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Interview BLIND GUARDIAN – Immer noch Perfektionisten

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In meiner Zeit beim Silence Magazin durfte ich ja schon einige Bands interviewen. Etwas, wofür ich sehr dankbar bin und mich jedes mal wieder über den Vertrauensvorschuss sowohl des Magazins als auch der Label und letztendlich auch der Bands freue. Dass man dabei meist wirklich ganz unabhängig von „Größe“ und Reputation der Gruppen angenommen wird, macht mich immer wieder sprachlos und ich frage mich, ob das wirklich passiert. So auch jetzt wieder. Ich darf einfach ein Interview mit BLIND GUARDIAN führen! Das ehrt mich sehr und ich freue mich total, mit André Olbrich über die momentane Situation seiner Band, der Kulturszene insgesamt und die musikalische Entwicklung von BLIND GUARDIAN unterhalten, feiert „Somewhere Far Beyond“ schließlich bereits sein 30-jähriges.

S: Hallo! Danke, dass du dir die Zeit nimmst! Wie geht’s?
A: Ja, gerne gerne. Jetzt, wo wir wieder live spielen dürfen, geht’s wieder besser. Es war ja eine harte Zeit mit der zwei-Jahrespause. Aber, seit Mai sind wir wieder unterwegs, haben wieder Festivals gespielt und haben wieder gesehen, wie wichtig das für alle Leute ist, Musik zu genießen und genießen. Seitdem geht es eigentlich allen wieder besser.

S: Ja, das hört man eigentlich überall, wie sich das wirklich so merkbar auf das Allgemeinbefinden auswirkt, einfach dass das wieder möglich ist.
Kommt denn bei euch schon so langsam wieder Tourfeeling auf? Oder muss man sich da erst wieder dran gewöhnen?
A: Ja, man muss sich langsam einleben. Also, es ist natürlich ein Sprung, wenn man so lange nicht auf der Bühne gestanden hat und zu Hause ist, muss man sich erstmal wieder an gewisse Sachen gewöhnen. Ich sag mal, zum Beispiel, im Tourbus schlafen, da hat man dann die ersten Nächte etwas Schwierigkeiten, bei dem Geholper zu schlafen, aber auch da gewöhnt man sich wieder dran. Jetzt im September fängt ja die „Somewhere Far Beyond Tour“, die von letztem Jahr auf dieses verschoben wurde, an. Da geht’s ja auch richtig mal wieder am Stück los. Da sind wir mal wieder den ganzen Monat auf Tour, da freue ich mich drauf, das wird mal wieder ein Erlebnis.

S: Was bedeutet das für euch, mit dem Album so nochmal auf Tour zu sein?
A: Ja, das Album mal wieder einzuproben war schon was Besonderes. Wir wollten das nicht einfach nur runterspielen, in Anführungszeichen, sondern wir wollten schon schauen, dass wir auch diese Energie und diese Magie, die in dem Album steckt, rüber bringen. Und das ist nicht ganz so einfach, weil viele Sachen höllisch schnell sind. Einige Sachen sind damals natürlich im Studio entstanden, und wir haben das damals nicht mal im Ansatz richtig geil spielen können. Das war halt ein Album und wir haben das halt damals im Studio so drauf gehauen. Aber das war natürlich unsere Leistungsgrenze. Das ist immer noch richtig schwierig zu spielen. Wir sind heute immer noch Perfektionisten, wir wollen wirklich jede Noten akkurat spielen. Ich sag mal, wir haben schon drei bis vier Monate richtig intensiv geprobt, um da überhaupt hinzukommen, damit das überhaupt so rüberkommt. Inzwischen, muss ich sagen, haben wir das ziemlich gut drauf. Meiner Meinung nach klingt es jetzt besser als auf dem Album. Für mich klingen die Stücke jetzt so, wie sie klingen müssen.

