Musikalische Jugendsünden – und heute?

Als mein innerer Schweinehund neulich in einem halsbrecherischen Gewissenskampf die drängenden Uni-Unterlagen besiegte und der Prokrastinationsdrang das Steuer des sinkenden Schiffs namens „Mein Studium“ übernahm (Exmatrikulation ahoi!), machte ich eine äußerst interessante Entdeckung. Nein, ich durchstöberte nicht etwa den klischeehaft in Staub und Spinnweben eingekleideten Dachboden der Großeltern, wie er doch so gerne in Geschichten beschrieben wird; stattdessen stieß ich auf einen alten USB-Stick. Ganze vier Gigabyte Speicherkapazität, darauf all jene Musik, die ich mit zarten 12, 13 Jahren gehört habe – längst vergessene Relikte aus vergangenen Zeiten. Ob sich darunter auch so mancher Schatz verbirgt? Eine Recherche der etwas anderen Art.

SCHÄTZE? WOHL KAUM.

Auf den ersten Blick ist mein mentaler Metalldetektor wieder nur auf rostige Nägel anstelle der erhofften Goldmünzen gestoßen. NENA? ABBA? ASHLEY TISDALE? Nicht gerade etwas, womit ich heute angeben würde. Huch! Und schon steht es im Internet. Naja, was solls. Auch nicht viel schlimmer als die peinlichen Memes nach der letzten Party. Oder doch?

SCHAM ODER STOLZ?

Und dennoch steckt so viel mehr dahinter. Schon schwelge ich wieder in schönen Kindheitserinnerungen, den Gedanken an das stundenlange Stöbern in den Bravo Hits-CDs in der Bibliothek der nächsten Kleinstadt (um sie dann zu Hause von meinem großen Bruder heimlich brennen zu lassen). Oder an die FALCO-, AC/DC-, PINK FLOYD-Scheiben, die mein Vater auf so mancher langer Autofahrt eingelegt hat (Ja, der Mann hat Geschmack! ;)).

Pränatale Ehrung Ronnie James Dios oder doch purer Zufall?

Sind wir doch mal ehrlich: Nicht jeder von uns hielt schon als Fötus im Mutterleib die Mano Cornuta in die Höhe.
So kenne ich kaum jemanden in meinem Alter, der als Kind nicht auch voller Inbrunst Dragostea Din Tei von O-ZONE mitgeschmettert hat – zwar vermutlich mit falschem Text, aber guter Laune. (Da die Charts ständig im Wandel sind kann ich, was das betrifft, natürlich nur für meine Generation sprechen.)
Erst recht wird niemandem beispielsweise gleich der Black Metal in die Wiege gelegt. Stattdessen steigert sich die Spezies des Metalheads, man gewöhnt sich Stück für Stück an die Härte, bis man irgendwann seine individuelle musikalische Wohlfühlzone entdeckt, derer Einladung zum Bleiben man nur zu gern nachkommt.
Dennoch tun die meisten von uns heute gern so, als hätte es in ihrem musikalischen Lebenslauf nie etwas anderes als den Metal gegeben. Warum eigentlich?

 

Irgendwann kommt häufig eben der Punkt, an dem man sich als großer Musikfan in einer bestimmten Szene oder Subkultur behaupten möchte – nach dem Motto: „Ich bin ein ganz Trver!“ Da wird es zum höchsten aller Ziele, in den exklusiven Club namens „Metalszene“ aufgenommen zu werden.
Doch um welchen Preis? Benzin und Streichholz auf all die Platten der Vergangenheit, die doch letztlich nicht nur einen materiellen, sondern auch einen emotionalen Wert besitzen, ein Stückweit sogar zur Persönlichkeit gehören? Muss man seine musikalischen Wurzeln und den zugehörigen Werdegang wirklich zwanghaft ausradieren, um in der Szene Fuß zu fassen, ihr angehörig sein zu …“dürfen“? 

Blöd gelaufen.

Schluss mit der Geheimniskrämerei

Nein! Kein Mensch muss sich für die Klänge rechtfertigen, die ihm ehemals Freude gemacht haben – nicht vor sich selbst, erst recht nicht vor anderen. Weder gibt es „Aufnahmetests“ für die Metalszene (mal abgesehen vom ominösen Teste-Dich.de-Trveness-Quiz, aber das ist für seriöse Statistiken vermutlich nicht allzu aussagekräftig), noch muss man sein stählernes Herz auf einer Skala von MODERN TALKING bis Varg Vikernes einordnen. Schätzt man auch heute selbst manche jugendliche Vorliebe als den ultimativen musikalischen Fehlgriff ein, ist das noch lange kein Grund, sich dafür in Grund und Boden zu schämen. Lange Zeit glaubte ich das nämlich, aus Angst, in der Metalszene nicht ernst genommen zu werden.
Metallerweile kann ich zum Glück ganz offen dazu stehen und selbst über meine Geschmacksverirrungen lachen, weil es – in Anbetracht dessen, was jetzt tagein-tagaus im Hinter- oder Vordergrund dudelt – so absurd erscheint, zurückzublicken. Lasst uns einfach ein bisschen offener damit umgehen.

Deshalb hier meine letzte kleine Beichte: Die erste CD, die ich mir selbst gekauft hatte, war von TAYLOR SWIFT (Kaufgrund: Ich fand das Cover irgendwie schön). Etwa fünf Jahre später jedoch fand ich mich im selben CD-Laden wieder, trug aber diesmal mit stolz geschwellter Brust eine IRON MAIDEN-Scheibe nach Hause.

Welchen Unterschied das jetzt macht?

Einen persönlichen. Auch, wenn mein anfängliches Interesse für Musik an einer vollkommen anderen Stelle gestartet ist, als man heute glauben mag, hat es doch dazu beigetragen, mich dorthin zu führen, wo ich jetzt stehe. Das Finden des individuellen Musikgeschmacks ist ein Prozess, der sich, wie man an meinem kleinen „Geständnis“ sieht, auch mal über ein paar Jahre hinziehen kann – vor allem in der Pubertät wahrscheinlich nicht untypisch.

Sicher kein Musterbeispiel des musikalischen Lebenslaufs eines Metalheads, für mich aber eine spannende Rückverfolgung. Und an einem endgültigen Ziel dieser faszinierenden Entwicklung bin ich garantiert noch lange nicht angelangt. Denn das ist – Zukunftsmusik.

Auch ein paar solcher „Beichten“ parat, die ihr euch von der Seele schreiben möchtet? Nur zu, teilt sie mit uns! Ich bin auf eure Geschichten gespannt.

 

Überhaupt keine Lust mehr auf Musik? HIER klicken!

 


Dies ist ein Beitrag von Gastautorin: Alexandra


 


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