Sibirischer Frost und düstere Klänge – GRIMA und KANONENFIEBER in Leipzig!
Manchmal sind die spontanen Entscheidungen doch die besten! Gut, das mag jetzt nicht beim Autokauf oder der Partnerwahl zutreffen, aber in dem heutigen Fall schon. Denn nachdem ich zuletzt das Album „Menschenmühle“ von KANONENFIEBER ein paarmal auf dem Arbeitsweg konsumiert habe, folgte ich der Band auf Social Media. Und ganz unverhofft wurde mir Donnerstag dann ein Konzert in Leipzig in die Timeline gespült. Also habe ich beschlossen – abhängig vom Schlafzustand der Nachkömmlinge – Samstag ganz spontan zu entscheiden, ob ich mich in die Spur begebe.
Und siehe da, der Sandmann meinte es gut mit mir – 19:30 fiel der Hammer, zuhause herrschte himmlische Ruhe und ich suchte verzweifelt eine Beinbekleidung, die keine Jogginghose und außerdem auch noch schwarz war. Die verlebte Vati-Homeoffice-Frisur wurde unterm Cap versteckt, die Löcher in den Socken durch schwere Stiefel und die Sabberflecken aufm Shirt durch einen schicken Pulli! Auf das Black Metal Corpse Painting konnte ich ebenfalls verzichten – Samstag gegen 20 Uhr bin ich automatisch blass und habe so tiefe Augenringe, das keinerlei Make-Up nötig wird.
Jedes mal das gleiche – ich lerne es nie…
Okay, genug der Klischees – aber ich fühlte mich auf jeden Fall gut gerüstet und trat in Begleitung eines Fahrerbiers den Weg zum Hellraiser im Auto an. Selbstverständlich habe ich, obwohl ich da täglich vorbeifahre, immer noch nicht im Kopf, dass die Brücke die ich als Weg noch kenne seit Jahren gesperrt ist. Also fuhr ich mit der Kirche ums (Engels)dorf, denn das ist der Stadtteil da draußen, und kam schließlich verspätet an. Und dann war da noch ein Problem, das ich dort noch nie hatte: der Parkplatz war brechend voll! Ich traute meinen Augen kaum, denn aktuell liest man immer von abgesagten Konzerten wegen Zuschauermangel und abgesagten Touren. Ich hatte also insgeheim gehofft, dass es keine klägliche Kulisse wird – aber, dass es SO voll ist, hätte ich nie gedacht. Sogar internationale Kennzeichen waren nicht selten vertreten und ich parkte tief beeindruckt und recht verkehrswidrig nahe beim Eingang.
Gerade noch pünktlich – aber leider erst zur zweiten Band
Dann habe ich schnell den fairen Eintritt ( 25 Euro für 4 Bands ) gelöhnt und kam pünktlich zu den ersten Tönen im Saal an. Leider nur zu den ersten Tönen der zweiten Band AETHER, sodass ich leider nichts zu MAERER sagen kann. Der Saal war so voll wie ich ihn ebenfalls noch nie bisher gesehen habe, und das obwohl nicht mal der Bandmerch an der rechten Seite am Rand war, der sonst die Zuschauerfläche noch begrenzte. Ich war erneut schwer beeindruckt und freute mich umso mehr auf einen spannenden Abend.
Und AETHER gaben alles, um den Start für mich perfekt zu machen! Gerade angekommen umgaben mich die ersten Töne mit voller Wucht und nahmen mich direkt von Beginn an voll mit. Die Jungs aus Polen sind definitiv eine der größten Vorbandüberraschungen in meiner Konzerthistorie! Also ich meine damit Bands, die ich vorher nicht kannte – und die mich in diesem Fall absolut mitgerissen hat! Eine sehr gut dargebotene Melodic-Death-Metal Performance, die auch im Publikum guten Anklang fand, und mit sichtlicher Begeisterung der Bandmitglieder auf ihrem ersten Deutschlandkonzert dargeboten wurde. Die Band spielte ca. 30-40 Minuten und lieferte dabei zahlreiche Stücke ihres Debütalbums „In Embers“ sowie einige bisher unveröffentliche Songs ( soweit ich das den Ansagen entnehmen konnte ) und wurde am Ende auch sehr anerkennend bejubelt und beklatscht!
