Niemals alt und niemals leise – SATYRICON in Dresden

Meine Besuche in Dresden werden immer seltener, umso mehr freue ich mich, wenn ich es mich dann doch mal wieder in die alte Heimat verschlägt und ich einen Abend in toller Atmosphäre verbringen kann. An meiner Seite habe ich den Yeti für die optische Unterstützung, der schon als waschechter SATYRICON-Fan durchgeht. Ich hingegen gehe vor allem mit Vorfreude auf den Support SUICIDAL ANGELS in den Abend. Mit SATYRICON hatte ich bislang einfach nur wenige Berührungspunkte. Also ausreichend Gründe, um sich an einem Freitag mal auf den Weg in den Beatpol zu machen, der mir über die Jahre immer mehr ans Herz gewachsen ist.

Schon in der Einflugschneise in den Saal erblicke ich viele bekannte Gesichter. Oben angekommen finde ich einen locker, aber schon gut gefüllten Konzertraum vor. Es herrscht reges Gemurmel und eine gespannte Vorfreude liegt in der Luft. Das Publikum ist erfreulich durchmischt, sowohl Jungspunde als auch schon ergraute Fans haben den Weg hierher gefunden. 20:15 Uhr fällt der Starschuss und die Griechen von SUICIDAL ANGELS entern die Bühne. Der Vierer hat mich bereits auf dem letztjährigen In Flammen Open Air mit seinem straighten Thrash überzeugen können. Eine kurze, prägnante Ansage heißt das Publikum willkommen und schon gibt die Band mit „Capital of War“ die Kampflinie vor. Der Sound ist klar, die Stimme des Sängers setzt sich gut durch. Stilecht mit Patronen- und Nietengurten bestückt und hochmotiviert wird das Publikum angesprochen und zur Aktion aufgerufen – leider bleiben diese Versuche kaum beantwortet. Auf der Bühne ist viel Bewegung, davor umso weniger. Das mag vielleicht daran liegen, dass der Abend noch so jung ist. Vielleicht schmeckt Dresden der Thrash auch einfach nicht so richtig. Zu mehr als vornehm-distanzierten, rhythmischen Kopfnicken können sie sich anscheinend noch nicht erwärmen. Ich kann die Trägheit nicht so ganz verstehen, mich können SUICIDAL ANGELS sehr gut mitziehen.

Startschwierigkeiten in der Publikumsbindung

Die Drums hämmern, die Gitarren schreien und endlich dringt das erste prototypische Gitarrensolo an meine Ohren. Virtuos und zielsicher, wie ich es im Gedächtnis habe. So sehr die Band mit dem Tempo anzieht und mit Herzblut performt, so wenig kommt noch aus dem Publikum. Vereinzeltes Johlen und Zeigen der Horns zeigt, dass immerhin einige wach geworden sind. Und auch einige Köpfe verschwinden schon unterhalb der Sichtlinie, was mich auf moshende und bangende Zuschauer schließen lässt. Na, geht doch. Die erste Reihe bleibt dennoch unbewegt, in der Türreihe wird noch fleißig geschnattert und der Applaus bleibt zwischen den Songs leider aus.

„Reborn in Violence“ beginnt schwerer, rollender, langsamer, eh die Walze wieder Fahrt aufnimmt. Der Song ist lang, zieht sich, wird immer extremer und schneller. Die Jungs zermetern ordentlich was und auf „Hey!“-Ruf-Aufforderungen ist nun doch auch Antwort vernehmbar. Die Haare fliegen auf der Bühne, der Look klassisch – Schrumpfschlauchjeans, weiße Adidas, Muskelshirt, Patronengurt und lange Loden. Es geht doch nichts über eine angemessenes Styling! Dank der guten Deutschkenntnisse des Sängers ist die Unterhaltung gut, seine Mimik überzeugend und vereinnahmend. „Danke-fucking-schön!“ schließt er den Song und wird mit ordentlich Applaus honoriert. Die Songübergänge reißen nie ein Loch in die Atmosphäre, der Sänger leitet den Song mit ein paar Worten ein, unterfüttert von Gitarrenfläche, und dann geht es wieder los. Spieltechnisch sind die Jungs ganz wunderbar. Die Soli sitzen, die Drums sind zuverlässig und der Sänger erwischt Töne und Einsätze, die Lichtshow ist passend. So gefällt mir das doch! Der Sound ist vorn wie hinten klar und so differenziert, wie er eben für dieses Genre sein muss. „Eternally to Suffer“ und „Seed of Evil“ – letzteres ein wunderbares Midtempo-Stück, quasi BLACK SABBATH-Riffing im SLAYER-Gewand – wissen mich ebenfalls bestens zu überzeugen. Als zu einer Wall of Death geladen wird, kommt auch endlich – aber noch sehr gesittet – Bewegung in die Geschichte.

