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RAGNARÖK FESTIVAL 2023

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Merlin: Es ist und bleibt eines meiner liebsten Festivals: Das RAGNARÖK FESTIVAL im fränkischen Lichtenfels. Wie jedes Jahr ist es auch 2023 im April verortet – für mich damit das erste Festival eines jeden Jahres. Aber wird es auch das beste? Das werde ich natürlich erst gegen Ende diesen Jahres sagen können, aber nun gilt es erst einmal herauszufinden, wie weit das RAGNARÖK vorlegt!

Jetzt geht’s los

Die erste Band des Festivals startete 2003 ursprünglich als Solo-Projekt. Über die Jahre stießen nach und nach aber weitere Musiker dazu und FJOERGYN stehen hier und heute mit vier Mann auf der Bühne. Spoiler: Ein fünfter wird noch dazukommen! Die Halle ist mäßig gefüllt, aber der Energie von FJOERGYN tut das keinen Abbruch. Episch und gewaltig der Sound, der unaufhaltsam vorwärts poltert. In den vorderen Zuschauerreihen fliegen die ersten Haare. Das Instrumentale packt mich, und ich würde mich der Musik hingeben – wäre da nicht der Gesang. Oder besser, der Sprechgesang. Die deutschen Texte sind ausnahmsweise mal nicht mein Hauptproblem, sondern die abgehackte Art und Weise, wie der Sänger sie vorträgt. Das taugt mir leider gar nicht. Zum vierten oder fünften Song allerdings kommt das fünfte Bandmitglied dazu auf die Bühne: Es ist kein Geringerer als der Veranstalter des RAGNARÖK höchstselbst! Der (Growl)Gesang, den IVO auf die Zuhörer loslässt, taugt mir sofort viel mehr. Der zimmert richtig! Ab jetzt läuft es für mich rund mit dem Auftritt von FJOERGYN, und ich bin fast schon enttäuscht, als die Musiker am Ende nicht nochmal für ein Foto mit den Zuschauern posieren.

Alles finster oder was?

Mich: FINSTERFORST aus dem finst‘ren Forst, Gesichter in Asche garniert, die Holzfällerhemden kariert – haben 45 Minuten Zeit. Das reicht wieder einmal für ganze drei Lieder. Heute fällt die Wahl auf „Fluch Des Seins“, „Mach Dich Frei“ (das mit dem epischen Refrain) und „Finsterforst“ höchstselbst. Allerdings immer noch keine Spur des für 2021 angekündigten, über Kickstarter lancierten Dreißigminüters „Jenseits“.

Zum Sound: Der Hall in der Halle hallt unaufhaltbar, was thematisch ganz gut zur Band passt. Zum Instrumentarium: Wo früher noch ein Akkordeon bespielt wurde, waltet nun ein Keyboard seines Amtes, und irgendwie ist auch wohl wieder irgendjemand neues in der Live-Besatzung, wenngleich mir die Details diesbezüglich entfleucht sind. Die Frage „Habt ihr noch Bock?!“, so fällt Sänger Oli nach Äußerung derselben auf, sei doch, angesichts der Tatsache, dass FINSTERFORST der zweite Act des Festivals sind, eine recht überflüssige.

UADADA

Merlin: UADA aus den Staaten sind die letzte Band des heutigen Tages. 2014 gegründet, handelt es sich um eine verhältnismäßig junge Band, die in Sachen Bekanntheit aber gelinde gesagt durch die Decke geschossen ist. Die Menschen vor der Bühne stehen wahnsinnig dicht, da ist kein Durchkommen. Auch die stadthalleneigene Tribüne ist voll. Musikalisch und optisch lassen sich die Parallelen zu MGLA nicht leugnen: Die schwarzen Gestalten auf der Bühne sind samt ihrer Gesichter verhüllt und stehen in einer Nebelwand, die mich verwundern lässt, wie man in ihr noch Luft zum Atmen, geschweige denn zum Singen bekommt.

Die Songs sind schön melodisch, ich höre die Gitarrenspuren sehr gut heraus. Generell geht die Musik mächtig nach vorn, treibende Rhythmen, brutaler Sound. Der Gesang wiederum ist mit seeehr viel Hall versetzt. Ich verstehe kein Wort. Das macht aber nichts, denn allein die Atmosphäre überzeugt mich voll und ganz. Zugegeben, ich liebe diese Art von Black-Metal auch einfach.

UADA hätten sich schon unverhältnismäßig große Mühe geben müssen, zu enttäuschen. Für mich liefern sie definitiv den besten Auftritt dieses Donnerstagabends ab – und das nicht nur, weil sich die Konkurrenz sich zahlenmäßig in engen Grenzen hielt. Nur einen Kritikpunkt muss ich anbringen: UADA haben zwar zig verschiedene T-Shirt-Motive, jedoch kein einziges Longsleeve am Merchstand parat. Egal, dann wird halt ein Patch gekauft. Es wird langsam aber sicher Zeit für eine zweite Kutte… und Zeit fürs Bett. Bis morgen!

Auf ein Neues

Mich: Mit einem gewaltigen „HAU RUCK!“ brechen HELGRINDUR die Stille meines friedlichen Freitagmorgens. Neugierig, wer da die frühe Luft mit solch gewaltiger Pagan-Power schwängert, rieseln immer mehr Menschlein in die Konzerthalle, bis sich eine beachtliche Summe zusammengefunden hat. Imprägniert von der Energie, die von der Bühne donnert, sind recht schnell recht viele am Klatschen und Headbangen, und irgendwann wird sich auf dem Boden platziert, um im Rhythmus der stampfenden Trommeln durch den musikalischen Sturm zu rudern, was das Zeug hält. 