Schon jetzt ein gelungener Abend!
Ich war schon jetzt froh, mich aufgerafft zu haben, denn schon für die erste Band hatte sich der Weg gelohnt. Nun bin ich gespannt was noch kommt! Eine kleinere Umbaupause folgte, und anschließend schaute ich mit leichter Verwirrung auf die Bühne. Eigentlich hatte ich das Konzert als Europatour der sibirischen Band GRIMA gelesen und den Rest als Support verstanden – nun kamen aber maskierte und düster gewandete Waldgeister auf die Bühne, die definitiv nicht KANONENFIEBER waren. Warum die Bands in dieser Reihenfolge spielten, habe ich nicht herausbekommen, aber es war mir auch nach kurzem Überlegen egal, denn mich umfing ein düsteres und atemberaubendes Black Metal Gewitter der feinsten Sorte!
Mystische Wesen mit sibirischer Kälte
GRIMA aus Sibirien kamen mit viel Nebel auf die Bühne. (Man möge mir dementsprechend die schlechten Fotos verzeihen) Gestalten wie aus einem mystischen Märchen mit urtümlichen Masken und abgerissenen Gewändern. Ohne jegliche Interaktion mit dem Publikum, oder irgendwelche nicht in die Rolle passenden Gesten oder Bewegungen wurde dann einfach feinster, brachialer und umwerfend guter Black Metal dargeboten, der den ganzen Raum füllte. Ich empfinde diese Musik von allen Genres, die ich live bisher erleben durfte, immer wieder am magischsten, am faszinierendsten, denn es ist als könnte man die Wucht, die Energie, die Kraft förmlich greifen und alles, was nicht zur Musik gehört, wird aus dem Raum geblasen.
Vor der Bühne war der ganze Saal sehr gut voll und die Menge wogte mit den Köpfen und nickte zur Musik. Ich glaube Black Metal ist die härteste Spielweise, bei der es keinen Mosh Pit oder vergleichbares gibt. Das Publikum ist ein Meer aus (meist nur während des Konzerts) finster dreinschauenden Gestalten, die im Einklang die Musik genießen, ohne dabei allzu viele Regungen zu zeigen. Im Anschluss an die einzelnen Titel wird dann allerdings überraschend intensiv der Band Respekt gezollt, bevor es wieder still und düster wird. Eine erstmal ungewohnte Athmosphäre, an die man sich aber sehr schnell gut gewöhnen kann.
Die Musik ist brilliant und dabei klirrend kalt wie ihre Herkunft
GRIMA spielten nun also ein absolut großartiges Set, und die gute Stunde Spielzeit verfliegt tatsächlich viel zu schnell. Man könnte meinen, dass einen die Musik aufgrund ihrer schieren Wucht und Kraft nach einiger Zeit erdrückt und man für eine Pause dankbar ist. Hier geht es mir allerdings völlig anders! Denn schon nach wenigen Augenblicken fühle ich mich irgendwie leer, als ob plötzlich ein Teil fehlt und ich wünsche mir, dass die Musik mich wieder erfüllt. Auch das ist ein Gefühl, das ich in dieser Form bisher nur bei so großartigem atmosphärischen Black Metal auf Konzerten hatte. Die Band wird verabschiedet und sehr begeistert beklatscht, und für einen kurzen Moment zog die Moderne ein, als ein Foto mit der Meute gemacht wurde.
Spannung und Neugier steigen rasant…
Es folgte logischerweise eine Umbaupause, in der ich mein Hirn lüften ging und nach einer kurzen Erfrischung wieder Posten im Saal bezog. Nun sollten also KANONENFIEBER kommen, und ich war gespannt wie ein Flitzebogen, wie deren Auftritt nun nach dem vorhergehenden von GRIMA wirken wird. Ein recht umfassender Soundcheck wurde noch gemacht, bis alles passte. Anschließend wurde es dann dunkel auf der Bühne, bevor kurz später ein orange-rötliches Licht alles indirekt erleuchtete. Und dann kam die Band auf die Bühne.
