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Im Sog der Schwere – Doom Over Leipzig 2017: Tag 1

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Wieder einmal öffnet mein Lieblingsschuppen in Leipzig, das UT seine Pforten, um ein Festival der Extraklasse zu präsentieren, das sich den experimentellen Nischen der Szene widmet und auch in diesem Jahr nicht wenige hochkarätige Gäste gewinnen konnte.

Seit 2010 wird das Festival nun schon von Swansea Constellation organisiert und konnte sich in dieser Zeit auch weit über Leipzig, Sachsen und Deutschland hinaus einen Namen machen. Über die drei Tage des Festivals hinweg wird jedoch nicht nur Musik geboten, auch Lesungen, Ausstellungen, Kolloquien und Filme gehören zum Programm des Doom Over Leipzig. All das wird in verschiedenen Örtlichkeiten im Leipziger Süden veranstaltet, die unweit voneinander entfernt sind, und deren Besuch bereits im Ticketpreis inbegriffen ist. Nachdem bereits seit Mittwoch die Ausstellung läuft und am Abend eine Lesung stattfand, die das Festival eröffnete, geht es für mich erst am Donnerstag los.

Nicht ganz pünktlich betrete ich das steinerne UT, während ULTHA gerade daran arbeiten, alles in Schutt und Asche zu legen. Kaum sichtbar, nur in rotem Licht und Nebel stehen die fünf Mannen aus Köln auf der Bühne und überzeugen mit ihrem eiskalten und rasenden Black Metal den bereits gut gefüllten Saal. Ein paar wenige Strahler leuchten Richtung Decke und erzeugen so den Eindruck von Säulen, die mich an Sakralbauten erinnern. Ein merkwürdiges, und dennoch sehr passendes Bild.
Ganze 50 Minuten Spielzeit werden den Kölnern als erste Band gegönnt, was mich schwer begeistert und mir zeigt, dass auf dem Doom Over Leipzig niemand als Opener „verschossen“ wird, bevor die „großen Jungs“ spielen dürfen.

 

Nachdem ULTHA und WOE kürzlich nicht in Hamburg spielen durften (wir berichteten), bin ich umso froher, beide nun hier sehen zu können. Auf einem linken Festival. Dessen Veranstalter ausdrücklich links sind. Im ausdrücklich linken Stadtteil Leipzigs. Ich verstehe den ganzen Wirbel nicht so richtig und hoffe nur, dass nicht durch irgendwelche irrsinnigen Assoziationen bestimmter Kreise bald der Ruf entsteht, dass das Doom Over Leipzig ein Grauzonenfestival wäre, da dort mal jemand gespielt hat, der mal jemanden kannte, der mal jemanden kannte, der mal mit INQUISITION gespielt hat. „Verrückte Zeiten“ denke ich mir, während ich meine Nackenmuskulatur bei dem abschließenden und grandiosen „Fear Lights The Path (Close To Our Hearts)“ auf Betriebstemperatur bringe.

Ursprünglich sollten als zweite Band (DOLCH) die Bühne betreten, doch aufgrund von verspäteter Ankunft verschiebt sich der Ablauf etwas, weshalb nun WOE die Bühne betreten.

 

Während Jonas auf dem Vendetta Fest ganz begeistert von den Amerikanern war, springt bei mir der Funke heute nicht über. Handwerklich wird hier alles gut gemacht und auch auf Platte konnte das Quartett bislang beweisen, dass sie anständiges Songwriting durchaus beherrschen. Was mir heute aber den Zahn zieht, ist der undifferenzierte Sound, der mich keine einzige Gitarrenlinie heraushören und leider alles zu einem dröhnenden Einheitsbrei verkommen lässt, der keinen Spaß macht. Zusätzlich dazu passiert auch zwischen den Songs kaum etwas. Während man nach dem Eröffnungsstück noch etwas atmosphärischen Lärm macht, um notwendige Schraubereien am Drumset zu übertünchen, bleibt die Stille zwischen den weiteren Liedern ungefüllt. Ein halbherziges Heben der Bierflasche vom Bassisten ist die einzige Publikumsinteraktion – die weitestgehend unbeantwortet bleibt.

