Startseite»Reviews»Black Metal»Sonnenschein und Black Metal im alten Kloster – Das SKALDENFEST 2022

Sonnenschein und Black Metal im alten Kloster – Das SKALDENFEST 2022

0
Geteilt
Folge uns auf Pinterest Google+

Raphael: Am Samstag, den 04. Juni war es nun also so weit, dass nach zwei Jahren Wartezeit das SKALDENFEST in Würzburg wieder stattfinden konnte. Nachdem sich am vorigen sehr regnerischen Freitag einige bereits beim Warm-Up in der Posthalle eingegroovet haben, standen an diesem Mittag ungewöhnlich viele dunkel gekleidete Personen vor den Türen des katholischen Jugendzentrums Kilianeum. Zwischen der Altstadt und der Residenz bildete sich eine Traube, die sich in freudiger Erwartung darauf vorbereitete, einen halben Tag lang im Sinne des Black Metals zu feiern.
Im Innenbereich verstärkte sich schnell der Andrang auf den Stand mit den Speisen-, Getränke- und Biermarken sowie die beiden dazugehörigen Tresen. Auch der Gang mit den Merchständen wurde schon früh zur Pilgerstätte interessierter Besucher*innen. Dass einer der Toilettenräume schon früh von einer unerwarteten Überschwemmung heimgesucht wurde und deshalb alle Gäst*innen in die Katakomben des Kilianeums für die sanitären Anlagen geleitet wurden, tat der Freude keinen Abbruch.

DVALIN

Raphael: Pünktlich um 15:00 Uhr wurde es lauter im Außenbereich und ein episches Intro deutete darauf hin, dass DVALIN sich auf die Bühne gesellten. Zu sechst schritten die Musiker aus Würzburg mit kriegerischer Gesichtsbemalung und Kleidung nach vorne. Anders als der Bandname vermuten lassen könnte, handelt es sich bei DVALIN um alles andere als Zwerge. Der Einstieg ins Festival und in das Heimspiel der unterfränkischen Band kam nicht an einer klitzekleinen Panne vorbei: „Ey, wir haben noch Musik auf dem Monitor! Das gehört nicht zu unserem Intro“. Kurze Intervention der Tontechnik, kurzer Blickwechsel unter den Musikern, „Egal, zähl einfach ein, und wir legen los“ – Panne praktisch und schnell gelöst.

Musikalisch spiegeln DVALIN vieles davon wider, was ihr aus der Edda stammender Name sowie ihre nordisch angehaucht Tracht vermuten lassen. Es gibt groovigen Metal mit viel Melodie und nordischer Folklore. Neben zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass und Gesang gehören auch Synthies und Dudelsack zum Bühnenrepertoire. Gemeinsam treiben DVALIN von rauschen Melodic Death Metal zu Pagan und Black Metal, und lassen auch gelegentliche Ausflüge in Richtung Prog nicht links liegen. Das Publikum geht beim melodisch-antreibenden Sound freudig mit. DVALIN liefern viele Passagen zum Mitgrölen und Fäuste recken. Vierzig Minuten lang heizen die Lokalmatadore die Stimmung ein, und selbst ich, der mit Pagan oder Folk Metal nahezu gar nichts anfangen kann, bin spätestens jetzt in bester Festivallaune angekommen.

Während stellenweise noch Tropfen vom Himmel fallen, wird es immer geselliger in den Hallen sowie dem Außenbereich des Kilianeums. Kalte Getränke treffen auf trockene Kehlen, der Imbiss beglückt so manchen Magen, und zwischen Eingang und Merchtischen geht es harmonisch und gesprächig zu. Schön zu sehen und zu hören ist auch, dass Sprach- und Geschlechterdiversität im Publikum deutlich vielfältiger aufgestellt sind, als manche Außenstehende vermuten mögen. Schlangen bilden sich vor allen Toiletten; gesprochen wird hier unter anderem fränkisch, bairisch, englisch, portugiesisch, österreichisch, und an vielen Stellen auch deutsch.

EMPYREAL

Raphael: Ziemlich genau um 16:00 Uhr brechen einige vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke über dem Fest. Zum Glück haben EMPYREAL soeben die Bühne betreten, um direkt für eiskalten Wind zu sorgen. Von Atmospheric Black Metal mit gewissen Post Metal Einlagen über Blackened Death bis hin zu Melodic Death hat die bayerische Band einen massiven Sound zu bieten, der trotz sommerlicher Außentemperaturen für Gänsehaut und Frösteln sorgt. Sänger Michael Bachmann hat das Publikum im Griff wie ein Puppenspieler und dirigiert die Bewegung im Innenhof des Kilianeums. Als er den Song „The Abyss (My Own Living Hell)” ankündigt, weist der Frontmann darauf hin, dass EMPYREAL beim heutigen Auftritt in veränderter Formation aufspielen.

