NOCTURNUS A.D. – Die Wiederauferstehung eines Kolosses

NOCTURNUS A.D. – „Paradox“

Veröffentlichungsdatum: 24.05.2019

Länge: 52:09 Min.

Label: Profound Lore Records

Genre: Old School/Progressive/Atmospheric Death Metal

 

Im Grunde braucht man zu NOCTURNUS (A.D.) eigentlich nicht viel zu erzählen. Das aus Tampa (Florida), dem El-Dorado amerikanischen Todesstahls, stammende Quintett genießt nun bereits seit ca. drei Dekaden ein immens hohes Ansehen innerhalb der Szene. Denn mit ihren ersten beiden Alben The Key (1990) und Thresholds (1992) beflügelten sie nie dagewesene, progressive Entwicklungsfortschritte im Genre. Zum einen machten sie die Integrierung von Synth-/Keyboardarrangements im Death Metal langfristig salonfähig.

Des Weiteren öffneten sie mit ihrem inhaltlich-konzeptuellen Fokus auf Themen im Sciene-Fiktion- und Weltraumbereich im lyrischen Sinne die bis dato im Allgemeinen vorherrschenden Schranken des Genres. Texte aus dem Horror-Zombie-Gore-Milieu standen fortan einer Art Opposition gegenüber. Die daraus resultierenden Langzeitfolgen sind heute bei Bands wie BLOOD INCANTATION, NUCLEUS, OBSCURA, ORIGIN, GIGAN oder FRACTAL UNIVERSE merklich sichtbar.

Die Auditive Cyborgs-Invasion

Bereits der Opener-Track „Seizing The Throne“ leitet mit einem schillernden Cyber-/Industrial-Intro ein, ehe es relativ zügig von einem klassischen Ami-Death-Metal-Riffinferno á la MORBID ANGEL, DEICIDE, GUTTED (US) oder MASSACRE abgelöst wird. In weitaus technisch anspruchsvoller, sauberer und klar durchdachter Manier trumpft von Beginn an das Soundkonzept der wiedervereinten Pioniere auf. Besonders interessant im ersten Song erscheint mir der gestreckte Ausklang mit einem abgehobenen Solopart. Das gemächlich abnehmende Tempo am Ende lässt den Song gleichförmig langsamer werdend ausklingen. Die Vocals, eine Symbiose aus Growls und Shouts, erscheinen ansprechend gemixt. Die atmosphärischen, cyberartigen Synth-Einschübe komplettieren das Gesamtklangbild.

Im Folgenden wird „The Bandar Sign“ ebenso vorerst mit einem sci-fi-anmutenden und kristallinen Intro eingeläutet. Was mich jedoch anschließend verwundert, ist, dass keine typische Growl-Stimme, sondern eher reine Shouts mit vereinzeltem Growl-Abgang den Track infiltrieren. Die Vocals werden zudem rhythmisch orientiert und damit sehr abgehackt intoniert. Ordentliche Death-Metal-Vocals klingen für mich anders. Das darauffolgende Interludium mutet wieder fesselnd durch ein mitreißendes Solo an. Zwischendurch droht im Hintergrund ein futuristischer, überdimensionaler Kochkessel kurz vor der Eruption zu stehen. Gerade dieser bringt eine faszinierende Dissonanz und Spannungsintensität mit sich. Sonst wurden über den gesamten Songverlauf hinweg immer wieder hintergründig Synths eingebaut, welche den für die Band prägenden Sci-Fi-Background aufrechterhalten. Des Weiteren generieren die Synths über die gesamte Laufzeit hinweg eine ansprechende Grunddramatik in die sich ansonsten wiederholenden Grundstrukturen der Songs. Dabei muten sie oft schon fast orchestral mit einem Seitenschlag zu Nahost-Klängen an.

 

Die Gradwanderung zwischen Rhythmus- und Melodiefokus

Stark fällt bei den ersten Tracks schon ins Gewicht, dass Riffs und Synths die melodietragenden Komponenten verkörpern, während die Konvergenz aus Stimme und Schlagzeug vorrangig den Rhythmus prägen.  Auch in Paleolithic“ setzt sich das soeben beschriebene Melodie-Rhythmus-Wechselspiel fort. Spätestens hier, also schon ab dem dritten Titel, gestalten sich die einzelnen Nummern schon als zu ähnlich und vorhersehbar, was im späteren Verlauf nicht abebbt.