Es gibt heute neben Mitsingbarem („Aufbruch“ und „Der Sturm“) auch Ungehörtes: Ein bisher unveröffentlichter und ein vor einer Woche releaster Song („Golem“) sind mit an Bord. Wenngleich der Sound noch keine Perfektion erreicht hat, ändert auch das nichts an der Freude dieses Moments. Ein guter RAGNARÖK-Festivaltag beginnt mit Heldenliedern und Double Bass – und das wären wohl die letzten beiden Dinge, an denen HELGRINDUR geizen würden.

Vierzehn dunkle Jahrhunderte

Merlin: Ein Urgestein der deutschen Pagan-Metal-Szene betrifft nun die Bühne: XIV DARK CENTURIES. Und die wenden sich direkt mit einer Frage an ihr Publikum: „Seid ihr schon alle wach?!“ Die Antwort ist nicht zufriedenstellend – deswegen wecken sie uns jetzt auf. „Auf zur Schlacht“ brettert durch die Lichtenfelser Stadthalle, als wollte es sie aus ihrem Fundament heben. Flammen schießen vom Rand der Bühne empor. Sänger MICHEL reckt entschlossen immer wieder die Fäuste in die Luft. Es folgt der „Teutonentanz“. Der Sound ist top, ich kann nicht meckern! Auch eine Geige kommt bei XIV DARK CENTURIES zum Einsatz. Zum Glück angenehm unquietschig. Doch auch wenn die Songs wie auch die Bandmitglieder richtig abgehen, das Publikum ist zu der frühen Stunde noch eher zurückhaltend. Dabei wäre die Musik sehr gut für einen Circle Pit geeignet!

XIV DARK CENTURIES haben uns auch ein paar neuere Lieder mitgebracht. Da wäre einmal „Atme den Wald“ aus ihrem 2020 erschienenen Album „Waldvolk“, aber auch ein ganz neues Stück, das den Namen „Die Aura der Dunkelheit“ trägt. Weder thematisch noch musikalisch wurden hier größere Experimente gemacht – man bleibt sich treu. So früh er begonnen hatte, schnell ist der Auftritt von XIV DARK CENTURIES auch schon wieder vorbei. Sänger MICHEL quittiert das rasche Ende mit einem Schulterzucken: „Wir hätten gern länger gespielt, aber es is halt so“. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Im)perfect harmonies

Mich: Silhouetten im Nebel! Es spielen als nächstes FIRTAN. Düstere Figuren vor blauem Dunst füllen die Bühne mit mystischer Atmosphäre und den Raum mit ihren komplexen Black-Metal-Kompositionen. Eine besondere Ästhetik gibt dabei Fiedlerin KLARA ab, von deren Existenz ich gerade zum ersten Mal erfahre und die mit ihrem Geigenspiel der Musik in vielen Momenten eine gar edle Note verpasst. Besonders in den akustischen Augenblicken herrschen Wohlklang und Harmonie. Diese sind somit in meinen Augen das Highlight dieser Show.

Dafür kommt bei härteren Passagen leider manchmal zu viel aufeinander: Das Schlagzeug ballert etwas zu krass, die Gitarrenwand dröhnt und die Schreie verlieren sich irgendwo in den Tiefen des Getöses, so dass die ganzen Feinheiten dieser akribisch durchkomponierten Musik leider weniger gut erkennbar sind. Als Rausschmeißer sorgt aber dann „Wogen Der Trauer“ (mittlerweile ein Klassiker) nochmal für ordentlich Druck und Eingängigkeit.

AEPHANE- wer?

AEPHANEMER aus Frankreich sind mir durch Spotify-Musikvorschläge schon seit längerem ein Begriff. Damit, sie irgendwann vor mir auf der Bühne stehen zu sehen, hätte ich allerdings eher weniger gerechnet. Vor allem ist ihr Stil eher im Melodic Death Metal angesiedelt, einem Genre, das bei Pagan- und Black-Metal-Festivals wenn überhaupt, dann nur sporadisch vertreten ist. Somit freue ich mich über dieses nicht nur neue, sondern auch unerwartete Erlebnis.

Der Sound spielt auch mit: Vor allem die Melodien, von den Gitarren gespien, stechen klar heraus. Auch Schlagzeug und Vocals sind gut hörbar – was will man mehr? Frontschreierin MARION überrascht (in einem kurzen Part nur) plötzlich mit (gekonntem!) opernartigem Gesang, und am Ende gibt’s dann „Bloodline“ – den einen Song, den scheinbar alle (inklusive mir) hier kennen und der dementsprechend abgefeiert wird.

Nasenblut

Irgendwie habe ich das Gefühl, ASENBLUT werden von Mal zu Mal krasser. Der Drummer scheint bei jedem Konzert schneller und präziser zu spielen, Musik sowie Sound kommen mir bei jedem Mal brutaler vor und auch bei den Vocals bemerke ich diesmal einen Fortschritt: Neben seinen gewohnten Growls gibt der Frontmann heute den einen oder anderen endfiesen Black-Metal-Schrei von sich, den ich von ihm bisher ebenso wenig gekannt wie erwartet habe.

