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FJØRT – Farbtupfer in Tristesse
Veröffentlichungsdatum: 17.11.2017FJØRT – „Couleur“
Dauer: 42 Min.
Label: Grand Hotel van Cleef
Stil: (Post) Hardcore, Post Rock, Screamo
Das ging schnell. Nach „Kontakt“ von 2016 folgt Schlag auf Schlag das neue FJØRT-Album „Couleur“. Interessanterweise wurde ich mit ebenjenem Vorgängeralbum erst vor Kurzem richtig warm. Doch schon stehen die drei Aachener mit einer neuen Langrille vor der Tür.
„Rückwärts war nie vorgesehen!“
Auf dem neuen Album geht es in bewährter Weise weiter. Irgendwo zwischen (Post) Hardcore, Post Rock, Sludge und Screamo haben sich Drummer Frank, Basser David und Saitenhexer Chris (beide ebenfalls am Gesang) auf den letzten Alben in mein Herz gespielt. So war von Anfang an klar zu erkennen, dass Genregrenzen nur lose bestanden und neben ordentlicher Härte und nachdenklichem Text auch viel Eingängigkeit und sogar ein gewisser Hang zum Poppigen zu erkennen war. Kann „Couleur“ neben dem bewährten Soundbild neue Farbtupfer in das Gesamtbild einfügen?
Laut und Leise
Der Opener „Südwärts“ startet mit grollendem Bass, schiefen Tönen und marschierenden Drums, bevor der Song richtig durchstartet, ordentlich losgroovt und unweigerlich zum Haareschütteln animiert. Ab- und Mitgehmomente wechseln sich mit immer wiederkehrenden ruhigeren Parts ab, welche häufig instrumental reduziert sind und einen klaren Fokus auf die Texte, beziehungsweise den Gesang legen. Und hier trumpfen FJØRT ordentlich auf. Selbstreflexion, zwischenmenschliche Erfahrungen und gesellschaftsblickende Gedanken vereinen sich und schaffen dadurch in fast jedem Song verschiedene Interpretationsebenen.
Die erste Singleauskopplung „Couleur“ etwa bespricht auf dramatische Weise Unterdrückung und Meinungsfreiheit. Dabei gelingt es der Band meist Worte zu wählen, die nicht zu plump Parolen bedienen und diese großen Themen auf Einzelschicksale anzuwenden, was dem Ganzen einen ordentlichen Touch Emotionalität und Authenzität verschafft. Und wo wir beim Thema Emotionen sind – diese werden durch die Instrumentalarbeit ordentlich intensiviert. Der Bass pumpt, die Gitarrenparts wechseln zwischen nachdenklich, verzweifelnd, träumerisch und ordentlich hart und prügelnd. Dieses Spiel wird meist sehr klar durch einen klassischen Liedaufbau im Schema Strophe, Refrain, Bridge exerziert. Hinzukommt Franks energetisches Schlagzeugspiel, welches in seiner simplen Weise jederzeit für ordentlich Drive sorgt.
Schafft es etwa der bereits erwähnte Song „Couleur“ gerade gegen Ende hin mit seinem großen Finale zu überzeugen, so lässt „Eden“ durch seine simplen Synthies aufhorchen, bevor es mit „Raison“ wieder sehr politisch wird. Das Quasinachfolgerlied zu „Paroli“ vom Album „Kontakt“ thematisiert abermals den sogenannten Rechtsruck in der Gesellschaft mit so zweifelhaften Auswüchsen wie im prominentesten Beispiel etwa: PEGIDA. Ich persönlich tue mich mit solchen Songtexten schnell schwer, da es selten gelingt, komplexe gesellschaftliche Prozesse auf ein paar Liedzeilen herunterzukürzen. Bei „Raison“ gelingt dies meiner Meinung nach zumindest einigermaßen, denn war „Paroli“ auf dem Vorgängeralbum noch sehr direkt und plakativ, konzentriert sich „Raison“ mehr auf das Hintergründige und manifestiert dies in Zeilen wie:
„Ich bin so müde vom Zählen,
ich habe 1933 Gründe schwarz zu sehen.
