Ragnarök 2019 – Die Endzeitsaga – Teil 1
Traditionen sind was feines. Besonders dann, wenn es sich um ein heißgeliebtes Festival dreht, das uns nun schon einige Jahre die schwermetallischen Tore öffnet. Hier nahm vor 2 Jahren meine persönliche SILENCE-Reise ihren Anfang, und heute, am 25.04.2019, stehen wir endlich wieder hier, vor der Stadthalle Lichtenfels. Unser Ziel? Das Ragnarök Festival! Die in der Mehrzweckhalle in den Franken beheimatete Festivität lädt dieses Jahr zur 16. Weltuntergangsparty. Und wir sind natürlich wieder am Start – mit unserem Stand, an den wir die Künstler zusammengetrommelt haben, damit ihr einen Schnack halten, einen Schnaps trinken und euch ein Autogramm auf eurer Vinyl, eure Kutte oder eure Glatze holen könnt. Ganz egal!
Für alle, die nicht in Lichtenfels mit uns feiern konnten, gibt es natürlich wie immer unseren (fast völlig nüchternen) Erlebnisbericht. Unterstützt werde ich dieses Jahr von Clemens, den der eine oder andere geneigte BM-Fan unter euch möglicherweise von KRATER kennt. Gemeinsam haben wir alle Shows unter die Lupe genommen und für euch die Tops und Flops des diesjährigen Ragnaröks gesammelt!
A wie Ankommen, B wie Bier öffnen, C wie Campingplatzparty!
Auf eine andere Tradition müssen wir dieses Jahr leider verzichten. Keinem, der schon mal auf dem Ragnarök zugange war, dürfte die Warmup-Party mit DJ Schnapsi entgangen sein. Diese (teils durchaus ausufernde) Feierei am Donnerstag Abend hatte sich über die Jahre zu einer solch geliebten Gewohnheit entwickelt, dass wir ganz schön blöd aus der Wäsche schauen, als wir Donnerstag Abend in die heiligen (Stadt-)Hallen einreiten wollen und stattdessen auf das externe Fressbudengelände verbannt werden – ganz ohne DJ und Party. Mit unserer Überraschung sind wir übrigens nicht allein. Einige Besucher waren extra heute schon angereist, um sich musikalisch und alkoholisch auf die folgenden Tage einzustimmen.
Na ja, immerhin sind die Bars schon offen und ein erstes Knobibrot gibt’s auch schon auf die Kralle, da wollen wir mal nicht so sein. Die allgemeine Stimmung hält sich im Vergleich zur altbekannten Party allerdings eher in Grenzen. Viele vermissen neben der Party schmerzlichst den Metbier-Stand, der es leider nicht nach draußen geschafft hat. Aber was soll’s, eine leidenschaftliche Runde Campingplatzparty tut es auch. DJ Schnapsi soll übrigens nächstes Jahr wieder am Start sein – hoffen darf man also!
Als wir dann später in der Nacht (oder besser früher am Morgen) endlich unser Schlafhallenlager beziehen, döse ich zum altbekannten Klang verschiedenster Schnarchnuancen glücklich ein – wohl im Gedanken an all die kurzen Nächte, die noch folgen sollen.
Freitag – Von Headbangern und Hiobsbotschaften
Ausschlafen ist nicht, wir haben schließlich einen Stand aufzubauen! Als dann kurz nach Mittag endlich alles steht, reicht die Zeit gerade noch für eine genüssliche Dose kalten Nudelgulasch, bevor sich die altbekannten Tore endlich öffnen und die ersten Massen in die Vorhalle strömen, um das neueste Merch abzugreifen und sich ungeduldig die Füße bis zum ersten Act wundzutreten. Und während das letzte Plakat aufgehängt wird, erreicht uns am Stand die erste Hiobsbotschaft: NAGLFAR und GOD DETHRONED werden es nicht zum Ragnarök schaffen, bei der skandinavischen Fluggesellschaft SAS wird gestreikt.
Und damit bleiben nicht nur die Flugzeuge, sondern auch die Bands am Boden. Auch SKELETON WITCH werden es leider nicht schaffen, die springen dafür aber am Samstag im NAGLFAR-Slot ein. Immerhin ein kleiner Lichtblick, schließlich dürften all diese Bands für einige Besucher der entscheidende Ticketkauffaktor gewesen sein. Aber die meisten Zuschauer zeigen sich verständnisvoll – schließlich kann ja keiner aus der Festivalorga was für einen solch drastischen Zwischenfall.
