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Fallujah: Schlafloses Träumen und traumloses Schlafen

Das Drittlingswerk der kalifornischen Ausnahmeband im Review

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Album: Dreamless
Veröffentlichung: 29.4.2016
Dauer: 56:14
Label: Nuclear Blast America

Dreamless“ stellt bereits das dritte Album im Schaffen von FALLUJAH dar und das innerhalb von nur fünf Jahren! Oftmals wird die dritte Platte einer Band als alles entscheidender Meilenstein gewertet. Geht es danach, dann sieht die Zukunft der Kalifornier mehr als rosig aus.

Kann sich noch irgendwer an Reanimation von LINKIN PARK erinnern? Bin ich alt? Ist der Typ nur noch bescheuert, hier mit Nu Metal anzukommen? Und wie ist eigentlich die molare Masse von Barium? Fragen, die die Menschheit beschäftigen…
Für das weitere Verständnis: FALLUJAH setzen es mehr als gekonnt fort, Elektronik und (in Ermangelung eines anderen Wortes) technoide Elemente in ihren Sound zu integrieren, wie ich sie wohl zuallererst auf oben besagter Platte gehört habe. Soviel dazu.

Das Album beginnt mit einem seichten Einstieg, sphärischen Klängen, einem langsamen, schleppenden Gitarreneinsatz. Was darauf folgt ist entgegen der Erwartung kein brutales Zerstreuen der Stimmung, sondern eher ein Aufbau des Ganzen. Sofort fällt auf: alles hat unfassbar viel Raum, nicht nur im Mix, sondern auch im Arrangement. Musikalisch passiert hier gleichzeitig unglaublich viel, wobei alles trotzdem wohl strukturiert klingt.

Der zweite Track „Adrenaline“ ist der erste „wirkliche“ Song des Albums und macht sofort da weiter, wo „The Flesh Prevails“ aufgehört hat. FALLUJAH haben IHREN Sound, der im Moment nur grob mit RIVERS OF NIHIL zu vergleichen ist.

Der erste Eindruck setzt sich nahezu über die gesamte Albumlänge hinweg fort: das Quintett liefert eine perfekt inszenierte Mischung aus Härte und Stimmung ab,und agiert technisch auf feinstem Niveau. Jedoch wird die Spielfertigkeit und Finesse immer den Songs untergeordnet, hier lässt keiner den Pimmel raushängen, wenn es denn nicht unbedingt sein muss. Und im Gegensatz zum Stiefonkel im Stadtpark muss das hier auch keiner.

Vereinzelt sind die Deathcore Wurzeln der Jungs immernoch spürbar, allerdings manifestiert sich das lediglich im modernen Riffing, welches die Gitarrenarbeit dominiert. Dieses wird von Synthieflächen kontrastiert, die auch auf einem PETER GABRIEL Album nicht fehl am Platz wirken würden, und die selbst nach härtesten Passagen alles im Handumdrehen wieder in die Schwebe befördern.

Hier werden Spannungsbögen erzeugt, bei denen Architektur Studenten vor Neid implodieren müssten. Sänger Alex Hofmann nimmt sich teils vollständig heraus, und lässt grandiose Frauengesänge herrschen, die man teils schon auf dem Vorgänger vernommen hat. Das Zusammenspiel der Instrumente ist zu jedem Zeitpunkt der Wahnsinn. Hier greift alles ineinander. Für mich gibt es in den Songs keinerlei Längen: FALLUJAH wecken den Anschein genau zu wissen, wann es an der Zeit ist, den individuellen Stilelementen mehr, oder weniger Spielraum zu lassen. Besonders hervorzuheben sind die exzellenten, verträumten Gitarrenmelodien, die sich sanft ins Ohr graben und Melancholie erzeugen können, wie man es sonst von (vornehmlich) französischen Shoegaze Bands gewöhnt ist. Im Progressive Rock/Metal Bereich kann man das hier erzeugte Ambiente am ehesten mit späten CYNIC vergleichen.

