Startseite»Live»Konzerte»INSOMNIUM auf Tour: »Bitteschön, Dankeschön«

INSOMNIUM auf Tour: »Bitteschön, Dankeschön«

0
Geteilt
Folge uns auf Pinterest Google+

Mitten in der Woche laden INSOMNIUM in den Leipziger Felsenkeller zur Tour Like A Grave. Foto-Yeti eingesackt (bzw. er mich) und ab geht es nach Leipzig. Bisher habe ich zwar schon öfter mitbekommen, dass im Felsenkeller Konzerte stattfinden, allerdings wurden mir noch keine konkreten Erfahrungen angetragen. Was ich weiß, ist, dass er nach Umbau kürzlich erst neu eröffnet wurde. Ich bin also unvoreingenommen und gespannt, was mich erwartet.

Willkommen im Felsenkeller

Wir gehen in den Ballsaal – dem größeren Konzertraum. Im Hof scheint ein kleiner Weihnachtsmarkt stattzufinden (den wir uns klemmen, da wir knapp dran sind) und ein weiteres Konzert im kleineren Veranstaltungsraum. Also, rein ins Getümmel! Denkste … ich ziehe die Tür zum Raum auf und erblicke ein Trauerspiel. STAM1NA sind schon am Thrash Schroten, Gäste sind allerdings kaum da. Vielleicht 6-7 Reihen stehen vor der Bühne, davon natürlich 2 Leerreihen – ich sage nur “Angstkreis”. Der Sound ist (nett formuliert) eher bescheiden. Ich durchquere den Raum, in der Hoffnung, dass ich eine Stelle finde, wo ich mehr höre. Aber: Pustekuchen!

Wo ich stehe, es bleibt hallig wie in einer Kirche. Und das bei Thrash Metal. Diese denkbar ungünstigen Klangeigenschaften des Ballsaals sind absout nicht zu beschönigen. Ich befürchte, dass der Tonmensch keine Chancen hat, dagegen anzukommen. Nun ja, wir harren der Dinge, die da noch kommen mögen.

Germanophile Finnen

STAM1NA versuchen sich in unterhaltsamen Ansagen, die zumindest bei mir fruchten. Sänger Antti ist schon bekannt für seine Deutsch-Kenntnisse und die Freiheit, diese schamlos einzusetzen. Wer Skandinavier schon hat Deutsch sprechen hören, weiß, was ich meine. Er springt zwischen Deutschen und Englischen Ansagen und statuiert: “Deutsch sprechen ist keine Bürde, sondern eine Ehre!” witzigerweise auf Englisch. Soweit bin ich nicht von ihrer Humorigkeit enttäuscht – was erwartet man von einer Band, die sich selbst auf “Octopussy Tour” schickt?!

Die Finnen hacken sich in technisch sauberer Manier durch ihre Diskographie, die dank ihrer längeren Bandhistorie viel Wahlfreiheit in der Zusammenstellung hat. Sicherlich die Hälfte des Sets sind allerdings eher neuere Songs. Leider ist der Sound so mau, dass auch ich nur raten kann, was hier gerade eigentlich angestimmt werden – meine Rettung ist die ergatterte Setlist. Begonnen mit „Paha arkkitehti“ einem ganz alten Schinken vom selbstbetitelten Album aus 2005 über neuere Titel wie „Valtiaan Uudet Vaateet“ und „Masiina“ aus der Zeit nach 2010 und – zu meiner ganz besonderen Freude – “Viisi laukausta päähän” von „Uudet kymmenen Käskyä“, dem Album, welches quasi meine Einstiegsdroge in 2006 war. Drumherum bringen sie einige Songs vom aktuellen Album „Taival“ auf die Bühne.

Zwischen den anwesenden Gästen, die sich vor allem in der ersten Reihe zum Headbangen hinreißen lassen, tummeln sich noch ein paar Fans aus Finnland, die ebenfalls sehr amüsiert scheinen und den Auftritt ihrer Landsleute feiern. 

Gitarrist Pexi, niemals um kleine Späße verlegen, schüttet sich während der Show mehrfach Wasser über die Haare – aber nicht über die Technik! Nein, er dreht sich mit dem Rücken zum Publikum, beugt sich über die jungen Damen in der ersten Reihe. Sind das schon Starallüren, wenn das wallende Haar alle paar Minuten gewaschen werden muss? Ich muss auf jeden Fall lachen, ob der immer wieder überraschten Reaktion der Betroffenen.

