Exist Immortal – Poppig-djentende Arbeitsmusik

EXIST IMMORTAL – Breathe
Veröffentlichungsdatum: 28.10.2016
Dauer: 46 Min.
Label: Primordial Records
Genre: Experimental Metal

Bevor ich mir das zweite Full-Length-Album der Londoner anhöre, werfe ich erst noch das Internet an und schaue, was mich denn so ungefähr erwarten könnte. Ich bin überrascht, wie gut die Band offenbar schon unterwegs war. Schon 2012 (also gerade einmal ein Jahr nach ihrer Gründung) auf dem UK-Tech-Fest gewesen und auch für das kommende Jahr dort bestätigt, teilen sie sich dann eine Bühne, unter anderem auch mit THE BLACK DAHLIA MURDER, OBSCURA oder THE FINE CONSTANT. Alles Bands, die nicht gerade für ihre Einfachheit in Komposition und Schlichtheit in Spieltechnik bekannt sind. Ich sehe diese Line-Up-Konglomerate gern für mich als „Leuten, denen diese Band gefällt, mögen auch …“-Kaufempfehlungen. Damit ist mein Interesse an EXIST IMMORTAL geweckt. Die anderen Bands des Tourplakats sind mir nicht vollkommen unbekannt und auch nicht gänzlich unsympathisch. Na, dann los!

Mich begrüßt ein schön smoother und luftiger Synthie-Einstieg, gefolgt von einem schnellen Spannungsaufbau. Das Ziel ist offenbar klar: „Ouh, it djents!“ Dicke Eier dank tiefer Stimmung und mächtiger Abmischung. Auch die Drums knüppeln nach dem ersten Atemholen ordentlich los. Innerhalb der ersten Minute werden schon gut Stilwechsel zelebriert. Vom leicht elektronisch anmutenden Einstieg, zu derbe tiefem Djent, der in die erste Strophe führt und mich direkt zum Mitnicken animiert. Der Gesang ist angenehm rauhes Shouten, aber darin nicht anstrengend. Der Wechsel zum Refrain gelingt gut – die ganze Stimmung wechselt in dem Moment, in dem der Gesang in die hohen Lagen rutscht und clean wird. Dabei wirkt er aber ganz und gar nicht aufgesetzt pathetisch. Die Instrumente drunter zimmern zuverlässig durch und pusten amtlich die Synapsen durch.

„In Hindsight“ besticht gleich zu Anfang durch seinen angenehm fluffigen Gitarrensound. Hier mutet alles in allem etwas versöhnlicher an – weniger wie der brutale Holzhammer, der schon angeklungen war. Die überschaubare Gesangslinie lädt förmlich zum Mitsingen ein. Rhythmisch sind tatsächlich nicht ganz so viele Spielereien drin, wie ich zunächst erwartet hatte. Der Eindruck ist vielleicht auch dem sehr runden Gesamtbild geschuldet. Schon fast handzahm poppig kommt der Song daher und dudelt so vor sich hin. Damit landet er noch nicht in der Kategorie „nervig“, ist aber für mich auch nicht zum dauerhaft-gespannten Hinhören geeignet.

Mit dem folgenden Song gehts wieder deutlich ruppiger zur Sache. Da bin ich plötzlich auch wieder da. Bissigerer Gesang, zackigeres Riffing und knüppeligeres Schlagzeug. Apropos knüppelig – ich finde, die Drums könnten schon ein wenig dominanter sein. Zeitweise wirkt mir das Schlagzeugspiel zu sehr von der Soundwand aus Gitarren und Bass erschlagen. Auch hier werden ruhigere Passagen eingeschoben, die durch schöne Tappings und unpathetischen Cleangesang begleitet sind. Was dem Ganzen auch während der Ruhephasen Pepp verleiht, sind die Shout-Anteile zwischendrin.

„Misconduct“ liegt stilistisch in der gleichen Linie wie „Invisible Lines“. Spieltechniken auf der Gitarre sowie Gesangstechniken sind sehr ähnlich aufgezogen. Gerade als mich der Klangteppich langsam beginnt anzuöden, wird ein Luftloch geschaffen. Mitten im Song nehmen sich die Instrumente fast vollständig zurück und ich werde vom Gesang durch die Passage getragen. Zu schnell, wenn es nach mir geht, rutscht die Kapelle aber wieder in die typisch dichte Atmosphäre. Schade. Auch wenn die Auflösung des Songs dann ziemlich luftig daherkommt, wünsche ich mir langsam etwas mehr verschiedenere Sound-Facetten.