Wenn HELGRINDUR den Tag für mich mit Heldensang und Legendendichtung eingeleitet haben, so sind es ASENBLUT, die dies nun aufrechterhalten. Passend dazu bildet sich hallenmittig sogar ein kleiner Moshpit. Eine durchweg starke und überzeugende Performance – weiter so!

Black-Metal aus Bayern

Merlin: Erneut vernebelt sich die Bühne und kündigt damit eine Atmospheric-Black-Metal-Band an. GROZA aus Mühlburg am Inn weisen eine unverkennbare Ähnlichkeit zu MGŁA auf. Die Gestalten auf der Bühne sind in schlichtem schwarz gekleidet und haben ihren Gesichter mit Strumpfmasken verhüllt. Der Nebel quillt aus allen Ritzen des Podests, auf dem sie stehen. Der Mikrophonständer ist zwar mit ihrem Bandlogo ausgestattet und auch das Banner im Hintergrund der Bühne trägt selbstverständlich den Namen GROZA. Aber die Parallelen zu den Polen lassen sich für mich einfach nicht wegignorieren.

Gefühlt wurde die Lautstärke für dieses Konzert nochmal aufgedreht. Der melodische Black-Metal wird von einer ansehnlichen Menge an Festivalbesuchern gefeiert. Auch IVO steht im Publikum und checkt aus, was die Bayern dort oben so fabrizieren. Der Auftritt von GROZA wirkt auf mich routiniert, aber deshalb nicht schlecht. Ein bisschen mehr Eigenständigkeit würde ich mir jedoch wünschen, ein Grund, warum man ausgerechnet IHRE Musik hören sollte. Mir selbst bleibt einfach zu wenig hängen von dieser Band (außer, dass mich der Gesang seltsamerweise an J.J. von KARG/ HARAKIRI FOR THE SKY erinnert?!)

Gesang der Wölfe

Mich: Auf WOLFCHANT habe ich mich mitunter am meisten gefreut – nicht nur, weil ich die Band generell mag, sondern auch, weil es heute einen speziellen Anlass gibt! „A Pagan Storm“, die legendäre Scheibe der frühen Pagan-Szene deutschsprachiger Gefilde, feiert 15 Jahre Existenz. Und deswegen steht heute ein Spezial-Set auf dem Speiseplan.

Bis dieses jedoch beginnen kann, müssen einige technische Hürden überwunden werden: Mal läuft das Intro, dann geht es wieder aus. Dann schallt plötzlich ein Lied vom Tonband aus den Boxen, geht auch wieder aus, und plötzlich stehen WOLFCHANT auf der Bühne und spielen – allerdings hört man keine Gitarre. So geht das zirka zehn Minuten hin und her, bis endlich alles funktioniert, wie es soll. Man, diese Band hat aber auch Pech! Schon beim letzten DARK TROLL Festival mussten sie den Kampf gegen Ton und Technik antreten.

Der tatsächliche Einstieg wird dann mit dem Titelsong „A Pagan Storm“ gemacht, und neben drei neueren Songs hat man gerade noch genug Zeit, „The Path“ und „Midnight Gathering“ von besagtem Album zu spielen. Gerade aber die drei Lieder aus längst vergangenen Tagen entfalten eine großartige und fast schon nostalgische Wirkung! Man spürt so richtig das Heidenmetall-Feeling der alten Schule in der Gitarrenführung und den Melodien, wie es heute kaum noch jemand zu schreiben weiß. Auch sei hervorzuheben: WOLFCHANT sind fit wie nie zuvor! Da geht kein Schlag daneben und kein Finger greift den falschen Bund. Das alles unter der warmen Umarmung eines sehr sauberen Soundgewands – trotz verringerter Spielzeit ist dieses Konzert alles andere als eine Enttäuschung!

Wunderbar traurig

Merlin: Auf ELLENDE hatte ich mich am heutigen Tage am meisten gefreut. Ich habe die Österreicher bereits auf dem WOLFZEIT 2020 und auf dem DARK TROLL 2022 live gesehen und erwarte nun mit Spannung ihre Festivalshow auf dem RAGNARÖK 2023. Die Bühne wird wieder einmal mit unfassbaren Mengen an Nebel geflutet. Die Gestalten auf der Bühne wirken wie Geister dagegen, und ihr Corpsepaint lässt sie unheimlich traurig wirken. Aber sie sind alles andere als traurig, wie sich sogleich herausstellt.

ELLENDE haben ihr neues Album mitgebracht: „Ellenbogengesellschaft“. Und das ist, gelinde gesagt, großartig geworden. Der krächzende, deutsche Gesang ist live zwar etwas unverständlich, aber die eingängigen Gitarrenmelodien kommen voll zum Tragen und kreieren eine melancholische Atmosphäre, die die Zuhörer reihenweise in ihren Bann zieht. Sänger LUKAS, das Mastermind hinter ELLENDE, bedankt sich mehrfach bei der Menge. „Dankeschön! Großartig!“ Er wirkt richtig gerührt. Mei, is des sche.

Aber einen Wermutstropfen gibt es: ELLENDE haben inzwischen auf all ihren Social Media Kanälen gepostet, dass sie sich eine Pause von den Live-Auftritten nehmen werden. Alle bereits angekündigten Konzerte finden wie geplant statt, aber danach wird es wohl erst einmal ruhig um die Band. Schade! Mir taugen sie live fast noch mehr als auf Platte. Live wirkt die Musik härter, aber dennoch gewohnt eingängig und eindringlich. Ich hoffe sehr, dass ELLENDE irgendwann in der Zukunft ihren Weg zurück auf die Black-Metal-Bühnen finden werden!

