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Mir doch egal! – Brutalität im Metal und ihre Folgen
Gerade läuft „Deep Cuts from Dark Clouds“ der amerikanischen Sludge-Abrissbirne 16 (Name der Band). Während ich im Booklet die Texte durchblättere, fällt mir mal wieder auf, dass mich die Texte nach 4 Jahren noch immer beschäftigen und mir zu denken geben. Wie kommt es eigentlich, dass ich so viele Platten im Regal stehen habe, die krasse Einblicke in die Gedankenwelt der Musiker offenbaren, aber nur die wenigsten davon heute noch polarisieren? Liegt es daran, dass ich schon so lange Metal höre und abgestumpft bin? Ich habe ja schon eine Menge gehört und gesehen. Oder ist die Welt der Kunst gegenüber toleranter geworden? Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein.
Wirft man einen Blick auf die Historie des Rock und Metal, so provozierten schon Urväter wie BLACK SABBATH, THE DOORS und JIMI HENDRIX mit dunklen Texten über Religion, Drogen, oder Mord die Gesellschaft. Das schlug richtige Wellen, ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung war sogar richtig entsetzt darüber, wie eine Band über solche Dinge singen kann. Doch am Ende gewöhnten sich die meisten daran und heute sind die genannten Beispiele aus der Geschichte des Rocks nicht wegzudenken.
Der Metal in den 80ern
Spult man den „Film“ ein wenig vor, finden wir in den 80ern neuen Zündstoff in Form von Krachfanatikern wie VENOM, SODOM oder CELTIC FROST. Das satanische Image wurde nun so richtig populär. Immer mehr Bands legten mal mehr (CELTIC FROST), oder mal weniger (VENOM) eine authentische und provokante Einstellung an den Tag, die viele Eltern verschreckte und die Jugendlichen faszinierte. Parallel kamen auch die ersten Splatter-Filme auf den Markt, welche mit düsteren Tabus der Menschheit und abartigen Fantasien spielten. Aber auch das ist heute in der Gesellschaft angekommen. Mittlerweile schockt es die meisten nicht mehr. Der Mensch stumpft ab.
Um auf meine Situation am Anfang zurückzukommen, frage ich mich also:
Wieso läuft es mir nicht kalt den Rücken herunter, wenn ich Lyrics über die Misshandlung von Lebewesen lese, Leichen geschändet werden (siehe CANNIBAL CORPSE) und die Gewalt glorifiziert wird? Nicht, dass ich so etwas feiern würde, aber es muss doch einen Grund geben, weshalb mich das Ganze weniger verstört?
Vielleicht liegt die Antwort in der Qualität. Alben wie „Deep Cuts From Dark Clouds“ beschäftigen sich genauso mit Themen wie Drogenmissbrauch und Gewalt gegen Menschen. Aber sie sind authentisch geschrieben. Und wenn eine Botschaft in der Kunst gut verpackt ist, dann löst sie auch dementsprechende Reaktionen aus, wie in diesem Song von 16:
Opium Hook
it looks like I’m slipping again
my worst enemy
has become a friend
now it’s winter
the sordid struggle
the sun’s going down
we’re in trouble
feel it burn
rock bottom
crawl and squirm
rock bottom
my mind’s filled with stinging pain and the sound of a voice that I can’t explain
in a world of emptiness
there’s no love to express
the spark is gone
I’m attached and obsessed
So absorbed
Strung out
progress setback / deathbed
we’re sick in the head
Der Text handelt von harten Entzugserscheinungen und wie die Hoffnung auf Linderung abebbt. Er ist so gut formuliert, dass ich mir bildlich vorstellen kann, was in dem Kopf dieser Person vorgeht. Ich habe dabei ein ungutes Gefühl, wenn ich diesen Song höre. Weil die Message bei mir ankommt.