„Die hatten wohl Jachdwurscht zum Frühstück?!“

Ob ihnen ihre eigenen Songs zu langweilig geworden sind? STAM1NA ziehen mit ihrer Geschwindigkeit in so manchem Refrain ordentlich an – bis aufs Doppelte des Originaltempos springen sie und lassen mich nur verblüfft auf ihre saubere Spieltechnik starren. Im Ansehen steigen sie damit von der spaßigen Thrashkapelle mit Hang zu lustigen, selbstironischen und sogar gesellschaftskritischen Videos (siehe hiersiehe hier) zu handwerklich absolut versierten Musikern, die ganz offensichtlich nicht nur aus Unterhaltungswert als Headliner die großen Festivabühnen Finnlands bespielen. [Wie ich nun im Nachhinein diesen Bericht schreibe, dämmert mir, wieso sie so flott unterwegs sind. Haben sie vielleicht einfach eine sehr ambitionierte Setlist geschrieben, welche sie in recht kurzer Zeit – wie es eben so ist, wenn man die Opener-Position innehat – performen müssen?!] Ich freue mich unheimlich, die Finnen mal wieder zu sehen und tanze kopfschüttelnd und grinsend vor mich hin.

Setlist: „Sudet Tulevat“ (Taival, 2019), „Valtiaan Uudet Vaateet“ (Nocebo, 2012), „Masiina“ (SLK, 2014), „Viisi laukausta päähän“ (Uudet kymmenen käskyä, 2006), „Kannoin sinut läpi hiljaisen huoneen“, „Solar“, „Enkelinmurksain“ (Taival, 2019)

Undefinierbarer Krach in der Kuppelhalle

20:15 Uhr legen THE BLACK DAHLIA MURDER los und überziehen den Ballsaal mit einem Donnergrollen aus Doublebass, Schrot und Gekreische. Wie das in einer Kuppelhalle klingen würde, ist wohl vorstellbar – einfach nur Mulm mit Krach. Ich verstehe im wahrsten Sinne kein einziges Wort – geschweige denn Melodie (falls es überhaupt eine gibt?). Das liegt ganz sicher auch daran, dass ich keine Ahnung von den Songs der Amerikaner habe. Es ist doch so, dass, je schlechter der Grundsound einer Show ist, es potenziell besser erträglich wird, wenn die Musik wiedererkennbare Melodielinien vorweist, an denen ich mich ‘festhalten’ kann. Zum Mitschunkeln, Mitsummen, irgendwie Zuhören. Problem also: Schlechter Grundsound, ich keine Ahnung, was da vorn eigentlich geträllert und geschrammelt wird und außerdem eine Musik, die sich viel auf Sub-Bässe und Doublebass-Salven stützt und damit überhaupt keinen akustischen Halt im Ballsaal geben kann. Ich versuche es ernsthaft und laufe mehrere Runden durch die Location, um einen Spot zu finden, an dem ich die Musik als hörbar empfinde.

Nach Song Drei resigniere ich, ziehe mich zurück in eine Ecke, an der ich mir am Stehtisch ein Radler einflöße und meine Gedanken zur performenden Walze niederschreibe. Ja, es treibt und es schiebt ordentlich. Es ist atemberaubend schnell, technisch sauber gespielt und mit Sicherheit auch eine optisch ansprechende Performance für die Instrumenten-Polizei in der ersten Reihe – aber nicht für mich. Nicht heute. Sorry! Sämtliche aufregende Gitarrensoli laufen winkend an meinem Spaßzentrum vorbei und ich beginne mich langsam ernsthaft zu fragen, wie TBDM und INSOMNIUM an diesem Abend die gleiche Zielgruppe abgreifen können sollen. Denn INSOMNIUM entsprechen meiner Einschätzung nach überhaupt nicht der Art von Uffda-Festival-Hau-Drauf-Mucke, die in diesem Moment im Felsenkeller dargeboten wird.