Meinem Gefühl nach war ich der Einzige in der Menge, der nichts vom optischen Auftreten der Band wusste, und so fiel mir erstmal ein wenig die Kinnlade nach unten! Vier Musiker in weißen Hemden, schwarzen Sturmhauben und dazu – vermute ich – alten Infantristenmützen. Dazu kommt der Sänger der Band in altdeutscher Uniform, Sturmhaube und darüber noch einer Pickelhaube. Ein absolut bizarrer Anblick! Den konnte man während des Intros zum ersten Song „Feuertaufe“ kurz auf sich wirken lassen, ehe dann Musik und Gesang jegliche Gedanken völlig davonfegten.
Was für eine Power, was für eine brachiale Energie, und das alles verpackt in einen unglaublichen guten musikalischen Rahmen und begleiten von sehr tiefgründigen und leider immer noch sehr aktuellen Texten. Ein absoluter Wahnsinn, was hier live passiert! Ich schwenke aber mal ganz kurz noch weg vom Konzert an sich. Natürlich habe ich beim ersten Anblick des Covers zum Album „Menschenmühle“, welches ein Anti-Kriegsplakat aus dem ersten Weltkrieg zeigt und bei den enthaltenen Texten ein wenig nachgelesen, bevor ich mich auf das Konzert begeben habe.
Ein kurzer Ausblick zum Projekt hinter der Show:
Bei KANONENFIEBER handelte es sich ursprünglich um ein Einmann-Projekt des Musikers Noise, der das Album komplett selbst erschaffen und eingespielt hat. Von dem Erfolg des Albums wurde er selbst völlig überrannt. Die Zeit der Albumveröffentlichung lässt sich sehr anschaulich auf der Bandpage nachlesen. Für die – vorher nie geplanten- Live-Auftritte hat er sich dann noch befreundete Musiker ins Boot geholt. Bei der Thematik, die in den Songs behandelt wird, geht es ausschließlich um den ersten Weltkrieg. Dieser wird dargestellt aus der Sicht der Protagonisten. Es handelt sich um Passagen aus Texten und Briefen von deutschen Soldaten, die diese damals selbst verfasst haben. Das ganze Projekt ist dabei so konzipiert, dass es die Schrecken und Gräuel des Krieges aufzeigen soll. Die Musik schafft dazu die passende dystopische und bedrückende Grundstimmung, und vermittelt gleichzeitig die gewaltige Geräuschkulisse, die ein Schützengraben damals geboten haben muss. Deutsche Kriegsvergangenheit musikalisch zu thematisieren ist dabei natürlich ein ganz heißes Eisen, um das ganz vorsichtig zu formulieren.
Aber es handelt sich hier eben nicht um Glorifizierung, um Weichzeichnung, sondern im Gegenteil um die ungeschönte Wahrheit. Es spricht simpel gesagt der einfache Soldat, der sich dem vermeintlichen Siegeszug im Westen anschließt und später seine Lunge im Graben des Gaskrieges auskotzt. Und meiner Meinung nach funktioniert dieses Konzept bestens, das Album ist ein großartiges Werk! Noise betont und erklärt in Interviews auch immer wieder die Hintergründe seines Schaffens und grenzt sich auch klar von irgendwelchen Beschönigungen oder Glorifizierungen der Geschehnisse ab – ebenso wie von den „falschen Ohren“ die sein Werk natürlich trotzdem erreichen kann, mit denen er allerdings ganz klar nichts zu tun haben will. Ich kann abschließend auch diese Interview hier wärmstens empfehlen, das viele Einblicke bietet: https://www.zephyrs-odem.de/interviews/interviews-2021/kanonenfieber-angstgefuehle/
Zurück in die Schlacht
Zurück zum Konzert – und wieder mit in die wogende Menge. Die eben erwähnten falschen Ohren kann ich im Publikum nirgendwo entdecken, was mir sehr positiv auffällt. Dafür finden sich allerdings ausreichend viele Fans von KANONENFIEBER, denn scheinbar hat der Hype Train um das Projekt nur bei mir erst so spät gehalten. Viele sind mit Merch ausstaffiert und noch mehr sind für mich überraschend textsicher. Das lässt die gewaltige Show auf der Bühne natürlich noch heftiger werden, da diese durch das Publikum mitgetragen wird. Ob es sich hierbei nun um Black Metal, Death Metal, oder eine Mischung aus beidem handelt – daran scheiden sich die Geister, und ich habe den Eindruck der Schöpfer sieht es auch durchaus anders als viele Hörer.