Der Beginn des fünften Songs „Follow Alone“ klingt schon vielversprech…, ach Mist. Wieder volle Esse in die Fresse gedjentet, Trällerstimmchen drüber, fertig ist das Metal-Sandwich. Eins muss man ihnen ja zugestehen: für catchy Gesangslinien hat Sänger de la Fuente offenbar Talent. Latente Larmoyanz kommt gut an und lädt immer und immer wieder zum Mitsummen ein. Die Songstruktur ist leider jedoch für meinen Geschmack schon wieder zu vorhersehbar. Auch das eingeschobene Gitarrensolo – sicher nicht ohne Finesse gespielt – ist erahnbar und ziemlich kurz geraten. Leider. Hier hätte ich mir einen etwas ausführlichereren Ausflug gewünscht.

Auch „Erode“ haut in die gleiche Kerbe und dudelt in Pop-Musik-Manier vor sich hin. Versteht mich nicht falsch, schlimm finde ich das nicht. Aber es fordert mich eben auch nicht heraus. Prinzip erkannt, restliche Platte läuft ähnlich ab. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, die Gesangslinien schon einmal von ihnen gehört zu haben. Eventuell, weil sie sich wirklich ähneln? Jedenfalls hinterlässt „Escape“ diesen Eindruck bei mir. Obwohl …, ein Interlude! Ich habe das erste Mal den Bass klar herausgehört. Angezerrt aber deutlich durchbricht er den dichten Klangteppich. Und auch nach einem weiteren Part wird mal eine fast cleane, sehr atmosphärische Passage eingeschoben, die mich zu überraschen weiß. Schade, dass auch hier nicht weiter gebastelt wurde, sondern konsequent zum Status „let it djent“ zurückgekehrt und eine weitere Runde vorhersehbarer Refrain angehängt wird.

„Lucid“ beginnt mit rhythmisch deutlich verwirrenderem Gehacke, was mich erstmal aus meiner „LAAAAAME!“-Stimmung reißt. Da passiert ja plötzlich was! Und ich kann’s nicht direkt mitzählen – das ist doch genau meine Kragenweite! Dekoriert wird hier wieder ziemlich schnell mit Cleangesang, die Gitarren halten sich zunächst noch angemessen zurück und erst nach dem ersten Drittel des Songs wird getappt, was das Zeug hält. Luftiger kommt der Song definitiv daher, da er nicht ganz so von den massiven Gitarren erdrückt wird.

Zu meinem Bedauern geht es anschließend mit dem Titelsong in bekannter geradliniger Manier weiter. „Release“ hingegen lockert auf und wirkt schon wie das Outro des Albums. Post-Rock lässt grüßen! Ein gutes Entspannungsmoment nach den vorhergehenden, doch sehr massiven Songs. Nach knapp zwei Minuten baut sich allerdings wieder die Wand auf. Verzweifelt aggressiv schreit sich der Sänger kurz die Seele aus dem Leib, bevor es wieder in Post-Rock-Pathos abebbt. Befreit ist die Stimmung, als sich der Sound wieder verdichtet und mit Cleangesang garniert aufbaut. Mit dem letzten Song wird genau diese befreite und fast leichte Stimmung aufgegriffen. Ich möchte behaupten, dass dieser Übergang und die Stimmung, die auch mit „Release“ schon stufenweise aufgebaut worden ist, für mich das bestgelungenste Moment der Scheibe ist. Mit dem fünfminütigen Wälzer „Chi“, voll dicker Gitarren und mit sehr klarer Songstruktur, endet „Breathe“.

Was bleibt mir zu sagen? Das Album der Jungs ist sehr klar abgemischt, aber auch sehr bauchig in den Tiefen und überrollt mich schon fast in seiner Mächtigkeit. Im Klangteppich geht nach meinem Empfinden manchmal das Schlagzeug etwas unter. Da hätte ich mir mehr Dominanz gewünscht. Ansonsten ist es in seiner Gesamtheit wohl für Menschen, die sich an gut in die Hirnwindung fressende Melodien und Strukturen erfreuen können, wärmstens zu empfehlen.

Wer noch ein bisschen fluffige Arbeitsmusik braucht, bitte hier entlang.

Autorenbewertung

6
Insgesamt ist „Breathe“ definitiv nix, was ich voller Spannung durchhören kann. Zum aktiven Hinhören fehlt mir da die Abwechslung. Allerdings hat die Scheibe für mich schon mehrfach gut als Hintergrundbeschallung zum Arbeiten funktioniert. Der Gesang ist angenehm und lädt immer wieder zum Mitsingen, die Instrumente zum Mitwippen ein. Nervig wird es dank der ausgewogenen Mischung der Gesangsstile nicht und das Level an eingebrachtem Pathos ist gut zu ertragen.
ø 3.4 / 5 bei 2 Benutzerbewertungen
6 / 10 Punkten

Vorteile

+ mitsingtaugliche Melodien
+ saubere Produktion
+ top Arbeitsmusik

Nachteile

- wenig Varianz in Struktur und Techniken

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