Startseite»Reviews»Power Metal»FLOTSAM AND JETSAM – Chaotische Flucht vor den Wurzeln

FLOTSAM AND JETSAM – Chaotische Flucht vor den Wurzeln

0
Geteilt
Folge uns auf Pinterest Google+

FLOTSAM AND JETSAM – „The End Of Chaos“

Veröffentlichungsdatum: 18.01.2019
Länge: 49:20 min
Label: AFM Records
Genre: Thrash Metal / Power Metal

Hinter „The End Of Chaos“ verbirgt sich nicht etwa eine neue Netflix-Produktion mit Marie Kondo, sondern das von Fans sehnsüchtig erwartete dreizehnte Studioalbum der Alt-Thrasher FLOTSAM AND JETSAM. Die Band aus Phoenix, die ihren Namen einem Kapitel aus „Der Herr Der Ringe“ verdankt, ist bereits seit den 80er Jahren unterwegs. Dabei steht sie seit jeher im Schatten von Szenegrößen aus der Bay-Area und von der Ostküste wie EXODUS oder OVERKILL. Von Giganten wie SLAYER oder MEGADETH ganz zu schweigen. Ob ihr neuestes Werk daran etwas ändern wird, darf bezweifelt werden.

Episch und konfus

Bereits nach dem ersten Song wird deutlich, dass der Sound auf dem neuen Album übermäßig episch, teilweise pathetisch klingt. Nicht nur die aalglatte Produktion (ein Trend, der sich leider auch im Oldschool Thrash Metal mittlerweile zu etablieren scheint) trägt dazu bei, sondern vor allem die Tatsache, dass FLOTSAM AND JETSAM beinahe pausenlos auf Anschlag laufen. Donnernde Double-Bass-Rhythmen wechseln sich mit aufwendigen Leadgitarren-Passagen ab, die auch vor besungenen Parts keinen Halt machen. Wie im Refrain von „Prisoner Of Time“. Über allem thront der Gesang von Eric A. Knutsen, der oft von doppelstimmigen Melodien geprägt ist. So entsteht schnell ein Gefühl der Übersättigung, das kaum Höhepunkte erkennen lässt. Im Gegenteil, man hat das Gefühl, dass durch das viel zu dick aufgetragene Songwriting die einzelnen Stücke zu einem konfusen und ermüdenden Dauerrauschen verschmelzen.

Gegen den Gegentrend

Man kann „The End Of Chaos“ zwar nicht absprechen, dass ein Konzept hinter dem Songwriting steht. Die einzelnen Lieder wirken gut platziert und es ist meist der viel zitierte „rote Faden“ zu hören, der dem Album Struktur verleiht. Doch die Verbindung von Einflüssen zahlreicher Metal-Genres wirft durchaus die Frage auf, welche Motivation hinter dem Konzept der neuen Scheibe steht. Die bereits erwähnten doppelstimmigen Gesangspassagen und melodiösen Lead-Riffs kreieren gepaart mit den donnernden Drums des neuen Schlagzeugers Ken Mary einen teils kruden Mix, der Einflüsse von Power Metal und NWOBHM bis hin zu Stadion-Rock aufweist. Mit etwas Phantasie lässt sich im Refrain von „Architects of Hate“ sogar eine Prise Black Metal erahnen. Insgesamt wirken die Songs dadurch oft chaotisch und überladen.

Was wollen FLOTSAM AND JETSAM damit erreichen?