MÅNEGARM 1/2

Mich: Es ist sehr interessant, eine rauere, härtere Band von ihrer netteren Seite kennenzulernen. So spielen MÅNEGARM (vor ihrem morgigen Metal-Gig) heute eine exklusive Akustik-Show. Da ich aber kaum ein Konzept davon habe, wer da vor mir steht, weiß ich noch gar nicht, was denn zu erwarten ist. So mache ich es mir auf den Tribünen gemütlich und lasse mich überraschen.

Eine gute Entscheidung! Denn von hier oben klingt das Ganze nicht nur makellos, man kann auch auf das stehende Fußvolk hinabsehen, welches sich unten wie hypnotisiert in den weichen Wogen musikalischer Beschallung wiegt. Tiefe Trommeln, Geigenmelodien und Frauensang, der sich mit den männlichen Main Vox abwechselt, bieten zusammen mit den akustischen Gitarren ein sanftes Spektakel dar, welches unter die Haut zu gehen weiß. Dabei ist einer der intensivsten Momente der eines Cover-Songs: Mit einer absolut ohrenschmeichelnden Akustikversion von BATHORYs „Mother Earth, Father Thunder“ huldigen MÅNEGARM den Vorvätern von so ziemlich allem, was auf dem RAGNARÖK FESTIVAL und Konsorten musikalisch so fleucht und kreucht. Schön!

Als letztes Lied des Tages aber wurde „Segervisa“ ausgewählt. Und das mit Recht, denn noch weit nach Abklang des letzten Tons haben es die Zuschauer nicht satt, die Hauptmelodie des Songs in Dauerschleife weiter zu singen.

Wenn Legenden loslegen

Merlin: Hier und heute ist eine wahre Metal-Legende auf dem RAGNARÖK FESTIVAL zu Gast: PETER TÄGTGREN mit HYPOCRISY! Auch wenn ich der festen Überzeugung bin, dass jeder der Besucher sie kennt, stellt sich die Band sicherheitshalber nochmal vor: „We’re Hypocrisy from Sweden!“ Was soll ich sagen? Die Hütte ist voll! Die Lichtenfelser Stadthalle platzt aus allen Nähten, Tribüne und Parkett sind gleichermaßen übersät mit erwartungsvollen Zuschauern.

HYPOCRISY eröffnen ihre Show mit einem echten Klassiker, „Eraser“ von 2004 erschienenen Album „The Arrival“. Obgleich die Band bereits seit mehr als 30 Jahren aktiv ist, hat sie nichts von ihrer Power und Bühnenpräsenz eingebüßt. Es geht sogar so zur Sache, das während eines Songs das auseinanderdriftende Schlagzeug neu justiert werden muss. Als PETER TÄGTGREN den Song „Don’t judge me“ vom Album „Catch 22“ ankündigt, schiebt er gleich noch eine Aufforderung zum Circle Pit hinterher. Ob diese verfängt, sehe ich leider nicht, ich stehe zu weit hinten, und an ein Durchkommen ist nicht zu denken.

Die Erscheinung von PETER TÄGTGREN allerdings wirkt bis zu den hintersten Plätzen. Die langen weißen Haare und sein in zwei gezwirbelte Strähnen unterteilter Bart unterstreichen nur den Legendenstatus, den er für mich und für viele andere inne hat. Das erhöht stehende Schlagzeug wurde inzwischen gesichert, der Schlagzeuger kann sich wieder ungehemmt ins Zeug legen. Hab ich schon erwähnt, dass der Sound nahezu perfekt abgemischt ist? „Fire in the Sky“ vom 2000er Album „Into the Abyss“ verdeutlicht dies nur noch.

Obwohl HYPOCRISY 2021 erst ein neues Album herausgebracht haben („Worship“), spielen sie heute doch ganz überwiegend altes beziehungsweise älteres Zeug. Die Klassiker eben! So verhält es sich auch mit dem letzten Song: „Roswell 47“ von ihrem vierten Album „Abducted“. Das war noch vor meiner Zeit. Umso glücklicher bin ich, dass HYPOCRISY immer noch live spielen. Und am aller glücklichsten bin ich gerade darüber, dass sie zum RAGNARÖK 2023 gekommen sind und ich ihrem verdammt geilen Auftritt beiwohnen durfte!

Aller guten Dinge sind drei

Der Tag ist noch jung und die meisten Festivalbesucher sind noch nicht oder noch nicht ganz wach, als DARK EMBRACE die Bühne betreten. Ist ja auch erst 13 Uhr. Da ich die Band bis dato nicht kannte, hatte ich mir zur Einstimmung einige ihrer Songs während meiner Morgenroutine in die Gehörgänge gedrückt. Aber ich will nicht Spoilern, und vor allem nicht voreingenommen an den Auftritt herangehen. Also, DARK EMBRACE, zeigt, was ihr live könnt!

Vier Metaller finden sich auf der Bühne, der Sänger trägt ein Nietenarmband, ansonsten sind sie schlicht in schwarz gekleidet. Wer sich fragt, die Band kommt übrigens aus Galizien. Die Musik von DARK EMBRACE würde ich als Melodic-Death-Metal beschreiben. Wenig Screams, keine Growls, dafür viel Klargesang. Beim Song „Never seen the Sun“ (wohl ihr bekanntester Titel) rutscht die Stimme des Sängers aber immer wieder ganz unangenehm schrill nach oben ab. Das klang auf den Aufnahmen allerdings ähnlich, und ich deute es als gewolltes Stilmittel der Band. Mir persönlich taugt dieser schrille Gesang aber leider gar nicht.