Mich berühren reale Erlebnisse mehr, als ausgedachte Splattergeschichten, welche im Metal zur Tagesordnung gehören. Es liegt daran, dass ich in meiner Jugend immer den härtesten Kram hören, beziehungsweise sehen wollte. Immer extremer, dunkler und grausamer. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich nur noch gelangweilt von den ganzen Horrorlyrics war. Also wurden die echten Geschehnisse auf einmal wieder interessanter. Und ist es nicht beunruhigender zu wissen, dass das Geschriebene jederzeit in Kraft treten kann, als die fünfzigste Zombieapokalypse?
Hier ein Auszug eines CANNIBAL CORPSE-Songs:
Kill Or Become
Killing is essential to survive
The world you once knew forever changed
Scavenging just to stay alive
Time to release your inner rage
Fire up the chainsaw
Hack all their heads off
Fire up the chainsaw
Hack their fucking heads off
If you want to live you have to kill or become
There´s no other way you have to kill or become
If you wan to live you have to kill or become
There´s no other way you have to kill or become
Na? Wen hat es jetzt ernsthaft gegruselt oder verstört? Mich jedenfalls nicht. Mein 16-jähriges Ich hätte es bestimmt für krass und gut befunden. Ein Tipp: sucht nicht immer nach dem härtesten Extrem. Irgendwann seid ihr davon gelangweilt.
Das gute alte Gefühl der Angst
Bevor ihr weiterlest, möchte ich darauf hinweisen, dass jetzt einige Bands folgen, die tatsächlich verstörend sein können.
Zu einem spannenden Text gehört natürlich die akustische Untermalung. Und wenn diese in dieselbe Kerbe der Worte schlägt, ist auch die Chance, dass man selber aufgewühlt ist, recht hoch. Ich erinnere mich daran, wie meine Augen auf einer Rezension des 2007 erschienenen DEATHSPELL OMEGA-Albums („Fas-Ite, Maledicti, In Ignem Aeternum“) ruhten. Als ich mit meinen zarten 17 Lenzen die Boxen aufriss und diese unvergleichliche Musik mir wie ein Orkan entgegenspie, wusste ich: Das ist ein neues Level der Härte. Die Nackenhaare stellten sich mir auf. So etwas hatte ich damals noch nie gehört. Vergessen waren die Monster! Gedärme und Blut gehörten der Vergangenheit an. Ähnlich verhält es sich mit dem Ausnahmewerk der französischen Doom Band FUNERALIUM. Ihr Zweitwerk „Deceived Idealism“ gehört für mich zum Abartigsten, was der Metal je ausgespuckt hat. Der Titel ihres Demos macht der Musik alle Ehre. Ultra Sick Doom. Da können nur noch KHANATE mithalten.
Wie kann so etwas getoppt werden?
Muss man noch eine Schippe drauflegen? Das entscheidet jeder glücklicherweise selber. Ich persönlich ziehe die Grenze bei dem wohl morbidesten Tondokument von WHEN („The Black Death“). Die Pietätlosigkeit dieses Albums ist grenzenlos (Geräusche von sterbenden Ratten und Menschen). Tatsächlich habe ich den Fehler begangen, und mir diese Scheibe im Dunkeln angehört. Das Resultat war tatsächlich etwas wie Angst. Einfach nur widerlich, was die Norweger da abziehen.
Warum kommt das Thema Angst in der Musik vor?
Um zu schocken und dich zu schützen. Angst gehört zum Menschen, so wie der Tod. Angst soll dich wachrütteln und auf die Probleme dieser Welt hinweisen. Das wäre wohl die einfachste Antwort. Es bereitet am meisten Unbehagen, denn wer will schon an die Misere in seinem Umfeld erinnert werden? Und doch ist es (für mich) die beste Art, ernsthaft über das Leben und seine Zipperlein nachzudenken. Interessanterweise schafft das kein Politiker bei mir, sondern der Metal mit seinen kritischen Aussagen.
Nachtrag: Natürlich ist die Auseinandersetzung mit dem Thema vielfältig. Eine allumfassende Betrachtung der Thematiken Brutalität und Angst ist, je länger man darüber nachdenkt, gigantisch und würde wohl den Rahmen sprengen. Deshalb bin ich darauf gespannt, wie ihr zu diesem Thema steht.
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