LEGENDRY – Ernste Ependichter statt Kitsch-Rhapsoden
LEGENDRY – „The Wizard And The Tower Keep“
Veröffentlichungsdatum: 01.11.2019
Länge: 47:09 Min.
Label: High Roller Records
Genre: Epic (Heavy) Metal
LEGENDRY – „The Wizard And The Tower Keep“
Veröffentlichungsdatum: 01.11.2019
Länge: 47:09 Min.
Label: High Roller Records
Genre: Epic (Heavy) Metal
Exkursion ins Altertum?
Heute betrete ich als Autor für Silence gleich in zweifacher Hinsicht Neuland. Zum einen schildere ich euch heute zum ersten Mal meine Eindrücke zum Album einer Truppe, welche mir zwar namentlich schon lange bekannt sind, ich mir aber noch nie zu Gemüte geführt habe. Zum anderen begebe ich mich heute in die sagenumwobenen Gefilde des Epic (Heavy) Metals. Zwar hatte ich durchaus schon Berührungspunkte mit dieser oder ähnlicher Musik, aber trotzdem ist es etwas anderes, als wenn man seine Meinung zu Tonträgern aus Genres kundtut, in denen man ein breiter gefächertes Wissen besitzt.
Anno 2005 in Pittsburgh, Pennsylvania formiert, kann das Dreiergespann LEGENDRY bereits auf zwei erfolgreiche Longplayer zurückblicken. Nach „Mists of Time“ aus 2016 und dessen fast zwei Jahre alten Nachfolger „Dungeon Crawler“ erscheint nun ihr drittes Vollwerk. „The Wizard And The Tower Keep“ wird am 01. November über High Roller Records veröffentlicht. Das Zwickauer Label sollte als weitreichende Fundgrube von Veröffentlichungen aus den Sektionen NWoBHM, Speed Metal, „Epic“ Metal, (Blackened) Thrash Metal/First Wave Black Metal und Doom Metal vielen Traditionalisten und 80er -Worshippern ein Begriff sein.
… oder zumindest eine Generation zurück
„The Wizard And The Tower Keep“ erzählt die Geschichten der gleichnamigen belletristischen Schrift, welche Gründungsmitglied und Multiinstrumentalist Vidarr eigenhändig verfasst hat. Es ist demzufolge als ein Paradebeispiel eines Konzeptalbums zu verstehen. Das Trio versteht ihr Liedgut als persönliche Hommage an die Epic-Metal-Götterväter, die da heißen MANILLA ROAD und CIRITH UNGOL. Weitere gemeinhin bekannte Namen wie BROCAS HELM, MANOWAR und WARLORD erweitern dieses doch recht überschaubare Syndikat.
Wie weit kann der Apfel vom Stamm fallen?
Referenzen und Würdigungen hin oder her, die Band mit dem neologistischen Namen versteht von Beginn ihres neuesten Streichs an, individuelle und facettenreiche Akzente zu setzen. Das sture und moderate Imitieren der genannten Kapellen können dafür getrost andere Genrekollegen übernehmen. Der Opener „The Bards Tale“ ist keineswegs nur als selbstüberschätztes Cover des BLIND GUARDIAN-Klassikers zu verstehen. Wer die Betitelung genau liest und aufmerksam hinhört, erkennt ihn dagegen schnell als ein mit untypischer Schlagseite versehenes, eigenständiges Intro an.
Es mag wahrscheinlich vielen als Kuriosität, vielleicht auch als Abnormität anmuten, wenn ich mit einigermaßen gefestigter Überzeugung behaupte, dass hierbei zumindest Berührungen zu DEATH IN JUNE aufploppen. Wem sie kein Begriff sind: DEATH IN JUNE waren in den 1980er-Jahren eine der bekanntesten Neo-Folk-Formationen. Ihre Vorreiterrolle in diesem Genre wird Ihnen bis heute anerkannt. Von einer Diskussion über deren politische Positionierungen sehe ich hierbei ab und möchte lediglich die musikalischen Verweise anmerken, welche sich auch wirklich nur auf das Intro beschränken. Das liegt vor allem an der Mandolinen-Melodik und teils auch an der Stimmlage von Vidarr.
Anschließend erfolgt in „Vindicator“ mit sofortiger Wirkung eine 180-Grad-Kehrtwende hin zu rassigem, ungestümen und ungebändigten Old School Heavy-Metal. Eingängig, rockig, unangepasst und fast schon für eine Bikerausfahrt tauglich treten LEGENDRY mit diesem Überraschungsmoment die Tür zur gehobenen Genrekost ein. Insbesondere die Vocals entfalten nun ihr Potenzial.