S: Habt ihr dadurch auch nochmal einen Unterschied zu neueren Alben gemerkt?
A: Ja, es ist ja auch eine etwas andere Stilistik, die wir inzwischen spielen. Natürlich haben diese alten Songs auch so diesen Zeitgeist von damals. „Somewhere Far Beyond“ ist ja Anfang der Neunziger entstanden. Wenn man sich so überlegt, Anfang der Neunziger, da war einiges noch anders, da haben wir noch jedes Wochenende zwei, drei Tage in Heavy Metal Clubs rumgehangen, die pickepackevoll waren und man die ganze Nacht Metal gehört hat. Und das Lebensgefühl war ja irgendwie auch ein ganz anderes. Sowas haste heute ja gar nicht mehr. So gesehen ist es natürlich ja auch schwierig, das zu vergleichen.

S: In der Zwischenzeit hat sich die Hörerschaft ja aber auch vergrößert und neue, jüngere, hinzugewonnen.
A: Ja, natürlich. Ich denke, für unsere jüngeren Fans ist es auf jeden Fall eine interessante Sache, mit dem Speed Metal vertraut zu werden. Jetzt kommt ja von uns „The God Machine“, das ja auch sehr Speed Metal lastig ist. Allerding muss ich sagen, ist das ein sehr moderner Speed Metal, also das Songwriting ist sehr viel moderner und nicht so angestaubt, sag ich mal. Aber ich denke mal, es ist wichtig, dass man die Essenz, diese Energie, die im Speed Metal steckt, weiter in die heutige Zeit trägt und auch der jüngeren Generation mal vor die Füße wirft und sagt „da habt ihr mal geile Musik“ (lacht).

„…es ist wichtig, dass man die Essenz, diese Energie, die im Speed Metal steckt, weiter in die heutige Zeit trägt und auch der jüngeren Generation mal vor die Füße wirft und sagt ‚da habt ihr mal geile Musik'“

S: Ich hab auch das Gefühl, viele jüngere sind wirklich auch offen dafür, auch für so einen Vergleich.
A: Ja, es sieht ganz gut aus. Meiner Meinung nach passt das in der momentanen Zeit auch ganz gut rein. Die Zeit fühlt sich momentan hart an. Seit der Pandemie hat sich viel geändert. Es ist nicht mehr so in Harmonie wie es vorher war. Viele Sachen sind so ein bisschen chaotisch und meiner Meinung nach… Also, ich brauche momentan härtere Musik um meine Gefühle so auch zu kanalisieren. Ich brauch das als Ventil. Dementsprechend war es auch ein natürlicher Weg, wieder härter zu werden. Einfach den Frust, den man aufbaut, oder auch Aggression, damit klarzukommen und das zu verarbeiten. Ich denke, dass das gerade auch den jungen Leuten so geht, die plötzlich zwei Jahre lang ihren Hobbies nicht mehr nachgehen können. Die sind auf einmal zu Hause eingeschlossen. Da baut sich natürlich Frust auf. Und am besten kannst du das meiner Meinung nach über Musik wieder in den Griff kriegen. Musik ist da ein gutes Heilmittel. Du hörst dir ein paar harte Bands an und kannst das eventuell als Ventil benutzen.

S: Gerade auch, wenn man so Sachen wie Sport nicht machen kann, dann noch mehr als sonst.
A: Genau, mehr als sonst.

S: Eigentlich wirklich interessant, dass sich die Pandemie nicht nur auf die Musik, sondern auch auf das Hörverhalten selbst so sehr auswirkt. Ohne Pandemie wären wir jetzt sicherlich woanders.
A: Ja, ganz bestimmt. Einige Sachen wären sicherlich anders gelaufen. Aber es ist, wie es ist. Man muss sich darauf einstellen. Man sollte auch nicht davon ausgehen, dass es wieder so wird wie es war. Man sieht ja jetzt schon viele Veränderungen. Das wird sich noch weiter so fortführen. Man muss sich arrangieren und wir als Band versuchen, das Beste daraus zu machen. Wir haben jetzt schon gesehen, allein die Reiserei zu den Festivals ist eine ganz andere Situation als früher. Die Situation an den Flughäfen. Du weisst nicht mehr, ob du dein Gepäck von A nach B kriegst, musst da stundenlang warten. Alles ist unsicher geworden. Für einen Trip, für den du früher 4-5 Stunden gebraucht hast, bist du jetzt zum Teil zwanzig Stunden unterwegs. Es ist ein ganz anderer Aufwand. Man hat immer so ein Risiko, ob du eine Show eventuell absagen musst, oder ob glücklicherweise doch alles funktioniert. Das ist momentan alles schon sehr gewagt.