Die menschliche Winkekatze

Der Saal ist inzwischen locker gefüllt, nicht übermäßig eng gepackt, aber immerhin so, dass der Eindruck eines gut besuchten Konzerts entsteht. Pluspunkt für TBDM. Die Band auf der Bühne macht ordentlich Ballett und zeigt, wo der Frosch die Locken hat (oder wie die coolen Kids heutzutage sagen mögen). Immer dabei: die Winkehand des Sängers. Der linke Arm durchgängig in die Luft gereckt, dass es auf mich zumindest schon eher albern als motivierend wirkt. Vor der Bühne bewegt es sich schon mehr als bei STAM1NA – was bei der lockeren Besucherdichte während deren Show auch nicht schwer zu erreichen ist – und dennoch ist es für die doch recht raubeinige Musik, der ich einen Hang zum Core unterstelle, noch recht ruhig da vorn. Was mir – wie so oft bei diesem Genre “Extreme Metal” auf die Füße fällt, ist, dass ich dem stets gleichförmigen “Gesang” solcher Bands nicht nur ermüdend, sondern auch sehr anstrengend finde. In jeder Pause zwischen den Songs entweicht mir ein Seufzer, der von der stetigen Anstrengung ob der Suche nach melodischen Leitlinien zeugt.

Fast erlösend kommt die Ansage zum letzten Song, in welchem der Sänger halbherzig versucht einen Circlepit zu initiieren. Hier tummelt sich anscheinend doch eher eine gemütlichere als auf Biegen und Brechen aktive Zuschauerschaft. Ich für meinen Teil sehe TBDM besser auf einem Festival als in dieser Location und in Gesellschaft der beiden finnischen Bands aufgehoben und bin gespannt, wie viele von den Core-Kids nun nach der Show gehen werden.

Gegen Zehn lassen INSOMNIUM ihr Showintro vom Band ablaufen und holen mich aus der Umbaupause wieder vor die Bühne. Eine beträchtliche Menge der Besucher ist wie befürchtet tatsächlich schon verschwunden und so bildet sich erneut ein recht trauriges Bild. INSOMNIUM spielen vor weniger Publikum als ihre Vorband TBDM.

Mit „Valediction“ beginnt die Show der Tour Like A Grave. Damit haben sie die erste Videoauskopplung des aktuellen Albums ausgewählt. Das funktioniert natürlich gut als Eröffnung, da dieser Song vermutlich der bekannteste sein sollte. Der Saal bleibt auch erschreckend leer, keine weiteren Nachzügler kommen aus der Raucherpause – es scheinen also tatsächlich eine ganze Menge Leute gegangen zu sein.

Playbacks und Posing

INSOMNIUM lassen mit dem folgenden Song „Neverlast“ eine ordentliche Melo Death-Walze auf das verbliebende Publikum los und überredet mich trotz bescheidenen Sounds zum Kopfnicken. Ja, hier sind definitiv ebenfalls Sub-Bässe im Einsatz. Diese erzeugen in mir leider immer so einen faden Beigeschmack von Core. Diese Tiefen passen überhaupt nicht zu der deutlich weniger wuchtigen Musik der Finnen als sie es zuvor bei TBDM taten. Und es drängt sich ein weiterer Wermutstropfen immer penetranter in den Vordergrund: Der Einsatz von Playback. Leider kommen Akustikgitarren-Interludes vom Band. Ich vermute, dass sich live die Sounddichte nicht anders live realisieren lässt, wenn sie nur zu viert auf der Bühne stehen wie jetzt. Schade, ich bin schon enttäuscht, dass an dieser Stelle nicht eine Lösung in Form von Änderung im Arrangement oder Bandbesetzung gefunden wurde. Gleiches gilt für weitere Parts anderer Songs, in denen das Halbplayback (ja, ekliges Wort, aber so ist die Realität heute Abend nun einmal…) mir unangenehm aufstößt.

Bemerkenswert sind hingegen die gut intonierten und epischen Gitarrensoli. Zumindest schätze ich das so bis kurz vor Ende der Show ein. Gepaart mit hemmungslosem Posing, die Flying V aufs Knie gestützt und selbstbewusst dreinblickend – über diesen Anblick muss auch ich nun ein wenig schmunzeln.

„Into The Woods“, „Through The Shadows“ (ebenfalls mit ordentlichem Gitarrengekniedel gespickt), und „Pale Morning Star“ lassen die Stimmung auch beim Publikum langsam hochköcheln. In meinen Ohren erscheinen INSOMNIUM dennoch wie regelrechter Kuschelrock mit Schunkelgarantie verglichen mit TBDM. Klar, vollkommen anderes Spielfeld. Wer macht so ein Booking…?