Dadurch verschiebt sich allerdings die gesamte Running Order ein Stückchen nach hinten. Kurze Zeit später geht es dann aber endlich los – und schon jetzt ist die Hütte brechend voll! Die italienische Kombo ATLAS PAIN macht dieses Jahr den Anfang und wird von den Ragnaröckern überschwänglich begrüßt. Wen wundert’s: Die durch und durch sympathischen Epic Metaller (mit einem gewissen Seemannsfeeling, sodass ich sie zunächst fast falsch unter Piratenmetal verbucht hätte) glänzen mit Filmmusikanleihen, catchy Mitsing-Refrains und jeder Menge guter Laune.
Und als wäre all das nicht schon genug, haben die Jungs erst vor einer Woche (19.04.19) ihr neues Album „Tales Of A Pathfinder“ auf die Welt losgelassen – und das kommt an! So ist der Frust über die Lineup-Änderungen schnell vergessen. Der Startsong „The Moving Empire“ hat schließlich einen Sound inne, den ich so noch bei keiner anderen Epic Metal-Band gehört habe – Reinhören schadet nicht! Auch wenn der Sound zu Beginn noch die typischen Klang-Turbulenzen innehat, schmälert das das Feeling des ganzen Auftritts kein bisschen.
Mehr Melodie gefällig?
Vergleichbar melodisch und international geht es jetzt weiter. Die Schweden MIDVINTERBLOT bringen mit ihrem Folk Metal eine ordentliche Wikinger-Komponente in das diesjährige Ragnarök. Die Lyrics gibt’s abwechselnd auf schwedisch oder englisch. Sänger Jonathan bekommt starken gesanglichen Support von Geiger Sebastian, der mit seinen Fideleien dem Sound der Band eine natürliche Note verleiht. Lediglich der Bass ist leider viel zu laut und blechern abgenommen, sodass es sich manchmal anhört, als würde Bassist Sten viel zu starker Zahnseide spielen. Nichts desto Trotz sorgt die Kombo für ordentlich gute Laune – und wird auch gleich die allererste Band sein, die sich am diesjährigen Ragnarök am SILENCE-Stand die Klinke in die Hand gibt!
Und während sich draußen die erste Schlange bildet, um die Schweden zu begrüßen, bereiten sich drinnen NOTHGARD auf ihren Auftritt vor. Wie schon vor 2 Wochen auf dem Metal Franconia präsentiert die Kombo um EQUILIBRIUM-Gitarrist Dom auch diese Woche das jüngste Album „Malady X“. Auch die Setlist zeigt kaum Abweichungen. Dafür dürfen sich NOTHGARD auf dem Ragnarök einer größeren Zuschauermasse erfreuen, was definitiv zur Gesamtstimmung beiträgt. Dom, Skaahl und Nico bangen mit den feierwütigen Besuchern aus der ersten Reihe um die Wette, auch eine nicht zu unterschätzende textsichere Fangemeinde macht sich bemerkbar. Allerdings bleiben auch NOTHGARD nicht von den Startschwierigkeiten im Sound verschont. Die geben sich aber zum Glück über den Verlauf der Show, sodass man zum Schluss die ganze Party nahezu ungehindert genießen darf.
Der Abschied – die erste
Allerdings gibt es dieses Jahr nicht ausschließlich positive Gründe zum Feiern. EÏS zelebrieren dieses Jahr mit einer zweiteiligen Show eine Band-Ära, die nun (vorerst) ein Ende finden wird. Die Band wird nämlich für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt – und ob der Abschied eher nach Erfolg oder „Griff ins Klo“ klingt, findet Clemens heraus.
Clemens: Bei EÏS wird es in Sachen Beleuchtung und durch die Musik erzeugte Atmosphäre nun endlich finsterer. Ein großes, grün beleuchtetes Steuerrad bevölkert vor Sänger Alboins Mikroständer die Bühnenmitte und überführt uns zu den ersten Klängen von „Galeere“. Dieses (G)EÏS(T)-Album feiert seinen 10-jährigen Geburtstag und wird heute komplett zum Besten gegeben. Ich war von vornherein sehr gespannt, ob man diese Scheibe in seiner Gänze wirklich überzeugend auf der Bühne präsentieren kann. Und um gleich mal vorzugreifen: Ja, man kann. Der Sound ist zu Beginn leider sehr verwaschen und transportiert als einzig laut vernehmbares Element die Bassdrum. Das ist wenig hilfreich bei gitarrenlastiger Musik. Mit diesem Problem haben heute allerdings fast alle Bands zu kämpfen.
Nach einigen Justierungen kommen die Gitarren dann aber endlich besser zur Geltung. Bei Akkordeonklängen, die von den Gitarren begleitet werden, springt die Seemannsmelancholie in der vorm inneren Auge erzeugten Weite direkt über. Und das kommt von einer Person, die sonst rein gar nichts mit maritimen Themen und solcher Instrumentierung anfangen kann. (Dass der Leadgitarrist gerade im Strudel der Geschwindigkeitssteigerung auf das Mutepedal kommt, werde ich natürlich nicht erwähnen… Ups!) EÏS treten in Seemannsuniformen auf und wirken angesichts des heutigen Anlasses sowohl freudig aber konzentriert distanziert, was gut zur gesamten Show passt. Für das fröhliche Mitschunkeln sind an diesem Wochenende ja auch andere Bands zuständig. Einzig bei einer Ansage wurde diese atmosphärische Wand durchbrochen. „Das folgende Lied würde davon handeln, wie scheiße NSBM ist. Vor 10 Jahren, wie auch heute.“
Wer hat das Zeug zum Publikumsliebling?
Nach einer kurzen Umbaupause (die sich auf dem Ragnarök dank Doppelbühne immer nur um Minuten handelt) machen sich AGRYPNIE für ihren großen Auftritt bereit. Und die können von Beginn an mit einem differenzierteren Sound punkten. Das Gitarrensetup klingt fast metalcore-lastig, oder positiv ausgedrückt in Richtung „Slaughter of the soul“ von AT THE GATES. Die Truppe ist nun seit 15 Jahren unterwegs und hat sich einen sehr guten und weitreichend gefeierten Status in Deutschland erspielt. Die Menge vor der Bühne wird durch das ganze Konzert weg locker von Sänger Torsten und seinen Kollegen dirigiert und nimmt jedes Leckerli der Band dankend an. Teilweise kommen gleich 3 Gitarren zum Einsatz, um die unterschiedlichen Harmonien zu generieren. Und einen Gastauftritt vom HARAKIRI FOR THE SKY-Sänger gibt es als Kirsche noch auf das Sahnehäubchen oben drauf. Alles richtig gemacht!
Steffi: Nachdem das Publikum von AGRYPNIE ordentlich heiß gespielt worden ist, dürfte es schwer sein, auf diese Stimmung noch etwas draufzusetzen, stimmts? Falsch! Unzählige Fans haben dem ersten Meilenstein der neuen VARG-Formation entgegengefiebert, das zeigt sich jetzt. Gemeinsam mit ihren Zuwächsen Garm und Morkai an den Gitarren haben die VARG-Urgesteine Freki und Fenrier der Debütscheibe „Wolfszeit“ neues Leben eingehaucht. Das heißt: frische Riffs, frischer Sound, frische Ideen, aber irgendwie auch das Gefühl einer längst vergangenen Ära.
Und so präsentieren die Wölfe heute zum allersten Mal „Wolfszeit II“, das es ab dem 07.06. zu haben gibt. Und den Fans scheint’s zum Glück zu gefallen! Fast die ganze Halle ist bis zum Erbrechen erfüllt und feiert ihre Helden, während die Jungs auf der Bühne böse Miene zum guten Spiel machen. Dazu gibt’s eine spektakuläre Lichtshow, vernünftigen Sound und einen ganz neuen VARG-Sound auf die Ohren. Was sagt ihr zu den „neuen alten“ Songs? „Skål“ gibt’s sogar schon als Livevideo von IridumStream zu gucken:
Jetzt heißt es aber wieder: Schluss mit lustig! Clemens hat sich für euch dem nächsten Act gewidmet, der so gar nichts mit Feiern zutun hat.
Darf es noch etwas mehr Atmosphäre sein?
Clemens: HARAKIRI FOR THE SKY verbinden die unterschiedlichen Fangruppen aus Folk/Pagan-Freunden und Schwarzmetallern ziemlich gut. Nicht zu hart, aber zum Glück meilenweit von Fröhlichkeit entfernt. Zwar ist der Gesang auch bei den Österreichern etwas zu laut und überlagert die restliche Instrumentierung, jedoch kann man dieses Mal die Gitarren gut heraushören. Der Sänger kann bei mir mit einem CONVERGE-Shirt punkten und transportiert den Inhalt seines gegröhlten Weltschmerzes im ansprechenden Maße mit seiner Körpersprache. Torsten von AGRYPNIE kommt nun ebenfalls für einen Austauschgastbeitrag auf die Bretter und hat sich danach seinen Feierabend redlich verdient.