So nah und doch so fern
Beschreibungstechnisch bereitet mir die Klangfarbe von Vidarrs Stimme jedoch etwas Kopfzerbrechen. Die gewohnt heroische Ergriffenheit erscheint hier zu ausdifferenziert und nicht zwangsläufig einheitsbreikonform. Ich würde sie eher als Querschnitt aus JUDAS PRIEST, TYTAN (UK), MANILLA ROAD, SACRED STEEL, VIRTUE (UK), X-CALIBER (US) und GLACIER (US) bezeichnen. Wem die meisten dieser Urgesteine etwas sagen, weiß, dass deren Sänger variabel keifend, aber nicht kratzig oder rau ihre lyrischen Ergüsse vortragen.
Der dritte Track „The Wizard And The Tower Keep“ wird mit einem fast schon romantischem „80er-Jahre-Film-/Serienszenenintro“ eröffnet, welches zunächst in balladenartige bis andächtige Sphären übergeht. Im Refrain meine ich, übersteuerte Riffstrukturen herauszuhören, welche eher im Stoner Rock bekannt sind. Spätestens ab dieser Stelle tritt musikalisch auch das Prädikat „Epic“ zu Tage, das die Band in die elitäre Kerbe von den bereits erwähnten MANILLA ROAD und CIRITH UNGOL einschlagen lässt. Gefühlsbetont, erhaben und abenteuerlich, versunken, aber nicht zu schmalzig wird den Hörern vom „Zauberer und dem Wehr- und Wohnturm“ (auch als Donjon bezeichnet) berichtet.
In „The Lost Road“ stechen besonders die leicht hohl klingenden, pferdegaloppartigen Drums und die allgemeine rasende Rhythmik positiv aus dem Klangteppich heraus. Gegen Ende wird es sogar psychedelisch, wobei BLACK SABBATH auch noch eine Huldigung zugesprochen bekommen.
Auch das anknüpfende „Sorcery´s Bane“ lässt Bezüge zum Stoner nicht missen. Mandoline und Violinen verleihen der Nummer einen historischen bis mittelalterlichen Anstrich. Dies lässt eine eigene Atmosphäre in Erscheinung treten, welche weniger karg und puristisch, sondern ausdifferenzierter und ausgestalteter als bei anderen Bands aus der Old School Heavy Metal oder NWoBHM-Sparte wirkt.
Hat auch wer ein bisschen Speed?
In „Behind The Summoner´s Seal“ wird das Tempo merklich aufgedreht, sodass auch Speed-Metal-Fanatiker zeitweilig auf ihre Kosten kommen. So lassen sich beispielsweise die Geister von AGENT STEEL oder EXUMER in dem Song erkennen. Die Psychedelik wird hier ebenfalls nicht vernachlässigt. Dies gilt auch für das letzte und längste Stück „Earthwarrior“. Durch die auffallenden Gitarrensoli klingt das Album fast schon etwas hippiesk aus.
Von einer umfangreichen, abgelehnten Modernisierung oder Generalüberholung des 80er-Jahre-Sounds kann dennoch nicht die Rede sein. Wozu auch? Die ausgewogene kontinuierliche Gratwanderung zwischen musikalischem Konservatismus und Expansion steht den Ostküstlern nämlich ziemlich gut. Die Songs zeichnen sich allgemein durch hohe Wiedererkennungspotenziale und Durchdachtheit aus.
Der mentale Sprung von der Antike in den Wilden Westen und zurück
Aus meinem Blick – oder besser ausgedrückt: aus meinem Hörwinkel – erinnern die Songs vom Gesamtklangbild her weniger an als Einzelkämpfer auftretende Gladiatoren oder andere antike Krieger, auch wenn das Markenzeichen der US-Amerikaner (der athletische Schwertfechter, der dem Betrachter auf allen Albumcovern den Rücken zukehrt), es so vermuten lässt. Eher werden durch die Stücke Parallelen zu Freiheitskämpfern, Gesetzlosen und Verstoßenen wahrhaftig. Sie reiten durch prärieartige, weitläufige Areale und berichten musikalisch von ihren Wünschen, Sehnsüchten, aber auch Momenten des Glücks.
Die Lyrics machen meiner alternativen Vision allerdings einen saftigen Strich durch die Rechnung. Leider konnte ich im Internet nur die Lyrics des zweiten Titels „Vindicator“ ausfindig machen, jedoch wird dieser Titel denkbar stellvertretend für die übrigen Sechs stehen. In genretypischer, selbstbezogener Manier (in Anbetracht solcher Zeilen wie „heavy metal madness found me there“ oder „with heavy metal power“ und „running in the wild“) postuliert der rachesüchtige Krieger, im nebeligen Wald gnadenlos seine Feinde und legendäre Ungetüme zu erledigen. Der Kampf erscheint ihm in diesem Sinne als einziges Mittel der Streitbeilegung und Gerechtigkeitserwirkung. (Siehe letzte Zeile: „from triumph or defeat, there is no escape“.)
Autorenbewertung
Vorteile
+ markante Wechsel in den Songstrukturen
+ ca. 47 Minuten Laufzeit passt perfekt, auch für Genreneulinge
+ abgewandelte Atmosphäre zu den Genregrößen
Nachteile
- in Sachen Songwriting ist noch Luft nach oben
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