Man könnte fünf Euro ins Phrasenschwein werfen und die gern zitierte „musikalische Weiterentwicklung“ der Band als Argument für den neuen Sound bemühen. Die große (und bei Fans der Szene überaus beliebte) „back-to-the-roots“-Bewegung im Thrash Metal ist auf dem Weg nach Arizona wohl der gnadenlosen Wüstensonne zum Opfer gefallen. Bis nach Phoenix hat sie es definitiv nicht geschafft. Ohne den unverkennbaren Gesang von Eric A.K. würde man kaum auf die Idee kommen, dass hinter dem legendären Erstlingswerk „Doomsday For The Deceiver“ und dem Neuling „The End Of Chaos“ die gleiche Band steckt. Zwar finden sich versteckt zwischen dem vielen Pathos auch ein paar starke Thrash-Riffs auf der Platte. Mit „Control“ und „Unwelcome Surprise“ sogar zwei astreine Schredder-Bretter. Doch insgesamt reiht sich mit „The End Of Chaos“ eine weitere Neuerscheinung in den kaum noch zu überblickenden Reigen ein, der aufgrund der Unfähigkeit, ihn genauer zu definieren, gerne schlicht als „Modern Metal“ bezeichnet wird.

Begnadete Virtuosen auf der Suche nach der musikalischen Identität

Die atemberaubende Virtuosität und Spielfertigkeit der Bandmitglieder ist aber auch auf der neuen Platte einmal mehr unbestreitbar. Sowohl die Gitarrenarbeit von Michael Gilbert und Steve Conley als auch das Schlagzeugspiel des neuen Trommlers Ken Mary wissen stets zu überzeugen. Die kreativen und technisch anspruchsvollen Basslines von Jason Ward garnieren diese explosive Mischung hervorragend. Überstrahlt wird das meisterliche Ensemble nur von Sänger Eric A. K., der (nicht zu Unrecht) von Teilen der Presse und Fanszene als einer der besten Metal-Vokalisten überhaupt geadelt wird.

Doch gerade die Versiertheit und Erfahrung der Musiker wirft die Frage auf, warum sich die Arizona-Thrasher auch nach über dreißig Jahren Bandgeschichte noch auf den holprigen Pfad der Selbstfindung begeben. Auf „The End Of Chaos“ wirken die Versuche der Neuausrichtung (der Begriff „Weiterentwicklung“ wäre aufgrund der gewaltigen Kluft zwischen den frühen Werken und den Neuerscheinungen fast unangebracht) zumindest recht unbeholfen. Die bereits ausführlich kritisierte Übersättigung von Produktion und Songwriting trägt maßgeblich dazu bei, dass das neue Werk von FLOTSAM AND JETSAM insgesamt recht unreif klingt.

Nach dem eher zweifelhaften Genuss von „The End Of Chaos“ bleibt festzuhalten, dass die fünf Musiker technisch brillieren, dabei aber das dringend benötigte Augenmaß bei der Dosierung von Höhepunkten sowie der Mischung der vielen verschiedenen Einflüsse vermissen lassen. Das Resultat davon ist ebenfalls ein Fall für die Sprüche-Kasse: Manchmal ist weniger einfach mehr!


Dies ist ein Gastautorenartikel von: Johannes

Autorenbewertung

5
FLOTSAM AND JETSAM haben mit "The End Of Chaos" ein anstrengend-episches Werk erschaffen. Die zwölf Songs laufen fast durchgängig auf Anschlag und lassen so leider kaum Höhepunkte erkennen. Auch wenn die Bandmitglieder an ihren Instrumenten ausnahmslos brillieren, sind die Lieder oft unreif geschrieben. Sound und Songwriting stellen sich eindeutig gegen den Trend vieler Szenegrößen, sich an den Wurzeln der 80er Jahre zu orientieren. Mit „Control“ und „Unwelcome Surprise“ finden sich leider nur zwei Thrash Nummern, die die Pathos-Phalanx der restlichen Subgenre-Hybriden durchbrechen.
ø 4.4 / 5 bei 1 Benutzerbewertungen
5 / 10 Punkten

Vorteile

+ großartige Musiker zeigen ihr ganzes Können
+ „Control“ und „Unwelcome Surprise“ als starke Thrash-Brecher

Nachteile

- überglatte Produktion
- unreifes Songwriting
- von allem etwas zu viel

Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über silence-magazin@patreon Patreon
letzter Artikel

HAKEN in Leipzig - Geballte Prog-Power

nächster Artikel

Mead & Greed - 48 Stunden Folk, Pagan und Mittelalterrock - Verlosung!

Keine Kommentare

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert