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PROPHECY FEST – ZWISCHEN HALL UND HÖHLE

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In meiner Laufbahn als Festivalbesucher (oder, für die politisch Korrekten, als FestivalbesucherIN) sind mir schon so einige interessante Locations untergekommen. Natürlich gab es die festivaltypischen Äcker und Flugplätze, aber auch Burgruinen und versteckte Lichtungen mitten im Naturschutzgebiet. In eine richtige Höhle hat es mich bis jetzt aber noch nicht verschlagen, und so bin ich umso gespannter, ob sich das PROPHECY FEST in Sachen Location vielleicht zu meinem neuen Liebling mausern wird.

Der Weg ist das Ziel

Zu Beginn des Festivals steht bei mir aber, es wird schon fast zur Tradition, der Stau. Der laut Google ungefähr sechsstündige Weg nach Balve wird zu einem Neun-Stunden-Spektakel, und so verpasse ich gekonnt gleich die ersten drei Bands. Pünktlich zu KATLA kreuzen wir auf dem Parkplatz vor der Höhle auf, und merken: Das könnte jetzt länger dauern. Das gesamte Gelände ist zugetackert mit Autos und Zelten, jetzt gilt es, sich irgendwo noch möglichst elegant dazwischen zu quetschen. Als das gemeistert ist, zuckeln wir los, um die selbst ausgedruckten Eintrittskarten in Festivalbändchen umzutauschen. Dann schlängeln wir uns zwischen Fressbuden und Metalheads hindurch den eigentlich sehr kurzen Weg entlang zum Eingang der Höhle. Er ist mit überdimensionalen Vorhängen verhangen, vermutlich, um sowohl die Musik drinnen als auch das Licht draußen zu halten.

Gerade spielen DISILLUSION, die ich aber nur mit halbem Ohr wahrnehme und so kaum was dazu sagen kann. Stattdessen muss ich erstmal die Höhle auf mich wirken lassen. Die Balver Höhle ist die größte Kulturhöhle Europas, und als ich mich drinnen umsehe, fällt mir auch als erstes der beeindruckende Umfang des Gewölbes auf. Hier ist nicht nur genug Platz für eine Bühne + Technik, sondern auch für eine riesige Merchtheke und eine Bar sowie diverse Holzbänke zum gemütlichen Pommes-Essen und Biertrinken.

Hoffnungslos verträumt

(c) Carsten Brand

Meine erste Band für dieses Festival, und gleichzeitig die, auf die ich mich am meisten gefreut hatte, ist ALCEST. Auch wenn es beim Prophecy Fest keinen expliziten Headliner gibt, die Franzosen hätten zumindest vom Bekanntheitsgrad her das Zeug dazu. Auch die Spielzeit um 22:30 Uhr Abends ist mit Sicherheit nicht ganz zufällig gewählt – dementsprechend voll ist die Höhle. Und dann tritt er auf die Bühne: Neige. Sänger, Lyriker und buchstäblich das Gesicht von ALCEST. Seine langen Haare sind das einzige, was von seinem Äußeren irgendwie in das Metal-Klischee passt. Und dann beginnt er zu singen und die Band zu spielen. Für alle, die ALCEST nicht kennen: Sie spielen Post-Metal mit poetischen Texten. Es ist romantisch, aber nicht kitschig. Der Hall in der Höhle lässt vor allem den Gesang sehr atmosphärisch wirken, und mein sehr geschätztes „Percees de Lumiere“ klingt bei dieser Akustik beinahe schon nach Rock n‘ Roll. Das Publikum ist durch und durch begeistert. Auch ich kann dem Auftritt sehr viel abgewinnen, und so wird sich nach der Show gleich mal was Neues zum Anziehen gekauft. Man kann nie genug Bandshirts haben.

Im Zeichen der Dunkelheit

(c) Carsten Brand

STRID sind die letzte Band des heutigen Tages. Sie fangen um Mitternacht an zu spielen und die späte Stunde fügt sich sehr gut mit ihrem Auftreten zusammen. STRID sind heute vermutlich manchen kein Begriff mehr, zählen aber zu den Allerersten im Genre des Depressive Suicidal Black Metal, was sich nicht zuletzt an ihren Texten gut erkennen lässt. Düster ist die Musik, welche die Norweger spielen, eher simpel, aber deshalb nicht weniger eindringlich. Es ist ein unaufgeregter und vielleicht gerade deshalb sehr eindrucksvoller Auftritt. Ohne ein Wort an das Publikum gerichtet zu haben, verschwinden sie schließlich eben so plötzlich wieder von der Bühne, wie sie sie betreten hatten.  

Ausschlafen auf einem Festival?

