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„Lebensnehmer“-Tour 2019 – Nachbericht

Von düsteren Träumen und einer Prise Verzweiflung

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FIRTAN und die Release-Show des neuen Albums „Lebensnehmer“ von ELLENDE, dazu noch 2 Vorbands – sowas darf ich mir nicht entgehen lassen! Also frage ich höflichst, ob noch ein Artikel zur Tour gebraucht wird. Prompt kommt die Antwort und kurze Zeit später befinden sich mein Bruder und ich auf der Autobahn Richtung Live Music Hall in Weiher, wo sich an diesem Abend, den 29.03., GROZA, SPIRAL SKIES, FIRTAN und ELLENDE die Ehre geben. Gegen halb sieben treffen wir in dem beschaulichen Örtchen ein und stehen erstmal knapp 30 Minuten im Stau, mitten im Ort, wegen 5 (!!!) Ampeln.

Nachdem ich sämtliche Autofahrer vor, hinter und neben mir verflucht habe, rollen wir dann auch endlich auf den Parkplatz hinter der Location. Da sich der Einlass ein bisschen durch den ausgiebigen Soundcheck nach hinten verschiebt, bildet sich auf der Straße vor der Halle ein lustiges Bild. Der Gottesdienst in der Kirche direkt gegenüber ist gerade vorbei und etliche Kirchenbesucher müssen sich auf dem Gehweg an den Black Metal-Fans vorbeiquetschen. Die Gesichter der älteren Herrschaften kann sich wohl jeder vorstellen.

Schwarzmetallisches Abendprogramm – ich komme!

Um 19:45 fällt der Startschuss und die mir bis dahin noch unbekannten GROZA entern die Bühne. Das erste, was mir einfällt: „Geil, die Ringgeister aus ‚Der Herr der Ringe‘ machen richtig gute Musik!“, denn die Gesichter der Jungs aus Bayern sind mit schwarzen Kapuzen komplett verhüllt. Ebenso schwarz und authentisch wie Ihre Kleidung ist auch die Musik, die mir entgegenschallt: knallharter Black Metal. Die Jungs ziehen ihr Programm ohne große Ansagen durch, was für die düstere Atmosphäre zusätzlich förderlich ist.

Hier sehen wir  nur die Musik und die Kunst, nicht den Menschen dahinter. Nach ungefähr 45 Minuten erklingen die letzten Töne der Band und lassen die mittlerweile extrem gut gefüllte Halle begeistert zurück. Mein persönliches Fazit: sehr, sehr geil. Sowas mag ich ja, unvoreingenommen etwas vor die Nase gesetzt zu bekommen und dann so begeistert zu werden. Wenn ihr irgendwo die Chance habt, die Jungs mal live zu erleben, tut es!

Zweifelhafte Ausflüge in den Genrekosmos

Als ich nach einer kurzen Pause an der frischen Luft wieder rein komme, ist die zweite Band, SPIRAL SKIES, schon fleißig am Aufbauen. Da macht sich ein ungutes Gefühl  in mir breit. Logo und Klamotten der Band nach zu urteilen machen die alles, aber keinen Black Metal. Naja, da heist es wohl: gespannt abwarten. Mein Bruder kommt lachend zu mir: „Warum tragen die Anzüge? Kommen die von der Arbeit? Haben die später noch was vor?“

Das Stockholmer Quintett rund um Frontfrau Frida Eurenius verkündet stolz, dass dies ihre erste Tour durch Deutschland sei und so startet die Gruppe gut gelaunt.  Leider kommen sie aber trotzdem mit ihrem Mix aus Psychedelic- und Stoner-Rock bei mir nicht so gut an, aber das ist Geschmackssache. Da konnten auch die venezianischen Masken der Musiker nicht viel dran ändern.

Ähnlich erging es wohl auch einem Großteil des Publikums, denn nach den ersten Klängen entschieden sich viele, noch eine ausgedehnte Raucherpause einzulegen. Schließlich ist auch hier Ende im Gelände und die nächste Umbaupause steht an. Diese gestaltet sich, wie die letzte, recht zügig, denn hier wurden Backdrops durch eine Beamerprojektion ersetzt. Ist meiner Meinung nach zwar nicht so cool und auch auf den Bildern eher doof, aber eben modern und einfach.

Pagan Black Metal? Ich bitte darum!

Um viertel vor Zehn erklingt dann endlich das Intro zu „Seegang“ und damit auch der Startschuss meines heimlichen Highlights des Abends: FIRTAN. Der eingesprochene Part aus Schillers  „Der Taucher“ verpasst mir mal wieder eine angenehme Gänsehaut und mit dem markerschütternden Schrei von Frontmann Phillip gibt es sowohl vor als auch auf der Bühne kein Halten mehr. Die Jungs sind live immer wieder sehenswert und haben mit ihrem Album „Okeanos“ ein wahres Meisterwerk abgeliefert.

