SCHANDMAUL holen den Knüppel aus dem Sack

SCHANDMAUL – „Knüppel aus dem Sack“

Veröffentlichungsdatum: 10.06.2022
Länge:  49 Min. 28 sek.
Label: Napalm Records/ Universal Music
Genre: Folk Rock

… denn sowohl mit dem Albumtitel und auch dem ersten Song zeigen sich SCHANDMAUL direkt von einer neuen, härteren Seite. Jetzt kann man überlegen, ob das an Corona liegt, da meines Empfindens nach so einige Bands in den letzten zwei Jahren härter und düsterer geworden sind. So oder so erscheint das Album an diesem Freitag.

Die Fakten

Aber kommen wir doch erstmal zu den gewohnten Fakten. SCHANDMAUL wurden 1998 gegründet und haben inklusive Knüppel aus dem Sack 11 Studio-Alben veröffentlicht. Das neueste Album enthält 11 Songs + 2 Bonus Tracks und kommt wie gewohnt in mehreren Varianten raus und enthält auch einige Features mit befreundeten Künstlern. Produziert wurde das Album von Simon Michael, dem Schlagzeuger von SUBWAY TO SALLY. Und natürlich gibt es auch eine Tour zum Album, die von Ende Oktober bis Anfang Dezember gehen wird. 
Aber auch aktuell sind SCHANDMAUL auf unterwegs auf Festival Tour. Termine findet ihr hier.

Ab in die harte Märchenrealität

Knüppel aus dem Sack ist sowohl Opener als auch Titeltrack und hat es direkt faustdick hinter den Ohren. Hier zeigen SCHANDMAUL, dass sie eine Vorliebe für Märchen haben. Eigentlich ist dies ein Song, mit dem die Band einfach ihren Frust und ihre Wut hinausspielen will.
Sie wollen bildlich einfach den Knüppel aus dem Sack holen und um sich schlagen. Und das spiegelt sich nicht nur im Text, sondern auch in der Melodie wieder, die eigentlich schon kein Folk Rock mehr ist, sondern fast schon Metal mit Sprechgesang.
Premiere feierte der Song bei ihrem Online-Konzert.

Mit Königsgarde erwartet uns direkt der erste Feature-Song. Eingeleitet wird der Song passend mit Fanfaren und Pferdegetrappel, um dann in eine richtig fette Rocknummer überzugehen. Zusammen mit Alea von SALTATIO MORTIS und Ben Metzner von D’ARTANGAN und FEUERSCHWANZ besingt man hier das Thema Zusammenhalt. Letzterer musste bei der Textzeile „Seit an Seit“ aber auch sein. Ursprünglich allgemein gehalten, lässt es sich aber auch auf die Bands übertragen, deren Zusammenhalt und Verbindung gerade in der Pandemie sehr nach außen traten. 

 

In Das Gerücht äußern die SCHANDMÄULER textlich und gesanglich etwas schelmisch angehaucht, aber auch wieder mit mehr Sprechgesang, gesellschaftliche Kritik an Gerüchten und Fake News. Geschrieben ist der Song aus der Sichtweise des besagten Gerüchts und es erzählt uns, was es alles für Schäden anzurichten vermag. Kritik muss also nicht immer direkt in die Fresse und erhobenen Zeigefingers daherkommen, sondern kann gut auch verpackt wesentlich sinnvoller sein. Das Schelmische wird musikalisch durch die Art des Gitarren- und Bassspiels sowie der Flöte ausgedrückt. Letztere sticht auch im Refrain hervor.

 

Märchen, Sagen und Interpretationen 

Der Pfeifer wird natürlich passend durch den Einsatz von Blasinstrumenten dominiert. In den ruhigen Sequenzen stechen vor allem die Flöte und im Refrain der Dudelsack hervor. Allerdings hebt sich der Track auch durch seinen Anfang heraus und die Tatsache, dass es der mittelalterlichste Song auf dem Album ist – was auch die Band so empfindet, da hier die neumodischen Instrumente eher im Hintergrund spielen. Auch wenn ich mich im Laufe des Textes wiederholen werde, aber SCHANDMAUL haben es einfach drauf, das Interesse an alten Sagen und Legenden zu wecken. Wie auch hier, denn der Pfeifer ist eine von vielen Variationen des Rattenfängers von Hameln. Und zugleich handelt es sich um die dunkelste Interpretation. Das steht aber im Kontrast zur Melodie, die nicht ganz so düster erklingt.

Mit dem Tatzelwurm begibt sich die Band auf die Spuren der Kryptozoologie und besingt ein drachenähnliches Wesen, welches hauptsächlich in den Alpen und dem Alpenvorland sein Unwesen trieb. Genauer gesagt greift man hier die Story des verurteilten Mörders Heinrich von Winkelried auf, der sich dem Tatzelwurm vom Berg Pilatus stellte, um frei zu kommen. Wie es ausging, erfahrt ihr dann im Song. Der Track enthält ein recht dichtes Soundgewand, vor allem im Refrain. By the way: Ich kannte den Tatzelwurm bisher nur aus dem Pen-and-Paper-Rollenspiel „Das schwarze Auge„.

Auch Der Flug greift wieder eine alte Geschichte auf, und zwar die des Benediktiners Eilmer von Malmesbury, der im 11. Jahrhundert lebte und gerne fliegen wollte. Der Song wird zwar von Birgits Dudelsack dominiert, aber hervorzuheben ist hier dennoch die Drehleier von Saskia mit ihrem einzigartigen Klang. Und auch Thomas Textakrobatik an der einen oder anderen Stelle muss hier erwähnt werden.
Achtet mal darauf, wie er es geschafft hat, das Wort Benediktiner melodisch zu verarbeiten.

Kritik, gut verpackt

Der Quacksalber bringt dann sowohl textlich als auch klanglich wieder die unbeschwerte Leichtigkeit hervor, wie man sie von SCHANDMAUL eigentlich kennt. Birgits Flötenspiel und Saskias Geige tragen definitiv zu dieser Leichtigkeit des Songs bei. Irgendwie hat der Song auch einen leichten Western-Einschlag. Ich bekomme direkt Lust darauf, mir fürs Rollenspiel einen solchen Quacksalber zu erstellen, der den Leuten jeden Schund andreht. Und gerade beim Schreiben merke ich, dass auch dies Kritik an den ganzen modernen Wunderheilern mit ihren Globulis sein könnte.

Die Melodie zu Luft und Liebe kommt mir irgendwie bekannt, ohne dass ich es zuordnen kann. Das tut dem rockig-leichten Song aber keinen Abbruch. Eingeleitet wird der Song von einem Leierkastenspiel. SCHANDMAUL besingen hier, wieder in ein geschichtliches Gewand verpackt, die Sichtweise vieler Leute und anscheinend auch Politiker auf die Kulturschaffenden – im speziellen die Spielleute.

Glück auf“ ist der zweite Feature-Song, und zwar dieses Mal mit Albi und Pat von FIDDLERS GREEN, die jeweils eine Passage im Song übernehmen und auch im Refrain zu hören sind. Eine richtige Partynummer! Das muss sie aber auch sein, denn ich verstehe den Track als Motivationssong und das klappte eher weniger, wenn er düster oder traurig wäre. Der Mittelteil mit seinem Irish Folk Part gefällt mir besonders gut.

Irgendwann klingt melodisch und von der Instrumentalisierung her erstmal wie ein VERSENGOLD-Song, aber dann setzt Thomas Stimme ein und auch der Refrain klingt dann schon wieder eher nach Speed Folk. Und auch diesem Track merkt man seinen Corona-Ursprung an, denn hier wird der Wunsch thematisiert, endlich wieder das Publikum wie früher sehen zu können und mit ihnen zu quatschen und dergleichen.

Mit Niamh bewegen wir uns wieder ins Reich der Sagen und Legenden und folgen der Geschichte um besagte Niamh, die eine Königin in der Anderswelt (Tir na nóg) ist, und ihrem sterblichen Gemahl Oisín. Das ist eine eher traurige Story aus der keltischen Mythologie. 
SCHANDMAUL schaffen es hier, dass die Melodie passend zum Text melancholisch ist, aber nicht langsam oder gar traurig wirkt. Eine kraftvolle Nummer also, mit der SCHANDMAUL erneut ihr Geschick im Umgang mit Geschichten beweisen.

ZUGABE

Kommen wir zu den zwei Bonus Tracks. Der erste ist Der elfseitige Würfel.  Das ist für mich eigentlich der schwächste Song auf dem Album. Textlich finde ich einen Abenteuerer, der einen Schatz findet und mit dem bewachenden Dämon um sein Leben spielen muss, total geil! Aber mir ist die Melodie zu melancholisch. Ich hätte mir hier gerne eher eine lustige verspielte oder eine richtig harte Melodie gewünscht. Aber bei dem Album bleibt das auch Jammern auf hohem Niveau.

Und dann haben wir da noch Long John Silver“. Ebenfalls eher eine Ballade, die sehr ruhig daherkommt, und die Stimmung in einer Kneipe beschreibt. Auch wenn im Refrain die Gitarre einsetzt, bleibt der Song eher ruhig. Ein passender Abschluss.

Hier geht’s zur SCHANDMAUL Homepage

Und das Album gibt es hier.

Autorenbewertung

9
Schandmaul beweisen mal wieder, dass sie es wirklich drauf haben, den Hörer in andere Welten zu entführen. Sie schaffen es, ihre Kritik gut genug zu verpacken, um sie zu verbreiten, aber den Hörer nicht zu verprellen und die Stimmung zu killen! Und mit ihrer Aufarbeitung alter europäischer Sagen und Geschichten kommen sie sogar noch einem gewissen Bildungsauftrag nach. Danke liebe SCHANDMÄULER.
ø 3.9 / 5 bei 1 Benutzerbewertungen
9 / 10 Punkten

Vorteile

+ Schandmaul haben sich auf dem Album ein Stück weit neu erfunden und sind auch durchaus härter geworden.
+ Enthält keinen Song, den ich mies finde.

Songs haben mein Interesse an Sagen und Legenden und deren Interpretationen neu entfacht.

Nachteile

+ Fürs Genre insgesamt nichts Neues.

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