Am Samstag bin ich als allererstes erstaunt, wie lange man morgens in seinem Schlafgemach bleiben kann, prügelt einen doch auf den meisten Festivals spätestens um 9 Uhr die Sonne aus dem gefühlt 50 Grad heißen Zelt. Aber der höher gelegene Wald hinter der Balver Höhle fängt die Sonne ab, und so genieße ich die angenehm schattigen Temperaturen ganz ohne Pavillon. Auf dem Festivalgelände gibt es für ein paar Euro ein ordentliches Frühstücks-Buffet, wobei natürlich gilt: Wer als als erstes kommt, hat die meiste Auswahl. Vor der ersten Band nehme ich mir dann nochmal Zeit, mich ausführlich beim Merch umzusehen. Da hat das PROPHECY FEST etwas Besonderes zu bieten: Für jede Band hat der Künstler David Thiérrée eigens ein Bild gestaltet, das es für 20 Euro als Poster (limitiert auf 20 Stück je Band), oder für einen mittleren dreistelligen Betrag als Druck auf Leinwand (immerhin ein Einzelstück) zu kaufen gibt.

Neuer Tag, neue Bands

(c) Carsten Brand

Als Opener des zweiten Tages treten die Niederländer von LASTER in der Balver Höhle auf. Alle Bandmitglieder tragen Masken, die wohl Vogelschädel darstellen sollen. Zusammen mit ihrer schwarzen Kluft erinnern die Musiker etwas an die Pestdoktoren des Mittelalters. Der Gesang wechselt zwischen hellen Schreien und Klargesang. Mit letzterem komme ich irgendwie nicht so zurecht, er ist mir zu flach und es kommt nichts rüber, da finde ich die Schreie wesentlich eindringlicher. Musikalisch können LASTER aber überzeugen, und ich höre sogar jemanden neben mir im Publikum sagen: „Das ist meine neue Lieblingsband!“.  

(c) Carsten Brand

Bei der nächsten Band fällt es mir schon schwer, den Namen auszusprechen. Ich will immer Tschernobog sagen… Aber mit kollabierten Atomkraftwerken hat diese Band nichts zu tun, dafür umso mehr mit harter Musik. Wenn man die Augen zu macht, würde man nicht denken, dass da eine zierliche Frau am Bass steht (übrigens wie der Sänger mit verbundenen Augen). Allerdings ist mir das Ganze insgesamt zu unmelodisch, und so packen mich TCHORNOBOG (so der richtige Name der Band) nicht wirklich. Beim Publikum allerdings finden die dämonischen Töne der Black-Doom-Mischung mehr anklang, zumindest steht bis zuletzt doch eine recht große Menschenmenge vor der Bühne.

(c) Carsten Brand

Aber vielleicht warten die auch alle schon auf die nächste Band? Das sind in diesem Fall die Briten FEN. Mit denen wird es nämlich wieder ein ganzer Stück atmosphärischer, so wie man es von Post-Black-Metal kennt. Da steht dann auch wieder die Melodie im Vordergrund und es kommt eine beinahe verwunschene Stimmung auf. Trotzdem sind sie irgendwo aggressiv und düster, aber bei dem vorherrschenden Hall kann man sich von FEN in den Gewölben der Balver Höhle dennoch regelrecht verzaubern lassen.

We love Rock n‘ Roll

(c) Carsten Brand

Mit YEAR OF THE COBRA steht nun eine Band auf der Bühne, die sich gleich auf mehreren Ebenen von den anderen Bands des Festivals abhebt. Die erste Eigenheit fällt gleich auf den ersten Blick auf: Da sind ja nur zwei Leute auf der Bühne! Ein kahlköpfiger Mann hinterm Schlagzeug und eine asiatisch anmutende Frau an Mikrophon und Bass. Ja, ganz genau: Keine Gitarre! Die wird von YEAR OF THE COBRA offensichtlich nicht benötigt, die Melodien erklingen allein durch den Gesang. Der von den zwei Amerikanern zum besten gegebene Stoner-Doom erweist sich als groovig und viel kraftvoller, als man es bei der sparsamen Instrumentierung vielleicht gedacht hätte. Gefällt mir!  

(c) Carsten Brand

Da ich nach vier Bands auch erstmal eine Pause brauche, werfe ich bei VEMOD nur einen kurzen Blick auf die Bühne. Dort springt mir als erstes die akkurateste Hipster-Frisur eines Black-Metal Sängers ins Auge, die ich je gesehen habe. Verwirrt von diesem Anblick, verlasse ich die Höhle, um mir bei einer der Fressbuden etwas Essbares zu organisieren.  

DARKHER höre ich nur mit halbem Ohr, Pommes essend auf einer der Bänke hinter der Bühne sitzend. Insgesamt spielen heute drei Bands mit einer Frontfrau, und DARKHER ist eine davon. Der Gesang ist sehr mächtig und erhaben, er dringt auch bis zu den mampfenden Gestalten in den hintersten Winkeln der Höhle vor. Als ich mit essen fertig bin, erklingen aber auch bereits die letzen Töne und mit dem ausgiebigen Applaus beginnt sich die Menschentraube vor der Bühne Richtung Höhlenausgang in Bewegung zu setzen.