Trotz der kontinuierlichen Einbindung von sonderbaren Intros, Outros und Bridges wird dieser Trivialisierung nicht entgegengewirkt. Es fehlen sozusagen neue Überraschungsmomente, trotzdem kann ich den Herren ihr handwerkliches Geschick nicht absprechen. Während andere Bands vermutlich in vollumfängliche Belanglosigkeit abdriften würden, kommt der Tampa-Brigade ihr Originalitätsfaktor noch zu Gute, auch aus dem Grunde, dass die Synths nie übertrieben aufkreuzen.

In „Precession of The Equinoxes“ hat die Stimme wieder mehr Growl- und Legato-Charakter und die virtuellen Synths geben Aufschluss darüber, dass fremde, von Cyborgs, Robotern oder anderen zwielichtigen Geschöpfen geflutete Dimensionen betreten werden. Obwohl die Melodieträchtigkeit der Gitarren und Synths durchgehend stark ist, trägt die Stimme in Summe dafür Sorge, dass der Rhythmus über die Melodie die Vorderhand gewinnt.

Der siebte Track, „Apotheosis“, stellt mit seinem über einminütigem Cyber-Intro noch einmal unter Beweis, wie ausgefeilt die Intros von den Südstaatlern für diesen Longplayer ausgestaltet worden sind. Sie bestechen eigentlich durchgehend durch eine optimale Performance und erscheinen damit weder zu moderat noch zu ausdifferenziert oder überengagiert. Leider bietet die zweite Hälfte des Albums für mich ansonsten keine weiteren Höhenflüge, welche hier noch Erwähnung finden sollten.

Atmosphäre und Technik triumphiert über Härte

Alles in Allem wurde (auch) beim vierten Longplayer von NOCTURNUS A.D. weniger Härte auf Teufel komm raus in den Fokus der Produktion gesetzt, sondern eher Priorität auf Rhythmik und Atmosphäre gelegt, welche als Schnittstelle zwischen 90er-Jahre-Old-School-DM-Sound und cyberartiger Zukunftsvision fungiert.

Die shout-lastige Stimme hätte tiefer sein können bzw. wäre sie eher für ebenso Sci-Fi-ausgerichteten Technical Thrash à la VEKTOR oder VOIVOD prädestiniert gewesen, würde sie noch schneller vorgetragen werden. Insgesamt wirkt die zweite Hälfte zumindest stellenweise etwas thrash-lastiger (zum Beispiel hinsichtlich der Riffstruktur in „Apotheosis“).

Die Musik sollte Fans von eher moderat extremen Death-Metal-Kapellen wie DEATH, MASSACRE, OBITUARY, PESTILENCE oder SKELETAL REMAINS, aber selbstverständlich auch der alten NOCTURNUS-Alben gleichermaßen positiv aufs Gemüt schlagen. Technical-Death-Maniacs mit zeitgleicher Affinität zur Weltraumthematik und Old-School-Sound sollten den vierten Longplayer der Urgesteine auch einmal anspielen.

Autorenbewertung

7
Eine der Wegbereiter des Progressive- und Technical Death-Metal zelebrieren im neuen Jahrtausend angekommen eine Renaissance ihres weitreichend etablierten und Zuspruch gefundenen Sci-Fi-Sounds. Im Prinzip unterstreicht die Symbiose aus allen musikalischen Komponenten auch auf Album Nummer vier, warum NOCTURNUS innerhalb der Szene Kultstatus genießen und eine Sonderrolle einnehmen. Leider klingen jedoch viele der Songs ziemlich ähnlich, sodass das Songkonzept vorausschaubar anmutet, auch die Stimme könnte kraftvoller eingesetzt und mehr variiert werden. Die authentischen Synth-Klangpassagen manifestieren einen Mehrwert und damit meinerseits einen Punkt mehr auf der Bewertungsskala zu Gunsten der Musiker.
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7 / 10 Punkten

Vorteile

+ origineller Sound
+ virtuose Stimme
+ angemessene Länge
+ spannungsintensivierende Synths

Nachteile

- wenig bis kaum Varianz zwischen den Songs
- besonders die Melodien ähneln sich zu sehr
- Stimme hätte mehr Growl-Charakter haben können

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