 

ORANSSI PAZUZU betreten die Bühne und brauchen zunächst eine gefühlte Ewigkeit für den Soundcheck. Doch das Warten lohnt sich! Denn spätestens mit dem zweiten Lied „Saaturatio“, dem Opener des letztjährig erschienenen und immer noch aktuellen Albums „Värähtelijä“, ziehen mich die Finnen in ihren Bann und haben mich bis zum Ende ihres Sets fest bei den Eiern!
Mit vollem Körpereinsatz bietet das Quintett eine Show, die vor Energie nur so strotzt, weshalb sich diese auch umgehend auf das Publikum überträgt. Still stehen ist hier so gut wie unmöglich! Die repetitiven, fast schon postigen Strukturen, die bis zum Maximum Schicht um Schicht erweitert werden, lösen einen tranceähnlichen Zustand bei mir aus, der erst nach einer knappen Stunde enden wird. Besonders die Bühnenpräsenz von Keyboarder „EviL“ bleibt mir im Gedächtnis, da dieser seine Tasteninstrumente völlig hemmungslos als Percussion benutzt, indem er mit Händen und Mikrofon auf ihnen herumtrommelt und dem Sound so eine weitere Nuance Wahnsinn und Atmosphäre hinzufügt. Was hier stattfindet, erinnert mich an Aufnahmen von Shows der großen SWANS, nur dass sich neben Riffs, Noise, Elektronik und Ethno-Schlagzeugmustern noch Black Metal hinzugesellt. ORANSSI PAZUZU sind eine Band, die die Welt braucht! Ich bin überwältigt.

 

Inzwischen sind (DOLCH) gut angekommen und werden entsprechend als vierte Band des Abends spielen. Leider verblasst der Auftritt ziemlich und wirkt sehr gezähmt, da ORANSSI PAZUZU die Messlatte weit nach oben katapultiert haben. Während mir der Sound von (DOLCH) auf Platte extrem gut gefallen hat, kann dieser Eindruck heute leider nicht angemessen in die Liveumgebung transportiert werden. Dafür bekommt die Musik, die sonst wie eine hypnotische Mischung aus CHELSEA WOLFE und URFAUST klingt, heute einen merkwürdigen Gothicunterton, den ich ums verrecken nicht verstehen kann, da die namenlose Sängerin von (DOLCH) sonst alles andere als eine klischeebehaftete Symphonic-Metal-Amsel darstellt. Mit steigender Dauer der Show kommt zunehmend Stimmung auf und nüchtern betrachtet wird hier nichts falsch gemacht, allerdings krankt das Set an dem unfreiwillig bekommenen Slot als vorletzte Band des Abends, weshalb nicht das entfacht wird, was ich von „I & II“ kenne.

 

Es wird Zeit für den Headliner des ersten Tages: PALLBEARER. Obwohl mich das neue und gefeierte Album der Amerikaner noch nicht so sehr begeistern konnte, wie es das bei Hannes geschafft hat, erkenne ich eine gute Show, wenn ich sie sehe. Das Quartett ist heute mit einem wunderbar klaren, transparenten, vielleicht sogar dem besten Sound des Abends gesegnet. Allein diese Tatsache ist schon extrem viel wert, doch zusätzlich dazu sind PALLBEARER sowohl an den Instrumenten, als auch stimmlich äußerst souverän und grooven sich durch Songs ihrer drei Platten, was nicht nur mich zum Mitnicken, Schwelgen und begeistert sein einläd. Vielleicht sollte ich „Heartless“ doch noch ein paar Hördurchläufe mehr widmen …

 

Kurz nach 1 ist der erste Tag des Doom Over Leipzig gelaufen und ich mache mich auf den Heimweg. Heutiger Tagessieger für mich: ORANSSI PAZUZU. Doch bereits morgen stehen die nächsten Köstlichkeiten auf dem Programm!

 

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1 Kommentar

  1. […] Kinder, wie die Zeit vergeht. Da hat das neue Jahr grad erst begonnen und schon ist der Januar wieder rum und die Tage verfliegen. Einigen von uns kann es trotzdem kaum schnell genug gehen, denn obgleich über die Republik verteilt stets und ständig irgendwas los ist, muss ich für einen ganz besoderen Leckerbissen noch bis Ende April warten. Denn dann findet, wie jedes Jahr, das einzigartige DOOM OVER LEIPZIG statt, das mich schon in den Vorjahren begeistern konnte.  […]

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