Aber solche Feinheiten spielen hier keine Rolle. Es gibt hier auch keine Verschnaufpausen oder großartige Ansagen, es folgt einfach ein Brett auf das nächste. Zwischenzeitlich säumen Tannenbäume und herabrieselnde Schneeflocken die Bühne, und die Titel werden optisch absolut stimmig untermalt, was die einfach nur bedrohliche Wirkung noch weiter verstärkt. Eine ähnlich bedrohliche Stimmung inklusive optischer Untermalung habe ich bisher nur bei den Ukrainern von 1914 erlebt. Mit denen steht Noise wohl auch in gutem Kontakt, wie ich nach dem Konzert gelesen habe.
Ein Wechselbad der Gefühle
Die Zeit verfliegt, es werden viele Titel vom Album gespielt, aber auch die neueste Single „Füsilier“ hat Platz gefunden. Und es ist ein sehr surreales Gefühl hier vor der Bühne zu stehen. Einerseits mitgerissen durch die schiere Kraft, die Urgewalt der Musik und deren Wucht – andererseits verwirrt bzw. bedrückt durch die Texte und Hintergründe der Musik, die alles andere als partytauglich sind. Diese Mischung zusammen als Show zu erleben, macht nachdenklich und schickt mich auf einen wilden Ritt zwischen von der Musik getragenen Höhenflügen und gedankliche Abgründe aufgrund vergangener – und heute wieder sehr aktueller – Geschehnisse. Und ich glaube damit auch genau dahin gekommen zu sein, wohin KANONENFIEBER die Menschen mit ihrem Album, ihrem provokanten Auftreten, der aufwühlenden Musik und der mitreißenden Show schicken will.
Das Ende eines großartigen Abends
Irgendwann ist aber auch dieser großartige Auftritt vorbei, die Musik endet und Licht erleuchtet den Saal. Ich sammle mich, trete den Weg durch – wie grotesk passend – einsetzenden Schnee zurück zum Auto an. Und fühle mich einerseits absolut befreit von einer 4 Stunden Hirnwäsche, die jeglichen Alltagsgedanken aus dem Hirn gepustet hat. Andererseits fühle ich mich leer, wie selten nach Konzerten, denn schon nach wenigen Augenblicken fehlt mir einfach alles von der Musik, und ich sehne mich nach der umfassenden Energie zurück, die alles andere verdrängt. Erst als ich aufgewühlt zuhause ankomme, lande ich auch wieder in der Realität und blicke zurück auf einen grandiosen Abend. Und ich kann nur empfehlen die Shows der Band zu besuchen sollten welche in eurer Nähe sein!
Zum Abschluss muss ich im Übrigen auch eine Lanze für das Hellraiser brechen, dem ich sonst manchmal etwas zwiegespalten gegenüberstehe. Heute Abend hat einfach ALLES gestimmt, und am beeindruckendsten war für mich der Sound. Ich stelle es mir unglaublich schwierig vor gerade diese gewaltige und atmosphärische Musik ordentlich durch die Technik zu bekommen, sodass nicht nur Brei am Ende herauskommt. Und genau das ist absolut brillant gelungen an diesem Abend – vielen Dank dafür!
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