Selten, wenn nicht NIE hat eine Death Metal Platte solche Emotionen hervorbringen können!

Was mir besonders positiv auffällt ist, dass sich die Kalifornier wieder nicht davor scheuen, dem Metal teils vollständig den Rücken zu kehren. Dürfen die das? Nein, sie müssen! So könnte zum Beispiel „Les Silences“ durchaus einer Ambient/Trip Hop Platte entnommen sein, ohne die Kohärenz des Albums zu zerreißen. Gelungener Spagat!

Auf dem durchaus zum träumen verleitenden „Dreamless“ bauen FALLUJAH ihre Stärken weiter aus, sie haben ihren Sound gefunden und agieren sehr souverän in den selbstgeschaffenen Sphären. Bei Metal Archives griffig beschrieben als Progressive/Technical Death Metal/Deathcore denke ich jedoch, dass es durchaus legitim ist, FALLUJAH als Tischler einer neuen, innovativen Schublade zu sehen: Post Death Metal.

 

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Autorenbewertung

9
FALLUJAH liefern mit ihrem Drittlingswerk vermutlich eines der wichtigsten modernen Metalalben des Jahres ab und manifestieren ihren Status, als eine herausragende Band, die bereits in jungen Jahren etwas geschaffen hat, was vielen anderen auf ewig verwehrt bleibt: ihren eigenen Sound zu finden - indem man einen neuen kreiert!
ø 3.9 / 5 bei 7 Benutzerbewertungen
9 / 10 Punkten

Vorteile

Exzellentes, atmosphärisches Songwriting
Eigenständige Kompositionen in denen metalfremde Elemente organisch in den Gesamtsound integriert werden
Ohrwurmmelodien, die bereits nach wenigen Hördurchläufen zupacken

Nachteile

"Fidelio" ist als Track leider ziemlich belanglos, und fühlt sich wie Füllmaterial an, ist dennoch nicht so schlecht, als dass es dem Rest der Platte schaden würde.

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7 Kommentare

  1. […] integrieren Instrumente und moderne Elemente in ihren Sound, die vielleicht unpassend wirken. Über FALLUJAH habe ich dabei schon geschrieben, ansonsten würde ich THE […]

  2. Morty
    8. Mai 2016 bei 16:44 — Antworten

    Das ist einfach zu sehr core/djent-lastig, klar melodisch ist es Top, auch die elektronischen Elemente sind nicht schlecht, aber ist für mich einfach kein Ernst zu nehmender Death Metal. Und Death Metal beinhaltet sehr wohl mehr als das Old-School Geknüpple à la Cannibal Corpse.

    • 9. Mai 2016 bei 16:56 — Antworten

      Ich glaube die Jungs wollen garkeinen ernstzunehmenden Death Metal machen. Ich finde so ne musikalische Frischzellenkur sehr angenehm für Genre und Szene. Ist auch höchste Zeit. Fallujah mit Cannibal Corpse gleichzusetzen wäre wie Deafheaven mit Marduk. Alles geil, aber alles in anderen Nischen unterwegs. Über den hohen Facettenreichtum von Death Metal sind wir denk ich einer Meinung. 😉

  3. Crimsonthunder
    7. Mai 2016 bei 18:32 — Antworten

    Super Album! Kann dem Autor nur zustimmen!

  4. 7. Mai 2016 bei 13:07 — Antworten

    Ich habe mir die Platte gestern zugelegt und muss dir definitiv zustimmen. Fallujah ist somit für mich auf dem Level, wie sie Emotionen hervorrufen auf der selben Ebene, wie zum Beispiel die Genrevertreter von Insonium. Dieser Stil gefällt mir weitaus mehr als die Deathcore-Wurzeln und somit hoffe ich, dass sie diesen beibehalten werden, ohne dass Innovationen darunter leiden.

    • 9. Mai 2016 bei 16:59 — Antworten

      Dankesehr!
      Interessanter Vergleich, hab Insomnium über die Jahre etwas aus den Augen verloren. Aber definitiv schönes Zeug dabei!

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