Mit Gastmusiker, der an der Gitarre eingesprungen ist, gibt sich die Band nichtsdestotrotz lückenlos selbstbewusst. Das Publikum hat sich in den eisigen Bann ziehen lassen und nimmt den musikalischen Stilwechsel von DVALIN zu EMPYREAL sehr gut an. Wie schon die erste Band des Tages spielt auch das bayerische Quintett mit Einflüssen aus anderen Genres. Rasend schnelle Heavy- und Prog-artige Gitarrensoli flitzen über die Oberfläche aus eiskalten Blackened Death Metal Ebenen, und im späteren Verlauf macht sich auch vermehrt D-Beat in der Klanglandschaft breit. Da wundert es wenig, dass es hier auch zum ersten kleinen Circle Pit des Tages kommt.

Nicht nur als souveräne Musiker sondern auch als geschickte Geschäftsleute haben sich EMYPREAL präsentiert: „Ihr bleibt alle hier eingesperrt so lange bis jede und jeder unsere CD gekauft hat!“, kündigt Bachmann an. Die kurzen und pointierten Ansagen unterbrechen nicht den einzigartigen Spannungsbogen des 45-minütigen Gigs. Über das Konzert hinweg lässt die Band Intensität und Anspannung stetig steigen, sodass der Auftritt an seiner Klimax endet und hochgradig elektrisierte Luft hinterlässt: „Vielen Dank! Viel Spaß noch, und kauft unseren Merch!“ sind die letzten Worte, mit der das Publikum in die nächste Pause entlassen wird.

AUßERWELT

Raphael: Eine kurze Erfrischung später betreten AUßERWELT aus dem sonnigen Münster die Bühne. An dieser Stelle möchte ich mich bei Redaktionskollegen Simon bedanken, der mich darauf hingewiesen hat, dass es sich beim Bandnamen um ein Quasi-Homophon zum Wort AUSERWÄHLT handelt. Als Fan von Bands wie A SECRET REVEALED, PHANTOM WINTER oder PRAISE THE PLAGUE stellte der nun kommende Auftritt meinen persönlichen Höhepunkt des Festivaltages dar. Gerade einmal vier Lieder spielten AUßERWELT in etwas weniger als einer Stunde. In atemberaubenden Aufbauten, anspruchsvollen Songstrukturen, und mit scharfkantiger Wegführung ließen die Münsteraner Licht und Dunkelheit aufeinandertreffen.

Trotz reduzierter Formation und deshalb zu viert statt zu fünft ohne Sänger Stefan Seehütter legte die Band eine packende Show aufs Parkett. Im Post Black Metal, der eine besondere Betonung auf dem Präfix verdient hat, vereinten sich brachiale Gewalt und emotionale Tiefe. Wahrlich ist es keine Partymusik, die hier geboten wird. Doch auch die ernsten Töne und die anspruchsvollen Muster der Musik treffen auf Anklang beim Publikum des SKALDENFESTS. Eine lustige Beobachtung ist die Vermehrung der Basssaiten pro Konzert bis dato. Vom Viersaiter bei DVALIN sind wir über den fünfsaitigen Bass bei EMPYREAL nun beim sechssaitigen Tieftöner bei AUßERWELT angekommen. Dass sich diese Entwicklung im weiteren Verlauf nicht fortgesetzt hat, ist wohl keine sonderlich große Überraschung.

DARK OATH

Merlin: Auf DARK OATH war ich im Vorfeld sehr gespannt. Bisher war es mir noch nicht vergönnt, die Portugiesen live zu sehen. Als sie die Bühne betreten, sticht die Präsenz der Sängerin direkt hervor: Eine blonde Frau in Lederjacke und mit jeder Menge Power! Leider ist sie hier und heute die Einzige ihrer Art – keine der anderen Bands auf dem diesjährigen SKALDENFEST kann mit weiblichen Mitgliedern aufwarten. Sara Leitão von DARK OATH aber heizt mit ihrer energiegeladenen Art die Zuschauer richtig schön auf. Die Stimmung ist vor der Bühne genauso großartig wie auf der Bühne selbst. Der Schlagzeuger von DARK OATH strahlt und grinst und hat richtig gute Laune. Auch der Sound geht mächtig ab, straight nach vorne. Unter anderem wird „The tree of life“ von ihrem ersten full-lengths Album „When Fire Engulfs the Earth“ gespielt. Sängerin Sara headbangt, ich auch. Direkt vor der Bühne lässt ein etwas zu enthusiastischer Zuschauer sein Bier in die Luft spritzen. DARK OATH geben als letztes Stück schließlich noch „Thousand beasts“ zum Besten, dann verabschieden sie sich mit Dankesworten und beschließen unter dem eifrigen Klatschen der Zuhörer ihren Auftritt. Was soll ich sagen? Ich bin begeistert!