Einmal Natur pur, bitte

(c) Carsten Brand

Bei EMPYRIUM stehe ich tatsächlich mal ganz vorne vor der Bühne. Nicht, weil ich so gehyped auf die Band bin, sondern weil ich gewissermaßen als seelische Unterstützung gebraucht werde. Meine Freundin holt jedenfalls schon mal provisorisch die Taschentücher raus, um Falle des Falles die Tränen der Rührung wegwischen zu können. Und EMPYRIUM sind in der Tat ein guter Anwärter dafür, bewegende Emotionen hervorzurufen. Das Ensemble beinhaltet neben Schlagzeug, Bass, Keyboard und Gitarren nämlich auch eine Geige. Und die passt auch wunderbar zum musikalischen Thema: Natur.

Hier geht nichts ohne verzauberte Klänge und mystische Melodien. Das klingt alles sehr schön, aber zugegebenermaßen wird es mir nach der Hälfte des Konzerts bereits langweilig. Nicht so dem augenscheinlich schon gut angetrunkenen Typen, der sich plötzlich von der Seite nach ganz vorne drängt, um vor der Bühne überschwänglich beide Arme in die Luft zu recken. Vermutlich, um die Musik zu würdigen, vielleicht hofft er auch, dass Frontman Markus geradewegs in seine Arme stolpert. Leider passiert nichts dergleichen, und so geht der Auftritt der wohl romantischsten deutschen Metalband ohne größere Aufregung zuende.  

Schweißgebadet

(c) Carsten Brand

Wenn man von Frontfrauen auf dem PROPHECY FEST spricht, so ist die nächste Formation des heutigen Abends definitiv die beeindruckenste: BETHLEHEM. Die Technik und die Kraft in der Stimme von Sängerin Onielar sind schlichtweg sondergleichen. Und auch wenn ich mich beharrlich weigere, das, was sie da von sich gibt, als „Gesang“ zu bezeichnen: Ich muss ihr in jedem Fall Respekt zollen. Wenn man die Augen zu macht, glaubt man, weder Mann noch Frau zu hören. Dieses abartige Gekreische ist wie eine Roomtour durch eine schwarz-weiße Horrorfilm-Psychiatrie.

Dazu passen auch die im Hintergrund eingeblendeten Filmschnipsel, die ich mir nach wenigen Minuten schon nicht mehr anschauen mag. Ich verziehe mich in den hinteren Teil der Höhle und drehe der Bühne den Rücken zu. Denn musikalisch gibt es hier absolut nichts zu meckern, neben der perfektionierten Schweineschlachtung am Mikrophon bieten BETHLEHEM auch noch raffinierte Melodien und einen gleichzeitig beklemmenden und eindrücklichen Sound. Doch auch wenn, oder gerade weil man der Band ihre Einzigartigkeit nicht absprechen kann: Meins ist es nicht. Und deshalb verlasse ich dann auch vorzeitig die Höhle.

(c) Carsten Brand

Eigentlich bin ich hundemüde, aber MORTIIS will ich mir dann doch nicht entgehen lassen. Wo anders, als in einer echten Höhle, sollte man sich sonst mit Dungeon Synth zudrönen lassen? Wem MORTIIS nichts sagt: Kennt ihr noch Vond? Die Selvmord? Genau, das ist der Typ. Nur um knapp 20 Jahre gealtert. Ach ja, und eine Hakennase hat er sich auch zugelegt. Sein gesamtes Erscheinungsbild hat etwas von einem Goblin, was das Zusammenspiel von Höhle und Musik nochmal perfekt abrundet. Ich muss gestehen, in den ersten 15 Minuten schlafe ich fast ein. Das Intro ist sehr unaufgeregt und wiederholt, zumindest fühlt es sich so an, einfach nur stumpf immer wieder dieselbe Tonfolge. Aber mit der Zeit wird es richtig episch, und am Ende weiß ich, wofür ich wach geblieben bin. MORTIIS bildet einen perfekten Abschluss für ein durch und durch atmosphärisches Festival.  

Huch! Schon vorbei?

Das PROPHECY FEST 2019 war definitiv eine Erfahrung wert und ich fahre mit vielen neuen Eindrücken sowie einem frisch gekauften ALCEST-T-Shirt nach Hause. Leider gehört das Festival mit lediglich zwei Tagen zu den kürzeren seiner Zunft, und wenn man dann auch noch verspätet ankommt, ist die Freude natürlich von noch kürzerer Dauer. Und auch wenn die Balver Höhle wirklich beeindruckend ist, an meine Lieblings-Festivallocation kommt sie nicht heran. Dennoch bin ich froh, dem diesjährigen PROPHECY FEST beigewohnt zu haben. Nicht zuletzt, weil ich euch davon berichten und vielleicht den einen oder anderen dafür begeistern kann! In die Balver Höhle kehrt das PROPHECY FEST leider erst 2021 wieder zurück, bis dahin heißt es: Abwarten und Bier trinken!


Ein großer Dank geht in diesem Zuge raus an Carsten Brand, dessen fantastische Fotos diesen Festivalbericht mit Bild und Farbe schmücken. Schaut euch hier mehr seiner tollen Arbeiten an:
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