Die Umbaupause verbringen wir damit, für ein Getränk anzustehen und Gesprächen anderer Konzertbesucher über den letzten Lanzarote-Urlaub, Heiratspläne und Kindergeldkonflikte zu lauschen. Hach ja, wir werden auch alle nicht jünger! Die Bühne wird freigeräumt für die Band des Abends. Ein Backdrop, welches das Coverart des aktuellen Albums trägt, und das beeindruckende Drumset Frosts mit behorntem Rack werden sichtbar.

SATYRICON entern die Bühne

21:30 Uhr: Ich habe es mit einer echten Instanz zu tun, wird mir klar, als Frost und Satyr unter ohrenbetäubendem Jubel die Bühne betreten. Ganz klar, wer hier die Geschicke lenkt: Satyr ergreift seinen behornten Mikrofonständer wie ein Steuerrad, eine Hand links, eine rechts. Eine Welle an Gnadenlosigkeit und Finsternis überrollt mich vom ersten Ton des Openers „Midnight Serpent“ an. Die Drums sind so zuverlässig und gerade, dass sie zu meinem Herzschlag werden. Ich bin erstmal komplett geflasht und kann nur staunen, was ich wohl in den letzten Jahren alles verpasst habe. Und – die beiden sehen keinesfalls so aus, als hätten sie schon 20 Jahre Karriere auf dem Buckel. Also: Asche auf mein Haupt, dass ich das bisher verpennt habe! Ich bin der Musik sofort verfallen. Und auch dem Rest des Publikum scheint es ähnlich zu gehen. Es wird fleißig mitgesungen, ob „Black Crow on a Tombstone“ 0der der Titelsong des neuen Albums „Deep Calleth Upon Deep“. Letzterer gefolgt von einem instrumentalen Interlude auf Geigenbasis. Mir fällt auf: die Songs sind hymnenhaft, das Riffing recht einfach, die Musik melodisch, aber niemals seicht. Immer wieder wird die Atmosphäre von erbarmungslosem Getöse zum Peak getrieben. Satyr mäht mit seinem Ton, der als alles andere als ein gemeinhin schönes Singstimmchen bezeichnet werden kann, den Saal nieder.

Äußerst beeindruckend!

Mit orchestralen Elementen wird nicht gegeizt, aber es wird mir nie zu cheesy! Das liegt vermutlich auch daran, dass die Musiker den bösen Gesichtsausdruck zur Perfektion gebracht haben, allen voran Satyr. Der hat ihn vermutlich sogar erfunden. Nachdem Yeti und ich beim vorangehenden Lichtcheck befürchtet hatten, dass das Strobolicht uns sämtliche Sehnerven grillt, muss ich nun revidieren: es wird passend und vergleichsweise sparsam eingesetzt. Apropos grillen: so langsam wird es ernsthaft warm hier drin. Ich schäle mich aus meinem Pullover. Der Bassdrumsound lässt meine Fußsohlen erbeben. Zeitweise glaube ich ihn sogar ein bisschen zu fett abgemischt und nehme mir vor, diesen Eindruck gleich von weiter hinten noch einmal gegenzuchecken.

Bei ruhigen Parts zeigt sich, wie sehr das Publikum der Musik verfallen ist. Es wird andächtig gelauscht und dann durch den „Dresden!“-Ruf Satyrs aus der Trance geweckt. Dass das Gros der Songs recht abrupt endet, daran werde ich mich wohl nie gewöhnen. „Repined Bastard Nation“ rollt repetitiv und gnadenlos durch den Saal, ich bin gefangen im Taumel und verfolge das uniforme Kopfschütteln der augenscheinlich niemals alternden SATYRICON auf der Bühne. Der Song bekommt zur Feier des Tages ein besonderes Ende verpasst. Die Band zieht es mit instrumentalem Geschrote und einem Blastbeat-Regen bis zur Gedulds- und Schmerzgrenze hinaus, schafft es aber im richtigen Moment das Getöse zu beenden und sich in Applaus baden zu lassen. Schön ist, wie die Lichtshow passend zum Set gestaltet ist. Bei „Nocturnal Flame“ ist die Bühne beispielsweise in rot-oranges Licht getaucht und so wenig man die ganze Zeit von Frost sieht, so viel hört man von ihm. Um es mit Yetis Worten zu sagen: „Wie ein Helikopter im Absturz – sägend und unerbittlich!“

Eindeutig: Hit für Hit ein Hit!