SUN OF THE SLEEPLESS

Merlin: Man kennt ihn: Markus Stock. Sein Hauptprojekt EMPYRIUM dürfte so ziemlich jedem naturverbundenen und melodieverliebten Metalfan ein Begriff sein. Mit SUN OF THE SLEEPLESS lebt der Herr Stock hingegen seine schwarzmetallische Seite aus. Als live-Bassist steht ihm dabei (Valkenstin) von MOSAIC zur Seite. Diesem reißt allerdings gleich beim dritten Song eine Seite seines Instruments, sodass er sich erst einmal unauffällig hinter die Bühne zurückzieht und umdisponiert. Das tut der musikalischen Qualität aber keinen Abbruch. 

Der melodische Black-Metal motiviert mich zu melancholischem Haareschwenken und bedachtem Kopfnicken mit geschlossenen Augen. Stock bedankt sich mit tiefer Stimme bei seinem Publikum. Er wirkt das ganze Konzert über hochkonzentriert und schwermütig zugleich. Der letzte Song schließlich, den er dem SKALDENFEST mit SUN OF THE SLEEPLESS darbietet, könnte den Auftritt nicht besser abrunden: „Phoenix Rise“ vom bisher einzigen full-length Album „To the Elements“. Stock haucht die letzten beiden, namensgebenden Worte des Liedes ins Mikrophon und verlässt dann ebenso ruhig die Bühne, wie er sie eine Stunde zuvor betreten hatte. Also alles wie immer, könnte man sagen. Aber eben auch alles andere als langweilig.

WALDGEFLÜSTER

Raphael: Als vorletzte Band des Tages betraten gegen 20:30 Uhr noch einmal Musiker aus Bayern die Bühne. WALDGEFLÜSTER, die ursprünglich als Soloprojekt von Sänger Winterherz ins Leben gerufen wurden, nahmen nun zu fünft Platz auf der Stage. In einheitlichen, waldgrünen, von einem Hirschkopf verzierten Hemden präsentierten sich die fünf Oberbayern, die nicht nur zwei Banner, sondern auch mehrere hölzerne Mikrophonständer und reichlich Zierwerk mitbrachten. An zwei reichlich geschmückten Bäumen hingen allerlei dekorative Gegenstände wie Schädel und Hörner von Waldtieren sowie Staben und rituelle Verzierungen. Den engen Bezug zu ihrer Heimat bringen WALDGEFLÜSTER sehr stark zur Geltung, was sich auch an der Setlist zeigt, die sehr auf das im letzten Jahr erschienene Album „Dahoam“ fokussiert ist. Der Titel offenbart, dass es nicht nur inhaltlich um die Heimat geht, sondern dass auch die Texte in bayerischer (bzw. bairischer) Sprache stattfinden. Eine solche Verbundenheit unproblematisch darzustellen ist nicht erst seit Höcke und Seehofer schwierig – WALDGEFLÜSTER schaffen es dennoch.

Geflüstert wurde wenig auf der Bühne. Stattdessen wechselten sich brachiale Blastbeats und tiefe Growls mit hymnischen Chorälen ab. Wer schon einmal in einem Gletschersee gebadet hat, kann die Kälte nachvollziehen, die WALDGEFLÜSTER mit ihrem Bavarian Pagan Black Metal verbreiteten. Für zusätzliche Abwechslung sorgten akustische und unverzerrte Zwischenspiele sowie harsche Breaks, die wie Felskanten emporstiegen. Etwa eine Stunde lang ging der Spaß, der seinen hymnischen Schluss zum letzten Flug der Schwalben im Innenhof fand. Zusammen mit einem dankbaren Publikum verabschiedete ich die für mich größte Überraschung des Konzertabends, um mich bei weiterer Abkühlung auf DORNENREICH einzustellen.