Schaut man nun mal auf die Trends, sind HARAKIRI FOR THE SKY derzeit auf alle Fälle „in“. Direkt vor der Bühne werden sie gut abgefeiert, während auf den Rängen beobachtende Stille herrscht. Schon vor dem Auftritt hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie man diese Band denn jetzt eigentlich beschreiben möchte. Black Metal ist es nicht, obwohl sich ein großer Teil ihrer Hörer wohl aus diesem Bereich generiert. Im Grunde kann man sich dieses Schubladendenken auch schenken. Mein sehr kurzes und prägnantes Label lautet: „melodischer Metal mit Postrockelementen und Gröhlgesang“.
Die Pause reicht gerade für ein frisches Bier, dann zieht es mich schon wieder in die Konzerthalle. BORKNAGAR sieht man schließlich auch nicht alle Tage! Das denken sich wohl auch die Massen vor der Bühne, die die Band direkt lautstark empfangen. Das Debütalbum von 1996 schrieb zur damaligen Zeit zu einem gewissen Anteil Black Metal-Geschichte. Von diesen Anfängen hat man sich allerdings schon lange entfernt. Der Kreischgesang von Garm ist komplett dem engelsgleich-klaren Gesang von ICS Vortex gewichen.
So bekommt das Publikum hier nordische Kälte in Kombination mit epischem Metal geboten. Die Mannschaft steht recht sympathisch auf der Bühne, auch wenn ICS Vortex gleich zweimal unbeabsichtigt den Mikroständer umwirft, was neben der imposanten musikalischen Leistung für etwas Schmunzeln und wohlgesonnenes Mitleid sorgte. (Einwurf von Steffi: Ich war dabei – der hat meinen Kollegen Carsten nur knapp verfehlt! Fotograf zu sein ist eben doch ein gefährliches Unterfangen.)
Eine pompöse Show gibt es heute nicht. Muss es bei dem gebotenen Material aber auch gar nicht. Gern würde ich auch in die weiten Kompositionen von BORKNAGAR eintauchen, doch leider feiert der Plastiksound vom Tagesanfang seine unrühmliche Rückkehr. Man muss sich durch ein lautes Schlagzeug und viel Mulm zu den Gitarren durchkämpfen. Geil geht in diesem Zusammenhang wirklich anders, was man aber nicht der Band anlasten kann. Also vertage ich dieses erhoffte Erlebnis auf ein zukünftiges Konzert, mit einem passend transparenten Sound.
Wenn die Wollmäuse am Kabel knabbern…
Steffi: Nur eine Band, dann haben wir es geschafft. Durch den unschönen Verlust von 2 Spielslots endet der heutige Tag etwas eher als gedacht – aber was solls. Mehr Zeit zum Feiern! Vorher geht es aber noch ein letztes Mal in die Halle, schließlich wartet eine letzte Performance noch: CARACH ANGREN! Im Verleich zum Vorjahr auf dem Skaldenfest sind die pompösen Hydraulikanlagen dieses mal zum Glück AUF der Bühne verstaut (und nicht im Fotograben), sodass wir dieses Mal beim Knipsen nicht um unser Leben fürchten müssen. Schönes Ding! Wer jetzt nicht weiß, wovon ich rede, der ist wohl noch nicht in den Genuss einer CARACH ANGREN-Show gekommen. Standard sind nämlich die Hebebühnen, auf denen Keyboarder und Gitarrist in die Lüfte gehoben werden, während Sänger Seregor zwischen den beiden auf dem Bühnenboden umherspringt. Das sieht aus dem Publikum genauso spektakulär aus wie von hinten, glaubt mir!
Jedenfalls gibt es wie gewohnt von den Limburgern ihre durchaus unterhaltsame Version des Horror Black Metal. Das heißt: Flimmerlicht, entblößte, blutende Puppen auf der Bühne und ein Sänger, der wie angeschossen mit seinem Sensen-Mikroständer auf der Bühne umherhüpft. Alles so weit ganz unterhaltsam, nur haben CARACH ANGREN in meinen Augen an diesem Abend das meiste Pech mit dem Sound. Einzelne Instrumente sind mal zu sehr, der Gesang zu wenig zu hören – egal. Ich genieße die letzte Show des Abends, bevor ich zu den Jungs zurückkehre und wir den Freitagabend einläuten. Zuerst geht es ins Backstage, das Who-Is-Who der deutschen Pagan-/Death-/Black Metal-Szene begrüßen, und später ins „Paddy’s Rest“, das wie jedes Jahr den Ragnarök-Besuchern besondere Metalabende bietet. Was für ein Abend, von dem wir alle nicht mehr viel wissen, als wir am frühen Morgen ins Bett fallen.
Du möchtest wissen, wie es weitergeht? HIER ist Part 2 unseres Ragnarök-Nachberichts!
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