„Now, Diabolical“ kenn selbst ich und kann ihn so wie der ganze Saal schnell mitsingen. Und selbst der ruhige und melancholische Song „To Your Brethren in the Dark“, der wie ein Abgesang auf alles diesseitige des Daseins wirkt, ist immer wieder mit gnadenlosem Drumming durchzogen und die Gitarre sägt sich in die Gehirnwindungen. Das weiße Licht und der wohldosierte Einsatz der Nebelmaschine weiß mich noch weiter in die Fänge der Verzweiflung zu treiben. Fantastisch! Um es noch ein Mal zu erwähnen: Frosts Präzision ist äußerst beeindruckend. Satyr greift selbst noch zu einer dicken Flying V und ich muss zugeben, dass in dieser Zusammenstellung von drei Gitarren, Bass, Synths und Drums der Lautstärkepegel ohne Gehörschutz für mich nur schwer zu ertragen ist.

Während SATYRICON so durch den Saal schroten, fällt auf, welch Schlüsselrolle Satyr in diesem Konstrukt spielt. Er wirft immer wieder kontrollierende und kritische, vielleicht auch vorfreudige Blicke zu seinen Mitstreitern, dirigiert das Geschehen geschickt und bestimmt. Der angekündigt letzte Song, „Mother North“, folgt. Und es läuft plötzlich nicht so richtig rund. Timing-Probleme lassen die Musiker kurzzeitig auseinanderdriften, sie fangen sich aber schnell wieder. Eventuell sind das Ermüdungserscheinungen bei Frost – verständlich nach dieser bisherigen Ausdauerleistung. Fulminant endet die Show, natürlich nicht ohne lautstarke Zugabe-Rufe des begeisterten Publikums. Und die Band lässt sich nicht lange bitten und stimmt „Pentagram Burns“ und anschließend „Fuel for the Hatred“ an. Letzterer Song lässt die Menge toben und sogar einen Moshpit entstehen. Ich befinde mich inzwischen im hinteren Drittel des Saals und kann von da doch endlich ein bisschen was von Frost sehen, dessen lange Haare nun schweißnass durch die Luft wirbeln. Auch kann ich noch einmal den Sound anders bewerten. Die Gitarren sind scharf, schreiend, schneidend und kratzen in ihren Höhen hart an meiner Schmerzgrenze. Wenig überraschend: die Bassdrum ist hingegen deutlich weniger in der Magengrube spürbar. Der Sound übersteuert kurz, wird aber sofort wieder eingefangen. Vielleicht hat der Tonmensch zum Ende noch eine Schippe Volume draufgelegt …

Mit Ende des Songs kommt Frost hinter seinem Kit hervor, lässt sich ausgiebig feiern, feuert das Publikum an und findet herzerwärmende Worte einer Danksagung an die tobende Menge. Er meint, dass Dresden das „oldschool Black Metal feeling“ verbreitet. Er weiß nicht genau, woran es liegt, aber die Atmosphäre ist großartig, sagt er.

Eine Ansage, die wohl vielen im Saal die Brust schwellen lässt.

Mit „K.I.N.G.“ schließen die Norweger ihr Set. Das Keyboard drängt sich, inzwischen sehr dominant gemischt, in den Vordergrund. Nach geschlagenen 17 Songs ist die Luft im Saal zum Schneiden dick – und ja, es riecht natürlich auch nach Metaller. Ich brauche nach Ende der Show erstmal was zum Atmen und Trinken, bevor Yeti und ich freudig den Merchstand plündern. Im Konzertraum herrscht noch einige Zeit geschäftiges Treiben. Niemand scheint es eilig zu haben, nach Hause zu kommen. Es ist in der Tat eine Klassentreffenatmosphäre. Hier und da mit sehr jungen Vorschülern und vor allem auch vielen ewig Junggebliebenen der alten Schule. Vorm Beatpol erblicke ich noch einmal viele, viele bekannte Gesichter von vergangenen Konzerterlebnissen und Festivals. Alle gefühlt kaum gealtert. Die Stimmung ist – wie schon den ganzen Abend – tiefenentspannt. Wir schnattern noch ein bisschen mit dem einen oder anderen. Unter anderem läuft uns ein aus Freiberg angereister Gast in die Arme, mit dem wir uns über Beatpol und TrainControl und die Finanzierung selbiger austauschen. Alles in allem ein äußerst gelungener Abend, der mich in neue und Yeti in nostalgische Sphären katapultieren könnte. Selig reisen wir zurück in die Heimat und erfreuen uns noch eine Weile an den Eindrücken.

BEATPOL + SATYRICON + SUICIDAL ANGELS. Eine Rechnung, die für mich definitiv aufgeht. Danke dafür!

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