Dennoch harre ich vor der Bühne aus. Musikalisch zimmern DARK EMBRACE ja auch ordentlich, und eingängige Melodien können sie sowieso. Zu „Life and Legacy“ packt ein junger, kräftiger Mann links neben mir erstmal seine (beeindruckenden) Dance Moves aus, verlegt sich dann aber wieder auf’s Headbangen. Das Konzert neigt sich dem Ende zu. Bei „The bitter End“ fällt der Sänger dramatisch auf die Knie. So bitter fand ich das Ende jetzt gar nicht. Dennoch, ein cooler erster Auftritt an diesem vollgepackten Festivalsamstag.

CÂN BARDD? BARDD CÂN!

Mich: Den Rausch ausgeschlafen, die Fingergelenke geknackt und den Kiefer gelockert, so stehe ich wieder fit wie ein (ziemlich matschiger) Turnschuh in der Halle des Geschehens, als es endlich an der Zeit für meine absolute Festivalneuentdeckung letzten Jahres ist: CÂN BARDD.

Und auch heute erwartet mich nichts weniger als ein intensives Schauspiel an Energie und durchdringender Schönheit. Ich würde mein Erleben dieses Konzertes beinahe als transzendentale Erfahrung bezeichnen – fast den Tränen nah und in Ehrfurcht mit dem Fußboden verwurzelt stehe ich und lasse mich in andere Welten tragen. Neben den ebenso kunst- wie druckvollen Klangkreationen der Schweizer ist diese Wirkung mitunter dem durchweg großartigen Sound zu verdanken – sowie der starken, fehlerfreien Performance, die hier an den Tag gelegt wird.

Auch fällt mir heute zum ersten Mal auf, wie kreativ einige dieser Lieder und Parts aufgebaut sind – so etwa die letzten fünf Minuten des zweiten Lieds, in dem sich knappe drei musikalische Elemente die Hand zum Taumeltanz reichen und sich immer wieder neu verstricken, kombinieren und verändern, oder der rhythmisch geschriene Acapella-Part, der sich aus drei Kehlen zugleich immer wiederholt, bis er sich wieder nahtlos in die Musikwand einfügt. Ich bin, Gänsehaut tragend, beeindruckt.
Und scheinbar nicht nur ich, denn sogar Merlin düst (nach anfänglichem „Ich kann mit denen nicht so viel anfangen“) im Anschluss an das Konzert zum Merch-Stand, um sich den allerletzten CÂN BARDD-Hoodie zu holen, den es gibt.

Gesundheit!

Merlin: Noch stehen die Zuschauer vor der Bühne in lockerem Durcheinander, aber die Stadthalle füllt sich stetig. Ich ergattere einen Platz in der zweiten Reihe und erwarte voller Vorfreude den Auftritt von ENISUM. Die Italiener haben ihr neues Album „Forgotten Mountains“ sowie einen Mikrophonständer in Form eines Asts, dekoriert  mit weiteren abstehenden Ästen, mitgebracht. Im Bühnenhintergrund hängt das Logobanner parat. Na, dann kann es jetzt ja losgehen!

Wem ENISUM nichts sagt: Es handelt sich um atmosphärischen Black-Metal mit, wie könnte es anders sein, viiieeel Hall. Der Sound tendiert leider etwas zum Verwaschen, die Melodien gehen teils in den Blast Beats unter. Sänger LYS hält sich mit Ansagen zurück, bedankt sich aber am Ende bei seinen Zuhörern. Auch der Rest der Bandmitglieder hat es nicht so mit Action, man konzentriert sich lieber auf die Musik.

Insgesamt verläuft der Auftritt von ENISUM routiniert und unspektakulär. Der Sound hätte für meine Ohren noch etwas präziser sein dürfen, aber nichtsdestotrotz schaffen es die Italiener, eine düstere, mystische Atmosphäre zu verbreiten und ihre Zuschauer mit auf die Reise zu den „Forgotten Mountains“ zu nehmen. Dass sie selbst immer noch down to earth ist beweist die Band, indem sie sich zum Abschluss des Konzert die Gelegenheit nicht nehmen lässt, ein Foto mit den Zuschauern zu machen. Ich recke freudig die Pommesgabel in die Höhe und eile dann geschwind zum Merchstand, um mir das neue Album von ENISUM auf CD zu sichern.

Zorn und Verwüstung

Mich: Nach einer kleinen Pause, in der sich nach CÂN BARDD mein musikalisches wie seelisches Fassungsvermögen wieder aufladen konnten, fühle ich mich bereit für AGRYPNIE, von denen ich kaum weniger Mitreißendes gewohnt bin. Das Wesen der Erzeugnisse beider Bands allerdings könnte (innerhalb des Konzepts Black Metal, versteht sich) kaum unterschiedlicher sein:

Steriler, gnadenloser Sound und krächzende, leidende Schreie geben nun den Ton an. Während Letztere anfangs noch recht leise sind, schraubt der Tontechniker alsbald ordentlich am Rädchen. Nun sägen sich THORSTENS Vocals durch alles. Doch auch der Rest der Musik ist am Drücken, was das Zeug hält. Als angenehm für die Ohren würde ich das nicht unbedingt bezeichnen, aber dafür bin ich ja auch nicht hier. Ich will den Schmerz spüren, den eure Musik vermittelt! Ich will den Zorn und die Verwüstung fühlen! Und das tue ich. Aua.