DORNENREICH

Merlin: DORNENREICH stellen die letzte Band des Abends. Und gleichzeitig sind sie die Ersten und Einzigen heute, die im Dunkeln spielen. Die Atmosphäre des nächtlichen Schummerlichts, das von den grellen Scheinwerfern jäh durchbrochen wird, könnte tatsächlich nicht besser zu ihnen passen. Denn DORNENREICH sind romantisch und verstörend zugleich. „Abstrakt“ trifft es vermutlich ganz gut. Auch für diese Band ist ein Herr namens Stock verantwortlich – allerdings nicht Markus, sondern Jochen, seines Zeichens Sänger, Gitarrist und Komponist. Und der hat eine sehr, sagen wir, „interessante“ Mimik drauf. Die Gesichtsgymnastik, die er während des gesamten Auftritts vollzieht, macht mir fast ein bisschen Angst. Aber irgendwie passt es auch. Jochen Stock alias Evìga bestreitet aber nicht alleine den Gesang, sondern bekommt wie meist bei ihren live-Auftritten stimmgewaltige Unterstützung von David Conrad alias Eklatanz (wer es noch nicht getan hat, der möge an dieser Stelle mal in HERETOIR reinhören).

Aber was geht eigentlich in Sachen Songauswahl bei DORNENREICH? Dass sie [das Album] „Her von welken Nächten“ anstimmen, wundert mich nicht im Geringsten. Erst „Eigenwach“, dann „Ich bin aus mir“, schön der Reihe nach. Bei „Wer hat Angst vor Einsamkeit“ sagt Jochen nur den Anfang des Songtitels an und lässt die Zuschauer das letzte Wort ergänzen. Das klappt auch so halbwegs. Habe ich übrigens erwähnt, dass DORNENREICH natürlich auch ihren Geiger mit an Bord haben? Thomas Riesner alias Ínve staffiert jedes Lied – mal weich, mal wild – mit virtuosen Violinklängen aus.

Nachdem DORNENREICH eben „Erst deine Träne löscht den Brand“ vom Album „Flammentriebe“ zum Besten gegeben haben, verkündet Jochen mit dem ihm eigenen, verheißungsvollen Schmunzeln: „Das nächste Stück könnte das letzte sein – wenn ihr uns dann schon gehen lasst“. Sie stimmen „Der Hexe flammend Blick“ an und es ist klar, dass die Zuschauer sie ganz sicher noch nicht gehen lassen. DORNENREICH verschwinden der Show zuliebe zwar kurz von der Bühne, um uns den mehrstimmigen Ruf nach einer Zugabe zu gönnen. Fix stehen sie aber wieder im gleißenden Rampenlicht, von wo aus sie dem Publikum „Dein knöchern‘ Kosen“ von ihrem 2021 erschienenen Album „Du wilde Liebe sei“ präsentieren. Unmittelbar danach stimmen sie noch einen weiteren Song an, dessen Titel ich jedoch nicht heraushöre. Der dann aber wirklich letzte Song ist „Trauerbrandung“ – womit wir wieder bei „Her von welken Nächten“ angelangt wären. Es ist ein fulminantes Finale. Jochen lässt noch einmal Kopf und Haare kreisen in einer Frequenz, dass ich befürchte, er könnte jeden Moment von der Bühne kippen. Glücklicherweise geht der Auftritt aber ohne schwere Unfälle über die Bühne (!) und so bescheren uns DORNENREICH einen großartigen Abschied von einem grandiosen Festival.

FAZIT

Merlin: Das SKALDENFEST 2022 war ein kleines, aber umso feineres Festival. Von der Bandauswahl über die mehr als bezahlbare Verpflegung bis hin zum Publikum – wieder einmal bin ich voll und ganz überzeugt. Das SKALDENFEST ist für mich ein besonderes Juwel, schüchtern funkelnd aus dem Haufen der mehrtägigen Konzertkonkurrenz. Ein Juwel, das lohnt, entdeckt zu werden! Ich jedenfalls freue mich schon, wenn nächstes Jahr eine neue Edition des heimeligen Würzburger Festivals ins Haus, pardon, ins KILIANEUM steht.

Homepage des SKALDENFESTS

Weitere Beiträge zum Thema SKALDENFEST im SILENCE MAGAZIN


Du liest diesen Beitrag, weil unsere Autoren lieben, was sie tun - wenn du ihre Arbeit liebst, kannst du uns, wie andere schon, unterstützen. Wie? Mit einem kleinen monatlichen Beitrag über silence-magazin@patreon Patreon
letzter Artikel

SILENCE MUSICFRIDAY #86

nächster Artikel

SILENCE MUSICFRIDAY #87

Keine Kommentare

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert