Totgeglaubte strahlen länger
CYTOTOXIN laden in Leipzig zum Tanz
Damals auf dem In Flammen Open Air 2014 spontanverliebt, stand für mich seit Wochen fest, endlich mal wieder die sympathischen Brutal-Death-Metaler von CYTOTOXIN anzuschauen. Am Freitag war es dann endlich soweit. Mit zwei Frickelgitarren-affinen Kumpels im Gepäck, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich wussten, worauf sie sich eingelassen hatten, wurde das 4rooms in Leipzig angesteuert. O-Ton:
Hier, du stehst doch so auf technisches Griffbrettgewichse. Komm mal mit, ich kenn da ne Kapelle, die haben jetzt noch nen zweiten Gitarristen – das wird dich umhauen.
Spoiler: Sie waren nach dem Abend vom Gesehenen durchaus angetan.
Also, rein ins Vergnügen! Wir latzen absolut gerechtfertigte acht Euro Eintritt und folgen den rumpeligen Tönen Richtung Konzertraum. Den Reigen eröffneten wohl kurz vor unserer Ankunft die Texaner DESECRATE THE FAITH , von denen wir nur das knüppelnde Schlagzeug halbwegs differenziert hörten. Der Rest verteilt sich leider als breiige Masse im Saal. Blöd gelaufen. Ich beschließe, nach 10 Minuten der Hoffnung auf besseren Sound, ein Bier zu aquirieren und den Rest der für mich unbekannten Location zu erkunden. Das 4rooms hat zwei Veranstaltungsräume – einer ist der Konzertraum und in dem anderen hat sich eine Geburtstagsgesellschaft eingemietet, die offenbar einen Hang zu den Rock- und Metal-Gassenhauern der letzten 15 Jahre hat. Naja, da muss man nicht unbedingt reinschneien …
Auf dem Weg dorthin liegt die Bar, ein Raum, ausstaffiert mit Bücherregalen, zwei Kickertischen (an denen es sich ausgesprochen gut spielen lässt!) und ein paar Couches. Insgesamt macht das eine tolle Wohnzimmer-Atmosphäre. Das Bier ist mit unter drei Euro gut bezahlbar, der Pfeffi für ’nen Euro entspricht auch dem Standard.
Die Jungs und ich gammeln also trinkenderweise auf einer der Couches ab und warten gespannt auf die zweite texanische Kapelle, die aus zwei Gitarristen und einem Drumcomputer besteht.
Die Death-Metaler SADISTIC BUTCHERING beginnen ihre Show und auch hier ist der Sound leider sehr undifferenziert. Es ist nicht so schlimm wie beim Opener, dennoch macht es mir nur wenig Spaß zuzuhören. Schade, denn wie auch bei DESECRATE THE FAITH sieht man die beiden Musiker sich abfrickeln, aber es kommt kaum etwas davon bei mir an. Einzig in den Parts, in denen mal einer der beiden soliert, kann man die Läufe halbwegs erahnen. Nur gefallen diese Ausreißer mir so gar nicht. Klassische, vergleichbar langsame Metalsoli auf durchknallende Blastbeats zu packen halte ich für sehr gewagt. Die Soli wirkten in der Kombination ziemlich verloren. Ich bewege mich also ein weiteres Mal Richtung Bar. Langsam werde ich ungeduldig und hibbelig, will ich doch endlich CYTOTOXIN abfeiern.
Nachdem seit Ende 2014 Jason Melidonie als zweiter Gitarrist die Kapelle mit seinen Spielkünsten unterstützt war es merkwürdig ruhig um die Chemnitzer geworden. Man befürchtete zwischenzeitlich sogar das mögliche Ende der Band.
Seit März diesen Jahres ist dann der Drummer Stephan Stockburger als Nachfolger von Tobias Olijnyk mit an Bord und es scheint mir, als würden die Jungs nun wieder mehr Konzerte und Festivals bespielen.
Ich erwartete also eine Band, die mich in alter Besetzung schon absolut vom Hocker hauen konnte und nun noch ein Upgrade durch einen zweiten Gitarristen erhalten hatte.