Als dann gegen Ende der Fan-Favorit „Der Tote Trakt“ angestimmt wird, sind plötzlich alle um mich herum am Headbangen. Der Refrain wird voller Inbrunst mitgegrölt, auch meinerseits, es folgt ein weiterer Song, und schon war es das. Schade, „Schlaf“ hätte ich mir noch gewünscht. Aber den wird es heute noch so bald nicht geben.

Die Unaussprechlichen

Merlin: Es folgt eine Band, deren Namen ich nicht aussprechen kann. KAUNIS KUOLEMATON (das muss man sich auch erstmal merken können) kommen aus Finnland – und so sehen sie auch aus. Der langhaarige Sänger zumindest, der sich auch als Gitarrist betätigt, hat ein ungemein finnisches Profil. Die Band hat aber auch noch einen Sänger mit Millimeterfrisur dabei, der kein Instrument spielt. Gesungen wird natürlich auch auf Finnisch. Der langhaarige Sänger beweist aber auch Deutschkenntnisse: „Guten Tag meine lieben Freunde, wir sind Kaunis Kuolematon!“ 

Insgesamt stehen bei der Band fünf Leute auf der Bühne. Ihr Logobanner hängt im Hintergrund, sonst haben sie keine Deko mitgebracht. Die Menschen vor der Bühne stehen locker, die Band scheint unter den RAGNARÖK-Besuchern nicht allzu bekannt zu sein. Müsste ich jemandem erklären, was für Musik KAUNIS KUOLEMATON spielen, es fiele mir schwer. Melodisch ist sie, schwermütig, ergreifend, aber auch mal heiser und rau. Die finnische Band, deren Name übersetzt etwa soviel wie „wunderschön unsterblich“ bedeutet, bleibt mir ein ungelöstes Rätsel. Wenigstens zum letzten Song gibt uns der langhaarige Sänger einen Interpretationsanstoß mit an die Hand: „This is the Finnish way to say Goodbye.“

Da ist der Wurm drin

Mich: WORMWOOD? Nie gehört. Kommen anscheinend aus Schweden und machen melodischen Black Metal – also stelle ich mich mal zu den Lauschenden und lausche zu, was das bedeutet. Der eine Typ sieht auf jeden Fall aus wie der eine andere Typ von MÅNEGARM. Ah, ich hatte Recht! Es ist der gleiche eine andere Typ von MÅNEGARM. Sagt das Internet.

Die Show selbst ist recht solide gespielt und vom Klang her durchgängig genießbar, tut nicht weh in den Ohren und auch von den Tribünen aus klingt das Ganze noch amtlich. Gebannt sehe ich den Menschen beim gebannten Zuhören zu, muss aber ehrlich gestehen, dass sich meine Aufnahmefähigkeit irgendwann verflüchtigt und ich das Konzert leider in die recht vollbepackte Schublade mit der Aufschrift „so’n Black-Metal-Konzert halt“ packen muss.

Schamatsch

Merlin: Auf das Konzert von SCHAMMASCH war ich im Vorfeld mit am meisten gespannt. Spirituell, okkult, mystisch, das sind ihre Stichworte. Dichter Nebel wabert auf der Bühne, die nun von Gestalten mit weiten Kapuzen betreten wird. Ich sehe und höre mir den Auftritt von der Tribüne aus an. Selbige ist gut gefüllt, unten in der Halle stehen die Leute dagegen noch in entspannten Abständen. SCHAMMASCH haben Dekoelemente mitgebracht. Darunter fallen zwei mit mystischen Formen besetzte Stelen, die in ihrer Mitte jeweils eine leuchtend rote Kugel tragen; des weiteren links und rechts ein schmales, hohes Banner mit Motiv. Auch das große Banner im Hintergrund wird von einem okkulten Zeichen geschmückt.

Als Avantgarde-Black-Metal bezeichnet metal-archives die Band, und dieser Zuschreibung würde ich mich einfach mal anschließen. Die Band macht keinerlei Ansagen, alles wird sehr mysteriös, düster und vor allem nebelig gehalten. Der Sound ist durchdringend, aber hier oben auf der Tribüne erwartbarer Weise etwas verwaschen. C.S.R hat eine starke Stimme, dennoch ist der Gesang ein wenig undeutlich. Melodisch ist das Ganze aber allemal. Am Ende des Konzerts treten nochmal alle Bandmitglieder zusammen vor und verbeugen sich. Ich zolle den gebührenden Beifall und wechsele dann die Tribünenseite, um mir einen guten Blick auf GRAVEWORM zu sichern.

Sechs Fuß tief

Lange Jahre war es still um die Italiener von GRAVEWORM. 1992 gegründet, war die Band bis 2015 durchgängig aktiv, hatte dann aber eine längere Schaffenspause eingelegt. Nun sind sie zurück und haben ein neues Album im Gepäck! „Killing Innocence“ heißt es, und selbstverständlich bekommen wir auf dem RAGNARÖK einige Kostproben daraus um die Ohren gepfeffert, so zum Beispiel den siebten Track „We Are the Resistance“.