S: Seht ihr darin auch einen gewissen Einschnitt für den bisherigen Ablauf Album-Tour-Album-Tour…?
A: Ja, man muss flexibler sein, glaube ich. Man kann nicht mehr so langfristig planen wie man es früher konnte. Da war das klarer, man hatte über den Zeitraum von einem ganzen Jahr die Shows gebucht, und sich eine Welttour zusammen gebucht. Das wäre jetzt momentan viel zu riskant. Man muss kleinere Blöcke buchen und kurzfristiger denken. Und sollten irgendwelche Restriktionen kommen, muss man auch einen Plan B haben, was mache ich dann in der Zeit, wenn ich nicht touren kann. So gesehen haben Hansi und ich schon gesagt „Ok, sollte da noch was kommen, dann arbeiten wir sofort wieder auf Songwriting und nutzen die Zeit, um an Songs zu arbeiten“. Ansonsten geht die ja irre viel Zeit verloren. Es kommt dann ja auch kein Geld rein. Wir müssen ja auch davon leben. Du musst ja auch gucken, dass du deine Arbeit gemacht kriegst, um am Ende alle deine Kosten bezahlen zu können. Viele Bands gehen daran momentan, glaube ich, zugrunde. Wenn man da nicht flexibel sein kann, dass da vieles den Bach runter geht. Also, das ist da momentan eine ganz tragische Situation.

„Man muss flexibler sein, glaube ich. Man kann nicht mehr so langfristig planen wie man es früher konnte.“

S: Allerdings. Das ist tragisch, dass es sich so entwickelt. Habt ihr aber den Eindruck, dass sich das aber auch als „Motor“ auswirkt und sich musikalisch auf die Experimentierfreudigkeit auswirkt?
A: Ja, auf jeden Fall. Wir sind eine Band, die immer nach vorne schaut, die auch mit jedem Album versucht, was innovatives an den Start zu bringen. Auf dem Album „The God Machine“ haben wir Songs wie „Life Beyond The Spheres“, der so ein bisschen in Richtung Cyberpunk-Soundtrack geht. Sowas haben wir bis jetzt nie gehabt, das ist für uns vollkommen neu. Es fügt sich aber als interessantes Element völlig gut in unsere Musik ein. Das bringt selbst den alteingesessenen Fans, die von Anfang an dabei sind, wieder einen Überraschungsmoment, so dass man sagt „Oh, sowas hätte ich jetzt nicht erwartet!“. Auch „Destiny“ am Ende des Albums geht in eine Richtung, die wir bis jetzt nicht hatten. Da gibt es unglaublich viele Gitarrengeschichten, die ich mir ausgedacht hab, die schon andere Sachen machen, als ich das bisher so gemacht habe. Das ist schon eine andere Art von epischem Song als zum Beispiel auf dem Album „Beynd The Red Mirror“. Da haben wir halt viel Orchester eingesetzt, um epischer zu wirken. Bei „Destiny“ ist es jetzt wieder mehr das Gitarrenorchester, sag ich mal, das da im Vordergrund steht.  So gesehen finde ich schon, dass da viele innovative Elemente drauf sind. Teilweise verknüpft mit traditionellen Trademarks. Wir haben ja auch wieder viel Speed Metal aufgegriffen. Aber ich finde, man merkt schon, dass wir heutzutage schon auch mehr unsere Erfahrungen mit einbringen und diesen originalen Speed Metal Sound weiterentwickeln. Wir versuchen, das auch in die heutige Zeit zu bringen. Meiner Meinung nach klingen diese Songs nicht angestaubt, sind zeitgemäß für 2021/22. Und das ist das Wichtige daran. Du kannst ja ruhig deine Trademarks übernehmen. Gute Chöre oder gute Refrains, die man mitsingen kann. Viele Gitarrenmelodien. Aber es muss meiner Meinung nach immer auch neue Elemente haben, und auch irgendwie modern klingen. Das erfüllt das neue Album für mich. Deswegen glaube ich auch, dass wir unserer Linie da treu geblieben sind und an unsere vergangene Arbeit anschließen, obwohl wir irgendwie ein neues Kapitel aufmachen.

