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Jinjer – ukrainisches Geballer mit Finesse
JINJER – King of Everything
Veröffentlichungsdatum: 29.07.2016
Dauer: 42:17 min
Label: Napalm Records
JINJER – bisher ist diese Band nicht hundertprozentig an mir vorbeigegangen. Hängen geblieben ist aber auch nichts…außer dem Eindruck, dass es sich wohl um recht modernen Metal mit einem großen Anteil Core-Attitüde handelt. Tatsächlich verbirgt sich dies hinter JINJER. Ordentlich verpackt in einer sauberen Produktion servieren mir die vier Ukrainer auf ihrem unter Napalm Records erscheinende dritte Veröffentlichung „King of Everything“ eine Mischung aus Groove und Metalcore mit einer ausreichenden Portion Djent-Gitarre.
Erster Eindruck ist: Aha, hier versucht sich jemand in Epicness plus eine Frauenstimme. Angenehmer Cleangesang, wenn auch leicht rotzig, empfängt mich. Ich fühle mich im allerersten Moment an Sandra Nasic erinnert. Mit dem „King of Everything“ Gedudel wird mir auch gleich der Albumtitel eingetrichtert. Mit zeitweise orientalisch angehauchter Melodieführung inklusive dazu passendem Stimmgeleier klingt das Ganze erst mal sehr gut, wenn nicht schon fast zu gut verdaulich.
Track Nummer zwei kommt schon deutlich aggressiver daher. Hier wird die Core-Attitüde ausgepackt, die ich beim ersten Blick auf die Bandfotos erwartet hatte. Und ja, der Gesang macht mir klare Angebote, mal eins in die Kauleiste verpasst zu bekommen. Schon ist aus dem mädchenhaften Trallala fieses Growling geworden, das auch gut hätte von einem Mann kommen können. Kennt man ja so ein bisschen von anderen Metalbands mit herumkrakeelenden Frauen. Nur, dass ich Tatiana Shmailyuk mehr Fundament zuschreibe. Sie kommt mit gleicher aggressiver Energie deutlich tiefer. Und nicht nur die Vocals graben tief, auch instrumental geht es mit JINJER weit in die Bässe.
Die vor sich hin groovenden Gitarren geben eine ordentliche Ladung Cojones
In den Drums paaren sich Blastbeats mit klassischer Metalcore-Rhythmik, die jedoch durch technische Finessen um einiges aufgewertet wird. Ich finde mich in einem regelmäßigen Wechsel zwischen einfacher gestrickten melodiösen Parts oder durchgroovenden Elementen und technisch ausgefeilterem Geschrote. Die rollenden Momente bewegen mich zu großen Teilen direkt zum Mitnicken. In „Words Of Wisdom“ reißt es mich das erste Mal so richtig mit. Es ballert ordentlich vor sich hin – aber nach einem Break und jauligem Cleangesang verflüchtigte sich das erhebende Gefühl leider schon wieder. Wenn auch nur zeitweilig. Bis zur nächsten Strophe. Naja, man kann ja nicht alles haben. Schöne Gitarrentappings halten mich aber weiter bei der Strange. Es folgt zum Ende hin noch ein Gehacktes-Part, der auf mich ziemlich unmotiviert wirkt. Die Rhythmik ist vertrackt, das ist cool, aber die Idee dahinter – warum der gerade am Ende eines Songs kommt und welche Funktion er da erfüllen soll – entgeht mir.
JINJER spielen anscheinend generell ganz gern mit krummen Tonalitäten und unrunden Rhythmiken. Diese variieren in sich aber leider relativ wenig, das Songwriting folgt klaren Strukturen. Für mich ein wenig zu vorhersehbar, aber dennoch nicht langweilig. Der verführerische Cleangesang über fies tiefen Gitarren ist schon sehr reizvoll, auch wenn mir ein wenig aufstößt, dass hier gern eine dicke Schicht Effekte draufgepappt wird.
Die wechselnden Einheiten von tackernd-aggressiven Passagen mit melodiöseren, verschobeneren Läufen zieht sich über die ganze Platte. Ich habe den Eindruck, dass die Daumenschrauben im Laufe des Albums immer weiter angezogen werden und mal noch eine Schippe Aggression und Geschwindigkeit draufgepackt werden. Das Rad rollt, Tatiana haucht mir ins Ohr oder schreit mich voll. Schon so ein bisschen schön. Es macht sich in mir ein Gefühl der Erhabenheit breit, wenn sie mich aus einem fiesen, tiefen Teil kommend mit engelsgleichem, hohen Gesang in atmosphärische Höhe hievt. So geschehen in „I Speak Astronomy“, ein unheimlich starker Song auf dem Album. Ich würde fast behaupten, er könnte sogar mein liebster werden.
Zum letzten Drittel der Platte hin hat sich das Geballer aber auch irgendwann verbraucht. Die groovigeren Stellen animieren mich zum Mitnicken, komplexe Rhythmiken zum genaueren Hinhören. Dazwischen erwische ich mich immer wieder, wie ich geistig abdrifte. Insgesamt denke ich doch viel an eine moderne und aufpolierte Version der 2007er DEADLOCK, die ein bisschen durch den Djent- und Core-Sumpf gestapft sind.
…nur tiefer, dampfwalziger und irgendwie auch poppiger.
Autorenbewertung
Vorteile
+ anspruchsvollere Rhythmiken
+ Sängerin als Alleinstellungsmerkmal
Nachteile
- zeitweise etwas zu viele Effekte auf dem Cleangesang
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