Die fünf Metaller auf der Bühne lassen es ordentlich krachen, der Sound ist brachial. Die Zuschauer stehen dicht an dicht und lassen sich die Aufforderung von Sänger STEFAN FIORI nicht zweimal sagen: „Ich will eure Haare fliegen sehen!“ – das kann er haben. Köpfe nicken, Haare fliegen, das Publikum ist voll in seinem metallischen Element. Sänger STEFAN ist sichtlich gerührt: „Es ist ne Ehre für uns, heute Abend hier für euch zu spielen!“ Zum letzten Song dreht er dann nochmal richtig auf. Ein Circle Pit soll her! Und tatsächlich geht unten im Publikum jetzt die luzi ab. Ich beobachte von der Tribüne aus freudig amüsiert das feucht-fröhliche Treiben und speichere das Konzert von GRAVEWORM als einen durch und durch gelungenen Auftritt ab. Um STEFAN ein letztes Mal zu zitieren: „Vielen Dank, Dankeschön!“

Keine Verschnaufpause

Mich: THYRFING, hui! Endlich sehen wir uns mal. Trotz langjähriger Begeisterung für diese Musiksparte ist das noch nie vorgekommen – aber es gibt wohl für alles ein erstes Mal, auch wenn dieses spät kommt.
Und nochmal: Hui! Da steckt ja noch eine richtige Urgewalt früher Pagan- und Viking-Metal-Tage in diesen Jungs! Roh und rockig, wenn auch nie ohne Gefühl, so hämmern sich die Alteingesessenen durch ihr Set.

Und das quasi nahtlos: Gerade mal zehn Sekunden geben sie sich und dem Publikum zwischen den Songs zum Verschnaufen – wenn überhaupt. Diese Männer spielen mit einer Überzeugung und einer Standhaftigkeit, es ist ein Fest. THYRFING beweisen, dass sie es genau so draufhaben, wie eine Band ihres Kalibers und Standes es draufhaben sollte, und genau ein Song kommt mir dabei sogar leicht bekannt vor. Habe leider vergessen, welcher.

MÅNEGARM 2/2

Apropos Kaliber: Nun sind wieder MÅNEGARM dran – diesmal dürfen sie ihre Instrumente allerdings einstöpseln. Toll daran ist, dass dem Publikum so der direkte Vergleich gegeben ist zwischen den beiden Seiten (böse und lieb) dieser schwedischen Formation.

Im Vergleich zu THYRFING aber sind sie, selbst in der Metal-Variante, definitiv die melodischere und weniger geradlinige Band. Vor allem, weil sich MÅNEGARM auch mal Pausen gönnen, sich in Ruhe auf Folk-Parts einlassen oder sich gänzlich zu einem langsameren Songtempo hinreißen lassen. Auch hat man die Gelegenheit genutzt, erneut mit Sängerin UMER aufzutreten. Ich meine, wenn sie sowieso schon mal mit dabei ist. Witz beiseite, ihre Stimme findet sich auch ins Metal-Set wunderbar ein, und ohne sie wäre es bestimmt ein weniger interessantes Konzert geworden.

Ein paar der Melodien vom Vortag melden sich auch heute wieder zu Wort, und ich finde, dass die Show (und jene von gestern) einen starken Kontrast bildet zu der vom DARK TROLL im Jahre 2022, welche mir weniger gut gefallen hat.

Mit „Oden Owns Ye All“ gehen MÅNEGARM zum Schluss noch einmal in den (verhältnismäßigen) Partymodus, was die Besucher sichtlich erfreut und zum Mitmachen animiert. Wenngleich der Song nur bedingt zu den meisten anderen passt, so ist es nicht umsonst ein Publikumsliebling – schnell, catchy und sogar ein bisschen mitsingbar, weil nicht gänzlich auf Schwedisch.

HARAKI… HAKARI… HARAKIRI!

Merlin: Zu HARAKIRI FOR THE SKY mache ich mir schon gar keine Notizen mehr. Ich habe die Österreicher inzwischen so oft live gesehen und es war jedes mal wieder ein Highlight für mich. Aber heute ist etwas anders, und zwar wird heute ihr erstes Album, die Selbstbetitelte, zelebriert. Also nix mit „Fire, walk with me“ – dem Song, der sonst verlässlich zum Standardrepertoire gehört hatte.

Zusätzlich haben HARAKIRI einen Featuregast am Start. Man munkelt ja, es handele sich bei ihm um den Sänger von GROZA. Gesanglich passt er jedenfalls gut rein, die Atmosphäre stimmt. Aber apropos Gesang: J.J. klingt irgendwie besonders heiser heute. Zu wenig geschlafen und zu viel getrunken, möglicherweise? Na, wie dem auch sei. Der nostalgische Black-Metal verfängt trotzdem bei mir und auch beim restlichen Publikum. Old but stayed gold.

Ein Heer, yeah!

Apropos old: Weiter geht es mit dem Auftritt von EINHERJER. Auch wenn ich den Namen schon dutzende Male auf Festivalflyern gelesen habe, live gesehen habe ich die Band tatsächlich noch nie. Ich bin gespannt!

Wie viele Bands auf dem diesjährigen RAGNARÖK FESTIVAL haben sich auch EINHERJER in den Neunzigern gegründet. Das Publikum vor der Bühne gestaltet sich dementsprechend. Der Altersdurchschnitt liegt dann doch ein Stücken über den jungen Jahren, die ich selbst auf dem Buckel habe. Und: Es stehen erstaunlich wenig Leute vor der Bühne! Ich hatte die Stadthalle dann doch voller erwartet…

Leider stelle ich recht schnell fest, dass auch ich mich für diese Band nicht begeistern kann. An sich bin ich ja ein Freund von Viking-Metal, aber was die vier Norweger oben auf der Bühne da fabrizieren, klingt für mich schlicht kraftlos und einschläfernd. Ich würde es nicht mal als schlecht bezeichnen, sondern einfach als langweilig. Die Band feuert ihre Zuschauer zwar an („Hey! Hey! Hey!“), aber eine wirkliche Party-Stimmung will nicht aufkommen. Und so schleiche ich mich schon vor Ende des Auftritts aus der Halle, um mir vor NARGAROTH noch etwas zu Essen zu gönnen. Wann, wenn nicht jetzt.

Der vorletzte Sargnagel

Mich: Irgendwann habe ich in Wacken mal NAGLFAR live gesehen. Und mit irgendwann meine ich in so grauer Vorzeit, dass ich noch absolut kein Konzept von Black Metal gehabt haben muss. In meiner Erinnerung waren NAGLFAR nämlich eine recht melodiengetriebene Pagan-Metal-Band, und der einzige Song, an den ich mich erinnere, ist „Brimstone Gate“, welcher in mehr oder weniger gemächlichen Triolen vor sich herkullert. So oder so ähnlich habe ich mir die Sache also vorgestellt. Weit gefehlt lol.

Die nächsten 40 Minuten stehe ich da und weiß nicht, wie mir geschieht. Die darauffolgenden zehn Minuten (Konzert ist vorbei) stehe ich immer noch da, Haare nach hinten abstehend von dem buchstäblichen Sturm, der gerade über mich hinweggefegt ist. Was ist mir da gerade widerfahren?

Gleich der erste Song beginnt mit Tremolo-Picking, höllisch schnellen Blast Beats und einem infernalischen Schrei, der mir zu den Ohren in den Kopf dringt und zu den Zehenspitzen wieder herauskommt. Und das hört dann einfach nicht mehr auf. Die halten dieses Tempo und Aggressionslevel einfach mal für 30 Minuten, bis sie einen auch nur ansatzweise weniger gnadenlosen Song spielen.

Dieser Beschreibung nach könnte man NAGLFARs Musik mit rein stupidem Geballer verwechseln, aber nein – die Riffs, die Melodien, die die Gitarren zu diesem Buffet an Krassheit servieren, geben mir regelrecht Gänsehaut. Die Vocals klingen dazu richtig professionell und bösartig, und jeder Hochleistungssportler könnte sich noch eine Scheibe beim Drummer abschneiden.

„Brimstone Gate“ fällt leider aus, aber das finde ich jetzt auch gar nicht so schlimm angesichts der Tatsache, dass ich gerade ohne jegliche Vorwarnung eines der zwei besten Konzerte dieses Festivals auf mich losgelassen wurde. Und definitiv das krasseste. Ich bin begeistert. Tschüss.

Der letzte schlägt die Tür zu

Merlin: Zum letzten Künstler des diesjährigen RAGNARÖK möchte ich vorausschicken, dass sich bitte jeder seine eigene Meinung zu ihm bilde. Ja, RENE WAGNER alias ASH ist eine umstrittene Persönlichkeit. Schaue ich mir seinen Auftritt trotzdem an? Verdammt, ja! Egal, was man über ihn und damit über sein Musikprojekt sagen kann, NARGAROTH ist und bleibt eine Instanz im Black-Metal. Und hier und jetzt haben wir die Gelegenheit, diese Instanz live zu erleben.

ASH betritt die Bühne und reckt erstmal beide Mittelfinger gen Himmel. Die „Fickt-Euch“-Attitüde ist er also schonmal nicht losgeworden. Black-Metal-konform sind ASH und seine drei Livemusiker mit jeder Menge Leder und Nieten sowie mit klassischem Corpsepaint ausgestattet. Er selbst trägt die langen Haare die meisten Zeit quer übers Gesicht. „Wie kann man so singen?“, wundere ich mich. Aber irgendwie funktioniert es. Sehr gut sogar.

Stimmlich gehört ist der Auftritt von ASH beziehungsweise NARGAROTH brutal. Also brutal im Sinne von gewaltig. Der Sound insgesamt wurde leider zu laut aufgedreht und deshalb teilweise übersteuert. Immer mal wieder hört man ein unangenehmes Quietschen. Rein musikalisch finde ich das Konzert von NARGAROTH allerdings bombe, fast schon episch.

An den dämonischen Dekostelen auf der Bühne werden kurz vor Schluss nochmal Kerzen entzündet für noch ein bisschen mehr schwarzmetallene Atmosphäre. „Seid ihr noch wach?“, fragt ASH in die Menge. Ja, doch. Einer geht noch. Und was darf bei einem NARGAROTH-Konzert auf keinen Fall fehlen? Na? „Black Metal ist Krieg“ natürlich! Und damit wäre die Spielzeit dann auch zur Gänze ausgereizt.

Schlusssequenz

Und damit ist es auch schon wieder vorbei, das RAGNARÖK 2023. Ein Festival, gespickt mit unglaublich vielen guten Auftritten, mit leckeren Barbarenspießen und Strömen von Bier und Met. Ich kehre jedes Jahr aufs neue gerne nach Lichtenfels zurück, um dieses Fest der Festivals zu feiern. Und Obacht: Für 2024 sind bereits die ersten Bands bestätigt!

Ich blicke zurück auf ein großartiges RAGNARÖK 2023 und mir bleibt nichts weiter zu sagen als: Wir sehen uns nächstes Jahr! Cheers!

Bild mit freundlicher Genehmigung von Martin Dannehl maddin@maddin.org

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