Schnupfen“, „Ich kann mir nur eine Gitarre mit Saiten aus einer Wäscheleine leisten.“ oder „Wir sind doch erst 7 Jahre alt!“. Egal was du machst: Du musst dich immer mit allem vergleichen lassen. Das soll nicht entmutigen, sondern nur darauf hinweisen, dass Kritik etwas Wertvolles ist. Die Menschen, die sich mit dir und deinen Fehlern auseinandersetzen sind nicht deine Feinde sondern deine Freunde, denn sie werden dir helfen, besser zu werden. Es gibt keinen Welpenschutz. Außerhalb deines Freundeskreises herrscht die Realität und wenn du etwas nach außen tragen willst, dann sorge dafür, dass du dein Gesicht wahren kannst.

P.S. Dieses Thema liegt mir aus verschiedenen Gründen am Herzen. Auch ich war mal ein Anfänger und musste mich von Anderen bewerten lassen. Und auch ich habe viele Fehler gemacht, weil mir dieses Verständnis für meine Außensicht gefehlt hat. Und sogar jetzt entdeckt man im Nachhinein immer wieder Schnitzer, die man sich geleistet hat und die anderen sauer aufgestoßen sind. Nur weil man selbst überzeugt von sich, seinen Werten und seinen Äußerungen überzeugt ist, heißt es nicht, dass ein Anderer sie nicht anders bewerten würde. Aber all das sind Lernprozesse, die man durchlaufen muss. Man muss sich ihnen nur öffnen.


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6 Kommentare

  1. […] bekannten Bands durchaus mal eine 3/10 oder weniger reinzudrücken? Ich erinnere mich hier nur an Alex‘ Artikel zum Thema Vergleichbarkeit. Ja, auch ihr großen Bands müsst euch vergleichen lassen! Vielleicht […]

  2. Zlatko
    30. Juni 2016 bei 11:25 — Antworten

    Schön geschrieben, mit persönlicher Note.

  3. […] Alex | Silence Musik Magazin Kolumnen/Lifestyle […]

  4. Manuel
    27. Juni 2016 bei 13:59 — Antworten

    Sehr guter Artikel, Chef! Sehr schön auf den Punkt gebracht. Deshalb gehe ich mit dem größtmöglichen Perfektionismus und Professionalismus an meine Kunst heran, weil mir klar ist, an wem ich gemessen werde.

  5. Lode
    27. Juni 2016 bei 13:30 — Antworten

    Macht mich voll neugierig
    Ich würd gern mal „Mäuschen“spielen was bei dir so in nem Monat an Demos u.a. Im Kasten landet und vor allem zu welcher Qualität

  6. 27. Juni 2016 bei 13:16 — Antworten

    Guter Artikel! Es gibt aber tatsächlich junge, unbekannte Bands, die besser sind als ihre alten Vorbilder, die sich nur noch selbst kopieren und Kohle zu scheffeln. Man muss sie nur finden, was unter all dem Mittelmässigen Plunder echt schwer ist.

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