CYTOTOXIN laden gegen 0 Uhr endlich zum Tanz. Ich tauche ein in einen Pfuhl voller Verrückter. Unterlegt von ‚The Red Forest‘ wärmt man sich auf, schüttelt das Haupthaar oder die Hand über ebenjenem, wenn es doch etwas zu schnell zum Headbangen wird. Klassischerweise bewegt sich die Meute während der Slam-Passagen im Kreis und zeigt einmal mehr den liebenswerten Humor gegenüber dem eigenen Aufteten. Ich fühle mich wie die Mutti am Rand des Sandkastens, die verzaubert beobachtet, wie sich die lieben Kleinen grad wunderbar mit Blödsinnigkeiten beschäftigen. Selig vor mich hin grinsend bahne ich mir meinen Weg durch die Menge. Auf dem Podest hinterm Tonmann finde ich einen etwas höher gelegenen Platz und erhasche einen ersten Blick auf die Bühne, die leider nur ebenerdig angelegt ist.
Mit schier unbändiger Energie versetzt mich Sänger Grimo in nukleare Endzeitszenarien, steckt sich zeitweise das Mikrofon so tief in den Rachen, dass er nicht einmal mehr seine Hände benutzten muss, um es zu halten und grunzt und growlt in verschiedenen Tonlagen was das Zeug hält. Ich war und werde wohl nie ein Fan des gutturalen Gesangs sein und doch stört mich in der Konstellation diese durchgängige Rohheit nicht. Untermalt von einem unmenschlich kraftvoll, schnell und präzise durchgetretenem Schlagzeug werden mir die Hirnwindungen durchgespült. Ich schließe die Augen, freue mich über den vergleichbar klaren Sound der Band und lasse mich durch eine ausgewogene Songauswahl aus beiden Alben treiben.
Nach ein paar Songs, pünktlich zu ‚Survival Matrix‘, dem mir durchaus vertrauten Opener ihres zweiten Albums, zieht es mich dann doch weiter nach vorn. Ich möchte mir von Nahem anschauen, wie die Saitenfraktion so drauf ist. Auffällig ist, dass sowohl Bassist als auch beide Gitarristen auf einem technischen Niveau spielen, das seinesgleichen sucht. Tappings und Sweepings werden nicht nur zufällig eingestreut sondern finden zu meiner großen Freude regelmäßig ihren Weg in die Songs. Die Gitarristen geben sich abwechselnd das Zepter der Frickelage in die Hand und servieren wahnwitzig schnelle, zum Teil parallele Gitarrenläufe, dass es eine wahre Wonne ist. Das dämliche Grinsen ist mir nicht mehr aus dem Gesicht zu wischen, der Spülgang läuft, mein Hirn ist leer und die mal im Kreis umher stampfenden, mal kopfschüttelnde Menge lässt mich versonnen an ein sich drehendes Kinderkarussell für große, bärtige Männer denken.
Die Ankündigung der letzten beiden Songs reißt mich aus meinem schwebenden Zustand und ich lasse mich vom Karussell mitreißen, die Menge feiert und die Musiker zerren noch einmal alle Register auf. Mit der folgenden Zugabe ‚Radiophobia‘ beenden die Chemnitzer den Tanz und lassen mich – schwitzend, die Fresse voller Haare und äußerst durstig – zurück in die Realität zurück fallen.
Ich stelle fest, dass der Unterschied zwischen den Menschen auf und denen vor der Bühne ausschließlich darin liegt, dass die einen schon sehr genau wissen, was sie da tun – und die anderen vermutlich nicht. Der Wahnsinn ist ihnen jedoch allen eigen.
Wenn auch der Sound der ersten beiden Bands grottig gewesen ist (wobei ich nicht zu sagen vermag, ob es an der Mischung oder dem Raum an sich lag) und die ebenerdige Bühne für mich nicht für die Räumlichkeit an sich spricht, gebe ich der Location noch eine Chance. Ich habe mir sagen lassen, dass der durch die Geburtstagsfeier belegte zweite Raum immerhin eine echte Bühne haben soll.
Die Atmosphäre im 4rooms ist entspannt, das Bier bezahlbar und die Kickertische für Kneipenverhältnisse fantastisch. Da nehme ich doch in Zukunft gern wieder den Weg aus Halle auf mich!
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