Die ausgelassene Stimmung des Publikums kulminiert in „Change Of Heart“, wo sogar ausführlich mitgeklatscht wird und ich stelle fest: der Sound ist inzwischen echt okay – zwar immer noch übermäßig hallig, dank der melodiösen Ausgestaltung der Musik ist aber insgesamt deutlich besser zu verstehen, was da vorn passiert.

Ein Trauerspiel

Tatsächlich ist die Location echt ausschließlich optisch ansprechend und für Konzerte dieser heutigen Genre absolut nicht geeignet. Inzwischen hat es sich außerdem so weit geleert, dass es einfach nur deprimierend ist. Da hilft auch kein Synchron-Headbangen der Gitarristen. Es karikiert die Situation sogar noch und hat damit eine sehr traurige Komik in sich. Als würde das nicht reichen kommt das Gitarrenintro zu „And Bells They Toll“ wieder vom Band. Dazu wird erneut der übermächtige Sub-Bass reingedrückt und ich frage mich: Was zur Hölle ist hier eigentlich los?!

Die Melodiefraktion beginnt zu allem Überfluss auch noch an zu schludern. Wer da der Schuldige ist, kann ich nicht benennen. Ich stehe zu weit hinten und meine Augen sind definitiv zu schlecht. Dabei sind es aber vermeidbare Fehler, die von Fahrigkeit zeugen. Besonders auffällig für mich ist dies bei „Mute Is My Sorrow“, dem Song, der wohl am meisten im Kopf hängen geblieben ist. Direkt tonal das Intro verkackt – dieses Manko zieht sich auch noch weiter durch den Song. Später läuft die Band zu allem Unglück außerdem rhythmisch auseinander. Für mich: ein Trauerspiel. Ob vielleicht der Bühnensound so unheimlich beschissen ist? Ich weiß es nicht. Ich schätze INSOMNIUM als erfahren genug ein, damit eigentlich umgehen zu können.

Saufen als Stimmungsheber?!

Die Eignung des Ballsaals hinsichtlich der Soundeigenschaften ist definitiv in Frage zu stellen. Ich fühle mich unangenehm an das Haus Auensee erinnert. Nur schneidet die Location hier eben noch schlechter ab. Da könnte man die Bands auch in eine Kirche stellen. Problem ist, dass es imm Vergleich zum Haus Auensee keine Tribünen gibt, die wenigstens noch einen Teil des Halls schlucken würden. Einzig die mächtige Bar aus Massivholz an der Rückseite des Raumes scheint dahingehend etwas zu bewirken. Von dort schaue ich für die vier Zugabensongs auf die Bühne. „One For Sorrow“ wird akustisch umgesetzt und mit einem ulkigen Country-Interlude eingeläutet. Dazu ein paar Cowboyhüte und Druckbetankung (aus Verzweiflung?!).

Ich staune nicht schlecht, dass diesmal die Akustikklampfen nicht vom Band kommen. Neben diesem Umstand bin ich über die (ich interpretiere das mal als selbstironische) Darbietung durchaus erheitert und so fallen die vom finnischen Akzent geschwängerten Worte “Bitteschön! Dankeschön!” auf mein nun etwas wärmeres Gemüt. Vielleicht haben sich die Finnen auf der Tour gegenseitig etwas Deutsch beigebracht?

Mit dem finalen Song „Heart Like A Grave“ weicht die konzerttypische Stimmung nun final der Partylaune mit lustigem Cowboyhut-Tauschen mit den anderen Bandmitgliedern. Jetzt springt endlich ein Funke zu mir über. Reichlich spät, aber besser spät als nie. Für mich steht dennoch fest: INSOMNIUM werde ich mir auf Tour nicht unbedingt noch einmal anschauen, TBDM ebenfalls nicht. Aber ich würde beiden gern auf einem Festival noch eine weitere Chance geben. Über Besuch von STAM1NA würde ich mich allerdings nach wie vor unabhängig von deren Darbietungsform freuen.

Setlist: „Valediction“, „Neverlast“, „Into The Woods“, „Through The Shadows“, „Pale Morning Star“, „Change Of Heart“, „And Bells They Toll“, „Mute Is My Sorrow“, „Ephemeral“, „Groves“, „Primal“, „While We Sleep“, „One For Sorrow“ (acoustic), „Heart Like A Grave“


Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über silence-magazin@patreon Patreon
letzter Artikel

Große Tour zu "großem Krieg": SABATON kommen!

nächster Artikel

Silence 2019 - Der Flashback der Redaktion

Keine Kommentare

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert