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SIKTH – Versöhnlicher Brainfuck
SIKTH – The Future In Whose Eyes?
Veröffentlichungsdatum: 02.06.2017
Dauer: 46:09min
Label: Peaceville Records Ltd.
Genre: Mathcore/Progressive Metal
Energetisch, chaotisch, laut. Das umschreibt das, was ich von den Mathcorlern aus Britannien kenne und erwarte. So mancher würde die Musik als „anstrengend“ betiteln, zweifelsohne nach 30 Sekunden ausmachen und nach der nächsten Kopfschmerztablette greifen. Ich kann euch beruhigen, auch für euch gibt es mit der neuen Scheibe Hoffnung!
Denn das, was ich erwarte und das, was ich hier zu hören bekomme, unterscheidet sich etwas voneinander. SIKTH haben mit „The Future In Whose Eyes?“ endlich ein neues Studioalbum veröffentlicht. Ich nehme vorweg: sie sind ihrer Verrücktheit absolut treu geblieben! Allerdings fehlt mir definitiv das etwas Mehr an Technikgewichse, welches die beiden Vorgängeralben beherbergt haben.
Auch nach elf Jahren ohne Albumveröffentlichung, personeller Umstrukturierung und nicht zu vergessen – diese Band hatte sich zwischenzeitlich über fünf Jahre aufgelöst – haben SIKTH ihren Sound beibehalten. Sie verfolgen einen gewohnt modernen Sound, der – dank Unterstützung von Adam „Nolly“ Getgood, inzwischen ex-Bassist von PERIPHERY – in Produktion und Mix noch ein paar Level angehoben wurde, mit einem konsequent vertracktem Songwriting, aber ohne unhörbare Kopfschmerz-Passagen. Und auch die Songstrukturen sind dank klarer Brüche zwischen Geballer und melodischer Ohrwurmrefrains sehr gut durchschaubar.
Auch der charakteristische Wechselgesang der verschiedenen Stimmtypen von aggressivem Screaming, tiefem Growling sowie Cleanpassagen ist geblieben. Alles beim Alten soweit. Die krassen Brüche zwischen hohen und tiefen Stimmlagen reizen die beiden Sänger (Justin Hill wurde inzwischen durch Joe Rosser ersetzt und macht dieser Stelle alle Ehre) noch immer extrem aus und liefern sich wahnwitzige Schlagabtausche.
Während der Grundsound an die 2000er anknüpft und in mir Assoziationen an einschlägige NuMetal-Kapellen erweckt, durchbrechen doch immer wieder stark hymnenhafte Refrains die aggressiven Passagen. Episches Riffing trifft auf verschrobene Rhythmik. Klingt ziemlich durcheinander? Ist es auch. Aber immerhin brillieren SIKTH schon seit vielen Jahren mit ihrem schonungslosen Stilmix. Darin haben sie Erfahrung.
Der Opener „Vivid“ legt gut vor, ist rund komponiert, mit einer großzügigen Prise aller Einflüsse abgeschmeckt und wird vom eindeutig rabiateren „Century Of The Narcissist?“ gefolgt. Äußerst ehrgeizig wettern hier zunächst Snaresound und Gesang um die Poleposition in puncto Aggressivität und bügeln mir die Falten aus dem Gesicht. Dabei wertet eine schöne rhythmische Zerhackstückung, die dem Mathcore, den ich von SIKTH erwartet habe, absolut gerecht wird, den Song auf. Ausgleichend dazu verhalten sich die Gitarren eher unauffällig gleichförmig und der Refrain ist wie auch schon bei „Vivid“ und allen anderen Songs des Albums sehr clean und versöhnlich. Teilweise driftet Hills Melodiegesang schon ins anstrengend leidende ab. Schmerzgrenze erreicht!
Zwischen pathetischem Schnulzgesang und rhythmischen Kernschmelzen fügen sich wirklich schöne Gitarrenläufe ein, die mich unmittelbar an PROTEST THE HERO erinnern. Hinter hervorgehaltener Hand wage ich sogar IN FLAMES zu nennen, die mir ins Gehirn schießen. Eigentlich sollte es ja andersherum sein – immerhin haben die jüngeren Bands, wie unter anderem PROTEST THE HERO oder TESSERACT (dank denen ich erst mit dieser Art Frickelage warm geworden bin), ihr Handwerk auch durch Genrevorreiter SIKTH erlernt und entwickelt. Meine Assoziation läuft aber eben andersherum. Fakt ist: eingängige Melodielinien bleiben hängen und der theatralische, mehrstimmige Gesang fräst sich ins Ohrwurmgedächtnis.
Wie für das Genre üblich, wissen die Musiker sehr genau ihre Instrumente und Stimmen zu nutzen. Vor allem in „The Aura“ fällt mir die saubere Bassarbeit auf, die dank der Abmischung gut zur Geltung kommt. Es schummelt sich auch ein metallischer Slapbass zwischen die Passagen, die mich wieder an die 2000er und KOЯN denken lassen. Der Sound ist überhaupt sehr aufgeräumt, wobei mir allerdings der Gitarrensound an sich über die gesamte Länge des Albums etwas zu gleichartig ist. Ja, man mag hier einwenden, es sei eben Djent. Es geht nicht um Melodie, sondern viel mehr um Klang. Brachialer, durchdringender Klang. Und im Gesamtzusammenhang passt das auch alles gut zusammen! Zweifelsohne.
„Cracks of Light“ möchte ich als Highlight unbedingt empfehlen. Gast Spencer Soleto (PERIPHERY) unterstützt die Band hier mit seinem Gesang. Pathetischer 2000er-Style, der mich nicht so richtig zu begeistern weiß, wird durch derbes Gemeter, atmosphärische Tappings, Blastbeats und Math-Gehacke aufgewogen. Im zweiten Teil des Songs weiß Drummer Dan Foord zu brillieren und alle Ohren auf sich zu richten. Für diesen Song hat jemand mal alle Ü-Eier einer Palette geöffnet und ab und an tatsächlich auch ein siebentes Ei mit fetter Überraschung erwischt. Ich freue mich über so rund konzipierte und abwechslungsreiche vier Minuten Feuerwerk. Knaller!
Was mich definitiv irritiert, sind die drei Spoken Words-Phrasen, die einen Rahmen um den zweiten und dritten Akt des Albums legen. Mit sphärischen Sounds unterlegt, erzählt eine Reibeisen-Sprechstimme in „This Ship Has Sailed“, „The Moon’s Been Gone For Hours“ und Outro „When It Rains“ und geben dem Hörer Raum zum Verschnaufen. Wie hier allerdings versucht wird, ein Gruselsetting aufzubauen, bekommen E NOMINE eindeutig Konkurrenz. Sorry, bei dem Pathoslevel bekomm ich Herpes. Zumal diese Passagen dermaßen das Tempo rausnehmen, dass ich kopfschüttelnd davor sitze und fast sehnsüchtig auf die nächste Schrotsalve warte.
„Riddles Of Humanities„ läutet den dritten Akt ein und ist ein weiterer Höhepunkt, in dem der sonst so aggressive Mikee recht warme, aber noch immer sehr kraftvolle Hook-Vocals in den Mittelpunkt singt. Der Song beginnt so verkopft, dass es mir selbigen erstmal verdreht. So muss das! Das ballert! Die Gitarrenlicks sind äußerst fett und gelungen und stimmen mich versöhnlich, obwohl die gesangliche Nettigkeit des Refrains mich mal wieder etwas aus dem Konzept bringt.
Es schließt sich genauso energetisch und brilliant „No Wishbones“ an. Ein Song, der mich sehr an ANIMALS AS LEADERs-typische Djent-Exzesse und auch ein wenig an SYSTEM OF A DOWN denken lässt. Der Gesang geht zu Songbeginn definitiv in diese Richtung, Serj Tankians Sangesleistungen bleiben jedoch unerreicht. Nur in puncto Verzweiflung kann hier ganz gut aufgeschlossen werden. Ohrwurmtaugliche Hookline eingeschlossen. Ob das ein Gütesiegel ist? In meinen Ohren nicht unbedingt. Tut der Qualität der Platte an sich aber natürlich keinen Abbruch!
Der finale Song „Ride The Illusion“ gibt Foord noch einmal Raum, richtig auf die Kacke zu hauen. Fette Rolls und präzises Beckenspiel zaubern mir das Lächeln ins Gesicht. Er spielt im wahrsten Sinne des Wortes und kitzelt alles aus dem Material heraus. Darum spinnt sich eine recht simple Rhythmik und Melodik, die auch hier wieder im Refrain in eine hymnenhafte Line mündet.
Autorenbewertung
Vorteile
+ kompositionsdienliche Abmischung
+ durchdachtes Genrepotpourri
+ progressiv im Sinne der Bandentwicklung
Nachteile
- Pathos und zu versöhnliche Zwischenparts
- weniger technisch-verfrickelt als die Vorgänger
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