S: Das ist es ja gerade, was es ausmacht, das finde ich cool, dass es immer so ein Wiedererkennungsmerkmal gibt, und man ist, wo man heute steht und nicht immer das selbe Album wieder hört. Das finde ich super. So entsteht ja auch eine Geschichte. Es ist ja sicher auch interessant, die Reaktionen auch live von der Bühne aus zu sehen.
A: Ja, wir werden uns einiges einfallen lassen müssen für 2023. Wir haben die Tour immer noch nicht gebucht. Wir würden gerne eine Welttour machen, aber wir werden bis zum letzten Moment abwarten, einfach um zu sehen, was ist wirklich, was ist erlaubt, gibt es neue Restrikitionen oder nicht. Und dann werden wir im Herbst überlegen, wie die weiteren Schritte sind. Aber ich denke schon, dass wir 2023 dann schon eine „God Machine“ – Welttournee machen werden und entsprechend ein paar Songs vom Album spielen. Da werden wir die Bühne und die Lichtshow dann auch entsprechend darauf abstimmen.

S: Cool, das klingt echt vielversprechend. Ich bin gespannt.
Habt ihr denn momentan irgendwas, was euch auf dem Herzen liegt und was ihr sagen wollt?
A: Wir hoffen natürlich, nachdem klar geworden ist, dass die kulturelle Szene keinen Stellenwert hat in unserer Gesellschaft, sondern sozusagen als erstes gecancelt wird, und nicht unterstützt wird, hoffen wir natürlich, dass dieses Loch, das da entstanden ist, wieder aufgefangen werden kann. Dass nicht zuviele Veranstalter und Bands den Bach runter gehen. Ich hoffe, dass uns da tatsächlich noch was erhalten bleibt. Kultur ist wichtig und Musik ist wichtiger als vielleicht einige Politiker glauben. Ich hoffe, dass es da für uns weitergeht, und dass sich da auch ab 2023 wieder eine Sicherheit einstellt, auf die man bauen kann. Man braucht ja einfach Planungssicherheit. Ohne das ist nicht viel besser als der Lockdown. Für die Fans ja auch. Dass die wissen, wenn eine Show angekündigt wird, dann findet die auch statt. Ich habe so viele Freunde, die sagen „Hey, ich hab da noch zehn Tickets am Kühlschrank hängen, da hängt ein halbes Vermögen und die Shows sind alle abgesagt!“. Und das kann es ja nicht sein. Es muss mal wieder ein klares Statement kommen, auf das man sich verlassen kann, dass Kultur auch mal wieder planen und buchen kann und nicht so in der Luft hängen bleibt, wie es momentan ist. 

„Kultur ist wichtig und Musik ist wichtiger als vielleicht einige Politiker glauben.“

S: Kultur verbindet ja auch, ein Auto verbindet ja nicht so wie Kultur.

A: Ja, total. Kultur ist wirklich wichtig für die Seele!

 

Ja, puh. Ich höre durchaus viel Frust und Pessimismus gegenüber der durch die Pandemie entstandenen Situation und die Art ihrer Entwicklung. André zeigt aber dennoch, dass die Band es schafft, dadurch nicht auf verquere Wege zu geraten und im Grunde genommen das Einzige zu tun, was sie sinnvoll versuchen können: an dem festhalten, was ihnen wichtig ist und einfach immer das zu versuchen durchzuboxen, was sich in der Situation machen lässt. Sich selbst gegenüber, aber auch aus Sicht der Fans. Um das Wir geht es ja schließlich. Gerade auch in der jetzigen Situation. Und als Band haben sie dafür eine wirklich wichtige Rolle, die sie ausspielen können, und das wissen sie.

Ich bin sehr froh darüber, wie dieses Gespräch gelaufen ist und wünsche BLIND GUARDIAN und auch allen anderen Gruppen, bald mit wieder weniger Sorgen und Einschränkungen touren zu können.

Blind Guardian


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1 Kommentar

  1. […] die Schatten sind fix unterwegs. Der Song hat Potenzial, die Gitarren werden hier, wie André auch im Interview erwähnt, mal etwas an ihre Genzen gebracht und rein auf dieser Basis neue Richtungen erkundet, […]

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