Doch egal wieviel da kommt, ich hab‘ alles was ich brauch‘,
denn die 1933 Gründe, ihr habt sie auch.“
Licht und Schatten
Die folgenden Stücke „Windschief“, „Fingerbreit“ und „Magnifique“ stellen gewissermaßen eine komplette Werkschau der drei Aachener dar. Mal geht es ordentlich flott zur Sache, mal in melancholische, fast depressive Stimmungswelten und mal in eher hellere, leichtere Klangfärbungen. Speziell „Magnifique“ mit seinem dramatischen und gleichzeitig poppigen Refrain verbindet dabei auf überzeugende Art und Weise diese unterschiedlichen Aspekte.
Jedoch gibt es neben den vielen guten Ideen auch einiges, was mir an „Couleur“ nicht so gut gefällt. Der Gesang von Chris ist des Öfteren zu sehr gepresst, wie etwa bei „Fingerbreit“ oder auch „Zutage“. Vieles spielt sich im Midtempo ab und es fehlt trotz interessanter Ideen, wie etwa dem schon fast rap-artigen Beginn in „Bastion“, an Abwechslung. Neben der Laut-Leise-Dynamik findet da leider zu wenig statt. Und dies konnten FJØRT definitv auch schon auf den älteren Alben besser. Diese Kratzer im Lack führen leider zudem des Öfteren dazu, das die Emotionalität in den Kompositionen und Texten nicht hundertprozentig bei mir ankommt. Schade!
„Südwärts! Südwärts! Es geht immer südwärts, südwärts!“
Das bereits erwähnte Stück „Bastion“ oder auch der Rausschmeißer „Karat“ sind hingegen noch einmal richtig stark. Hier verschmilzt Zerbrechlichkeit mit Aggression, peitscht die Musik voran und lässt die Texte in jedem Wort wirken. Dabei stellt „Karat“ schon fast einen Abgesang dar, handelt er lose vom Gedanken was wäre, wenn die Band in diesem Moment in einem Flugzeugunglück ums Leben kommen würde. „Wir würden mit uns im Reinen gehen können, wenn es das jetzt gewesen wäre“, meint die Band im Promoschreiben bezogen auf ihr künstlerisches Schaffen.
Resümee
Ich als Konsument des Albums bin jedoch ein wenig zwiegespalten vom Gesamtwerk, auch nach vielen Hördurchgängen. Klar ist, FJØRT wissen was sie tun und sie haben ihre Stärken beibehalten und die musikalischen Fühler ein wenig mehr ausgestreckt. Dennoch kann „Couleur“ die maximale Qualität streckenweise nicht abrufen. Das Harte in der Musik ist nicht mehr ganz so hart, das Gefühlvolle nicht mehr ganz so gefühlvoll. Ihr versteht mein Dilemma. Zudem fehlt es dem Album auch an den ganz großen Hits. Waren Songs wie „D´accord“, „Kleinaufklein“, „Lichterloh“ oder „Anthrazit“ bandinterne Klassiker, so fällt mir die Identifikation neuer Songs dieser Kategorie schwer. Im Endeffekt kann es auf die beiden Singleauskopplungen „Couleur“ und „Magnifique“ zutreffen, für mich jedoch nur bedingt. Die ganz große Klasse wird nicht erreicht.
Das alles klingt jedoch schlimmer, als es ist. „Couleur“ ist ein gutes Album, bietet tolle Songs, ergreifende Textpassagen und nach wie vor genug Power. Ich bin aber gespannt wie es weiter geht mit dem produktiven Trio. Anfang 2018 geht es erstmal auf Release-Tour und dann wird sich zeigen, was noch kommt. Denn zum Glück ist das Schicksal momentan besser um FJØRT bestellt als im Song „Karat“ beschrieben und mit ein wenig neuem Schwung und dem Mut zu neuen Ideen kann uns die Band noch lange mit guter, emotionaler Musik versorgen. So wird das Grau doch gleich viel bunter.
Autorenbewertung
Vorteile
+ starke Produktion
+ teils sehr ergreifend
+ keine Scheu vor schwierigen Themen
Nachteile
- Emotionalität der Musik packt nicht immer hunderprozentig
- teils zu gepresster Gesang
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