Gerade mit den Titeln „Tag verweil“ und „Nacht verweil“ zeigt die Band mal wieder, dass sie live einfach unschlagbar sind. Als dann Klara, die erstmals mit der Band auf Tour ist, mit ihrer Violine die Bühne betritt, ist die Magie und die Atmosphäre, die die Band produziert, einfach perfekt. Das klingt jetzt alles nach extrem viel Lob, aber das ist in dem Fall auch völlig gerechtfertigt.

Um kurz nach elf ist es Zeit für den Namensgeber der Tour. ELLENDE präsentieren ihr neuestes Werk „Lebensnehmer“, welches heute auch Release feiert. Während des langsamen und düsteren Intros betritt die Band die Bühne. Der unter dem Kürzel „L.G.“ bekannte Kopf und Frontmann der Band, gewandet in ein Knochenoutfit und erstaunlich dezentes Corpsepaint, verkörpert Melancholie und Verzweiflung wie kaum ein anderer. „Der Blick wird leer“ ist dann auch schon ein brandneuer Song und deutet sofort die Richtung des neuen Albums und des heutigen Auftritts: düster, verzweifelt und voller Lebensschmerz.

 

Eine Band, ein Sänger, eine unvergessliche Show

Weiter ging es mit „Meer“ vom sechs Jahre älteren Debüt-Langspieler „Ellende“. Mir ein bisschen zu ruhig, aber dadurch zeigt sich, dass sich Bands über die Jahre eben verändern. Mit „Ein Stück Verzweiflung“ geht es wieder zurück zur aktuellen Platte. Das Zusammenspiel aus Akustikgitarre und Black Metal-Riffs stellt sich als eine erstklassige Wahl heraus und so überrollt ein meisterhaftes Soundbrett das Publikum. Während des Songs verursacht eine (möglicherweise vor Aufregung?) gerissene Saite eine kurze Zwangspause, die aber schnell überwunden ist. Die Band nimmt es mit Humor, sowas passiert. Mit den Stücken „Ballade auf den Tod“  und  „Atemzug“ geht’s dann weiter und schon erklingen die ikonischen Klavierakkorde von „Der letzte Marsch“. Durch die immer wieder aufkehrende Stille während des Songs wird klar: L.G. ist für die Bühne geboren. Er leidet förmlich jeden Song mit, ob er am Mikro ist oder zitternd darunter kauert.

„Zwischen Sommer und Herbst“ ist das vorerst letzte Stück des Abends. Mittlerweile ist schon Mitternacht und leider merkt man, dass die teilweise doch sehr ruhigen Parts die langsam einkehrende Müdigkeit im Publikum zusätzlich fördern. Nach dem Lied bedankt sich die Band gefühlt zum achten Mal dafür, dass alle gekommen sind und wie sehr sie sich freuen, hier sein zu dürfen. Macht zwar das Gesamtkunstwerk ELLENDE ein kleines bisschen kaputt, ist dafür aber sehr sympathisch. Nach einigen Zugabe-Rufen kehren die Musiker für ein letztes Stück nochmal zurück an Ihre Plätze. „Weltenmacht“ von der gleichnamigen EP soll also den Abend beenden. Gute Wahl. Während des knapp neunminütigen Stücks gibt die Band nochmal alles. Vor allem hinter dem Mikrofon steckt Sänger L.G. alle verbliebene Energie in den Song. Er krümmt und windet sich zeitweise wie voller Schmerzen auf der Bühne und bietet dem Publikum eine eindrucksvolle Show.

Mein Fazit

Nach dem Auftritt geht’s nochmal kurz zum üppigen Merch-Stand neben der Bühne und nach einem kurzen Plausch mit den Jungs von GROZA machen wir uns auch schon auf den Heimweg. Ganz ohne Stau und Ampeln. Zurück bleibt ein gutes Gefühl und ein Abend, der kaum besser hätte laufen können. Ich bin überglücklich, mit GROZA einmal mehr eine neue großartige Band kennengelernt zu haben. SPIRAL SKIES haben zwar ein interessantes Programm geliefert, fielen aber musikalisch ein bisschen aus dem Rahmen. An einem anderen Abend mit anderen Bands wäre ihre Musik sicherlich besser verortet gewesen. FIRTAN waren ohne Zweifel mein großes Highlight des Abends und neben ELLENDE ein ebenbürtiges Zugpferd der Tour. Mit „Lebensnehmer“ hat der deutschsprachige Black Metal eine Scheibe bekommen, die sowohl live als auch über die Anlage so tadellos funktioniert, wie sich Mastermind L.G. das wahrscheinlich gewünscht hat.


Dies ist ein Gastautorenbeitrag von: Nico


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